Tag 14 – Zuggedanken

Es regnet in Hokkaido. Um genau zu sein, scheint sich der Himmel bei dem Gedanken, dass wir diese schöne Insel im japanischen Norden verlassen werden, nicht wohlzufühlen und heult. Uns selber soll es aber recht sein, denn wir sind mit anderen Dingen beschäftigt. Aus einer spontanen Laune heraus hatten wir uns in einer Ryokan eingemietet. Räume mit Tatamimatten, Tee und Gebäck kostenlos zum Testen und Schlafen auf dem Boden standen an. Das eigentliche Highlight einer Ryokan ist aber das Essen. Wann auch immer man die Chance hat, sich in einer einzuquartieren, man sollte es mit einem Essen, Frühstück oder bei entsprechendem Geldbeutel Abendbrot, abrunden. Für das Essen wird in diesem Fall nur das Beste aufgefahren. Frühstück mit japanischem Omelette, Fisch, Reis, eingelegtem Gemüse, Natto und andere japanischen Spezialitäten sind schon eine Hausnummer, an die sich der Magen erst einmal gewöhnen muss. Wer sich trotzdem bereiterklärt, das Abenteuer anzunehmen und im Zweifelsfall Dinge zu essen, die er nicht einordnen kann und teilweise auch nicht will, wird mit einem reichhaltigen und interessanten Essen belohnt. Ebenso geschah es mit unserem Frühstück. Reichhaltig und variationsreich wurde uns aufgetischt, so dass kein Wunsch offen blieb.

Nach dem Essen ging es durch den strömenden Regen zum Bahnhof. Ziel war es, im Zug in acht Stunden den Weg nach Sendai, über die Stationen Hakkodate und Aomori, zurückzulegen. Zu dieser Zugfahrt eventuell erst einmal ein Tipp: Die Züge in Japan sind fast immer ausgebucht. Aber die Reservierungen werden auch gerne wieder zurückgegeben. Aus diesem Grund brauchten wir drei Anläufe, um die Tickets für alle Zugverbindungen bis Sendai zusammenzubekommen. Nichts ist unangenehmer, als auf dem Boden eines Shinkansen zu sitzen, wissend, dass es super bequeme Stühle mit großer Beinfreiheit gibt. Trotz allem schafften wir es also, alle Tickets zu bekommen und es konnte fast losgehen, vom Regen weg. Vorher schaute ich aber noch einmal in den Souvenirladen der Stadt am Bahnhof, es könnte ja vielleicht noch irgendetwas zum Mitbringen für meine Freunde geben. Was ich aber vorfand, darauf war ich nicht vorbereitet. Ich bin ja von den Japanern vieles gewöhnt: Schokoladenbier, Mixgetränke mit den komischsten leuchtenden Farben, aber Bier in der Farbe blau und dazu weißen Schaum, hätte ich beim FCM-Fanshop erwartet, nicht aber in Japan. Das Bier musste gekauft werden. Warum man mich fragte, ob man das Bier gleich öffnen soll, erschloss sich mir aber nicht. Denn eigentlich dachte ich immer, ich sehe nicht unbedingt wie jemand aus, der um zehn Uhr morgens Bier trinken muss.

Nach diesem Kulturschock ging es in den Zug. Eine lange, aber bequeme Fahrt erwartete uns. Allerdings wollte mich Dennis einmal mit Blicken töten, da er neben einem nervigen Japaner sitzen musste, während ich eine junge 26jährige Nachbarin hatte, mit der man sich sogar gut unterhalten konnte. Endlich, kurz nach 18 Uhr, erreichte unser Zug endlich Sendai und durchdrang genau dort die letzten Regenwolken. Wir waren wieder in der ?Heimat?. Das Wetter war zwar im Vergleich zu Hokkaido viel zu warm, aber doch erscheint Sendai selbst schon für Dennis so ähnlich wie ein alter Bekannter. Nachdem wir unsere Koffer in der MafuMafu-Sprachschule abgegeben hatten und Dennis von einer neuen Mitarbeiterin erst einmal für Thomas, den alten Chef des MafuMafu, gehalten wurde, ging es noch mal in die Stadt zum Shoppen und auf Orsolya warten. Das Warten sollte sich aber lohnen. Auf der einen Seite waren wir froh, sie wiederzusehen und bei ihr unsere Koffer loswerden zu können, außerdem sollte es Sushi geben.

Sushi? Was ist daran so besonderes? Ihr esst das doch häufiger, höre ich die Stimmen schon sagen, aber es ging um ein besonderes Sushi. In einem der besten Sushi-Restaurants der Stadt steht noch ein echter Sushimeister vor einem. Um diese Erfahrung richtig zu machen baten wir Orsolya um Übersetzung, dass wir kein vorgefertigtes Set wollen. Er sollte aussuchen, was am besten zusammen passt und in einem festen Preisrahmen blieb. So bekamen wir zum ersten Mal auch Sushi, welches wir sonst nie gegessen hätten – perfekt aufeinander abgestimmt und in Frische und Geschmack unschlagbar. Selbst Orsolya, die das Restaurant erst für einen Fehler hielt, zeigte sich begeistert. Zusätzlich zum Sushi bekamen wir auch noch einen Einblick in Zubereitung und Essmethoden, so dass der Tag einen sehr lohnenden Ausgang hatte. Wer immer die Gelegenheit hat, eine echte Sushibar zu besuchen, sollte dies tun. Setzt euch nur ein Preislimit, welches auch ruhig mal höher sein darf und dann einfach alles probieren. Sachen wie zerquetschter Seeigel sind zwar nicht jedermanns Ding, wer aber mit offenen Augen und etwas Selbstvertrauen an die Sache herangeht, wird es nicht bereuen. Das Sushi war auf jeden Fall der perfekte Abschluss für Dennis Restaurantbesuche in diesem Jahr, da er ja morgen nach Hause fliegen ?will?.

Tag 13 – Spontane Reisen

Es gibt Menschen, die bekommen einen Nervenzusammenbruch, wenn nicht alles genau durchgeplant ist. Andere können sich tierisch über Menschen aufregen, die alles kurzfristig entscheiden. Dennis und ich dagegen gehören im Urlaub wohl zur dritten Sorte. Wir lassen alles auf uns zukommen und entscheiden operativ. Im Laufe der letzten Tage hatten wir beschlossen, noch einmal eine echte Ryokan, also ein japanisches Hotel, aufzusuchen. Kurzerhand suchten wir eine Ryokan in Sapporo auf und bekamen auch ein sehr günstiges Angebot, welches wir annahmen. Heute früh war es dann soweit und der Umzug konnte beginnen. Das Hotel wird von einer Familie betrieben, welche sich wirklich sehr um uns bemühte und schon beim Check In zeigte, dass man uns willkommen heißt.

Nach diesen Formalitäten ging es sofort zum Bahnhof. Ziel der heutigen Reise sollte Furano werden. Furano ist eine kleine Stadt in der Mitte der Insel Hokkaido, die durch den Wintersport und im Sommer durch die Lavendelfelder bekannt ist. Die Tickets waren besorgt und die Reiseführer berichteten von strahlend blauen Feldern auf den Weg in die Stadt. Zum Glück hatten wir noch etwas Zeit und besuchten die Touristeninformation, um noch einige Tipps zu Furano zu bekommen. Dort erfuhren wir, dass das Internet und die Führer gelogen hatten. Entgegen anderslautender Aussagen blühen die Lavendelfelder nur bis etwa zur ersten Augustwoche, wir wären also umsonst gefahren.

Kein Problem für uns, kurzerhand ließen wir die Tickets, wie nicht zum ersten Mal auf dieser Reise, verfallen und besorgten uns einen Alternativplan. Per Shinkansen ging es nach Toya, einer kleinen Onsenstadt im südlichen Hokkaido, welche zu einem Nationalpark mit dem gleichen Namen gehört. Toya ist eine kleine Stadt mit einem großen See und heißen Quellen. Der Tourismus erhält die Stadt am Leben, gleichzeitig muss sie aber auch ein großes Opfer für diesen bringen. Onsen entstehen zumeist in vulkanischen Gebieten. Die heiße Quelle, die die Stadt mit Wasser versorgt, stammt aus einem Vulkanausbruch Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. In den Siebzigern und im Jahr 2000 erfolgten erneute Vulkanausbrüche mit Magmaströmen, welche die Stadt in Teilen zerstörten. Die Menschen in diesem Gebiet müssen also immer in Angst vor einer neuen Katastrophe leben und haben gleichzeitig eine Vielzahl an Gegenmaßnahmen getroffen. Diese Gegenmaßnamen und die Schäden der letzten beiden Erdbeben besichtigten wir heute.

In dem Gebiet der heutigen Präventionsmaßnahmen hat die Stadt Toya drei Gebäude stehen lassen, welche von der Zerstörungskraft der Natur zeugen. Auf den ersten Blick erscheinen diese Gebäude, wie sie in Großstädten häufig aufzufinden sind, verlassen und durch Vandalismus zerstört. Schaut man näher hin sieht man, dass teilweise ganze Etagen durch die Ströme begraben und bis heute nicht freigelegt wurden. Eine ganze Brücke ist deshalb auch genau über dem Erdboden zu sehen. Folgt man dem Gebiet weiter, fühlt man sich in einen Endzeitfilm versetzt. Zerstörte Überreste der Zivilisation sind an vielen Ecken zu sehen, wurden aber durch das rapide Wiedererblühen der Natur nach einem Erdbeben von dieser eingenommen. Ein seltsames Gefühl beschleicht einen, wenn man die Bilder sieht und sich vorstellt, dass der Weg vor nicht ganz 12 Jahren noch von Magma bedeckt war. Die Schutzmaßnahmen, welche man auf dem Weg zu den Kratern der Ausbrüche erklimmen muss, sind in ihren Ausmaßen imposant und erschweren neben der aufblühenden Natur für den Wanderer den Weg. Um die Maßnahmen nicht zu beschädigen ist der Wanderer gezwungen, die beschwerlichsten und teilweise abstrusesten Wege zu nehmen, um weiter voran zu kommen. Bei den Temperaturen und unseren Sandaletten war das nicht immer das leichteste Unterfangen. Im Endeffekt hat es sich aber vollkommen gelohnt. Neben spektakulären Naturbildern, denen Fotos nie gerecht werden können, sahen wir auch mehrere Krater, denen man die Gewalt des Ausbruches ansah. Man wundert sich aber trotzdem, welche Zerstörung so ein verhältnismäßig kleines Loch, was nicht größer als manch ein Dorfteich ist, anrichten kann.

Nach der langen Wanderung durch den ersten Rundkurs um die neuen Ausbruchstellen, entschieden wir uns nach einer kurzen Erholung, noch dem zweiten Weg zu folgen. Nach etwas mehr als 2 Kilometern, in denen es in scheinbar fast unberührter Natur nur den Berg hinauf ging, mussten wir diesen Weg aber aufgeben, da man von den angekündigten Kratern des Erdbebens Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts rein gar nichts mehr sah. Die Krater machten eher den Anschein von Urwäldern als von Kratern, wie man sie sich eigentlich vorstellt. In diesem Zusammenhang ist die Natur wirklich imposant. Nach der Rückkehr von dieser Strecke mussten wir erst einmal unserem neuen Lieblingshobby frönen und ein Fußbad in einer heißen Quelle nehmen, wie es vielerorts in Toya bereitsteht. Wieder war es entspannend, mit dem Vulkansee vor einigen Tagen konnte es aber nicht mithalten. Wir fragten uns aber die ganze Zeit, ob wir mittlerweile so alt geworden sind, dass wir schon Fußbäder gutheißen. So etwas wäre uns früher nicht passiert, aber wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten. Nach der Rückkehr ging es nur noch kurz zum Essen und dann in unser Hotel.

Trotz unserer späten Rückkehr standen 3 Leute bereit, um sich um uns zu kümmern. Uns wurde Tee mit einer Süßigkeit als Willkommensgruß geschickt, die Yukatas wurden gereicht und der Weg zum öffentlichen Bad gezeigt, welches wir auch gleich ausnutzten. Das Bad ist zwar klein und ich stieß sogar oben an die Decke, aber wer in Japan ist, sollte dies auf jeden Fall nutzen. Das kann dann aber auch zum Kulturschock der Japaner werden, wie in unserem Fall. Ein Jugendlicher erwartete, dass er dort seinen Vater antreffen würde. Sein Blick war göttlich, als auf einmal zwei Ausländer in Yukata vor ihm standen. Der junge Mann hat auf jeden Fall seinen Freunden einiges zu berichten.

Morgen gibt es dann japanisches Frühstück und dann geht es zu Orsolya nach Sendai. Dennis möchte ja unbedingt wieder arbeiten, wobei von möchten kann keine Rede sein. Dem Vernehmen nach gefällt es ihm sehr gut hier und er würde es bestimmt noch eine Weile hier aushalten. Aber der Ernst des Lebens ruft bekanntlich.

Tag 12 – Auswärtsspiel Consadole vs. Vegalta

Eine Sache gibt es noch, die diesen Urlaub zu einem wirklichen Urlaub von mir macht. 2006 war es ein Baseballspiel der Baystars, über die Vielzahl an Sportveranstaltungen 2010 und 2011 rede ich lieber gar nicht. Dieses Jahr steht auf der Haben-Seite bisher nur ein missglückter Versuch, ein Heimspiel von Vegalta Sendai zu sehen. Das ist ein nicht haltbarer Zustand! Wie der Zufall so will, fand heute in Sapporo ebenfalls ein Fußballspiel statt. Consadole Sapporo traf auf Vegalta Sendai. Keine Frage, wer es sich im Gästeblock bequem machte. Es war Zeit für ein Auswärtsspiel!

Das Auswärtsspiel begann aber im eigentlichen Sinne schon gestern. Die Frage, die im Raum steht: Wie viele Leute benötigt man, um einmal Tickets für ein Fußballspiel zu besorgen? Dennis und ich fanden die Antwort. Man benötigt zwei Mitarbeiter eines Combinis und etwa 20 Minuten Zeit. Eine der vielen japanischen Combiniketten verfügt über ein Kartenvorverkaufssystem, welches unter anderem dem Vorverkauf von Sporttickets dient. Vor zwei Jahren war die Bedienung noch ein Graus, so dass selbst Japaner an dem Ticketkauf für Fußball regelmäßig scheiterten. Um diese Situation zu verbessern, hat mittlerweile jedes dieser Geräte eine kleine Karte mit einer Beschreibung angebracht, welche den Fußballfan zu seinen Tickets bringen soll. Soweit so gut, diese Errungenschaft ist sinnvoll und wenn noch mehr Menschen wie ich mit ihrer Verzweiflung den Verkehr im Combini zum Stehen gebracht haben, so ist die Umgestaltung verständlich. Wieso benötigte ich, wenn es so einfach geht, dann nun zwanzig Minuten für das Ticket? Die Lösung ist einfach: Ich hatte mal wieder Sonderwünsche. Zwar wird der Weg zum Ticket beschrieben, eine Übersicht über die Blöcke fehlt aber. Als Sendai-Fan konnte mir leider niemand sagen, wo wir sitzen sollen. Nur dank einer hilfreichen Verkäuferin, welche drei verschiedene Institutionen für uns anrief und sich dabei die Nummern immer auf ihre Hand schrieb, gelangten wir endlich an die Lösung des Rätsels und damit an unsere Karten.

Das Spiel sollte heute um 14 Uhr losgehen, mehr als genug Zeit also, sich anderweitig umzusehen. Für wirkliche Besichtigungen fehlte aber trotzdem die Zeit. Kurzerhand entschieden, wir nach einer kleinen Stadtbesichtigung einfach mal den Weg zum Sapporo Dom zu erfragen. Die erste Antwort lautete vierzig Minuten, also eine verhältnismäßig kurze Strecke. Der Ladenbesitzer zeigte sich aber überrascht über unseren Plan, die Strecke zu laufen. Als wir aber dank Fotografieren so aussahen, als ob wir den Weg nicht finden, lief er uns hundert Meter hinterher, um uns noch einmal schnell in die richtige Straße zu weisen. Leider stimmte seine Einschätzung aber nicht ganz. Nach etwa einer Stunde Marsch stellte sich dank eines Navis heraus, dass immer noch rund sechs Kilometer vor uns lagen. Der kurze Spaziergang verlängerte sich also mal wieder ungewollt. Trotz allem fanden wir nach einiger Zeit das Stadion. Der Sapporo Dom lag vor uns.

Stadion

Das Stadion ist eine imposante Erscheinung. Eine große Kuppel bildet das gesamte Stadion und an der einen Seite des Stadions findet man eine Mulde, auf die der Rasen ausgefahren werden kann. Da es sich um eine Mehrzweckhalle handelt, wird dies besonders genutzt, um zwischen Fußball und Baseball zu variieren. Das Stadion an sich ist komplett geschlossen und etwa 41.000 Menschen finden bei Fußballspielen Platz. Consadole Sapporo als Verein existiert erst seit 1996. Ein Verein aus Kawasaki wurde umgesiedelt, um Hokkaido einen Verein zu geben, welcher in den höheren Ligen Bestand haben konnte. Nach einem überraschenden Aufstieg in der letzten Saison ist Consadole Sapporo momentan Letzter der Tabelle, was auf ein junges Team und viele verletzte Spieler zurückzuführen ist. Vegalta dagegen ist dieses Jahr eines der stärksten Teams der Liga und kämpft mit Teams wie Hiroshima um die Meisterplätze.

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Das Spiel selber bewies, warum Vegalta soweit oben in der Tabelle steht. Consadole Sapporo hatte zwar die ersten Chancen, wirklich Gefährliches kam dabei nicht heraus. Ganz anders Sendai mit seinem stark variablen 4-4-2, welches das Spiel der Mannschaft um einiges ansehnlicher macht, als noch vor einem Jahr. Manko der Mannschaft ist eigentlich die Verspieltheit. Anstelle des Abschlusses wurden immer neue Varianten gebracht, um den Ball ins Tor zu tragen. Trotz einer frühen Führung von Sendai schaffte es Consadole, in der zweiten Halbzeit auszugleichen. Vegalta drückte nun, aber manchmal hat man einfach Pech. Wie es sich schon das ganz Spiel ankündigte, fing sich Vegalta in der Schlussoffensive einen Konter ein, welcher zu allem Überfluss mit einem Eigentor beendet wurde. Die alte Weisheit, wenn man den Sack nicht zumacht, rächt sich das, stimmt also immer noch. Hätte man bei all den hundertprozentigen mal ein Tor gemacht, wäre das Spiel anders gelaufen. So endete das Spiel nach einem Tor in der 94. Minute mit 2:1 für Sapporo. Trotz der bitteren Niederlage muss man dem Trainer von Vegalta ein Kompliment machen, er hat das perfekte Spielsystem für den japanischen Fußball gefunden. Schnelle, zweikampfstarke Spieler, die mehrere Positionen belegen können und zu den großgewachsenen Stürmern in die Mitte flanken. Besiegbar ist ein derartiges System nur per Konter, wie es Sapporo vormachte. Auch den im Internet aufgemachten Vorwurf der Bevorteilung Sendais kann ich mittlerweile verstehen. Vegaltas Spieler haben, untypisch für den japanischen Fußball, eine Zweikampftechnik am Rande der Legalität. Es wird noch nicht als Foul gewertet, ist aber nahe daran. Für die gegnerischen Fans, die dies nicht von ihren Spielern gewöhnt sind, mag dies etwas von Betrug haben, aus meiner Sicht handelt es sich nur etwas um körperliche Härte.

Im Anschluss an das Spiel machten wir noch die Innenstadt unsicher. In Sapporo findet im Sommer eines der größten Bierfeste der Welt statt. Preise von bis zu 30 Euro pro Liter hielt uns aber doch davon ab, hier aktiv zu werden. Da konnten wir uns zur Feier des Urlaubs in einem schönen Restaurant lieber ein paar Udon gönnen. Schön war auf jeden Fall, dass selbst der alte Feind des Sports, Dennis, in den letzten zehn Minuten des Spiels ziemlich emotional mitgegangen ist, selbst ihm hat es also irgendwie gefallen. Ich hoffe dagegen beim nächsten Heimspiel auf ein besseres Ergebnis.

Tag 11 – Einmal Füße, gut durch bitte

Die letzten Tage stehen an und Dennis möchte nur noch vier Tage hier in Japan bleiben. O.k., von möchten kann laut eigenem Bekunden keine Rede sein, aber die Pflicht ruft. Bevor wir uns mit diesem Problem befassen müssen, haben wir aber noch ein wenig Urlaub. Nachdem wir gestern Sapporo erkundet haben galt es heute, die Aufmerksamkeit auf die umliegenden Gebiete zu lenken. Wozu hätte man sich sonst ein Zugticket für alle Züge besorgen sollen, wenn man es nicht benutzt?

In einem spontanen Beschluss entschied unsere Gruppe, nach Noboribetsu zu fahren. Nobori? was? Den meisten Menschen wird der Ort nichts sagen und ich nehme uns dabei explizit nicht aus. Noboribetsu ist ein Onsenort, also ein Ort der heißen Quellen, in denen Japaner bei Temperaturen von 40 bis in sehr seltenen Fällen 50 Grad entspannen, soweit man gekocht werden überhaupt als Entspannung werten kann. Da ich genug Menschen kenne, die heiß Baden lieben, muss es aber wohl so sein. Wie dem auch sei, in der Touristeninformation stießen wir auf mehrere Prospekte die vielversprechend klangen und deshalb fuhren wir spontan hin. Neben einer Vielzahl an Onsen bietet die Stadt ein Dorf der Edo-Zeit, in dem Schauspieler das Leben im neunzehnten Jahrhundert wieder aufleben lassen und ein Ninja-Schloss, in dem Fallen und Verstecke zu finden sind. Eine weitere Attraktion ist das Märchenland, in dem ein europäisches Schloss den Mittelpunkt bildet und die Fahrgeschäfte und Beschäftigungen eher für Kleinere ausgerichtet sind. Es gibt auch einen Bärenpark, welcher es erlaubt, die gefährlichen Einwohner Hokkaidos aus der Nähe zu sehen, ohne Angst um das eigene Leben zu haben. Besonders die Bären sind ein großes Problem hierzulande, denn nicht umsonst stehen in jedem Wald Warnschilder mit Hinweisen zum Verhalten bei einem Aufeinandertreffen mit Bären.

Der Höhepunkt und eine der Hauptattraktionen ist aber das Death Valley, das Todes-Gebiet. Passend zu diesem Gebiet mit starken vulkanischen Aktivitäten sind die Markenzeichen des Gebietes, eine Vielzahl an kleinen Dämonen-Statuen, und auch die gesamte Stadt wird von gezeichneten Dämonen bevölkert. Von allen Attraktionen erschien uns dieses Tal neben dem Edo-Dorf am lohnendsten. Kurzerhand beschlossen wir nach unserer Ankunft in Noboribetsu, uns auf den Weg ins Tal zu machen. Auf der Karte erschien dies nicht weit zu sein und wieso sollte man ?viel? Geld für den Bus bezahlen, wenn man doch laufen kann. Als Anmerkung am Rande, nur weil eine Vielzahl von Leuten schon die Vermutung aufgestellt hat: Nein, diese Entscheidung wurde von Dennis mit den gleichen Beweggründen mitgetragen und nein, ich stand auch nicht mit Waffengewalt oder Erpressung hinter ihm und habe ihn auf diese Weise gezwungen! In solchen Dingen denken Dennis und ich doch relativ ähnlich. Kurzerhand machten wir uns auf den Weg, welcher immer länger wurde. Schon beim Start wurde eine 12 Kilometer entfernte Onsen ausgeschildert. Wer konnte denn auch ahnen, dass jene genau unseren Zielpunkt darstellte. 12 Kilometer und einige Anhöhen später, erreichten wir doch irgendwie das Tal. Besonders dass letzte Stück hatte es in sich, da auf einmal die Straße endete und Dennis und mir nichts weiter übrig blieb, als vorsichtig einer schmalen Bergstraße zu folgen, welche auch stark von Autos frequentiert wurde. Spätestens hier keimte in uns der Verdacht, vermutlich die ersten Gäste gewesen zu sein, die diesen Weg versuchten. Aber gut, wir erreichten irgendwie unser Ziel.

Nun ging es wirklich in die Berge hinein. Die Onsen liegen in einem von Vulkanen umgebenen Gebiet, welches zum einen dichte grüne Wälder und zum anderen ein durch Schwefeldämpfe entstandenes Gesteinstal enthält. Leider schafften wir es nicht, an einem der vielen aktiven Geysire zu sein, um diesen Ausbrechen sehen zu können, aber immerhin sah besonders das Todestal sehr beeindruckend aus. Wirkliches Highlight war aber der größte Vulkansee Japans, welcher mitten in den Bergen thronte und wirklich nur auf kleinsten Pfaden erreichbar war. Durch das verhältnismäßig schlechte Wetter war die Dampfbildung des Sees noch begünstig, so dass das ganze Gebiet aussah, als ob gleich ein Ausbruch bevorstand. Höhepunkt der Tour war aber dann noch ein ganz anderer. Entlang eines Bachlaufes vom Vulkansee durch das Gebirge gelangte man zu einer Stelle, wo das Wasser auf etwa fünfzig Grad abgekühlt war. Für die Japaner sind das Entspannungstemperaturen und so wurde eine Stelle für die Fußmassage eingerichtet. Man konnte mit den Füßen in das Wasser steigen und den Weg auf Steinen ablaufen und erhielt eine gute Massage. Natürlich war dies nur möglich, wenn man seine Füße erst einmal in das Wasser gezwungen hatte. Eine Japanerin beobachtete unsere qualvollen Versuche und unterhielt sich, nachdem wir es geschafft hatten, noch mit uns. Ein Foto von uns wurde gleich für das Familienalbum geschossen, so dass wir sie zu Gegenfotos überzeugen mussten. Ein Fußbad bei diesen Temperaturen ist auf jeden Fall eine Erfahrung, auch wenn der Schwefelgeruch der Füße schon seltsam war. Man braucht halt überhaupt erst einmal die Muße, um sich in das Wasser zu wagen. Entspannender als ein kalter Gebirgsbach ist es auf jeden Fall und man kann gut die Energie regenerieren. Aus eigener Erfahrung können wir bestätigen, dass es hilft. Die Füße schmerzen weit aus weniger nach der Behandlung, als zuvor. Trotz dieser Entspannung entschieden wir nach dem Abstieg, in den Onsenort dieses Mal den Bus zu nehmen. Wie sich herausstellte, hätten wir uns die 12 Kilometer für drei Euro sparen können, aber wie sagte schon meine Großmutter immer: Gehen wir, sparen wir das Fahrgeld?.

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Tag 10 – Dennis gegen die Japaner

Dem geneigten Leser wird es aufgefallen sein, ein Urlaub mit Dennis und mir verläuft immer etwas spontaner geplant. Als wir vor drei Tagen in Sendai unseren Hokkaido-Trip planten, war noch die Rede davon, für zwei Tage in einen Nationalpark zu fahren. Aufgrund unserer Erfahrungen gestern cancelten wir diese Planung und heute ging es kurzerhand nach Sapporo, um hier für die nächsten fünf Tage unser Basislager aufzuschlagen. Zu unserem Glück ist das alles dank der modernen Technik ohne weiteres möglich. Im Internet haben wir bisher immer jeweils einen Tag vorher unsere Hotels gebucht und meist bekommen wir sie auch dazu noch weitaus unter den Preisen von Reisebüros.

So kam es nun, dass wir am Morgen Hakodate hinter uns ließen. Shimizu hatte mit seinen Aussagen zur Stadt nur teils recht. Wirklich schön war sie nicht, aber auch nicht so schlecht, als dass der kurze Aufenthalt ein Verlust war. Nach mehreren Stunden Shinkansenfahrt, merkte man aber in Sapporo schon den Unterschied. Sapporo ist eine Touristenstadt in Hokkaido. Überall sieht man Ausländer und die Gebäude sind in einem weit besseren Zustand, als das es in Hakodate der Fall gewesen ist. Unser Hotel fanden wir auch sehr schnell, so dass wir noch genug Zeit hatten, um mit einer Besichtigung der Stadt starten zu können.

Zuerst muss man festhalten, dass ich Sapporo vor etwas mehr als einem Jahr schon einmal besuchte, aber es handelt sich um einen Unterschied wie Tag und Nacht. Hatte ich im Februar 3 Meter Schnee, Schneeskulpturen und Sichtweiten unter 5 Metern, so erscheint die Stadt im Hochsommer in ganz anderen Farben. Jedem Japanreisenden, der im Winter Sapporo bereiste, kann ich deshalb nur empfehlen, die Stadt im Sommer noch einmal zu besuchen. Wir entschieden uns für unsere Besichtigung für einen Rundgang durch die Stadt. Zuerst ging es durch die lange Parkstraße Sapporos, die im Winter durch die Schneeskulpturen geprägt wird und nun ein riesiges Bierfest beherbergt in Richtung Fernsehturm, welchen wir besteigen wollten. Eigentlich ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Vor sechs Jahren, im Zug nach Nara, verbrüderte sich Dennis noch mit einer Amerikanerin, dass man nur einen Tempel in Japan kennen muss, um alle zu kennen. In diesem Jahr ist er die Triebkraft für den Besuch solcher Aussichtsplattformen, für die die alte Weisheit ja eigentlich auch gelten könnte. Mich freut das natürlich, beweist es doch, dass wir uns auf unseren Reisen und nicht zuletzt dem Alter geschuldet weiterentwickelt haben.

Über weitere Stationen ging es dann in das Essviertel der Stadt. Auf dem Weg dorthin hatten wir aber eine Begegnung der besonderen Art: die Missionare. Japan ist voll von ihnen, schon in Sendai standen sie an jeder Straßenecke und hielten Schilder mit dem Hinweis hoch, nur Gott kann ewiges Leben bieten. In unserem Fall handelte es sich um zwei Amerikaner, welche uns folgten und für sich gewinnen wollten. Da wir als Deutsche nach ihrem Verständnis aber eh kirchlich waren und außerdem nur Touristen, ließen sie aber schnell wieder von uns ab. Ein Glück, dass sie nichts vom Osten und dessen Einstellung zur Kirche wussten! Ihre Vorgehensweise ist aber interessant. Auf Fahrrädern fahren sie in die Innenstadt und können so schnell verschwinden, falls ein Japaner sich zu sehr belästigt fühlt und die Polizei ruft. Auf der anderen Seite gehen sie mit Feuereifer gegen die angeblich falschen Religionen zu Werke. Das, was ich von den beiden bei einem Gespräch mit einem Japaner mitbekommen habe, verleitet mich aber zur Aussage, wenn die Missionare vor 400 Jahren genauso vorgingen, verstehe ich die Abschließung Japans durch die Tokugawa. Ich würde die Missionare schon für ihr Auftreten heutzutage des Landes verweisen.

Nach dem Gespräch führte Dennis in einem Supermarkt erst einmal seinen eigenen kleinen Feldzug mit der japanischen Kultur. Wir kennen das alle: Um in einem Supermarkt seine Börse nicht zu schwer werden zu lassen, gibt man etwas mehr Geld, um gerade Summen herauszubekommen und damit weniger Geld mitschleppen zu müssen. Dies ist eine Selbstverständlichkeit, welche in Japan unmöglich ist. In Japan wird vom Personal erwartet, dass es sich bei einem bestimmten Punkt der Übergabe verbeugt und an der richtigen Stelle bedankt. Wird dabei von dem Kunden zu lange mit der Geldbörse hantiert, so muss der Verkäufer in einer angedeuteten Verbeugung und mit einem Lächeln stehen bleiben und auf das Geld warten, gleichzeitig bilden sich ungewohnt lange Schlangen. Aus diesem Grund bezahlen Japaner meist mit Scheinen und nutzen das Kleingeld eigentlich nur an Automaten, wo man sowieso Zeit hat. Gerade Dennis passiert die Verzögerung aber häufiger, so dass in Sendai Orsolya einmal seine Börse genommen hat und schnell das Geld rausgenommen hat, um den japanischen Betrieb zu retten und die Schlange hinter uns aufzulösen. Heute war es dann soweit: Einer Verkäuferin entglitt immer mehr die freundliche Miene und sie wies Dennis auf Japanisch zurecht. Zu schade, dass er davon nichts verstanden hat, denn es war sehr witzig anzuhören. Auf jeden Fall ist es ein gutes Beispiel, wie unterschiedlich die Kulturen doch sind.

Anschließend gab es Kaitensushi, also Fließbandsushi. Mit Schrecken fiel uns auf, dass wir in diesem Urlaub noch kein Sushi hierzulande gegessen haben. Sushi in Deutschland ist dabei nicht mit unserem hier zu vergleichen, es sei denn, man isst bei einem Profi in einer der großen Städte wie Berlin und Hamburg. Die Auswahl beim Kaitensushi war genial und durch die Lage zum Meer erhielten wir wirklich frisches Sushi. Gut, dass Dennis erst einmal alles isst, denn als ich ihm später berichtete, dass er Fischgedärme gegessen hatte, wurde ihm doch leicht anders. Da er es sich aber ausgesucht hatte und es Teil von mehreren Dingen war, wollte ich ihm den Appetit nicht schon beim Essen verderben. Geschmeckt hat es ihm trotzdem.

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Tag 9 – Von Quasi-Nationalparks und Meeresgetier

Hafenstädte haben für jeden Reisenden einen gewissen Bonus. Zum einen ist das natürlich die Lage am Meer, nichts ist entspannender als am Meer entlangzuwandern. Zum anderen sind das die Fischmärkte. Als Inlandsbewohner, welcher zwar die Elbe als Fluss in der Nähe hat, ist dieser Umstand für mich doch immer wieder etwas Besonderes. Dies gilt besonders, wenn man sich in einem Land befindet, in welchem exotische Meerestiere verspeist werden, die ein normaler Europäer wohl noch nie gesehen hat. Heute früh war es aus diesem Grund an der Zeit, in Hakodate den Fischmarkt aufzusuchen. Das war ein sehr lohnendes Unterfangen. Überall sah man die seltsamsten Tiere und wirklich rohen Fisch. Zusätzlich gab es mancherorts noch Kostproben, so dass Dennis von sich behaupten kann, Hummer zum Frühstück gehabt zu haben. Gut, es war zwar nur ein kleines Stück, aber die Tatsache zählt – wir machen halt edel Urlaub. Natürlich machen große Ausländer auch immer Eindruck. Bemerkbar wurde dies durch die Vielzahl an Händlern, welche uns ansprachen. Wir erwarteten ja viel, aber als einer dieser Händler uns auf Deutsch ansprach, zuckten wir doch kurzzeitig zusammen. Er merkte zwar schnell, dass wir nicht für seine Krabben und die anderen Getiere zu haben sind. Er erklärte uns, dass sein Stand ein Restaurant beliefert, welches daher immer frischen Fisch hat. Wenn wir Hunger hätten, sollen wir es doch besuchen. So etwas lassen wir uns ja nicht zweimal sagen.

Bevor es soweit kommen konnte, ging es aber erst einmal zu einem Nationalpark in der Nähe von Hokkaido, dem ?quasi? Nationalpark Onuma. Wieso es sich um einen Quasi-Nationalpark handelt, blieb uns zwar ein Rätsel, könnte aber an der starken Bebauung der Region liegen. Auf jeden Fall handelt es sich um ein Gebiet um einen großen See, umgeben von Gebirgen, wobei das Symbol des Parks ein Vulkan ist. Japaner, die nach Onuma fahren, befahren nur den See mit einem Schiff und machen Fotos oder mieten sich ein Fahrrad für die Umrundung des Sees. Ein Fahrrad hätte uns auch gereizt, doch hätte es keines für übergroße Deutsche gegeben. Kurzerhand entschieden wir uns, dass wir kein Rad brauchen und umrundeten den See auf einem Weg von rund 15 bis 16 Kilometern zu Fuß. Die Hitze setzte uns zwar zu, aber in etwa drei Stunden schafften wir es trotz einiger längeren Fotopausen. Auf der Strecke trafen wir dabei auf keinen einzigen Wanderer und nur eine Handvoll Radfahrer. Uns fiel dabei aber auch die Schwäche des Parks ins Auge. Als Wanderer ist man gezwungen, entlang der Hauptstraße zu laufen und von dort ist nur an wenigen Punkten ein Blick auf den See möglich. Dafür ist die Straße sehr sicher, da wie vielerorts in Japan eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 bzw. 40 km/h bestand. Mein eigentliches Ziel war die Besteigung des Berges. In Anbetracht fehlender begehbarer Wege oder Beschilderungen verzichteten wir dann leider doch darauf, da man uns noch nicht einmal eine Dauer für die Besteigung nennen konnte. Im Großen und Ganzen war die Wanderung aber eine gelungene Aktion, wobei wir dank dieser Wanderung aber hier auf Hokkaido wohl keine Nationalparks mehr besuchen werden. Laut den Reiseführern handelte es sich bei Onuma um den am leichtesten zugänglichen Park, wohingegen die restlichen Parks nur per Auto wirklich erkundbar sind. Das ist ein Ärgernis, da viele Besichtigungsziele auf Hokkaido nur so zu erreichen sind. Dennis und ich planen schon, ob man bei den langsamen Geschwindigkeiten, mit denen hier gefahren wird, nicht doch das nächste Mal für ein oder zwei Wochen ein Auto leihen sollte. Das müsste eigentlich trotz Linksverkehr möglich sein. Hokkaidos Natur ist einfach zu interessant, als dass man diese Option nicht ins Auge fassen sollte. Und dieser Urlaub wird wohl nicht unser letzter im Land der aufgehenden Sonne gewesen sein, wenn nicht etwas Unplanmäßiges dazwischen kommt.

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Nach der Rückkehr vom Nationalpark waren unsere Füße eh einmal eingelaufen und wir legten in Hakodate gleich weiter los. Nach mehreren Einkäufen ging es auf Restaurantsuche. Das am Morgen vom Fischhändler genannte Restaurant widersprach unserem Trend für doch meist qualitativ gute, aber trotzdem preisgünstige Restaurants. Nach einiger Überzeugungsarbeit meinerseits ging es aber doch in dieses Restaurant hinein und eine große Meerestierplatte wurde bestellt. Da die Karte komplett nur aus Kanjis bestand und einige der draußen genannten Menüs nicht vorhanden waren, zeigten wir der Kellnerin draußen unser gewünschtes Essen. Das war der mürrischen Kellnerin aber nicht wirklich recht. Sie teilte ihren Unmut jedem Kellner auf dem Weg mit, dass sie zwei Ausländer an der Backe hat, welche kein Japanisch können. Kurzerhand wurde eine Kollegin angestellt, welche uns bedienen sollte, da sie etwas Englisch konnte. Umso größer war ihre Überraschung, als wir ihr Japanisch verstanden und sogar mit ihr sprachen. Sie und eine andere Kollegin waren das komplette Gegenteil zur ersten Kellnerin, deren mürrische Art ich das erste Mal hierzulande erlebt habe. Das Essen war auf jeden Fall aber die Mühe wert. In einem Topf wurden die Lebensmittel direkt an unserem Platz gekocht und mit einer Soße vermischt. Es schmeckte sogar mir nicht schlecht und Dennis war auch begeistert. Es stimmt einfach – wenn man irgendwo ist, sollte man den kulinarischen Gepflogenheiten der dortigen Küche folgen.

Eine weitere Überraschung erreichte mich heute Abend, als Dennis und ich gerade ins Hotel kamen. Orsolya meldete sich aus dem MafuMafu. Zum einen war mein altes Stammcafe heute und die nächsten Tage mal wieder geöffnet, nachdem es wochenlang zu war. Und zum anderen hat sie mit meinem alten Kumpel Yusuke ausgemacht, dass ich, wenn ich Lust habe, mit zu einem Camp für japanische Kinder kommen soll. In diesem Camp soll den Kindern Englisch beigebracht werden und deshalb sollen die ausländischen Begleiter nur Englisch mit ihnen reden. Das wird mir ja nicht schwerfallen. Einzig einer gewissen Lehrerin in Magdeburg wird in diesem Moment ein gewaltiger Schauer über den Rücken fahren. Frau Schmidt hätte vor mittlerweile knapp sechs Jahren wohl auch nicht gedacht, dass ich einmal Kindern Englisch beibringe. Meine Pläne sahen zwar eigentlich anders aus. Aber ich könnte in Sendai eh nicht täglich alte Freunde treffen, nachdem Dennis weg ist, da diese ja zur Uni müssen und viele nicht mehr da sind. Im Kenkyshitsu sitzen auch nur noch drei bis vier alte Gesichter, so dass ein Camp mit Kindern und Yusuke und Orsolya nur lustig werden kann. Zudem sind es nur zwei Tage und eine Übernachtung. Mal schauen, ich halte die geneigten Leser auf jeden Fall auf dem Laufenden.

Tag 8 – Von der Insel auf die Insel

Hachinohe ist eine kleine Hafenstadt an der Nordküste Japans. Vor fast genau zwei Jahren besuchten Dennis und ich diese Stadt, da wir in Ermangelung eines Railpasses auf Hokkaido verzichteten. Jetzt sollte dieses Versäumnis nachgeholt werden. Mit dem Shinkansen ging es nach Hakodate. Hakodate ist eine Hafenstadt am Südzipfel Hokkaidos, welche im neunzehnten Jahrhundert als eine der ersten japanischen Städte für Ausländer freigegeben wurde. Dies lässt sich auch sehr gut an der Architektur der Stadt feststellen, welche durchaus westlichen Einfluss vorzuweisen hat. Die eigentliche Reise begann dabei mit hohen Erwartungen. Mein alter Kumpel Shimizu hat lange in Hakodate gewohnt und spricht nur in den höchsten Tönen von der Stadt. Über die Zugfahrt dorthin konnte er uns aber auch nicht viel berichten, da er bei seinem Umzug aus Hakodate die Möbel seinen Eltern anvertraut hatte und selber innerhalb von fünf Tagen mit dem Rad nach Sendai gefahren ist. Eine Radtour durch Japan wäre nebenbei noch eine meiner großen Lebensziele, muss aber noch warten, denn dafür fehlt uns die Zeit.

Der Shinkansen von Sendai benötigt für die Strecke nach Hakodate im Gegensatz zu Shimizus fünf Tagen nur vier Stunden. Er ist auch mit allem Luxus ausgestattet, was die Fahrt sehr angenehm werden lässt. Die Fahrt nach Hokkaido wird dabei durch einen Unterwassertunnel vollzogen, was uns wiederum die anstrengende Fährfahrt ersparte und dabei auch um einiges günstiger war. Um 15 Uhr erreichten wir Hakodate und es war genau das Gegenteil, was wir erwartet haben. Nach Shimizus Beschreibungen erwarteten wir eine Metropole wie Sendai. Vorgefunden haben wir dagegen eine Stadt, welche eher mit obengenanntem Hachinohe, nur mit mehr Einwohnern, vergleich bar ist. Man merkt der Stadt ihren einstigen Glanz an jeder Ecke an, nur heute ist er stark verblasst. Dies lässt sich auch an unserem Hotel feststellen, welches ebenfalls garantiert schon bessere Tage gesehen hat, aber für die Übernachtungen ausreichend ist.

Nach dem Check In hatten wir noch genug Zeit, um die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Hakodates zu erkunden. Da wir dank Orsolya in den letzten Tagen etwas von Gewaltmärschen verschont geblieben sind, wobei das Laufen in Yukata und Holzschuhen durchaus ein Workout ist, wurde es doch mal wieder Zeit für einen vernünftigen Spaziergang. Irgendwo in ein paar Kilometern Entfernung sollte der Grundriss einer alten Festung nach europäischem Vorbild zu finden sein. Diese wurde erbaut, um Japans Küste vor eben jenen Ausländern zu schützen und die Abschließung des Landes zu garantieren. Auf der anderen Seite wurde Hakodate als Stützpunkt für die Eroberung des Landes von den Ureinwohnern durch die Zentraljapaner genutzt. Leider nutzen auch die besten Touristenkarten nichts, wenn Dennis und ich immer etwas potentiell Interessantem folgen. Kurzerhand wurde aus dem Folgen einer geraden Straße ein ungeheuerlicher Zickzackkurs. Durch diesen sahen wir aber auch coole Dinge wie das Meer vor Hakone und mehrere Tempel. Die Karte war für unsere Strecken auch nicht ausgelegt und wir können der Ladenkette ?seven eleven? danken, dass sie viel Geld für die Erwähnung auf den Touristenkarten investiert. Damit wurde eine grobe Orientierung anhand der Läden ermöglicht.

Angekommen an dem Viertel, bestiegen wir erst einmal einen 107 Meter hohen Turm. Von dort aus konnte man die Ausdehnung der Stadt erkennen, welche aus diesem Blickwinkel erst richtig imposant wirkt.

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Auch die Ausstellungsmethode, bei der die Geschichte der Stadt mit Dioramen und dazugehörigen Comics gezeigt wird, konnte sich sehen lassen. Im Vergleich zu gleichwertigen europäischen Ländern war das aus Historikersicht genau richtig und sprach offensichtlich auch die betroffenen Zielgruppen an. Im Anschluss ging es durch das alte Ford Richtung Berg Hakodate. Sehr zu meinem Bedauern mussten wir diesen nicht besteigen, sondern eine Seilbahn erlaubte uns, mit rund 50 anderen Japanern den Weg nach oben zu nehmen. Die Nachtaussicht entschädigte uns für alle Strapazen des Anstellens und Drängelns. Einmal mehr fehlte uns aber die richtige Ausrüstung für die Fotos und 50 Euro für eines der durch Angestellte gefertigten Bilder lassen sich dann doch nicht mit unseren Plänen und Finanzen vereinbaren.

Mit diesen beiden Plätzen haben wir nun alles von Hakodate gesehen, besonders das Nachtbild ist berühmt. Morgen geht es deshalb in einen Nationalpark und danach geht es wohl in das bekanntere Sapporo. Trotz allem ist Hakodate eine Reise wert, wenn auch maximal für zwei Tage.

Tag 7 – Tanabata und japanische Festivals

Der heutige Tag stand unter dem Motto Tanabata. Bevor wir dieses Fest aber besuchen konnten, musste erst einiges erledigt werden. Da Orsolya am Vormittag keine Zeit für uns hatte, ging es schnurstracks in Richtung Campus, um Professor Morimoto zu treffen. Dieser war leider nicht da, aber jemand viel wichtigeres war anzutreffen. Shimizu, mein alter Kumpel, saß schon im Kenkyshitsu bereit. Kurzerhand wurden Geschichten und Süßigkeiten ausgetauscht und es war fast wie in alten Zeiten. Besonders erfreut war ich, dass Shimizu und ein anderer anwesender Japaner mich verstanden, aber an Dennis scheiterten. Normalerweise ist das eigentlich meist anders herum. Im Kenkyshitsu hat sich einiges verändert. Kawamura, mein zweiter Betreuer, hat eine Stelle an der Iwate Uni angenommen und das Kenkyshitsu ist dadurch viel ruhiger geworden. Auch ansonsten fehlen einige Menschen, die ich noch kannte und einige neue sind dazu gekommen. Ein neuer Masterstudent war auch anwesend. Wie sich herausstellte, fährt er in den nächsten Tagen nach ?Deutschland?. Um genau zu sein, gibt es eine Reise nach München und Wien. Schon bei der Feststellung musste Shimizu laut lachen, ob der Unwissenheit des neuen Masterstudenten. Dieser erhielt ebenfalls sofort eine Belehrung über die Schönheit im Norden Deutschlands. Highlight des Besuchs war aber die Verwendung von Lakritze auf einen Standardjapaner, welcher so etwas noch nie gegessen hatte. Die Reaktion war göttlich abweisend und er konnte seinen Ekel nicht verbergen. Shimizu auf der anderen Seite hatte eh kein Problem, da dieser noch immer ein förmliches schwarzes Loch im Magen zu haben scheint. Nächsten Sommer will er dazu noch für ein Austauschsemester nach Potsdam kommen, sein Besuch in Magdeburg letztes Jahr hat ihn auf die Idee gebracht. Die Fahrt durch meine Eltern und mich mit ihm nach Potsdam scheint sich also gelohnt zu haben, genauso wie er nun Magdeburgs Fu0ball im Internet verfolgt.

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Im Anschluss an das Kenkyshitsu ging es in die Innenstadt, wir wollten ein Zugticket nach Hokkaido besorgen. Nach dem Erfolg der Aktion konnte Tanabata starten. Tanabata zeichnet sich dadurch aus, dass die gesamte Innenstadt mit Papierballen geschmückt wird. Dazu bewegt sich scheinbar die gesamte Stadt durch die Innenstadt. Wenn unsere Uhren nicht sagen würden, wir haben Montag, Dennis und ich hätten es nicht geglaubt. Es war ein heilloses Durcheinander, was Dennis zu der Bemerkung veranlasste, so ein Fest noch nie erlebt zu haben. Es ist aber auch ein beeindruckender Anblick, all diese geschmückten Gänge zu sehen und neben wuseligen Japanern mit Anzügen, Sommerkleidung oder Yukata durch die von allen Firmen der Stadt angefertigten und mit Wünschen für die Zukunft versehenen Tanabatakugeln zu schreiten. Zusätzlich stehen in allen Straßen Japaner, welche alle Arten von Essen anbieten, teilweise aber auch eklige Sachen. So probierten wir Eisbier. Die Zubereitung läuft schon mal besser als in einigen Fußballstadien, 8 Japaner waren mit einem Bier beschäftigt. Das Bier selber ist dabei nur gekühlt, aber die Schaumkrone gefroren und echtes Eis. Dennis und ich brauchen das Zeug auf jeden Fall schon mal nicht, es ist aber wohl eine Frage des Geschmacks und wirklich was anderes.

Den Beweis für das ?Dorf? Sendai trat Masami an, eine alte Bekannte aus Göttingen, die dort ein Jahr Austauschstudentin war. Während einer Toilettenpause wurde Orsolya für eine Make-Up-Session entführt und als ich sie wiederfand, saß neben ihr die Schwester von Masami und Masami erkannte mich gleich wieder. Zu meinem Glück wohlgemerkt, denn ich hätte wohl etwas länger zum Erkennen gebraucht. Schön aber, dass es ihr gut geht. Nur die Frage bleibt: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Masamis Schwester und Orsolya gleichzeitig ein kostenloses Make-Up erhalten?
Das Abendessen war eigentlich in einer Sushibar geplant, doch daraus wurde nichts. Die Vielzahl an Leckereien war klar ersichtlich durch meine Begleiter bevorzugt, doch leider äußerte sich niemand. Auch die Aufforderung sich doch endlich zu entscheiden, wurde ausweichend beantwortet:
Wollt ihr hier auf dem Fest essen, wo ihr die ganze Zeit das Essen anstarrt oder wollen wir wie angedacht Sushi essen?
Freund eins: Ach, du weißt doch, mir ist das egal, ich esse doch alles.
Freundin zwei: Beachtet mich gar nicht, mach wie du denkst.

Als ich dann für die beiden entschied, war man hoch erfreut und wir probierten gleich verschiedenste Dinge von den Karten. Besonders die frische Kokosnuss war sehr interessant und japanisches Festivalessen ist bekanntlich sehr gut. Mit Livemusikuntermalung entwickelte sich ein sehr schöner Abend. Ich weiß nicht woran es liegt, aber wenn ich in Sendai ein Festival anschaue, ist es doch immer etwas anderes als in Europa. Im Vergleich zu Europa erscheinen mir Feste irgendwie reifer und gesitteter. Das mag eine Einbildung sein, was ich nicht einmal abstreiten will, doch irgendwie genieße ich sie deswegen mehr. Auf jeden Fall scheint Dennis auch sehr zufrieden gewesen zu sein und hatte sichtlich Spaß. So war die Idee, einen Halt in Sendai zum Entspannen und für Tanabata zu machen, nicht die schlechteste.

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Tag 6 – Und jetzt bitte die Hose ausziehen

Eins habe ich bei all den Reisen mit Dennis gelernt: Egal was wir anfassen, planbar ist nichts davon. Diese Weisheit verfolgt uns über Plötzky, London und erst recht in Japan. Kein Wunder also, dass es heute nicht anders war. Wieso sind wir eigentlich in meine alte Heimat gefahren? Dennis kennt sie schließlich und ich sehe Orsolya und Sendai eh in ein paar Tagen. Ganz einfach, Sendai hat ein riesiges Festival, welches zwischen dem fünften und sechsten August in der Stadt stattfindet. Dieses Fest ist Tanabata und wird durch ein eineinhalbstündiges Feuerwerk eingeleitet Die gesamte Stadt wird mit Papierkugeln geschmückt und jeder Mensch ist in Feierlaune. Trotz zwei Besuchen in Japan, hat Dennis noch nie ein Festival mitgemacht und das musste sich dringend ändern. Umso passender war, dass es in einem Heimspiel möglich ist und Orsolya uns bei sich aufgenommen hat.

Der heutige Tag begann wie ein typischer Urlaubstag. Der arme Historiker wacht als erstes auf und darf den Herrschaften Frühstück bereiten, nur um im Anschluss Klagen über die große Menge von Dennis zu hören. Soweit war es unspektakulär. Orsolya musste arbeiten, weshalb Dennis und ich den Beschluss fassten, Shinkansentickets zu besorgen und in das neue Weltkulturerbe Hiraizumi zu fahren. Es kam wie es kommen musste und wir verpassten unseren Shinkansen um zwei Minuten. Was sollte man nun bis zum nächsten Zug, eine Stunde später, machen? Orsolya hatte am Morgen ihren Yukata vorgeführt und sich durch die Bedienungsanleitung des Gürtels, welcher auf eine spezielle Art geknotet wird, gekämpft. Ich persönlich besitze zwar schon einen Yukata. Sie besteht aber aus einem schweren und warmen Stoff und ist eigentlich für den Sommer eher ungeeignet, außerdem befindet sie sich in Sicherheit in der Heimat. Kurzerhand beschlossen wir, nach einer neuen zu schauen und die 20 Prozent Rabattangebote zu Ehren von Tanabata wahrzunehmen. Mit dieser Entscheidung sollte das Unheil seinen Lauf nehmen.

10 Uhr morgens in Sendai und zwei große Ausländer stürmen den Kleidungsladen. Als Erstes galt es, die Größen herauszubekommen, aber größer als LL (bis 185 cm) war nicht vorhanden. Japaner sind halt doch relativ klein geraten. Trotz dieses Rückschlages probierte ich einen Yukata an und stellte mit Hilfe von zwei Verkäuferinnen fest, dass der Saum zwar leicht zu kurz war, aber es tragbar ist. Die Farben wollten aber irgendwie so gar nicht zu mir passen. Kurzerhand wurde der letzte andere Yukata in meiner Größe und in schwarz geholt. Während wir warten mussten, probierte Dennis den abgelegten Yukata an und er stand ihm ziemlich gut. Mein neuer Yukata stand mir auch und kurzerhand beschlossen wir, uns beide den Spaß zu leisten und stilecht am Festival teilzunehmen. Die Frage war nun nur, wie gehen wir mit den Knoten vor? Schon Orsolya hatte trotz der Videobeschreibung aus dem Internet genug Probleme, den Knoten fertig zu bekommen. Wie sollten dann erst Dennis und meine linken Hände das schaffen? Kurzerhand wurde das Personal eingespannt. Einen Yukata kann man auch nach Hiraizumi tragen, entschieden wir und fragten nach, ob man uns schon im Laden beim Anlegen helfen kann. So wurde bezahlt und unsere Verkäuferin, eine ältere kleinere Frau welche selber einen Kimono trug, stand bereit, um uns zu helfen. Mit dieser Forderung brachten wir die Arbeit im Geschäft zum Stehen. Drei Mitarbeiter kümmerten sich um uns und überforderten uns leicht. Aus allen Richtungen kamen Anweisungen. Besonders die Anweisung, unsere Hosen auszuziehen, wollten wir ignorieren. Als man aber schon an unseren Hosen zog, öffneten wir sie gerade, als den Mitarbeitern auffiel, dass wir uns zwar in der Ecke des Raumes, aber noch im Raum befinden und ließ uns endlich doch in die Kabinen. Dennis erhielt nun einen Knoten durch den Profi und war nach 5 Minuten fertig und stand in der Ecke. Wie wünschte ich, bei mir ginge das auch! Die Körpergröße von 194 bereitete den Japanern doch mehr Kopfzerbrechen, als erwartet. Der Obi, also der Gürtel, ist für solche Längen nicht ausgelegt und zudem war es für die kurzgewachsene Angestellte nicht möglich, das Anlegen alleine durchzuführen. Plötzlich wurde ich in geschlagenen 15 Minuten von zwei Damen gedreht, geschnürt und zurechtgezupft, ehe der Obi saß, wie man sich das vorstellte. Anders gesagt, waren alle Angestellten dieser Abteilung damit beschäftigt, sich um Dennis und mich zu kümmern. Nett, dass sie es trotzdem gemacht haben!

Mit diesem Umziehen hatten wir natürlich den Zug nach Hiraizumi wieder verpasst. Kurzerhand verließen wir das Geschäft und entschieden, nach Matsushima zu fahren, um eine Rundfahrt zu machen. Durch den Knoten gebunden, blieb uns nichts anderes übrig, als die Yukatas anzulassen. Nie hätten wir damit gerechnet, durch die Teile das Stadtgespräch zu werden! Viele Japaner starrten uns an, einige machten Bilder und oftmals konnte man Kommentare wie ?süß?, ?hübsch? und ?der ist ja riesig? hören. So extrem ist mir das noch nie passiert. Wir entschieden, diese Situation einfach zu ignorieren und notfalls einfach mit zu starren. Wenigstens weiß Dennis jetzt, wie es mir sonst hier in Japan manchmal geht.
Matsushima, unser Ersatzziel, gilt als einer der drei schönsten Orte Japans. Es handelt sich um ein Inselgebiet mit zweihundert Inseln, wovon einige betretbar sind. Die restlichen Inseln erkundet man per Schiff. Schon bei unserer Ankunft erwies sich der Yukata als interessant. Als einzige überhaupt in einem Yukata, wurden wir endgültig das Gesprächsthema Nummer eins. Die Touristeninformation redete auf uns ein, ob wir nicht ins Teehaus gehen wollen, wir wären doch richtig gekleidet. Und alte Leute wollten uns Ratschläge geben, wie man den Yukata noch richtiger anziehen kann. Da Dennis die Hauptinseln von Matsushima schon kannte, gab es dieses Mal die Bootstour. Die Tour war sehr witzig, auch wenn die Sicherheitsbestimmungen in den Booten gegenüber früheren Zeiten extrem verstärkt wurden. Die höher gelegene Stadt hatte im letzten Jahr unter einem 4 Meter hohen Wasserstand zu leiden. Dank dieser Ereignisse existiert heutzutage zum Beispiel ein festes Sitzgebot, während früher die Fahrt auf dem Rückdeck verbracht werden konnte. Die Fahrt bewies aber wieder mal viel besser die Gründe für die Behauptung, Matsushima sei einer der schönsten Orte Japans, als es alle Fußwanderungen könnten.

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Nach der Rückkehr aus Matsushima ging es zum Tanabatafestival, wo wir Orsolya in ihrem Yukata trafen. Auf dem Weg dorthin erlebten wir aber noch einmal die Japaner in ihrer unvergleichbaren Art. In einem Supermarkt gingen Dennis und ich gerade durch die Gänge, als eine kleine und sehr alte Japanerin unsere Yukatas erblickte und uns ansprach. Nach dem kurzen Gespräch war die Sache für uns erledigt und wir wollten weiter, als auf einmal jemand ohne Erlaubnis an meinem Yukata zerrte Es war die alte Dame, die meinen durch das Sitzen leicht unordentlichen Yukata wieder in die richtige Richtung zog und uns dann noch viel Spaß für das Festival wünschte. Nicht nur für das sehr schick aussehende Feuerwerk, auch ansonsten für die Erlebnisse des heutigen Tages, hat sich der Kauf der Yukatas gelohnt und Dennis und ich überlegen schon, wie wir sie in Deutschland anziehen können. Wenn also dem geneigten Leser zwei Gestalten entgegen kommen, die aus ?Last Samurai? entsprungen sein könnten – nicht erschrecken, Dennis und ich könnten gerade auf Wanderung sein.

Tag 5 – Tadaima

Ich bin zuhause! Diesen Schrei musste Dennis am heutigen Tag mehrmals ertragen. Es stimmt aber auch, nach über einem Jahr betrat ich erstmals wieder den Boden meiner zweiten Heimat Sendai. Bis es dazu kommen konnte, floss aber noch viel Wasser die Elbe herunter. Nach dem morgendlichen Auschecken ging es für Dennis und mich zum Shinkansen. Da kann ja nicht viel schiefgehen, sollte man meinen, doch weit gefehlt. Unser Zug sollte erst in über einer Stunde fahren, ein Umstand der uns wahrlich nicht zusagte. Kurzerhand nahmen wir die Dinge selber in die Hand, ließen unsere Reservierung verfallen und fragten in Ueno nach einer anderen Verbindung. Uns wurde gesagt, ein Zug wäre gleich nach Sendai unterwegs. Wegen Überfüllung sei dieser aber nicht reservierbar, wir sollen es doch so versuchen. Was die gute Frau vergaß zu erwähnen war, dass ganze drei Züge innerhalb von 5 Minuten das gleiche Gleis verlassen wollten. Welcher war nun unserer? Unser Vordermann konnte es auch nicht genau sagen und deshalb ging es kurzerhand in den erstbesten. Was sollte schon schief gehen? Viel, wie sich herausstellte. Der Zug fuhr zwar in die richtige Richtung, aber nur die halbe Strecke. Es hieß, irgendwo in der Pampa ausharren, bis ein Zug uns mitnehmen konnte. Dies hätte wirklich nervtötend sein können, hätte sich nicht Momoko vorgestellt. Momoko ist eine junge Beamtin aus Yamagata, welche gerade mit dem Zug Richtung Yamagata und damit nach Sendai unterwegs war. Sie sprach uns an und es entwickelte sich ein witziges Gespräch mit der jungen Dame. Ihr Englisch war bei weitem nicht das Beste, aber sie versuchte verzweifelt, uns zu verstehen und sich etwas mit uns zu unterhalten, ohne Japanisch zu verwenden.

Zu unserem Leid oder auch Glück hatte sie nach dem Umsteigen, welches viel zu schnell verging, reservierte Plätze, so dass wir uns trennen mussten. Zwar tat es uns etwas leid, dass wir nicht mehr mit ihr sprechen konnten. Aber so hatten wir aber wenigstens etwas Zeit, Plan B in Kraft treten zu lassen ? wir machten den obligatorischen Zwischenstopp. Einfach nur nach Sendai zu fahren, war uns zu langweilig. Außerdem lagen uns ja einige unserer Freunde in den Ohren, was wir eigentlich in Japan wollen beziehungsweise es gab Sprüche der Art ?Aber ihr fahrt doch nicht nach Fukushima?? Wer mich kennt weiß, dass derartige Sprüche immer als Herausforderung gewertet werden. Kurzerhand stiegen wir in Fukushima aus, um uns die Stadt anzuschauen. Bevor bei den geneigten Lesern die grauen Haare überhand nehmen und man uns nicht mehr in die Heimat zurücklassen möchte – wir sind keine Gefahren eingegangen! Die ganze Aktion war mehr eine Gegenmaßnahme gegen die Propaganda der deutschen Presse. Wenn man vom letztjährigen Unglück liest oder hört, heißt es immer: das Unglück in Fukushima.

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Damit wird eine, zugegeben nicht wunderschöne, aber doch nette und mal ganz anders erscheinende Großstadt diskreditiert. Die Stadt Fukushima liegt weit entfernt von besagten Atomkraftwerken und die unabhängigen Messungen verschiedener Institute konnte keine höhere Strahlenbelastung als vergleichsweise in Berlin und München feststellen. Trotzdem ist die Stadt für das Ausland ein rotes Tuch. Der Aufenthalt selber gestaltete sich sehr entspannt und wir bemerkten, wie für japanische Verhältnisse die Bewohner der Stadt noch freundlicher und zuvorkommender zu Ausländern sind. Während unserer Zeit in der Stadt haben wir auch nur genau einen weiteren Ausländer gesehen und dieser musste die Stadt zum Umsteigen nutzen. Selbst einfache Dinge wie das Rückgeld im Combini, wurde förmlich zelebriert. Der eigentliche Plan war es, besagten Freunden Postkarten direkt aus der Stadt zu schicken. Leider gibt es kaum welche in Japan. Unsere Suche beschäftigte zwar einen ganzen sieben Etagen großen Einkaufsmarkt, der wie wild rumtelefonierte, um welche zu entdecken, aber die Suche sollte erfolgslos bleiben. Im Endeffekt zeigte sich die Touristeninformation aber gütig und fand noch welche, die mir auch gleich geschenkt wurden. Abschicken werden wir sie aber wohl erst die nächsten Tage.

Anschließend an Fukushima erreichten wir Sendai. Kaum war ich in meiner Millionenstadt angekommen, fühlte ich mich schon zuhause. Erste Amtshandlung sollte sein, Orsolya zu suchen. Die versuchte irgendwo in der Stadt, Salami an den Mann zu bringen. Zu diesem Zweck ging es in die Touristeninformation, welche mir den Weg aufzeichnete. Sie verwiesen auch gleich darauf, bei mir ja Japanisch sprechen zu können, denn ich hätte sie ja bisher angeblich immer verstanden. Das erste Mal wurde ich also nach fünf Minuten wiedererkannt. Darf ich bitte feststellen, dass ich in einer Millionenstadt lebte und dass eigentlich schon über ein Jahr her ist! Nach der Wiedersehensfreude mit Orsolya stand die Frage im Raum, wie man den Tag verbringt. Entweder, wir gehen mit Orsolya nach ihrem Job gleich essen oder wir schauen zum Spiel von Vegalta Sendai. Orsolya war gleich klar, wie meine Antwort sein würde und obwohl ich mir Bedenkzeit erbat, war es doch klar. Dennis und ich machten uns auf zum Fußball. Was wir nicht bedachten, war die Frage nach den Karten. Dennis und ich waren so spät in Sendai und konnten wegen Orsolya und unseren Koffern das Spiel auch nicht wirklich planen, deshalb waren kurz vor unserer Ankunft alle billigen Karten ausverkauft. Bei aller Liebe zum Spiel und auch dem riesigen Herzschmerz, für 45 Euro pro Karte gehe selbst ich nicht mehr ins Stadion. Als Ausgleich kaufte ich mir dafür gleich Karten für das nächste Heimspiel, denn sowas passiert mir ja nicht noch einmal! Und mein Maulen würde wohl dann auch keiner mehr ertragen.

Wir konnten also Orsolya treffen. Da uns keine coolen Geschenke eingefallen waren, luden wir sie kurzerhand zum Essen ein. Das war der Dank dafür, dass sie uns mehrere Tage beheimatet, mich sogar über eine Woche. Ziel war ein Fleischrestaurant, welches mich schon mit meinen Eltern und mit Olga als Gast gesehen hat. Das Personal war zum Glück auch noch das Gleiche und das Essen wurde zu einem Festschmaus. Viel schockierender für meine Begleiter war aber die Verabschiedung. Die Kellnerin hatte mich wiedererkannt. Du warst hier doch schon häufiger, war die Meldung ihrerseits. Als wir gehen wollten, drückte sie uns kurzerhand drei riese Kaugummipackungen für den Weg in die Hand, verabschiedete uns minutenlang und gab noch Tipps für die Feste morgen und übermorgen. Wenn ich ein Restaurant in Sendai empfehlen müsste – Leute geht in das rein! Zum Abschluss war der Plan, noch eine Runde die alten Zeiten aufleben zu lassen und an der Videokonsole den beiden anderen zu zeigen, dass sie mich nicht schlagen können. So weit kam es aber gar nicht, plötzlich gab es ein lautes REIK-san!!!! und ein Japaner schüttelte meine Hand. Erst langsam erkannte ich Kuma, Vater der süßen Künstlerin vom Fußball, welcher hocherfreut war, mich zu sehen. Kurzerhand schoss er mehrere Fotos, die jetzt an meine Fußballfreunde verschickt wurden. Jetzt weiß jeder, dass ich wieder da bin. Und ich bleibe dabei: die Welt ist klein. Das Autorennen unternahmen wir natürlich trotzdem und meine Quote blieb erhalten – als ob Dennis und Orsolya eine Chance gegen mich hätten.