Japanische Wahlen

Was soll dieser Krach? Nicht mal in Ruhe schlafen kann man heutzutage mehr. Das Mafumafu hat länger gedauert als gedacht und ich dachte, ich kann den Samstag genießen. Aber Pustekuchen, jemand in der Ferne erzählt mir irgend etwas in einer erregten Stimme. Hat Korea den Krieg erklärt? Gozilla ist erschienen? Oder hatten die Mayas doch recht? Nein, nachdem ich mich gesammelt hatte wurde klar, es handelt sich um Wahlwerbung, die seit acht Uhr morgens vor dem nahen Supermarkt abgespielt wird. In einem Ton, als ob bei einer Nichtwahl des Kandidaten die Welt untergeht, versuchte er für 5 Stunden die letzten Stimmen zu erhaschen. Die Wahlen sind hier vor Ort aber ein wirklich großes Ding. Überall in der Innenstadt stehen Kandidaten mit weißen Handschuhen, um die Hände der Passanten zu schütteln und mit dieser Geste der Unterwürfigkeit aus japanischer Sicht, diese von ihrer Volksnähe und Demut gegenüber dem Wähler zu überzeugen. Aber auch die Japaner scheinen es ernst zu nehmen. So ist Masami extra drei Stunden nach Gunma mit dem Shinkansen gefahren (für über 120 Euro für eine Fahrt) nur um zu wählen. Welcher Deutsche würde sich sowas schon antun?

Ansonsten fiel dieser Tag aber leider sprichwörtlich ins Wasser. Angedacht war eine Fahrt nach Matsushima. Strömender Regen lies mich das aber überdenken und lieber einiges Vorbereiten, falls mein hoffentlich zukünftiger Betreuer noch einige zusätzliche Informationen benötigt. Am Abend ging es dafür über den Pageant of Light. Verdrängt man den Stromverbrauch, so ziehe ich diese Art des Weihnachtsmarktes jedem deutschen vor. Drei Straßen lang werden alle Bäume mit Lampen beleuchtet und erfüllen noch heute, 30 Jahre nach dem ersten Pageant of Light, den Zweck, den grauen Dezember für die Japaner zu erhellen und ihre düsteren Gedanken zu vertreiben. Bei Europäern funktioniert dies ebenfalls wunderbar, auch wenn ich an jeder Ecke Thomas Stand vermisst habe, der früher immer zum Verbleiben einlud. Zum Abschluss an diesen Weihnachtsmarkt ging es dann noch zum Odenrestaurant. Oden, das sind Gemüse- und Fischstücke, welche in einer heißen Brühe an einer Feuerstelle am Platz gekocht werden und sehr interessant schmecken. Dazu gibt es einen wie Senf aussehenden Wasabiableger in Gelb, welcher die Schärfe von Wasabi weit überschreitet. Etwas Besseres und Wärmeres gibt es im Dezember wirklich nicht zu essen. Mein Favorit war aber ein Oktupusarm, welcher wie ein kleiner Oktopus zurechtgeschnitten wurde. Der war fast zu schade, um ihn zu essen.

Die verlorene Seele

Endlich ist es da, mein Treffen mit zwei Profs. Zuerst galt es, Masami, meine alte Göttinger Bekannte, zu treffen. Die junge Dame hat sich nicht verändert und spricht immer noch perfekt Deutsch. Dankbarerweise, auch wenn ich sie nicht danach gefragt hatte, hat sie mir ein Treffen mit einem potentiellen Betreuer besorgt. Leider hat sie dabei einen wichtigen Punkt vergessen, warum ich ihn überhaupt treffen wollte. So wurde es ein sehr überraschendes Gespräch, weil er nicht wusste, was ich von ihm will. In Japan, in dem nichts über Hierarchien geht, war er nun sehr überrascht, dass ich gerade zu ihm wollte. Er scheint aber nicht abgeneigt zu sein. Zu meinem Glück hatte er auch ein perfektes Buch bereitliegen, welches im Prinzip meine Forschungspläne (nur für den Amazonas) beschrieb. Sein Deutsch ist schon einmal perfekt, was in Anbetracht der Tatsache, dass er seinen Doktor in München gemacht hat, kaum überrascht. Bei jemandem, der bei der Sieboldsammlung aushilft, einem der Vorgänger meiner Forschungsobjekte, fühle ich mich auf jeden Fall in guten Händen. Und auch wenn er sich eine Bedenkzeit erbeten hat, schien es doch so, als ob er mich vermutlich betreuen wird. Hinzu kommt, dass er Herrn Habermas, den Vater meiner Professorin, verehrt, was bei ihm nochmals Eindruck gemacht hat. Und meine Masterarbeit hat ihm auch sehr zugesagt.

Im Anschluss an dieses Gespräch ging es zurück ins Lab. Als altes Inventar werde ich zum Glück immer noch erkannt und durfte sofort Platz nehmen und dort warten. Umso größer dann der Schock bei Leuten, die mich kannten. Meine Haare waren doch tatsächlich anders! In Erwartung, dass ich sie auf Japanisch nicht verstehe, wurde auch gleich hinter meinem Rücken darüber geredet und das Wort Ikeman, was so viel wie ?gutaussehender Mann? und ?gute Partie? bedeutet, fiel dabei. Eine Bekannte bot mir auf meine Beschwerde über kalte Ohren sogar an, einen Schal zu stricken. Brauchte ich aber nicht und die Damen des Labs wären mir eh zu jung, aber wenigstens kam kurze Zeit einer, der mich verstand: Shimizu erschien und seine Reaktion war die Erste seit dem Haarschnitt, die mich verstand. Er meinte nur, dass ich meine Seele verloren habe und er war entsetzt. Ich wusste es schon immer, nur Shimizu versteht mich :-P.

Endlich erschien auch Professor Morimoto. Es dauerte über eine Stunde, aber letztendlich erklärte er sich bereit, meine Idee, ein japanisches Stipendium zu beantragen, zu unterstützen. Wenn alles klappt, bin ich also bald wieder Teil seines Büros. Zu diesem Zweck musste ich aber erst einmal in das internationale Büro. Eigentlich sollte man erwarten, die könnten dort Englisch, schließlich kümmert man sich um Ausländer. Aber natürlich gab es nur Eine, die es beherrschte. Diese übersetzte fleißig, doch nach langem Herumfragen, erhielt ich die falsche Auskunft. Kurzerhand versuchte ich unter meinen Freunden jemanden zu finden, der flüssig Japanisch sprechen kann und mein Problem schildern könnte, leider waren aber alle im Stress. So wartete ich eine Weile auf einen Rückruf. Als ich es schon aufgeben wollte und endlich von dannen zog, tauchte die letzte Ansprechpartnerin aus dem internationalen Büro auf. Sie sprach mich an und bat mich, ihr den Fall noch einmal zu erklären. Halb Japanisch und Englisch versuchten wir uns zu verständigen. Besonders, was ich in Sendai mache, wo ich doch gar kein Student mehr hier bin, wollte ihr so gar nicht klar werden. Nach langem hin und her und einer Meisterleistung im ?mit Händen und Füßen? sprechen gelang es mir, ihr den Fall klar zu machen. Und am Dienstag kann sie mir wohl mehr über das weitere Vorgehen berichten. Hoffen wir mal, dass alles klappt.

Nach einem weiteren längeren Aufenthalt im Büro, ging es dann in die Innenstadt. Das Mafumafu ist wieder offen. Yusuke, mein alter Kumpel, erwartete mich schon vor der Tür und nach langen Umarmungen ging es rein. Was für ein Lacher, als einer der neuen Angestellten mich als Neukunde erkannt haben wollte! Stark mussten wir das Lachen unterdrücken. Das Mafumafu ist aber nicht mehr das Alte. Ohne Thomas hat es seine Seele verloren. Das Angebot ist kleiner, das Bier schlechter und es fehlt das Verbindungsglied zwischen den Besuchern. Kurzerhand machten wir eine Stammkundenrunde auf, auch wenn mich von denen keiner erkannte. Erst als ich ein paar Bilder von früher zeigte, erkannten sie einen Typen mit langen Haaren, den sie auch sehr gut kannten. Tja, dreimal darf der geneigte Leser raten, wer dieser langhaarige Herr war. Aber es bleibt dabei, ein schlechtes Mafumafu ist besser als gar keins und falls ich wirklich wiederkomme, wird mir Yusuke einen Platz im Mafumafu als Nebenjob besorgen. Vielleicht werde ich ja der neue Thomas?

Yamagata

Es gibt Orte in Japan, die selbst ich noch nicht besucht habe. Yamagata ist einer von diesen. Eine Autostunde von Sendai gelegen, kannte ich diesen Namen nur vom Kirschen pflücken einiger Mitstudenten und als Richtung, um Yamadera, einen meiner drei schönsten Orte Japans, zu erreichen. Heute sollte es aber in diese Richtung gehen. Maryam, meine Türkisch-Iranische Bekannte, hatte mit ihrem Stipendium damals zwar an der Tohoku Universität angefangen, wurde aber nicht wie gewünscht in das Fach Kunst gesteckt, sondern landete in Kunstgeschichte. Kunstgeschichte hat nun gar nichts mit ihren Vorstellungen zu tun gehabt, aber die japanische Regierung dachte, dass es ja fast das Selbe ist. Notgedrungen suchte sie sich so nun eine andere Universität und was läge näher, als eine Kunstuniversität in Yamagata. Als einzige Ausländerin ist sie zwar dort ein Exot, aber ihre Leidenschaften kann sie dort voll ausleben.

Eine Besonderheit dieser Uni sind die Ausstellungen. Mehrmals im Jahr müssen die Studenten auf Note ihre geschaffenen Werke ausstellen. Zu diesem Zweck bat Maryam um moralische Unterstützung, der wir nur zu gerne nachgekommen sind. Anstelle sich wie jeder Japaner einfach nur langweilig vor ein Bild zu stellen und dieses zu erklären, entschied sich die erste iranische Rapperin für einen Bühnenauftritt mit selbstgemachtem Musikvideo. Für die anwesenden Japaner war dies zwar erst einmal eine Umstellung, gefallen hat es ihnen dann aber wohl doch. Da es einen eklatanten Mangel an Helfern gab, wurden kurzerhand auch wir Gäste eingebunden. So wurde mir für den Videomitschnitt in Erinnerung an den angeblichen Paparazzi Reik kurzerhand die Kamera in die Hand gedrückt. Diese Hilfe wurde mir auch zum Verhängnis, als Frau Omori plötzlich vor mir stand. Der ?Pate? von Sendai war doch tatsächlich auch gekommen und bombardierte mich gleich mit Fragen und der Aufforderung, sie doch endlich bei Facebook zu adden und sie nach der Rückkehr nach Sendai doch gefälligst anzurufen. Ich mag die Dame ja eigentlich, aber dieses nörgelnde, dass man sich vor dem Flug nach Sendai nicht angemeldet hat, ist wirklich anstrengend. Als Ausgleich dafür trafen wir im Anschluss die alten Gasteltern von Maryams Freund Nathan. Diese wollten uns eigentlich nur zum Bahnhof fahren, luden uns dann aber doch noch schnell zum echten Chinesen zum Essen ein. Vergesst dabei alles, was ihr aus Deutschland kennt, es ist kein Vergleich, aber sehr gut. Nur die arme Orsolya wurde verdächtigt, Vegetarier zu sein, weil sie erklärte, ich würde kein Fleisch essen. Den Part, das es sich um mich handelt, ignorierten sie einfach und folgerten, dass wenigstens ich so aussehe, als ob ich vernünftig essen würde. Was für eine Fehleinschätzung! Den anschließenden Kampf, wer zahlen darf, verloren wir dann und so hatten wir von uns Unbekannten ein freies Essen bekommen. Was will man mehr!

In der Heimat

Es ist wirklich ein Heimspiel geworden, das Auswärtsspiel. Ich bin wieder in der Heimat! Billiger als gedacht, brachte der Shinkansen mich nach Sendai, wo mir Tay und Orsolya Unterschlupf gewähren. Wie es aussieht, muss ich mich dabei weder an die Zeitverschiebung, noch an die Stadt, gewöhnen. Ich fühlte mich gleich zuhause und Jetlag hatte ich zum wiederholten Male nicht. Wie waren noch die Zeiten 2006, als Dennis und ich Tokyo erreichten und hundemüde waren. Gleich ins Bett haben wir uns geschmissen und unser erstes Erdbeben ungefähr eine Stunde nach unserer Ankunft als weiche Füße oder Spuren der U-Bahn gedeutet. Der Flug damals war zwar bei weitem ungemütlicher, aber mein Körper kennt das nun ja schon. Bevor die Frage aufkommt: das Erbeben vor zwei Wochen hat keinen Einfluss auf Sendai gehabt. Um genau zu sein, handelte es sich um ein 1-minütiges Erbeben der Marke 7.2, was ein leichtes Wackeln des Hauses beinhaltet. Da natürlich die Sorge noch groß ist, hat es bei allen Leuten Eindruck hinterlassen, richtig schlimm war es aber wohl nicht.

Heute ging es auf jeden Fall erst einmal ans Ankommen. Vieles galt es zu erledigen. In meinem Lieblingsramenrestaurant gab es zur Feier der Ankunft Ramen mit kostenlosem Eiernachschlag und mein Handy ist wieder funktionstüchtig. Ohne dieses wäre man in Japan aber wohl auch aufgeschmissen. Meine größte Sorge galt aber dem lieben Geld. Seit diesem Jahr tausche ich nicht mehr Geld im Voraus um, sondern hebe es vor Ort ab. Bisher verwendete ich dazu die Sparda-Orange-Card, die mir 2010 schon gute Dienste erwies. Diese wird nun aber eingestellt, so dass ich ein Konto bei der DKB eröffnete. Trotz meiner Sorgen, dass es Probleme mit der neuen Karte geben könnte, klappte aber alles reibungslos und ich verfüge über Bargeld. Selbst der Abhebekurs war günstig im Vergleich zu früher, ich bin also rundum zufrieden. Ansonsten handelte es sich heute um einen sehr angenehmen Anfangstag und sogar vor der Erkennung war ich gefeit. Nur beinahe wäre ich meiner alten deutschen Professorin meines Lehrstuhles in die Hände gelaufen, ein ?Vergnügen?, dem ich zum Glück entgehen konnte. Zu frisch sind noch die Wunden, dass sie zwei Monate nicht mit mir redete, weil ich Shimizu einredete, einen Brief nicht mit ?Mit vorzüglicher Hochachtung? zu unterschreiben. Morgen geht es aber richtig los – Yamagata wir kommen.

Elfmeterschießen oder Rückspiel?

Im Stadion wird es langsam laut. Die Gästefans aus Magdeburg skandieren ?Auswärtssieg, Auswärtssieg?. Doch kann man in dieser Situation überhaupt von einem Sieg sprechen? Genau diese Frage stellt sich der Trainer, als es zum Elfmeterschießen kommt. Was wäre, wenn doch keine Entscheidung erzwungen werden kann? Was, wenn man ein Rückspiel ausspielen muss? Wie konnte es nur so weit kommen?

Wir sehen, ich bin wieder da. Aber ich glaube, so langsam überrascht das wohl auch keinen mehr. Vor 6 Jahren betrat ich das erste Mal das Land der aufgehenden Sonne und seitdem ist es für mich eine Art zweite Heimat geworden. Ein Rückspiel würde dementsprechend wohl die Frage aufwerfen, ob man in solchem Zusammenhang noch von einem Auswärtsspiel reden kann.

Im Sommer, nach meiner Reise nach Japan, verbrachte ich erst einmal noch spontan ein paar Tage in Ungarn. Das ist ein schönes Land, auch wenn man an vielen Ecken die Probleme sieht, die auch so wunderschöne Städte wie Magdeburg plagen – die Altlasten des Ostens. Die Ungarn sind ein sehr freundliches Volk und Segeln auf dem Balaton hat auch sehr viel Spaß gemacht. Nach meiner Rückkehr schaffte ich es nach vielen Anläufen, meine Masterarbeit zurückzubekommen, ohne die es mir nicht möglich gewesen wäre, auch nur in Ansätzen weiter zu planen. Das Ergebnis dieser Arbeit – die unter japanisch-deutscher Flagge stand – ist nun so gut, dass ich gerne meinen Doktor machen würde. Dieses Unterfangen ist aber leichter gesagt als getan. Betreuer wollen gefunden werden, Themen ausgedacht und dann sollte auch eine Finanzierung stehen, da die noblen Unterstützer meines bisherigen Studiums von dieser Last ebenfalls einmal befreit seien wollen.

Das kleinste Problem stellte das Thema dar. Was liegt näher, als eine Problemfrage zu bearbeiten, welche mich schon bei der Masterarbeit beschäftigte und so in der Form noch nicht in deutschen Medien behandelt wurde? Also werde ich mich mit den deutschen Spezialisten in Japan, die den Japanern im neunzehnten Jahrhundert nach der Öffnung Japans bei der Verwestlichung halfen, beschäftigen. In diesem Zusammenhang werde ich den mit ihnen verbundenen Kulturtransfer untersuchen und viel wichtiger noch deren Selbstverständnis, mit dem sie in einem Land agierten, welches weder dem wirklichen kolonialen Kontext, noch den westlichen Standards entsprach. Schon an dieser Aufgabe sehen wir das erste Problem. Japan ist nicht gerade das Hauptthema in Deutschland und schon gar nicht die von mir gewählte Zeitphase. Dankbarerweise konnte ich doch einen Professor überzeugen, sich meiner anzunehmen. Er fordert aber einen Spezialisten zum Thema Japan als Zweitbetreuer. Da für mein Thema ein Aufenthalt in Japan eh zwingend erforderlich sein wird, befinde ich mich mal wieder hier – diesmal auf der Jagd nach einem Professor und der Ermöglichung dieses Aufenthalts. Als hilfreich haben sich all meine Kontakte in Japan erwiesen. Masami habe ich mehrere Treffen mit potentiellen Betreuern zu verdanken und Shimizu und Orsolya haben mir bei dem Aufenthalt gut weitergeholfen. Aber ich muss sagen, dass ich es besonders meinem alten Betreuer Kawamura zu verdanken habe, dass ich schon wieder hier bin. Noch als ich friedlich auf dem Balaton schipperte, fragte dieser bei mir an, ob er meinen Namen und in diesem Zusammenhang den FCM in einem Lehrbuch verwenden darf. Weiterhin fragte er, ob ich nicht gleich noch die Kontrolle übernehmen würde, ob es sich bei seinem Ausdruck auch um ?echtes Deutsch? handelt. Gesagt, getan und obwohl ich es auch so gemacht hätte, erhalte ich die nächsten Tage hier eine Belohnung für die Arbeit, welche mir den Luxus zweier Japanbesuche in einem Jahr ermöglicht.

Bevor es aber zum Ernst des Lebens kommen kann, musste ich erst einmal Japan erreichen. Diesmal geschah dies mit Quatar Airways, von denen ich schon viel Gutes gehört hatte. Ganz konnten sie mich heute nicht überzeugen. Dies lag wohl aber zu einem Großteil an meinen fehlenden Nerven nach mehreren Verspätungen und an einer Meute Fußballfans. Anstelle der angekündigten vier Stunden Aufenthalt in Doha hatte ich so 5 Minuten, um zum Gate zu kommen, nachdem der Flug sich dank einer Sicherheitskontrolle in Frankfurt verspätete. Auch der zweite Flug erreichte über 45 Minuten zu spät sein Ziel, was eine Meute Brasilianer, die zur Club-WM flogen, um ihr Team zu unterstützen, nicht sehr leicht fiel. Kurzerhand wurde gesungen und das Flugpersonal genervt. Dies ist eine Tat, die immer auf die armen Mitreisenden zurückfällt. Verbunden mit einer 45-minutigen Schlange beim Visa, kam ich so geschlagene zwei Stunden zu spät aus dem Flughafen heraus.

Dafür fand ich heraus, dass ein Brasilianer Deutsch gelernt hatte und es entstand ein interessantes Gespräch mit seinem Schuldeutsch. Dies ging auf jeden Fall viel besser, als ein Gespräch mit meinen beiden Sitznachbarn. Als diese ein Gespräch anfangen wollten, verstand weder der Rumäne noch der Brasilianer Englisch und ich durfte immer mit der Stewardess raten, was die beiden Herren nun diesmal für ein Problem hatten. Wieso halb so große Japaner im Vergleich zu mir es immer schaffen, die Plätze mit Beinfreiheit zu bekommen und sich dann trotzdem noch am liebsten versuchen langzulegen, wird wohl auch für immer ihr Geheimnis bleiben (zumal mir diesmal Dennis fehlte, um mich in meinem Kampf um normale Beinfreiheit zu unterstützen). Das alles war bei einem 19-Stunden-Flug nicht das Angenehmste, aber Fliegen war für mich schon immer nur ein notwendiges Übel. Ich bin jetzt in Japan, das erste Calpis ist gekauft und nun geht es nach Sendai, wo sich im Laufe der Woche der Ernst des Lebens abspielen wird. Die regelmäßige Berichterstattung der letzten Urlaube werde ich dabei vermutlich nicht beibehalten, aber ich werde von Mal zu Mal ein paar Bilder oder besondere Ereignisse aufzeigen.

Auch wenn ich glücklicherweise dem Weihnachtsstress entkommen bin, wünsche ich den werten Lesern eine schöne Vorweihnachtszeit und bis bald!

Abpfiff

Und pünktlich nach 29 Tagen wird die Verlängerung des Auswärtsspiels abgepfiffen. Die Spieler sind unzufrieden und sehen so aus, als ob sie sich mit dieser Verlängerung nicht zufrieden geben wollen. Doch fürs Erste erklingt die Pfeife und eine Pause steht an. 29 Tage, sind wirklich so viele Tage vergangen, seit Dennis und ich aufbrachen, um einmal mehr das Land der aufgehenden Sonne zu bereisen? Die Zeit verging so schnell und so viel ist passiert, als dass es mir wie die volle Länge vorkommen könnte. Dafür, dass wir vor einem Monat gerade mal ein Hotel in Tokyo gebucht hatten und keinen einzigen Plan außer dem üblichen (Essen, Schlafen und Fußballspiele schauen) gemacht hatten, verlief der Urlaub sehr geordnet. Erleichternd kommt wohl hinzu, dass Dennis und ich ein super Team in solchen Belangen sind. Ich finde nicht, dass wir weniger als bei einem durchgeplanten Urlaub gesehen haben, eher im Gegenteil.

Die erste Halbzeit, also der Urlaub mit Dennis und mir, war geprägt vom Wandern, super Essen und viel Kultur. Alles fühlte sich wie Urlaub an und ich kann mich nur bei Dennis bedanken, dass er immer mitkommt. Denn ohne ihn würde ich nie so viel Unterschiedliches ausprobieren, da ich ihm doch immer etwas bieten will. Highlight unserer Reise war wohl Hokkaido, besonders unser Vulkan-Fluss, wobei wir Hokkaido irgendwann noch einmal etwas mobiler bereisen müssen. Aber auch Tanabata, mit all den Beobachtern des Yukata, war ein Erlebnis, welches weder er noch ich wohl so schnell vergessen werden.

Die zweite Halbzeit der Verlängerung, ohne Dennis und in Sendai, entsprach dem gesamten Gegenteil. Es fühlte sich nicht wie Urlaub an, sondern wie eine Heimkehr. Verstärkt durch das Gefühl, eine Wohnung zu haben, zu der man am Abend zurückkehrt und gespeist von vielen alten Freunden, angeführt von Orsolya, Shimizu und Mohamed, war ich nicht mehr im Urlaub, sondern wirklich heimgekehrt. Dinge, die mir fast ein und ein halbes Jahr gefehlt haben, waren auf einmal wieder so, als ob ich nicht weg gewesen wäre. Aus diesem Grund bin ich auch weniger erholt, als in dem Teil der Reise mit Dennis, aber trotzdem bin ich entspannt zurückgekehrt. Sendai ist eine zweite Heimat für mich geworden, fast mehr als Göttingen, in welchem ich noch viel länger gelebt habe und wenn nicht zwei Probleme existieren würden, ich könnte wohl für immer bei den Japanern, deren Mentalität ich sehr mag, leben. Die Tatsache, immer ein Ausländer zu sein und die anstrengende Sprache hindern mich aber, diesen Gedanken auch nur im Kleinsten umzusetzen. Auf der anderen Seite haben mich das Kindercamp und das dabei ausgesprochene Angebot, doch in Japan als Englischlehrer zu arbeiten, zum Nachdenken gebracht. Falls es auf längere Sicht nichts mit einem Doktorplatz in Deutschland wird, werde ich nicht nur nach beruflichen Alternativen in Deutschland suchen, sondern auch eine Arbeit in Japan für eine Zeit in Betracht ziehen. Die Welt ist groß und vernetzt und für meinen späteren Lebensweg würde es nicht schaden. Bis es soweit ist, wird aber noch viel Wasser die Elbe runterfließen.

Ich bedanke mich noch einmal bei allen Lesern, welche mir die Treue gehalten haben, bei Dennis und allen Freunden aus Japan, die diesen Urlaub für mich unvergesslich gemacht haben. Und dann entschuldige mich jetzt – ich brauche Urlaub vom Urlaub und fliege erst einmal für zwei Wochen nach Ungarn zum Segeln.

Tag 28 – Der letzte Tag

Gott, diese Ausländer, schrecklich. Wenn ich nicht selber einer wäre, ich würde die Japaner mit ihrer Ausländerabneigung total verstehen, aber gleich mehr dazu. Ohne Schlaf, denn ich könnte das Aufsehen ja verpassen, ging es heute kurz nach 6.00 Uhr mit Shimizu in Richtung Bahnhof. Orsolyas Wohnung wurde abgesichert und wie zu erwarten, wäre ich ohne Shimizu wohl nie wieder aus Sendai weggefahren. In Anbetracht der Tatsache, dass ich Urlaub habe, gönnte ich mir zur Abwechslung einen Shinkansen nach Tokyo und war in kürzester Zeit vor Ort. Weiter mit dem Skyliner erreichte ich in drei Stunden von Sendai aus gesehen den Narita Airport. Das war auch dringend notwendig, denn ich hatte nur noch fünfzig Minuten, um den Check In zu erledigen. Mein Zeitplan war wirklich mit heißen Nadeln gestrickt. Mit meinem wenigen Schlaf dachte ich ja, im Shinkansen zu schlafen. Wie will man aber schlafen, wenn nahe einem ein deutscher Reiseführer einigen Reisenden erklärt, dass man in die Gebiete um Sendai, besonders auch nördlich von Sendai, ja nicht fahren kann, da diese wegen der Strahlung viel zu gefährlich sind. Mir ballte sich die Faust über derartig ignorante Aussagen, immerhin wird hier von meiner zweiten Heimat gesprochen. Ganz disqualifizierte sich der junge Herr, welcher wohl exklusive Privatreisen anbietet, als er feststellte, weder weiter als Osaka, noch nördlicher als Nikko gekommen zu sein. Wie will jemand mit derartigem Vorwissen Japanreisenden die Wunder des Landes erklären? Als er dann noch die Fauna von Hokkaido mit Deutschland verglich, da war es ganz aus und ich verlor den Glauben in die Menschheit. Wenn es mit dem Doktorstudium nichts wird, dann mache ich wohl das – ich wüsste wenigstens, wovon ich rede.

In Narita wurde mein Tag auch nicht viel besser. Weder konnte ich die Boardingcard für meinen Flug von Paris nach Hannover erhalten, noch konnte man mein Gepäck direkt nach Hannover schicken. Dementsprechend hieß es, dass ich im Endeffekt mit 23 Kilo und Handgepäck einmal komplett den Flughafen in Paris durchqueren muss. Dazu dauerte mein Check In dank einer Anfängerin fast 10 Minuten und ich zweifele schon daran, ob ich nicht auf irgendeiner schwarzen Liste erscheine, weil es so lange dauerte. Der Gedanke wurde durch einen roten Punkt auf meiner Boardingcard verstärkt, welcher später aufgeklebt wurde und den mir keiner erklären konnte. Erst am Flughafen wurde es klar – ich wurde geupdatet und kam in das Obergeschoß des Flugzeuges. Obergeschoß bedeutete kürzere Wege für das Personal und etwas bessere Bildschirme. Der Flug wurde so trotz häufiger Turbulenzen sehr angenehm und als Vegetarier erhielt ich mal wieder als Erster auf der Etage Essen. Manchmal hat mein Essensstil echt Vorteile. Das Bordkino war im Vergleich zum Hinflug auch um einiges verbessert und meine Etage hatte sogar Touchscreens, die Dennis und ich beim Hinflug noch schmerzhaft vermissten. In Paris regten sich dann die Mitarbeiter auf, dass man es in Narita versaut hatte. Irgendwie schafften wir aber alles zu organisieren und um 22.00 Uhr sollte ich dann auch wieder meine Füße auf deutschen Boden setzen.

Tag 27 – Heimspiel Nippon Ham Fighters Sapporo vs. Tohoku Rakuten Eagles

Es sollte bekannt sein: Findet irgendwo Sport statt, so bin ich nicht weit. Ist der Sport dazu noch umsonst, dann erst recht. So ergab es sich, dass ich gestern meine angedachte Fahrt nach Saitama mit direktem Verbleib in Tokyo abgeblasen habe. Ich bleibe noch ein wenig in Sendai, um Baseball zu schauen. Yuka, eine Japanerin mit perfekten Deutschkenntnissen, bekommt von dem Getränkehersteller Santory immer Dauerkarten und hat mir diese überlassen. Keine Frage, dass ich da hingehe. Vorher ging es aber erst einmal mit Yuka nach Izumi, wo ein Grillen einer Englischlehrgruppe stattfand. Obwohl ich keinen kennen sollte und ich ewig nicht in Japan war, kannte mich die Hälfte der Leute gleich als großen Deutschen, der schon mal da war. Gleichzeitig versuchte man verzweifelt, Yuka und mir eine Beziehung anzudichten, obwohl der ebenfalls anwesende Freund Yukas eine andere Sprache sprechen sollte. Zusätzlich traf ich unter anderem noch eine Japanerin, welche kurz in Chemnitz studiert hat und alle Deutschen des Jahres 2010 kannte. Sie stellte sich als radikale Buddhistin heraus. Ich bekam von ihr auch eine Zeitung über die Vorteile des Buddhismus geschenkt, dank dem hohen Kanji-Anteil wird das Lesen aber wohl nie möglich sein.

Nach dem Grillen ging es zum Bahnhof – Shimizu wartete. Baseball ist der Nationalsport der Japaner und anstelle von Fußbällen schenken Väter hier ihren Kindern Baseballhandschuhe und spielen Ballfangen mit ihnen. Trotz dieser Umstände hatte Shimizu schon sehr lange kein Spiel mehr gesehen und das galt es zu ändern. Die Ham Fighter sind dabei ein ernstzunehmender Gegner, welcher oft Erster oder Zweiter wird und viel Geld investiert. Yuka ging deshalb auch fest von einer Niederlage aus. Schon beim Erreichen des Stadions gab es die erste Überraschung: Das Stadion wurde nach dem Erdbeben stark renoviert und ist kaum mehr wiederzuerkennen. Unsere Plätze erlaubten uns auch, den VIP-Eingang zu nutzen und sie brachten uns sehr nahe ans Spielgeschehen. Der defensive Stil, der in Japan ausgeübt wird, schadete aber meinem Interesse. 2 Stunden ein Spiel zu schauen ist kein Problem, aber 3 Stunden ohne die geringsten Chancen waren schon hart. Auch die Fans könnten einiges von Vegalta lernen. So wurde in den 3 Stunden ganz selten und meist nur in den letzten 2 Innings gesungen. Das Spiel war aber auch so interessant, besonders bei den Plätzen, obwohl es nur ein 1:0 nach Verlängerung gab. Alle Anweisungen waren zu hören und Würfe zu sehen. Damit wir nicht so auffallen, besorgten wir auch gleich noch Schals und sahen so wie echte Fans aus. Nur nervig waren die Bierausschenker, welche nie Pausen machten. Nebenbei: In Deutschland wird ja bis zum Strich gefüllt, hier in Japan haben alle Mitarbeiter eine kleine Waage dabei, damit das Bier auch genau ausgeschenkt wird.

Nach dem Spiel gingen Shimizu und ich noch leckere Ramen essen und fachsimpelten über die letzten Tage in Sendai. Wenigstens konnte ich Shimizu für morgen jetzt als Begleiter zum Bahnhof bekommen. Alleine könnte ich nicht garantieren, am Ende wirklich im Zug zu sitzen. Viel wichtiger als Rakuten fand Shimizu aber die Aussage, beim nächsten Deutschlandbesuch wieder den 1. FC Magdeburg zu sehen, die Propaganda scheint also gewirkt zu haben.

Tag 26 – Fahrradtour

Irgendwie war das anders geplant. Orsolya habe ich erfolgreich nach Ungarn verfrachtet, Shimizu ist mit seiner Freundin unterwegs und nur Mohamed hätte Zeit. Nun gibt es das Problem, dass Mohamed zwar Zeit hätte, ich ihn aber nicht immer mit Essen gehen nerven will. Eigentlich war auch für diesen Samstag ein Treffen mit meinen ehemaligen Mitbewohnern geplant, nur leider musste dieses ebenfalls ausfallen, da diese leider keine Zeit hatten und zu großen Teilen gar nicht mehr in Sendai wohnen. Was sollte ich also tun?

Kurzerhand nahm ich mein Fahrrad und fuhr in die einzige Region, die ich früher schon immer erkundete und die mir noch auf meinen Touren fehlte – Izumi. Izumi ist der äußere Stadtteil im Norden der Stadt und gekennzeichnet durch eine Vielzahl an Geschäften. Neben diesen harten Fakten ist der Stadtteil auch für einen halben Herzinfarkt meinerseits verantwortlich. Als letztes Jahr das große Erdbeben stattfand, sollte Rieko gerade nach Izumi fahren und mein Fußballtrikot umtauschen. Wie ich nun in Abu Dhabi wartete, erreichte mich die Schlagzeile auf einer deutschen Nachrichtenseite: ?Sendai zerstört?. Aufgeregte weitere Nachforschungen später wurde diese Meldung revidiert, aber es sollte große Zerstörungen in Izumi geben, worauf ich stark um Riekos Gesundheit besorgt war. Im Endergebnis hatte sie den Umtausch des Trikots auf später verschoben und war deshalb niemals in Gefahr, der Schock saß trotzdem tief. Meine Tour ergab, dass das Gebiet wirklich härter getroffen worden sein muss. Einige Straßen haben immer noch die hüglige Form der aufgerissenen Böden, welche bei dem Erdbeben entstanden, trotzdem war es eine Reise wert. In Izumi fand gerade ein Stadtteilfest statt und viele Izumi-Bewohner liefen in Yukata herum und wie immer wurde sehr gutes Essen geboten.

Nach meiner sieben Stunden Izumi- und Sendaitour, ging es alleine in die Stadt. Ein Restaurant wollte ich noch unbedingt sehen und wenn niemand mit mir geht, gehe ich auch alleine. Es handelt sich um mein Okonomiyaki-Restaurant, wo ich wirklich Stammkunde war und diesmal auch die Abwesenheit von Rieko bemerkt wurde. Das Essen war trotzdem genial und die Frage sei in den Raum gestellt, warum es in Deutschland kein Okonomiyaki gibt. Auf dem Weg in das Restaurant verschlug es mich auch noch einmal in den örtlichen Donquijote. In diesem Laden des Karstadttyps gibt es wirklich alles, was sich der Mensch nur wünschen kann oder auch nicht wünschen sollte. Von Radiergummis für die Zahnreinigung, über 4 Zentimeter Augenwimpern bis zu Lebensmitteln ist hier alles vertreten. Highlight sind aber die Klamotten. Nicht, dass auch nur ein mir bekannter Europäer derartige Sachen tragen würde, schlimmer noch – die Japaner tragen es wirklich. Verkaufsschlager sind dabei momentan Hüte mit Design. Dabei sind nicht normale Schirmmützen gemeint, sondern ganze Figurenköpfe, wie ein Pikachu oder auch ein kompletter Fisch. Normalerweise könnte man sich noch erklären, dass die Japaner sich diese Mützen als blödes Geschenk kaufen. Preise jenseits der vierzig Euro sprechen da aber eigentlich eine andere Sprache.

Auf jeden Fall war der Tag cool, wenn auch zu heiß. Nur die Tatsache, dass ich in ein paar Tagen wieder durch Göttingen fahren werde, wo man mit der Strecke Izumi bis Hauptbahnhof schon die gesamte Stadt durchquert hat, ist schon komisch. Momentan kann ich mir noch gar nicht vorstellen, nach Hause zu fahren. Nicht zuletzt da ich einen echten Haustürschlüssel für Orsolyas Wohnung habe, fühlt es sich alles so natürlich an, dass ich am liebsten den Aufenthalt verlängern würde.

Tag 25 – Beim nächsten Book Off links?.

Endlich, es ist vollbracht! Der Fitnesskurs Japan hat sich bezahlt gemacht. Kilometer um Kilometer bin ich gelaufen und Dennis musste die meiste Zeit mit laufen, doch es hat sich gelohnt und ich bin fit. Woran ich das bemerkt habe? Ganz einfach, heute früh ging es mit dem Rad zum Flughafen von Sendai. Nachdem ich in der Früh den Anruf von Mohamed nicht einmal gehört hatte und deshalb nicht das Fußballspiel sah, ging es nach dem Aufstehen aufs Rad. Ziel war der etwas mehr als dreißig Kilometer entfernte Flughafen von Sendai. Mit diesem Flughafen verbinde ich viele Erinnerungen, die wichtigste dürfte meine Ankunft 2010 in Sendai sein, bei der ich mit schwerem Koffer und fehlenden Kenntnissen ob der Lage des Wohnheimes, durch die Stadt irren durfte. Die zweite Erinnerung ist das Schwimmen mit Melanie im Meer am Flughafen. Beim Erdbeben im letzten Jahr wurde der gesamte Flughafen überschwemmt und die Bilder gingen um die Welt, aus diesem Grund wollte ich mir selber ein Bild von der Lage machen.

Ich hatte schon bessere Ideen. In Anbetracht der Fahrradsituation hätte ich doch lieber auf den Zug umsteigen sollen, denn ein Gang und ein eierndes Vorderrad sind nicht unbedingt die besten Wegbegleiter. Trotz allem versuchte ich es und erreichte nach vier Stunden auch den Flughafen. Die Strecke ist aber auch schwieriger geworden. Viele der Freiflächen sind heutzutage mit Behelfshäusern bebaut und einige neue Auffangbecken für die Flut säumen den Weg. In Anbetracht der Tatsache, dass japanische Häuser nur aus Holz bestehen und deshalb für derartige Katastrophen besonders anfällig sind, ist das eine folgerichtige Entscheidung. Das wirkliche Ausmaß konnte man aber erst am Flughafen erahnen. Am Flughafen selber nicht, denn dieser sieht wie immer aus. Aber die Siedlung, welche sich rechts vom Flughafen zum Meer hin befand, ist vollkommen ausgelöscht. Nur einige vereinzelte Fundamentreste und ein verhältnismäßig großer Friedhof an der Stelle zeugen noch von der Katastrophe. Das wirkliche Ausmaß dieser Tragödie kann man erst erahnen, wenn man derartige Bilder live sieht. Mir stellt sich bis heute die Frage, wie die Medien so schnell auf den Fukushima-Zug aufspringen konnten und dabei die Katastrophe in der Tohoku-Region vergessen konnten.

Der Rückweg musste dann aber etwas schneller geschehen, da ich befürchtete, das Postamt und damit meine Geldquelle, könnte schließen. In 2 Stunden und 45 Minuten absolvierte ich die dreißig Kilometer und besonders interessant war, wie ich mich sicher durch die Gegend orientierte. Ich bin wohl der einzige Mensch, welcher auf Book Offs, also Antiquariate, geeicht ist und bei jedem Book Off genau weiß, wo er ist und wie er weiter fahren muss, um zum nächsten zu kommen. Da ich verhältnismäßig schnell zu Hause war, ging es nach einer dringend nötigen Dusche zu Frau Omori. Ich traf sie im Coop direkt gegenüber und wurde kurzerhand zum Kaffee eingeladen. Zum Glück hatte ich geistesgegenwärtig gestern noch eine Flasche Rotwein besorgt, so dass ich ein gutes Geschenk hatte. Es wurde ein langes Gespräch, mit einem Japanisch-Englisch-Mix, in dem festgestellt wurde, wie sehr sie mich doch angeblich vermisst hat. Highlight wurde aber die Telefon-Session, in der halb Group Mori informiert wurde, dass ich wieder da bin. Ich hatte auf einmal fremde Japaner am Telefon und musste mit diesen sprechen. Nach den Infos ?riesig und Pferdeschwanz? wusste aber jeder sofort, von wem die Rede ist. Besonders eine Dame freute sich, von mir zu hören. Diese muss wohl regelmäßig erklärt haben, wie freundlich und toll ich doch sei und dass sie mich dafür liebe. Ich war halt schon immer ein guter Schauspieler. So habe ich endlich auch diesen Programmpunkt abgefrühstückt und dank Mohameds Anruf, ob wir uns zum Abendessen treffen wollen, kam ich auch noch verhältnismäßig früh weg.