Tag 6 – Und jetzt bitte die Hose ausziehen

Eins habe ich bei all den Reisen mit Dennis gelernt: Egal was wir anfassen, planbar ist nichts davon. Diese Weisheit verfolgt uns über Plötzky, London und erst recht in Japan. Kein Wunder also, dass es heute nicht anders war. Wieso sind wir eigentlich in meine alte Heimat gefahren? Dennis kennt sie schließlich und ich sehe Orsolya und Sendai eh in ein paar Tagen. Ganz einfach, Sendai hat ein riesiges Festival, welches zwischen dem fünften und sechsten August in der Stadt stattfindet. Dieses Fest ist Tanabata und wird durch ein eineinhalbstündiges Feuerwerk eingeleitet Die gesamte Stadt wird mit Papierkugeln geschmückt und jeder Mensch ist in Feierlaune. Trotz zwei Besuchen in Japan, hat Dennis noch nie ein Festival mitgemacht und das musste sich dringend ändern. Umso passender war, dass es in einem Heimspiel möglich ist und Orsolya uns bei sich aufgenommen hat.

Der heutige Tag begann wie ein typischer Urlaubstag. Der arme Historiker wacht als erstes auf und darf den Herrschaften Frühstück bereiten, nur um im Anschluss Klagen über die große Menge von Dennis zu hören. Soweit war es unspektakulär. Orsolya musste arbeiten, weshalb Dennis und ich den Beschluss fassten, Shinkansentickets zu besorgen und in das neue Weltkulturerbe Hiraizumi zu fahren. Es kam wie es kommen musste und wir verpassten unseren Shinkansen um zwei Minuten. Was sollte man nun bis zum nächsten Zug, eine Stunde später, machen? Orsolya hatte am Morgen ihren Yukata vorgeführt und sich durch die Bedienungsanleitung des Gürtels, welcher auf eine spezielle Art geknotet wird, gekämpft. Ich persönlich besitze zwar schon einen Yukata. Sie besteht aber aus einem schweren und warmen Stoff und ist eigentlich für den Sommer eher ungeeignet, außerdem befindet sie sich in Sicherheit in der Heimat. Kurzerhand beschlossen wir, nach einer neuen zu schauen und die 20 Prozent Rabattangebote zu Ehren von Tanabata wahrzunehmen. Mit dieser Entscheidung sollte das Unheil seinen Lauf nehmen.

10 Uhr morgens in Sendai und zwei große Ausländer stürmen den Kleidungsladen. Als Erstes galt es, die Größen herauszubekommen, aber größer als LL (bis 185 cm) war nicht vorhanden. Japaner sind halt doch relativ klein geraten. Trotz dieses Rückschlages probierte ich einen Yukata an und stellte mit Hilfe von zwei Verkäuferinnen fest, dass der Saum zwar leicht zu kurz war, aber es tragbar ist. Die Farben wollten aber irgendwie so gar nicht zu mir passen. Kurzerhand wurde der letzte andere Yukata in meiner Größe und in schwarz geholt. Während wir warten mussten, probierte Dennis den abgelegten Yukata an und er stand ihm ziemlich gut. Mein neuer Yukata stand mir auch und kurzerhand beschlossen wir, uns beide den Spaß zu leisten und stilecht am Festival teilzunehmen. Die Frage war nun nur, wie gehen wir mit den Knoten vor? Schon Orsolya hatte trotz der Videobeschreibung aus dem Internet genug Probleme, den Knoten fertig zu bekommen. Wie sollten dann erst Dennis und meine linken Hände das schaffen? Kurzerhand wurde das Personal eingespannt. Einen Yukata kann man auch nach Hiraizumi tragen, entschieden wir und fragten nach, ob man uns schon im Laden beim Anlegen helfen kann. So wurde bezahlt und unsere Verkäuferin, eine ältere kleinere Frau welche selber einen Kimono trug, stand bereit, um uns zu helfen. Mit dieser Forderung brachten wir die Arbeit im Geschäft zum Stehen. Drei Mitarbeiter kümmerten sich um uns und überforderten uns leicht. Aus allen Richtungen kamen Anweisungen. Besonders die Anweisung, unsere Hosen auszuziehen, wollten wir ignorieren. Als man aber schon an unseren Hosen zog, öffneten wir sie gerade, als den Mitarbeitern auffiel, dass wir uns zwar in der Ecke des Raumes, aber noch im Raum befinden und ließ uns endlich doch in die Kabinen. Dennis erhielt nun einen Knoten durch den Profi und war nach 5 Minuten fertig und stand in der Ecke. Wie wünschte ich, bei mir ginge das auch! Die Körpergröße von 194 bereitete den Japanern doch mehr Kopfzerbrechen, als erwartet. Der Obi, also der Gürtel, ist für solche Längen nicht ausgelegt und zudem war es für die kurzgewachsene Angestellte nicht möglich, das Anlegen alleine durchzuführen. Plötzlich wurde ich in geschlagenen 15 Minuten von zwei Damen gedreht, geschnürt und zurechtgezupft, ehe der Obi saß, wie man sich das vorstellte. Anders gesagt, waren alle Angestellten dieser Abteilung damit beschäftigt, sich um Dennis und mich zu kümmern. Nett, dass sie es trotzdem gemacht haben!

Mit diesem Umziehen hatten wir natürlich den Zug nach Hiraizumi wieder verpasst. Kurzerhand verließen wir das Geschäft und entschieden, nach Matsushima zu fahren, um eine Rundfahrt zu machen. Durch den Knoten gebunden, blieb uns nichts anderes übrig, als die Yukatas anzulassen. Nie hätten wir damit gerechnet, durch die Teile das Stadtgespräch zu werden! Viele Japaner starrten uns an, einige machten Bilder und oftmals konnte man Kommentare wie ?süß?, ?hübsch? und ?der ist ja riesig? hören. So extrem ist mir das noch nie passiert. Wir entschieden, diese Situation einfach zu ignorieren und notfalls einfach mit zu starren. Wenigstens weiß Dennis jetzt, wie es mir sonst hier in Japan manchmal geht.
Matsushima, unser Ersatzziel, gilt als einer der drei schönsten Orte Japans. Es handelt sich um ein Inselgebiet mit zweihundert Inseln, wovon einige betretbar sind. Die restlichen Inseln erkundet man per Schiff. Schon bei unserer Ankunft erwies sich der Yukata als interessant. Als einzige überhaupt in einem Yukata, wurden wir endgültig das Gesprächsthema Nummer eins. Die Touristeninformation redete auf uns ein, ob wir nicht ins Teehaus gehen wollen, wir wären doch richtig gekleidet. Und alte Leute wollten uns Ratschläge geben, wie man den Yukata noch richtiger anziehen kann. Da Dennis die Hauptinseln von Matsushima schon kannte, gab es dieses Mal die Bootstour. Die Tour war sehr witzig, auch wenn die Sicherheitsbestimmungen in den Booten gegenüber früheren Zeiten extrem verstärkt wurden. Die höher gelegene Stadt hatte im letzten Jahr unter einem 4 Meter hohen Wasserstand zu leiden. Dank dieser Ereignisse existiert heutzutage zum Beispiel ein festes Sitzgebot, während früher die Fahrt auf dem Rückdeck verbracht werden konnte. Die Fahrt bewies aber wieder mal viel besser die Gründe für die Behauptung, Matsushima sei einer der schönsten Orte Japans, als es alle Fußwanderungen könnten.

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Nach der Rückkehr aus Matsushima ging es zum Tanabatafestival, wo wir Orsolya in ihrem Yukata trafen. Auf dem Weg dorthin erlebten wir aber noch einmal die Japaner in ihrer unvergleichbaren Art. In einem Supermarkt gingen Dennis und ich gerade durch die Gänge, als eine kleine und sehr alte Japanerin unsere Yukatas erblickte und uns ansprach. Nach dem kurzen Gespräch war die Sache für uns erledigt und wir wollten weiter, als auf einmal jemand ohne Erlaubnis an meinem Yukata zerrte Es war die alte Dame, die meinen durch das Sitzen leicht unordentlichen Yukata wieder in die richtige Richtung zog und uns dann noch viel Spaß für das Festival wünschte. Nicht nur für das sehr schick aussehende Feuerwerk, auch ansonsten für die Erlebnisse des heutigen Tages, hat sich der Kauf der Yukatas gelohnt und Dennis und ich überlegen schon, wie wir sie in Deutschland anziehen können. Wenn also dem geneigten Leser zwei Gestalten entgegen kommen, die aus ?Last Samurai? entsprungen sein könnten – nicht erschrecken, Dennis und ich könnten gerade auf Wanderung sein.

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