Erinnerungen

Wo trifft man am besten Freunde aus Deutschland, wenn nicht im schönen Sendai? Unter diesem Motto ging es heute Nachmittag in die Innenstadt – Daniel wartete. Daniel, mein Senpai, ist gerade auf Japanreise zu seiner Freundin Mikako und deshalb etwas in Sendai. Da kann man sich ja auch mal treffen und die Freude meinerseits war riesig, lebt er doch seit einer Weile in Irland und Skype ist zum Unterhalten nie genug. Nach einigem Shoppen ging es aber zu einem weiteren wichtigen Treffen. Ich hatte ein ?Date? mit Kuma ausgemacht, meinem Freund vom Fußball. Zu meiner Überraschung tauchte er mit der ganzen Familie auf und endlich weiß ich auch, wer seine Frau ist. Die Kleinen sind aber süß wie immer und besonders Misaki hat es mir angetan. Obwohl sie noch in der Grundschule ist, ist ihr Englisch besser als das ihres älteren Bruders und auch so ist sie für eine Japanerin ziemlich vorlaut. Noch bevor die Gastgeschenke ausgetauscht waren, stellte sie fest, dass ihr Vater eh nicht weiß, wie der Wein schmeckt, da er gestern erst angekommen war und noch ungeöffnet war. Bei meiner Anmeldung hatte Kuma also schnell noch eine Flasche Wein für mich besorgt, wobei ich Sake ja eigentlich passender gefunden hätte. Was sollte man nun machen? Einfach wieder gehen ist nicht und Kuma hatte eigentlich schon mit der Familie gegessen. Trotzdem beschlossen die Kleinen, sie können immer essen und es ging in ein Restaurant mit allen möglichen Kleinigkeiten. Bevor jemand auf die Idee kommt: bezahlen durften wir wie immer nicht. Während des Gesprächs wurde den Kleinen Englisch beigebracht, die Großen nach Magdeburg zum Fußball eingeladen und viele Geschichten erzählt. Zum Glück kennt Orsolya Kuma auch vom Fußball, so konnte sie dabei sein und Übersetzer spielen, so klappte das Gespräch sehr gut. Beschlossen wurde der Abend mit vielen Umarmungen und besonders Misaki wollte uns gar nicht mehr gehen lassen. Ich freue mich schon, wenn ich sie alle wiedersehe. Hoffentlich klappt es mit den zwei Jahren Japan, dann muss ich nur noch herausbekommen, wie teuer eine Dauerkarte für Vegalta ist.

Es weihnachtet sehr.

Verlief der Tag gestern sehr ruhig und entspannt, bis auf das Genörgel einiger Damen, so sollte der Tag heute extrem stressig werden. Es standen die MafuMafu-Weihnachtsfeiern an. Zuerst ging es zum Kinderfest. 18 Ausländer wurden dazu in viel zu kleine Weihnachtsmannkostüme gesteckt und mussten mit rund 80 Kindern Weihnachten feiern. Es handelte sich zu meinem Leid zwar um Kinder aus den Englisch-Camps, von meinen Kleinen war aber leider niemand vertreten. Der Altersdurchschnitt war dabei bei rund 8 Jahren und es wurde mit ihnen gespielt und etwas Englisch geübt. Leider litt die Organisation wieder einmal an einigen Problemen. So konnte unsere Gruppe aus älteren Kindern und dazu hauptsächlich Mädchen, mit dem einzigen armen 5jährigen Jungen nun so überhaupt nichts anfangen und zum anderen war die Auswahl der Helfer fragwürdig. So befand sich in unserer Gruppe eine Japanerin, welche kein Wort Englisch mit ihren Kindern sprach und die zweite, eine Araberin, hatte genug Probleme mit Englisch, so dass das Vorlesen von Wörtern, damit die Kinder sie wiederholen, zur Farce wurde. Mir selber lagen eigentlich nur die vielen Mädchen nicht, da sie zu gesittet und nicht wirklich motiviert waren, auch nur irgendetwas zu tun. Es dauerte knapp eine Stunde, dann hatte ich sie aber auch alle weichgeklopft und wir hatten alle unseren Spaß. Highlight war aber ein kleiner vierjähriger Junge. In einem Bingo-Spiel, bei dem die Kleinen die Ausländer nach ihrer Bingo-Nummer fragen mussten, fragte er immer die Falschen und war weit entfernt von einem Preis. Dazu war er aber sehr gesittet, gab mir als Dankeschön die Hand. Er tat mir etwas leid, weil seine Mutter ihn in seinem jungen Alter schon einiges an Englisch aufgezwungen hatte, da seins sehr gut war. Nun lief er verzweifelt durch den Raum, begleitet von einem der MafuMafu-Mitarbeiter. Dieser wusste aber auch nicht richtig, wie er ihm helfen soll. Also nahm ich kurzentschlossen den Kleinen unter den Arm, ging zu jedem Ausländer und fragte nach seinem Buchstaben. In letzter Minute schafften wir ein Doppelbingo, so dass der Kleine sich gleich zwei Preise aussuchen durfte und nicht der einzige ohne Preis wurde. Diese Tat imponierte dem Kleinen so sehr, dass er unbedingt auf meinem Arm ein Foto haben wollte. Nachdem das geschossen war, stürmte er zu seiner Mutter, entriss ihr die Kamera und machte noch selber eines von dem komischen Ausländer.

Diesen Job machte ich auf jeden Fall nicht so verkehrt, denn neben einem extra Dankesanruf wegen der guten Leistung, wurde mir wieder einmal die Teilnahme an einem Camp und ein Job in Aussicht gestellt. Zu schade, dass ich eine Weile nicht hier bin. Ich wäre, glaub ich, gar nicht so abgeneigt. Nach einer Stärkung in Form von Sushi ging es dann wieder zur nächsten Weihnachtsfeier, diesmal wirklich mit Erwachsenen. Unter anderem war Tina dabei, die mich trotz Gesprächs erst erkannt, als ich sie auf Deutsch belegte und Yusuke. Da wir viel zu früh da waren, wurde ich auch gleich zur Arbeit eingeteilt. Ich baute verschiedene Stationen auf und spielte Helfer für die Liveband – die Gaijins, eine Band aus zwei Ausländern und einem Japaner – welche momentan relativ erfolgreich durch Japan touren. Deren Musik und die zusätzlichen Punkte, wie einige Spiele, machten den Tag auf jeden Fall viel gelungener, als die bisherigen MafuMafu-Feiern, die ich so erlebt habe. Meine Highlights waren aber die zwei Siege beim Tischtennis in Wassergläser, bei dem ich zuerst einen Thüringer und dann einen Japaner bezwang und dem armen Japaner dann als Strafe ein total ekliges Getränk aufzwingen durfte.

Last Christmas ?.

Es weihnachtet sehr und der Schnee hat die Stadt in Weiß gehüllt. Zu meiner ?Freude? nehmen meine Mitbewohnerinnen den Tag aber zu wichtig. Den ganzen Tag steht jemand in der Küche, um mit der Mikrowellenherdmischung Kuchen und Plätzchen zu backen. Als ob ich nicht freudig so einem Stress entgangen wäre. Kurzerhand bot ich todesmutig meine Hilfe an, was dazu führte, dass sich beide behindert fühlten, da sie mich zwar eifrig mit Aufgaben betrauten, sie aber im Endeffekt immer ?bessere? Ideen hatten, wie man es machen kann. Soviel also zur Weihnachtsruhe. Na dann konnte ich mich auch gleich auf den Weg machen zu unserer Weihnachtsfeier. 17 Ausländer und eine Japanerin haben sich in der Nähe von Sanjo versammelt, um Weihnachten zu zelebrieren. Vertreten waren Süd- und Nordamerikaner, Europäer und Asiaten. Da jeder eine ?Kleinigkeit? gekocht hatte, hatten wir Essen für die nächsten fünfhundert Jahre und es wurde ein gelungener Schmaus. Ich muss sagen, es hat mir wunderbar gefallen und war doch angenehmer, als der Milchreis bei den Schweden vor zwei Jahren. Aber ich habe mir einen Feind gemacht. Tay, Orsolyas Mitbewohnerin, hatte sich ein Stück Truthahn aufbewahrt und gut weggelegt, leider aber neben einem Knochen und das Stück war auch noch nicht perfekt geschnitten. Als ich, mit Aufräumen beschäftigt, nun an diesem vorbei gekommen bin, wurde kurzerhand der Truthahn mit entsorgt. Seht ihr, warum lasst ihr auch alle den Vegetarier ans Fleisch, ich wusste doch, es kann nicht gut gehen.

Auf diesen Weg wünsche ich aber auf jeden Fall allen daheim gebliebenen ein frohes Weihnachtsfest und genießt die Feiertage!

Yakuza auf Abwegen

Es weihnachtet gar fürchterlich. Dieser Satz schwebte mir im Kopf herum, als ich die Stadt heute durchwanderte. Überall Weihnachtsmusik – um genau zu sein 10.000 Versionen von ?Last Christmas? und ich garantiere, auch die Stimme eines Japaners macht die Interpretation nicht besser ? und Schmuck. Auf den Straßen treten als Rentier verkleidete Bands auf und die Geschäfte geben Weihnachtsrabatt. Was ist nur aus dem Land geworden, in dem Weihnachten nichts zählte, da es ja nur ein Fest für Verliebte ist. Egal, den Rest gab mir auf jeden Fall der Punkt, als auf dem Dach der Arkaden eine Orgel aufgestellt wurde und jemand dort den ganzen Tag Weihnachtslieder spielte. Wenigstens passt das Schneegestöber zur Stimmung.

Gestresst vom Weihnachtstrubel entstand die Entscheidung, doch noch einmal Oden essen zu gehen. Sie sind heiß, schmackhaft und diesmal am Tresen kann man bestimmt auch einfach nur die Sorten bestellen, die man auch wirklich mag. Gesagt, getan und nach 10 Minuten Wartezeit hatten wir einen Platz am Tresen. Nur das Bestellen wollte nicht so klappen, wie wir uns das dachten. Ok, eine erste Lieferung gab es, doch dann fing das Event an. Neben uns hatte ein Herr mit Goldring und Armband in Begleitung seiner Frau Platz genommen. Während wir noch warteten was andere Leute bestellen, um zu sehen, was uns davon schmecken könnte, bestellte mein Nachbar auf einmal ein ?Ganbare Tohoku? für uns. ?Kämpf Tohoku? – was sollte das sein? Wie sich herausstellte, handelte es sich um eine Art Teigtasche, welche den Slogan aufgebrannt hatte. Mit dieser Geste war der Herr aber noch nicht fertig. Seine Bestellung nicht antastend, gab er uns den Teller herüber und erklärte uns, wir sollen uns bedienen und alles einmal probieren. Ehe wir überhaupt ablehnen konnten, war unser Teller voll und mein Nachbar orderte noch ein Bier für uns. Es entspannte sich ein Gespräch, geführt über Umwege, da der Herr mich auf japanische Weise ansprach, aber Orsolya antwortete. Im Verlauf des Gesprächs stellte er fest, dass das Bier eine schlechte Entscheidung war und wir doch lieber Sake probieren sollten. Kurzerhand orderte er uns die teuerste Sake des Ladens zum Probieren und noch einmal Oden nach. Was blieb uns also übrig, als uns weiter mit ihm zu unterhalten. Er stellte sich als Yakuza vor, welches seine Frau gleich verneinte und auf den Bruder verwies, welcher gleichzeitig Besitzer des Ladens war und Koch am Tresen. Er bestand aber weiterhin auf Yakuza. Auch seine Frau taute nun langsam auf, unterhielt sich aber nur mit Orsolya, damit die Sitten gewahrt bleiben. Ein Mann muss sich mit dem Mann unterhalten und die Frauen untereinander, derartiges sieht die japanische Gesellschaft bis heute vor. Während wir nun immer weiter gemästet wurden, hatte ein Koch einen Geistesblitz und fragte, wie oft ich schon Gast gewesen sei. Er erinnere sich doch, ich war doch schon mal da und Vegalta-Fan. Das stimmte sogar, im März 2011 hatte ich den Laden schon einmal für 1 Stunde betreten. Ich hatte aber nicht damit gerechnet, dass ich so einen Eindruck hinterlasse. Kurzerhand holte er sein Handy raus und gab mit Fotos von Vegalta-Spielern an, welche den Laden schon einmal betreten hatten. Ein wenig neidisch war ich ja schon! Unter vielen Kommentaren des alten Yakuzas und vielen Entschuldigungen seiner Frau, denn er sei ja betrunken, verabschiedete sich unser Paar. dafür hatten wir fürstlich gespeist und nicht einmal zehn Euro für zwei Personen bezahlt. Dabei mussten wir sogar noch die zweite Flasche Sake abwenden, welche uns wohl den Rest gegeben hätte.

Die Ninja ist los

Arg, warum tun mir die Füße so weh? Verfluchtes Eislaufen – ich wusste doch schon immer, dass sich sehr gemeine Menschen diesen ?Sport? ausgedacht haben, besonders welche mit sehr kleinen Schuhen. Egal, die Pflicht ruft und noch sind nicht alle Formulare für die Bewerbung ausgefüllt. Kurzerhand geht es mit dem Rad zur Uni. Glücklicherweise werde ich dort noch als Inventar geführt und habe so ohne Probleme Zugriff auf die Einrichtungen der Germanistik. Zugegeben – es ist nicht so einfach, zwischen all den Japanern seine Gedanken zur Masterarbeit ins Englische zu übersetzen, aber Ausreden gelten nicht. So verbrachte ich den ganzen Tag hier. Bis auf eine Unterbrechung auf jeden Fall. Shimizu, hinterhältig wie immer, fragte nach, ob wir denn nicht in die Mensa gehen wollen. In Anbetracht der Tatsache, dass deutsche Mensen den japanischen nicht das Wasser reichen können – was nicht zuletzt am Agedashi Tofu (einer Art frittiertem Tofu), den es für unter einen Euro gibt, und spottbilligen Udon liegt – sagt ich zu. Wer konnte auch ahnen, dass Shimizu kurz vor der Mensa einfällt, dass er ja akuten Geldmangel hat. Man muss es ihm lassen, das hat er geschickt gemacht, aber ich habe das Geld spät abends wiederbekommen.

Dafür erwarteten mich in der Mensa zwei alte Bekannte. Christian, mit dem ich früher zusammen Geburtstag feierte, da wir am selben Tag hatten, und der ein alter Leidensgenosse aus den Japanischkursen ist und Svetto, ein Bulgare, der der Aufreißer der Uni ist, immer top modisch gekleidet ist und zu meinen Zeiten an jedem Finger eine ?Freundin? hatte. Die Beiden nahmen direkt neben Shimizu und mir Platz und starrten mich zehn Minuten lang ungläubig an, ob ich denn wirklich Reik sei. Diesen Umstand konnten sie sich gar nicht vorstellen. Die Haare verwirren also nicht nur Japaner, sondern auch Europäer. Der restliche Tag verlief aber ruhig, bis Shimizu – als ich gerade die Uni verlassen wollte – mit seiner Ninja (einem Motorrad) auftauchte, um seine Zeche zu bezahlen. Man muss es ihnen lassen, die Japaner bezahlen ihre Rechnungen sofort. Aber es war doch leicht übertrieben, mit dem Motorrad die zehn Minuten zu ihm nach Hause zurückzulegen, aber wenn er meint ?..

Ihr seid Profis

Donnerstagmorgen, kurz nach dem Aufstehen, das Telefon von Orsolya klingelt. Ich sitze am Küchentisch und kann das Gespräch perfekt verstehen. Yusuke ist dran. Mein alter Kumpel aus dem Mafumafu-Cafe hat mittlerweile seine wohlverdiente Beförderung, nicht zuletzt bestimmt aufgrund des Ausscheidens von Thomas bekommen und ist jetzt einer der Manager der Sprachschule und der Nonprofit-Organisation Mafumafu. Was könnte der nur so früh von ihr wollen? Diese Frage klärte sich schnell, als ich auch noch meinen Namen hörte. Ob ich denn noch in Sendai bin und es ist ein Notfall: Wir beide werden am 25. benötigt, um bei einer Weihnachtsfeier für japanische Kinder, die Opfer des Tsunamis wurden, teilzunehmen. Trotz unseres Unwillens (die Feier ist zu einer ungünstigen Zeit und ich wollte an diesem Tag Mayumi treffen), versuchte er alles, um uns ins Gewissen zu reden. Wir sind doch schließlich Profis und wissen, wie man mit Kindern umgehen kann. Nach kurzer Bedenkpause gaben wir auf. Yusuke bedankte sich bei seinen Lebensrettern und mein Terminplan ist wieder mal voller. Wie kommt es eigentlich, dass ich bei jedem Aufenthalt in Sendai gleich zur Arbeit verdonnert werde? Zum Glück sind japanische Kinder aber lustig und insgeheim hoffe ich, dass eventuell einer meiner Jungs aus dem Kidscamp dabei sein wird. Mayumi treffe ich aber trotzdem, ich will ja die Tochter kennenlernen, die gerade geboren wurde.

Nach der Pflicht des Tages, also der Arbeit, verbrachte ich heute den Tag auf dem Skatering. Bewaffnet mit der größten Größe an , die der Laden hatte, welche aber immer noch zu klein waren, und viel Selbstbewusstsein zog ich meine Spuren im Eis. Ehrlich gesagt, gibt mir Eislaufen aber nicht viel, dafür konnte ich so einen perfekten Blick auf die beleuchtete Innenstadt werfen. Mittlerweile hat sich aber herausgestellt, dass das Festival noch als Nachwirkung des Erdbebens nur aus wenigen Buden und den Lichtern besteht. Vor mittlerweile zwei Jahren war das alles noch größer und schöner. Trotzdem finde ich es immer noch beeindruckender und feierlicher, als was uns in Deutschland manchmal vorgesetzt wird.

Kochen und Backen? Kein Problem, ich bin doch Hausmann.

Der heutige Tag fing mit Büro an. Ich hab zwar jetzt die Unterlagen, welche ich für die Bewerbung brauche, aber mein Professor musste auch etwas von seinem Glück erfahren. Wie der Zufall so wollte, traf ich ihn auch gleich im Fahrstuhl. Die Verwaltung hatte ihn gerufen, um ihm mitzuteilen, dass ich mit einem Freund da war und Arbeit wartet. Wieso gerade der Punkt Freund sowohl in der Verwaltung als auch in ihrer Mail an ihn so betont wurde, weiß ich zwar nicht, aber immerhin machen sie ihre Arbeit, wenn auch recht unwillig. Professor Morimoto will sich aber darum kümmern und es sollte alles seinen Weg gehen. Dank meiner Eltern habe ich alle wichtigen Unterlagen von zuhause und dank Frau Habermas ein Empfehlungsschreiben aus Göttingen. Jetzt muss ich nur noch meine Arbeit machen und einen Studienplan und eine Zusammenfassung meiner Masterarbeit auf Englisch schreiben. Es gibt Einfacheres, da es dabei wirklich auf jedes Wort ankommt, aber vor Neujahr will ich es vom Tisch haben.

Ansonsten lebe ich ja im Moment mit zwei Damen zusammen – Orsolya und Tay. Da diese die Freundlichkeit hatten, mich aufzunehmen und mir eine Ecke zum Schlafen zuzuweisen, habe ich heute ein Versprechen wahr gemacht und echte Pizza gemacht und nicht den Pseudo-Pizzaverschnitt der Japaner. Es hat auch beiden sehr geschmeckt, auch wenn ich ehrlich gesagt noch nie mit der Backoption einer Mikrowelle gebacken habe. Lustig wurde es eigentlich danach, denn Tay versuchte, Kekse herzustellen. Natürlich misslang dies und es wurde nach Hilfe gerufen. Ein kurzer Blick später und es war klar, wo das Problem lag: es gab keinen Plätzchenteig, sondern eine klebende Masse. Kurzerhand übernahm ich das Ruder und half beim Backen. Sollte es nicht eigentlich anders herum sein? Egal, ihre Schüler bekommen morgen im Unterricht Kekse und ich muss zugeben, so ein Job als Lehrer an einer japanischen Schule wäre wohl sehr interessant gewesen. Vielleicht hätte ich doch die dafür notwendigen Kurse an der Uni belegen sollen, nur war mir damals nicht klar, dass man in Japan mit ?Deutsch als Fremdsprache? an japanischen Schulen unterrichten kann. Egal, als Historiker bin ich eh besser geeignet und die Lehramtsstudenten würden jetzt eh wieder berichten, dass man ohne die pädagogischen Kurse nicht unterrichten kann.

Alltag

Mhhh – eigentlich brauche ich die Unterlagen für das Stipendium gar nicht, ich bleibe einfach gleich hier! Mit einer Wohnung und meinem alten Büro fühlt sich es gar nicht so an, als ob ich nur kurz zu Gast bin, aber der Reihe nach. Der Eine oder Andere erinnert sich eventuell noch an meine Kämpfe gegen Windmühlen – auch bekannt als die japanische Verwaltung. Nach Punkten führe ich, aber die Japaner versuchen alles, um es spannend zu machen. Vor mehreren Monaten schickte ich Orsolya zum Internationalen Büro der Uni, um Details über das Stipendium zu erfahren. Damals wurde ihr mitgeteilt, dass es reicht, wenn ich im Dezember erscheine und dann alles gemacht wird. Schon der Freitag hat diese Aussagen Lügen gestraft und dass ein internationales Büro kein Englisch kann, begeistert mich auch sehr. Als wir heute hier erschienen, wurden wir gleich empfangen und erkannt. Man wollte mir aber keine Unterlagen schicken, sondern rief meine speziellen Freunde in der Verwaltung der Geisteswissenschaften an, dass diese mir Details besorgen.

Kurzerhand gingen wir also dort rüber und man las uns stur einen Ausdruck aus dem Internet vor, weil man selber nicht mehr wusste. Nun habe ich in relativ kurzer Zeit unendlich viele Formulare zu beschaffen um die Bewerbung noch auf den Weg zu bringen, Dinge die man in den letzten Monaten schon hätte erledigen können. Egal, kurzerhand ging ich hoch ins Büro und arbeitete dort daran. Trotz zweijähriger Abwesenheit werde ich dort noch wie ein Mitglied aufgenommen und kann dort ein- und ausgehen. Es fühlte sich wie früher an. Interessant wurde dabei das Treffen mit meiner alten deutschen Professorin, die es in zwei Sätzen schaffte, sowohl den Osten Deutschlands und Göttingen zu beleidigen, ein Talent, was mich veranlasste, schnell zu verschwinden, ehe ich einen Streit anfange.

Gleichzeitig war heute auch deutscher Tag an der Uni. An den Vorbereitungen dafür habe ich mich dank des Internets auch beteiligen können. Nun ergab es sich, dass die Herren und Damen auf dem Campus standen und Kekse verteilten. Einer der Beteiligten war doch wirklich mein alter Bekannter Endo, ein Student, der in Paderborn ein Austauschjahr gemacht hat und den ich mit anderen Sendaiern in Göttingen empfangen habe und dem ich später auch noch half. Da er unter anderem wegen eines Animes zur Walpurgisnacht wollte, ohne überhaupt zu wissen, was das ist, fragte ich ihn gleich zur Begrüßung, ob er denn da war. Seine Reaktion war aber nicht die Erwartete. Ich dachte, mit dieser Aussage ist nach der ersten Überraschung klar, um wen es sich beim Fragesteller handelt. Dem war aber nicht so, denn Endo verstand die Welt nicht mehr und das Gespräch verlief im Sand. Erst viel später, als ich abends Facebook öffnete, fand ich eine Entschuldigung und ob ich es denn war, mit dem er heute gesprochen hat und ob ich in Japan bin. Offensichtlich hat der neue Haarschnitt wirklich mehr Wirkung, als ich gedacht habe, den Katoh war auch unter den Verteilern und den hab ich vor drei Monaten das letzte Mal gesehen und trotzdem hat er mich nicht erkennen können. Ich glaube, ich werde mir diese Anomalität noch ein wenig zu nutzen machen, vielleicht hat der Haarschnitt ja so etwas Gutes
Am Abend ging es dann Essen in eine Sushibar, gleich neben Orsolyas Wohnung. Sushi in Japan ist sowieso schon dem Deutschen um Welten voraus, selbst im Kaiten, also Fließband. Sushi aber, was dieser Sushimeister auf den Tisch zauberte, war unbeschreiblich. Obwohl wir die normalen Sorten hatten, schmeckte keines der Sushis so wie in den anderen Läden. Das ganze Sushi zerging auf der Zunge und fühlte sich fast wie Sashimi an. Wie wir erfuhren, hatte es uns – als einige der wenigen Ausländer überhaupt – in den Laden des berühmtesten Sushimeisters Sendais verschlagen, bei dem unter anderem die Spieler der Rakuten Eagel ein und aus gehen. Dafür, was für ein Laden es war, waren die Preise noch sehr günstig und wir bekamen sogar noch eine kostenlose Nachspeise. Wenn irgend möglich, muss ich zu dem wieder hin. Ich glaube, ich kann in Deutschland nach dem Besuch kein Sushi mehr essen und ich muss mir deshalb den Geschmack erhalten.

Ohne Rad ist es kein Sendai

Noch immer, zwei Jahre nach dem Verlust, trauere ich. Mein Fahrrad, das gute alte ?Reisender? – nach einer Inschrift, die auf ihm stand – wurde bekanntlich durch Shimizu verloren. Wie sich mittlerweile ergab, wohl durch Shimizus eigenes Verschulden. Wie ich zwischen den Zeilen hörte, hat dieser es wohl im Gedanken, dass es sich um ein einfaches Rad handelt, vor der Tür der Uni stehen lassen, ohne es zu verschließen. Dort fiel es dann jemandem in die Hände. Damit hat Shimizu gleich zwei Fehler gemacht. Erstens handelt es sich nicht um ein normales Rad, sondern um mein Fahrrad und damit eines der besten im Vergleich zu den sonst rumstehenden Schrottmühlen. Und zweitens kann man auf das Anschließen verzichten, wenn der Sattel so hoch ist wie bei mir. In seinem Fall geht es aber nicht so einfach. Egal, was geschehen ist, ist geschehen und ich stehe vor dem Problem, wo ich wieder ein Rad herbekomme. Die gute alte ?Todesfalle?, eigentlich von Fumiyo nur ausgeliehen, steht zwar immer noch vor der Tür, nur sind da beide Reifen platt und all die anderen Fehler würden bei einer Reparatur den Preis eines neuen Mountainbikes von Amazon veranschlagen, selbst wenn ich es alles selber mache. Zum Glück steht ?Kamikaze? direkt daneben. ?Kamikaze?, den Namen verdankt es der Tatsache, dass die Bremsen nicht wollen, Kugellager als nicht wirklich mehr vorhanden gelten müssen und – als Orsolya im Sommer damit gefahren ist – der Reifen nachgab. Das ist aber bei all den Löchern im Mantel kein Wunder. Kurzerhand besorgten wir also neue Bremsen und einen neuen Mantel mit Schlauch und die Großreparatur fing an. Den Titel ?Kamikaze? verdient es zwar weiterhin und wer mich sucht, braucht nur auf die ?Banzai!!!!?-Schreie achten, die meine Umgebung warnen sollen. Aber ich bin wieder mobil. Um diese neue Mobilität zu testen, schnappte ich mir kurzerhand das Rad und es ging auf meine Stammtour nach Izumi. Der Sattel ist zwar viel zu niedrig, aber es wurde eine angenehme Fahrt. Es hat sich zwar im Norden nicht viel geändert, aber es gibt jetzt vermehrt echtes Brot und keine Kuchenmischung, wie ich auf dem Weg feststellen durfte. Auch die Mischung Calpis und Erdbeermilch findet meine vollkommende Zustimmung.

Viel überraschender wurde dafür der Abend. Spät abends entschied ich mich für meine Leibspeise in Japan – Okonomiyaki in meinem Stammlokal. Diese Art Pfannkuchen mit spezieller Sojasoße dürfte den meisten Lesern bekannt sin, denn seit mehreren Jahren verbreite ich diesen göttlichen Geschmack in Deutschland. Mein Stammlokal hatte nun europäische Variationen. Schon die deutsche Edition mit Kartoffeln und Würstchen, ließ mich zusammenzucken. Als wir aber sahen, dass die italienische Fassung wirklich mit Ketchup und geriebenem Parmesan ausgeliefert wird, war es um mich geschehen. Wie kann man eines der genialsten Gerichte der Welt so verstümmeln? Da lobe ich mir meine Hiroshima-Variation, für die ich sogar freiwillig viel Fisch aß. In einer anderen Sache habe ich erfahren, dass meine Freunde aus Brasilien wirklich die Club-WM gewonnen haben, was mich persönlich für meine Mitreisenden aus dem Hinflug freut und die Unterstützerzahl von Rund 20.000 Mitgereisten ist wirklich beachtlich. Hut ab!

Whitening creme

Ok, Japaner sind komisch. Halt, wieso diesmal schon wieder? Nun, ich hab schon Vieles gesehen, aber heute erlebte ich die Demonstration einer Entbräunungscreme. Wie der Name schon sagt, ist ihre Aufgabe das Verhindern und Zurückbilden einer Bräunung. Während in Deutschland Selbstbräuner und Solarien Hochkonjunktur haben, sieht das Bild in Japan etwas anders aus. Mit meiner gepflegten Computerbräune, die ich schon eine Weile nicht mehr habe, wäre ich hier ein Idealbild gewesen. Frauen versuchen alles, um auch den kleinsten Sonnenstrahl auf ihrer Haut zu verhindern. Ich bin ja fast geneigt, sie einfach mal auszuprobieren, um die Reaktion darauf in Deutschland zu sehen, aber jedem das Seine.

Der heutige Tag stand für mich auf jeden Fall im Zeichen der Reparaturen. Was ist besser für eine Mädchen-WG, als einen Kerl zu Gast zu haben? Kurzerhand durfte ich allerhand handwerkliches Geschick zeigen und fühlte mich schon ein wenig ans Studentendorf erinnert. Nachdem dies erledigt war, ging es in die Innenstadt zum Essen. Ziel war es, ins Kino zu gehen. Das letzte Mal war ich 2010 mit Kanayo, David und Orsolya im Kino. Heute bot es sich gerade an, da ich in meinem Stamm-Udon-Laden Essen war, ging es danach in den James Bond. Der Film an sich war sogar richtig gut und eine Empfehlung für alle, die solche Filme mögen, nur den Bonddarsteller selber finde ich unpassend. Das Highlight waren aber die japanischen Untertitel. Der Film selber war im Original, aber mit Kanjis untertitelt. Wider Erwarten waren meine Kenntnisse gar nicht so schlecht und ich verstand vieles davon. Die Japaner erhielten eine andere Handlung als die Amerikaner serviert. Ok, das mag übertrieben sein, doch gab es schon starke Abweichungen, wie sie mir noch nie untergekommen sind. Dafür war das Kino klein und gemütlich und ich fühlte mich an das alte Scala in Magdeburg erinnert.