Es gibt Menschen, die bekommen einen Nervenzusammenbruch, wenn nicht alles genau durchgeplant ist. Andere können sich tierisch über Menschen aufregen, die alles kurzfristig entscheiden. Dennis und ich dagegen gehören im Urlaub wohl zur dritten Sorte. Wir lassen alles auf uns zukommen und entscheiden operativ. Im Laufe der letzten Tage hatten wir beschlossen, noch einmal eine echte Ryokan, also ein japanisches Hotel, aufzusuchen. Kurzerhand suchten wir eine Ryokan in Sapporo auf und bekamen auch ein sehr günstiges Angebot, welches wir annahmen. Heute früh war es dann soweit und der Umzug konnte beginnen. Das Hotel wird von einer Familie betrieben, welche sich wirklich sehr um uns bemühte und schon beim Check In zeigte, dass man uns willkommen heißt.
Nach diesen Formalitäten ging es sofort zum Bahnhof. Ziel der heutigen Reise sollte Furano werden. Furano ist eine kleine Stadt in der Mitte der Insel Hokkaido, die durch den Wintersport und im Sommer durch die Lavendelfelder bekannt ist. Die Tickets waren besorgt und die Reiseführer berichteten von strahlend blauen Feldern auf den Weg in die Stadt. Zum Glück hatten wir noch etwas Zeit und besuchten die Touristeninformation, um noch einige Tipps zu Furano zu bekommen. Dort erfuhren wir, dass das Internet und die Führer gelogen hatten. Entgegen anderslautender Aussagen blühen die Lavendelfelder nur bis etwa zur ersten Augustwoche, wir wären also umsonst gefahren.
Kein Problem für uns, kurzerhand ließen wir die Tickets, wie nicht zum ersten Mal auf dieser Reise, verfallen und besorgten uns einen Alternativplan. Per Shinkansen ging es nach Toya, einer kleinen Onsenstadt im südlichen Hokkaido, welche zu einem Nationalpark mit dem gleichen Namen gehört. Toya ist eine kleine Stadt mit einem großen See und heißen Quellen. Der Tourismus erhält die Stadt am Leben, gleichzeitig muss sie aber auch ein großes Opfer für diesen bringen. Onsen entstehen zumeist in vulkanischen Gebieten. Die heiße Quelle, die die Stadt mit Wasser versorgt, stammt aus einem Vulkanausbruch Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. In den Siebzigern und im Jahr 2000 erfolgten erneute Vulkanausbrüche mit Magmaströmen, welche die Stadt in Teilen zerstörten. Die Menschen in diesem Gebiet müssen also immer in Angst vor einer neuen Katastrophe leben und haben gleichzeitig eine Vielzahl an Gegenmaßnahmen getroffen. Diese Gegenmaßnamen und die Schäden der letzten beiden Erdbeben besichtigten wir heute.
In dem Gebiet der heutigen Präventionsmaßnahmen hat die Stadt Toya drei Gebäude stehen lassen, welche von der Zerstörungskraft der Natur zeugen. Auf den ersten Blick erscheinen diese Gebäude, wie sie in Großstädten häufig aufzufinden sind, verlassen und durch Vandalismus zerstört. Schaut man näher hin sieht man, dass teilweise ganze Etagen durch die Ströme begraben und bis heute nicht freigelegt wurden. Eine ganze Brücke ist deshalb auch genau über dem Erdboden zu sehen. Folgt man dem Gebiet weiter, fühlt man sich in einen Endzeitfilm versetzt. Zerstörte Überreste der Zivilisation sind an vielen Ecken zu sehen, wurden aber durch das rapide Wiedererblühen der Natur nach einem Erdbeben von dieser eingenommen. Ein seltsames Gefühl beschleicht einen, wenn man die Bilder sieht und sich vorstellt, dass der Weg vor nicht ganz 12 Jahren noch von Magma bedeckt war. Die Schutzmaßnahmen, welche man auf dem Weg zu den Kratern der Ausbrüche erklimmen muss, sind in ihren Ausmaßen imposant und erschweren neben der aufblühenden Natur für den Wanderer den Weg. Um die Maßnahmen nicht zu beschädigen ist der Wanderer gezwungen, die beschwerlichsten und teilweise abstrusesten Wege zu nehmen, um weiter voran zu kommen. Bei den Temperaturen und unseren Sandaletten war das nicht immer das leichteste Unterfangen. Im Endeffekt hat es sich aber vollkommen gelohnt. Neben spektakulären Naturbildern, denen Fotos nie gerecht werden können, sahen wir auch mehrere Krater, denen man die Gewalt des Ausbruches ansah. Man wundert sich aber trotzdem, welche Zerstörung so ein verhältnismäßig kleines Loch, was nicht größer als manch ein Dorfteich ist, anrichten kann.
Nach der langen Wanderung durch den ersten Rundkurs um die neuen Ausbruchstellen, entschieden wir uns nach einer kurzen Erholung, noch dem zweiten Weg zu folgen. Nach etwas mehr als 2 Kilometern, in denen es in scheinbar fast unberührter Natur nur den Berg hinauf ging, mussten wir diesen Weg aber aufgeben, da man von den angekündigten Kratern des Erdbebens Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts rein gar nichts mehr sah. Die Krater machten eher den Anschein von Urwäldern als von Kratern, wie man sie sich eigentlich vorstellt. In diesem Zusammenhang ist die Natur wirklich imposant. Nach der Rückkehr von dieser Strecke mussten wir erst einmal unserem neuen Lieblingshobby frönen und ein Fußbad in einer heißen Quelle nehmen, wie es vielerorts in Toya bereitsteht. Wieder war es entspannend, mit dem Vulkansee vor einigen Tagen konnte es aber nicht mithalten. Wir fragten uns aber die ganze Zeit, ob wir mittlerweile so alt geworden sind, dass wir schon Fußbäder gutheißen. So etwas wäre uns früher nicht passiert, aber wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten. Nach der Rückkehr ging es nur noch kurz zum Essen und dann in unser Hotel.
Trotz unserer späten Rückkehr standen 3 Leute bereit, um sich um uns zu kümmern. Uns wurde Tee mit einer Süßigkeit als Willkommensgruß geschickt, die Yukatas wurden gereicht und der Weg zum öffentlichen Bad gezeigt, welches wir auch gleich ausnutzten. Das Bad ist zwar klein und ich stieß sogar oben an die Decke, aber wer in Japan ist, sollte dies auf jeden Fall nutzen. Das kann dann aber auch zum Kulturschock der Japaner werden, wie in unserem Fall. Ein Jugendlicher erwartete, dass er dort seinen Vater antreffen würde. Sein Blick war göttlich, als auf einmal zwei Ausländer in Yukata vor ihm standen. Der junge Mann hat auf jeden Fall seinen Freunden einiges zu berichten.
Morgen gibt es dann japanisches Frühstück und dann geht es zu Orsolya nach Sendai. Dennis möchte ja unbedingt wieder arbeiten, wobei von möchten kann keine Rede sein. Dem Vernehmen nach gefällt es ihm sehr gut hier und er würde es bestimmt noch eine Weile hier aushalten. Aber der Ernst des Lebens ruft bekanntlich.