Straßenverkehrsprobleme

Japaner und Fahrradfahren, das ist sowieso so eine Sache. Regeln gibt es nicht, links vor rechts schon gar nicht und aus Prinzip ist man ja sowieso stärker als jeder andere. Frei nach diesem Motto, hat heute jemand mit Regenschirm in der Hand versucht, wer stärker ist – er oder ich. Geeinigt haben wir uns auf ein Unentschieden, indem wir beide zu Boden gekracht sind. Mein Bein tut zwar etwas weh, aber chaotische Fahrer kenne ich ja auch schon aus Göttingen. Dass mein Netbook dazu auch noch Probleme macht, hat mich dann doch schon eher getroffen. Es ist zwar nicht so, als ob ich nicht im Notfall auch ohne überleben könnte, ich habe mich aber schon ziemlich dran gewöhnt. Aber diese kleineren Rückschläge treffen mich nicht. Schließlich gibt es einen Japaner, auf den ich ich immer zählen kann, um mich aufzubauen. Dabei kann es sich natürlich nur um Shimizu handeln.

Heute hat er mir das Wichtigste jeder Sprache beigebracht, das Fluchen. Nicht, dass ich das nicht auch so hin bekommen hätte, Tipps eines Erfahrenen helfen aber immer weiter. Aber auch ansonsten war er wie immer gut drauf und er schafft es auch immer, mich in die Gruppe zu integrieren. Wenn ich nicht wüsste, dass Kaori als meine Tutorin bezahlt wird, ich würde auf ihn tippen. Nach Deutschland muss er aber auf jeden Fall mal kommen. Kein Japaner traut den Süßigkeiten, die ich regelmäßig auf den Tisch schmeiße über den Weg, aber einer haut immer wie das Böse rein. Ich glaube, wenn Yamaya mehr deutsche Süßigkeiten hätte, er wäre Stammgast. Nebenbei hat unser Gedicht ihn bei seinem Prof zum Star gemacht. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit muss darauf verwiesen werden und darauf, wie sehr ich dem Büro doch helfe, das Level zu steigern. Neben dem obligatorischen Musikaustausch, ging es heute besonders um ein Thema, die motorisierten Untersätze. Dabei fiel etwas Ungewöhnliches auf. Stehen japanische Autos bei uns in dem Ruf, typisch Japanisch zu sein, konnte heute niemand im Büro etwas mit meinem Auto anfangen, obwohl es sich ja eigentlich um einen Nissan handelt. Wie es aussieht, handelt es sich bei den europäischen japanischen Auto um Sonderanfertigungen, die nur für den Weltmarkt gedacht sind. Verwunderlich ist das nicht, beachtet man den japanischen Automarkt. Besonders kleine Kastenwagen sind beliebt und werden oft genutzt. Daneben gibt es nur wirkliche Kleinwagen oder protzige Limousinen. Autos in der Größe eines Almeras sind gar nicht vorhanden. Die Diskrepanz zwischen japanischen Automodellen und den Autos auf dem Weltmarkt ist aber schon erschreckend. Mal sollte ja meinen, dass Firmen gewisse Designmerkmale immer verwenden. Aber die Autos, die hergestellt werden, sind wirklich zu hundert Prozent unterschiedlich. Autofahren in Japan würde ich aber auch nicht wollen. Die Bus- und Taxifahrer fahren wie Verrückte und die Autofahrer ignorieren alle jemals vorhandenen Regeln. Beim Thema Auto konnte ich die anderen aber neidisch machen. Dass ich schon einmal beim freien Training vom Porschecup dabei war, sorgte für Überraschung. Als ich aber bei anderer Gelegenheit noch das Besichtigen der Tour de France erwähnte, war es ganz geschehen. Diese Art von Veranstaltungen haben hier einen besonderen Ruf. Autorennen sind sowieso etwas Besonderes, aber Radrennen sind noch viel beliebter. Die Tour hat dann aber noch so einen Nimbus, dass wirklich jeder sie kennt. Angeblich hat ein Anime wohl noch mal dazu beigetragen, die Wertschätzung dieses Rennens zu steigern, aber genau habe ich Shimizu da nicht verstanden. Allgemein, was hier als reales Event in einem Anime oder Manga erwähnt wird, steigert das Ansehen dieses Events hier in Japan gleich ins Unermessliche.

Arbeiten im Büro

Wir haben gebetet, gefleht und gehofft, aber wie es aussieht, hat es uns jetzt doch erwischt: Die Regenzeit ist angeblich losgegangen. Genau so sah es heute auch aus, wobei zum Glück der Regen nur Nieselregen war. Dementsprechend sinnvoll war es heute auch, den Tag im Büro zu verbringen. Vorher galt es aber noch, Grammatik bei Frau Abe zu absolvieren. Ich bleibe dabei, an der Frau ist eine Schauspielerin oder eine Künstlerin verloren gegangen. Sie liebt es, uns Sachen an die Tafel zu malen, wenn auch nur für 2-Minuten- Aufgaben, das spielt bei ihr gar keine Rolle. Auch das Schauspielern bei den Erklärungen hilft eindeutig, das Verständnis zu verbessern. Anschließend ging es ins Büro. Meine momentane Hauptbeschäftigung, neben bei den Hausaufgaben helfen, liegt ganz klar im Lernen. Demotivierend ist es aber schon, wenn man Kanjis lernt und neben einem sechs Japaner ihre Fähigkeiten beim Mangas-Zeichnen gegeneinander messen. Trotzdem musste ich Shimizu erst mal über die deutsche Nationalhymne aufklären. Wer gibt auch seinen armen Studenten einen Text mit einer gereimten Parodie auf die Nationalhymne? Egal, die Aufgabe konnten sie jetzt wenigstens anständig lösen.

Plötzlich fand Rieko mich. Die junge Dame, die in einem Monat für fünf Wochen nach Deutschland geht. Da sie Deutsch versteht und sehr an dem Grund meines Hierseins interessiert war, habe ich ihr erst mal einen Vortrag über meine Forschungen gehalten und sie ein wenig ausgehorcht. Dafür, dass sie nur ganz kurz etwas aus unserem Büro haben wollte, war sie so noch locker eine Stunde mit Fragen beantworten und Brainstorming beschäftigt. Ansonsten merkte man eindeutig, dass heute die Nationalmannschaft spielte. Die Japaner hielt es kaum im Büro und auch in der Stadt gab es ein übergroßes Polizei- und Menschen in blauen Trikots Aufkommen. Dies sorgte aber auch dafür, dass ich aus dem Büro flog. Ich brauche wirklich langsam mal einen Schlüssel, damit ich bleiben kann, wenn alle anderen gehen. Dies nutzte ich, um einige Informationen bei einem Elektromarkt, etwas außerhalb der Stadt, einzuholen. Dass er so außerhalb der Stadt lag und ich über eine Stunde bis dort hin brauchte, hatte ich zwar nicht einkalkuliert, ich hatte aber Zeit. Nur der Nieselregen hat die Fahrt nicht gerade angenehmer gemacht. Hoffen wir mal, dass die Regenzeit wirklich nur bis Mitte/Ende Juli bleibt.

Beobachtungen auf den Straßen von Miyagi

Das Wetter in Japan wird immer schlimmer. Also nicht in der Art und Weise, dass die Regenzeit anfängt, nein die Luft wird immer trockener und selbst bei offenem Fenster ist es ohne Klimaanlage nicht mehr auszuhalten. Für die Studenten im Internationalen Haus ist der Zustand besonders schlimm. Viele klagen über Schlafstörungen und andere Leiden. Ich habe dagegen für den Notfall ja immer noch meine Klimaanlage. Bevorzugt setze ich mich aber aufs Rad und erfreue mich an dem kühlen Luftzug. Aus diesem Grund ging es heute mal wieder raus auf die Straße und dorthin, wohin mein nicht vorhandener Orientierungssinn mich leitet. Frei nach meinem Großvater: Hauptsache, die Richtung stimmt.

Dementsprechend verirrte ich mich auf die Dörfer im Nordosten der Stadt. Ich konnte dabei klare Unterschiede zum ländlichen Gebiet Deutschlands feststellen. Eine Flucht auf das Land, wie in den neunziger Jahren in Ostdeutschland, scheint es hier nicht gegeben zu haben. Eher verlassen die jungen Japaner die Dörfer in Richtung Stadt und kehren frühstens im Rentenalter zurück. Das erkennt man auch an den Dörfern. Sie sind ziemlich klein und selbst zu späterer Stunde sind kaum junge Menschen zu sehen. Nun könnte man argumentieren, dass die Jüngeren arbeiten und deshalb erst spät nach Hause kommen. Aber auch die Häuser zeigen davon keine Anzeichen. Wenn die Leute nicht alle mit dem Bus zur Arbeit fahren, scheint der Mangel an Parkmöglichkeiten gegen diese Möglichkeit zu sprechen. Als ich das Thema heute mit Nobu besprach, pflichtete er meinen Beobachtungen bei. Auffällig ist auch das soziale Gefälle auf dem Dörfern. Es gibt nur zwei Haustypen. Alte Häuser im schlechten Zustand und absolut neu renovierte. Nobu erklärte mir, dass die neu renovierten Häuser meist von Rentnern sind, die nach Arbeitsende aus Verbundenheit zurückkehren und das Haus der Familie in Schuss bringen.

Trotzdem ist es schön zu sehen, dass man nicht unbedingt mit dem Zug fahren muss, um eine absolute Umkehr von dem Lärm und Trubel einer Millionenstadt wie Sendai zu erleben. Schlecht war nur der Regen, der fünf Minuten vor meiner Heimkehr einsetzten musste. Besonders, da ich meiner Finnin noch das Rad reparieren wollte. Aber von kleinen Widrigkeiten lässt sich der Reik ja nicht abbringen. In diesem Fall wird halt improvisiert. So ging es schnell in den 100 Yen Shop und es wurde ein Reifenflickspray gekauft. Ob das hält, werde ich zwar erst morgen erfahren, aber immerhin ist es weniger Arbeit und bei derartigen Schauern eindeutig vorzuziehen.

Achtelfinale

Wir schreiben das Jahr 2010, die ganze Welt ist der Fußball Weltmeisterschaft verfallen. Die ganze Welt? Nein, ein großer Ausländer im kleinen Japan, weigert sich standhaft, sich zu unterwerfen.

Leider ist das Ganze nicht so einfach, wie man sich das vorstellt. Dank meiner Bekanntschaften vom gestrigen Tag, galt es heute, sich das Spiel der Deutschen gegen England anzuschauen. Eigentlich war dies in einer großen Runde vorgesehen. Mehrere von Melanies Freunden waren genau so angemeldet, wie alle Vertreter der Deutschen in Sanjo, die Bewohner der Unit 4/3 und selbst Orsolya hatte ihr Kommen angekündigt. Leider kristallisierte sich im Laufe des Tages heraus, dass der leichte Nieselregen immer heftiger wurde. Zwar schaffte ich es, mit Orsolya etwas durch die Stadt zu ziehen, aber wirklich angenehm war das nicht. Dafür nervten die Japaner fast mit ihrer Zuvorkommenheit. Ich erklärte einem Japaner auf Japanisch, was ich will. Dieser rannte zum Telefon und forderte eine Englisch sprechende Kollegin an – nur, um im Anschluss zu bemerken, dass ich ja eigentlich Japanisch mit ihm gesprochen hatte. Also erklärte er mir schon ein wenig und die ansprintende Kollegin war eigentlich überflüssig. Wenn dies einmal passieren würde, hätte ich ja noch Verständnis. Dieses Schauspiel passierte mir aber häufiger, so dass es langsam anfing zu nerven.

Später, gegen Abend, sollte es dann endlich zum Treffpunkt gehen. Leider sagten alle angemeldeten Leute einfach fünf Minuten vor dem Losgehen ab. Immerhin konnte Moritz noch Kylie, unsere Australierin, rekrutieren. Also ging es gemeinsam, im strömenden Regen, in die Stadt. Was soll ich sagen? So lange habe ich noch nie in die Stadt gebraucht. Moritz hat kein Fahrrad, also ging es zu Fuß los. Einen Regenschirm hatte er natürlich auch nicht, so dass Kylie ihn unter ihren Schirm zog und sie Arm in Arm und heftig flirtend in Richtung Innenstadt zogen. Ein von mir spendiertes Eis wurde dann sogar durch gegenseitiges Füttern verdrückt. An sich überhaupt kein Problem und sogar zu begrüßen, leider verlangsamte das die Beiden noch um so mehr und Melanie wartete schon. Im Endeffekt rannte ich vor, um sie nicht noch mehr warten zu lassen und die beiden hätten noch beinahe den Anpfiff verpasst. Nachdem wir noch kurz mit meiner Tutorin gesprochen hatten (Notiz an mich: Diese Stadt ist zu klein, aber wenigstens hat mir mal endlich einer bestätigt, das sie wie ein Kind aussieht.) ging es endlich in eine Kneipe. Es handelte sich um die Kneipe eines Engländers, die ziemlich klein und eng ist. Diese Enge trägt aber auch zum Flair der Kneipe bei. Da der Besitzer Engländer war, stand ich vor dem Problem, welches der beiden Übel ich jetzt anfeuern sollte. Als erprobter Brasilien-Anfeurer im Deutschen Weinzelt 2002, entschied ich mich für die Deutschen. Immer schön das Gegenteil der Mehrheit auswählen. Wir bildeten zu dritt den Gegenpool zu den restlichen Kneipenbesucher. Kylie zog es vor, neutral zu bleiben. Das Spiel der Engländer führte aber ab dem 4:1 zu kuriosen Szenen. Engländer fingen an, Deutschland anzufeuern und wir mussten nach Aufforderung des Kneipenbesitzers eine kleine Deutschlandfahne prominent unterm Fernseher platzieren. Insgesamt war es eine feucht-fröhliche Runde und eine sehr entspannte Atmosphäre. Ich werde bestimmt nicht zum letzten Mal in der Kneipe gesessen haben. Schwer war es nur für Giovanni, einem Kumpel aus dem Sprachkurs. Der musste das erneute Ausscheiden eines Italieners mit anschauen. Gleichzeitig habe ich mit ihm, im Trikot des besten Teams der Welt (wenn es auch gerade unter seinem eigentlichen Level spielt), eine kleine Geschichtsstunde über das Pokal der Pokalsieger-Finale gehalten. Der Name Seguin, als Torschütze, ist heute noch in Milan bekannt. Wobei ich das Trikot nicht freiwillig an hatte. Melanie bestand aber darauf, dass ich wenigstens etwas Deutsches an habe und das Trikot wurde von ihr als solcher Gegenstand angesehen. Mir bleibt jetzt nur zu hoffen, dass Deutschland Argentinien besiegt und wir so noch einmal eine derartige Party machen können. Gegen Argentinien ist Melanie nämlich leider nicht in Sendai.

Midsommar in Japan

Viele Betrunkene, ein Krankenhausfall und einige aufgrund europäischer Feiergewohnheiten verschreckte Japaner -> eindeutig eine erfolgreiche Feier! Heute war es an der Zeit, ein sehr wichtiges Fest der Schweden zu feiern, den Mittsommer. Zu diesem Zweck zogen knapp 100 Ausländer und Japaner zum Flussbett und verbrachten den kompletten Nachmittag bei Gegrilltem, vielen Gesprächen und schwedischen Spezialitäten. Organisiert wurde das Ganze von einigen Schweden, die zum Großteil erst mit uns hier her gekommen waren. Es waren aber auch Schweden dabei, die schon länger in Sendai sind. Dadurch ergab sich die Möglichkeit, neben den üblichen Verdächtigen wie den Deutschen, Watanabe-San, Unit 4.3 und den ganzen Intensiv-Japanisch-Kurslern aus dem Internationalen Haus, auch mal ältere Ausländer näher kennen zu lernen. Es entwickelte sich eine sehr lustige Party mit schwedischen Tänzen, Brennball und schwedischem Alkohol. Besonders die schwedischen Tänze hatten es mir aber angetan. Es wurde gemeinsam um einen Pfahl getanzt. Mit ein wenig Feuer, hätten wir jeder Teufelsbeschwörung Konkurrenz machen können!

Auch ansonsten erwies sich der Tag als sehr erfolgreich. Angeregt durch deutsche Gespräche zwischen Moritz und mir, gaben sich zwei weitere Deutsche zu erkennen. Einmal eine sehr sympathische Studentin aus Saarbrücken und einmal, zu meiner sehr großen Überraschung, eine Studentin aus Göttingen. Von deren Existenz hatte ich zwar schon gehört, doch waren meine letzten Informationen eigentlich, dass sie mittlerweile schon wieder zurück sein sollte. Offensichtlich stimmten meine Informationen nicht ganz, aber egal. Auch ansonsten gab es einige Gesprächspartner. Einige Japaner nahmen die Chance war, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Unter anderem eine Studentin, die europäische Philosophie studiert. Sie befragte mich zu Nietzsche und Co. Das ist zwar nicht gerade mein Fachgebiet, um Antworten war ich trotzdem nicht verlegen. Auf dem Nachhauseweg zerstörte einer der Veranstalter noch aus Versehen ein Türfenster und musste dank der Verletzung im Krankenhaus getackert werden. Auch ansonsten waren die Anwesenden nach der Feier ganz schön breit. Die im internationalen Wohnheim stattfindende Geburtstagsfeier eines Studenten, wurde dann aber doch noch von den gleichen Personen stärker frequentiert. Diese Feier konnte ich dann auch gleich noch nutzen, im Gespräch mit einer Russin meine Russisch-Kenntnisse aufzupolieren. Dafür hätte ich zwar nicht nach Japan kommen müssen, das Gespräch war trotzdem sehr aufschlussreich. Morgen treffen wir dann die zwei neu kennengelernten Deutschen und unternehmen ein wenig zusammen.

Der Zeitungsstar und japanische Steuerelemente

Man sollte meinen, man gewöhnt sich mit der Zeit an alles in Japan, aber dafür muss man meines Erachtens schon ganz schön lange hier im Land wohnen. So bin ich zum Beispiel ohne mein Wissen in einer örtlichen Zeitung abgebildet. Diese veröffentlichte einen Artikel zur Begrüßungsvorlesung, wo ich gerade mit meinem Nachbar spreche. Das hinterlässt auf jeden Fall einen sehr guten Eindruck. Ich glaube, ich sollte mit Laura dringend mal verhandeln, diesen Artikel auch in die Hand zu bekommen.

Schon der Toilettengang auf dem Campus führte zu größeren Problemen. Aufgrund der Unleserlichkeit, ignoriere ich etwaige Schalttafeln für die Toiletten aus Prinzip. Als ich aber heute keinen Schalter zum Ziehen fand, musste ich überrascht feststellen, dass dieser ebenfalls im Schaltpult der Toilette eingebaut war. Diese Sache ist aber auch zu beliebt. Betritt man einige der moderneren Hörsäle, fühlt man sich wie in Star Trek versetzt. Schon am Eingang befinden sich die großen Schalttafeln für die Klimaanlagen. Wenn man dann zum Professoren-Tisch weitergeht, gibt es gleich das nächste Eingabefeld. In tausenden Menüs kann man alles einstellen, was den Raum betrifft. Wenn ich mir dagegen die Technikbegeisterung einiger Professoren in Deutschland anschaue, die würden hier vermutlich komplett untergehen.

Aber nicht nur die Uni ist komisch. Heute ging ich ein wenig durch die Stadt, um Kleinigkeiten einzukaufen. Da stieß ich auf zwei als Samurai verkleidete Gestalten, die gegeneinander kämpften. Wieso der überfüllte Sendai-Hauptbahnhof für diese Szene herhalten musste, konnte sich mir zwar nicht erschließen. Auf jeden Fall filmte das Fernsehen dieses Schauspiel. Ansonsten verlief der Tag heute sehr ruhig. Kanji-lernen, 3 Uhr am Morgen den Sieg Japans und die dazugehörigen Feiern mit verfolgen und natürlich am Abend das Brasilien-Match. Dieses schauten wir in einer großen Gruppe mit vielen Süd-Amerikanern an. Diese gingen auch richtig mit und man konnte so einige Schimpfwörter auf Spanisch und Portugiesisch lernen. Anschließend gingen Moritz und ich noch zwei Stunden spazieren, über Gott und die Welt plaudernd. Erst der Sonnenaufgang konnte uns überzeugen, den Rückweg anzutreten. Schließlich muss ich morgen fit sein, für das schwedische Mitsommerfest.

Reik und die Tänze

Langsam brauche ich wirklich einen Kalender, um mit den Veranstaltungen, die in Sendai stattfinden, mithalten zu können. Wer erwartet auch mitten in der Woche ein Fest zu Ehren eines traditionell japanischen Tanzes? Ich jedenfalls nicht! Um so überraschter war ich, als ich nach einem langen Tag in der Uni am Festplatz vorbei kam und Musik vernahm. O.k., eigentlich wollte ich nur nach Hause. Der Tag war lang, voller Lernerei, Nachfragen nach dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft und dazu war es auch noch viel zu heiß. Aber egal, das Ganze ist nörgeln auf hohem Niveau. Das Japanisch-Lernen ist dringend notwendig und nur etwas nervig, weil nach knapp 10 Stunden Japanisch am Stück, mein Kopf leicht gestreikt hat. Und an die Hitze gewöhne ich mich auch so langsam. Alles in allem entschied ich mich dazu, das Fest etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Es war auf jeden Fall relativ klein und es gab einen Liveauftritt, der von Bildern von Geishas untermalt wurde. Der Tanz selber war nicht gerade ideal für meine Kopfschmerzen, aber auf jeden Fall außergewöhnlich. Bei Asterix und Obelix würde es wohl heißen: „Die spinnen, die Japaner.“

9 Japaner tanzten um eine Flamme herum, das an sich war noch nicht außergewöhnlich. Zu den standardmäßigen Kimonos hatten sie aber entweder Hüte oder Kappen auf, die das komplette Sichtfeld verdeckten. Die Hüte waren so zusammen gebogen, das sie nur ein ganz schmales Sichtfeld für den Tänzer boten und die Kappen hätten jedem Terroristen gut zu Gesicht gestanden. Sie verdeckten das komplette Gesicht, bis auf zwei minimale Augenlöcher. Dazu bewegten sich die Tänzer zu einer tranceartigen Musik, die immer die selben Worte wiederholte, um das Feuer und um die eigene Achse. Garniert wurde das Ganze mit langsamen Bewegungen, die an Tai Chi oder ähnliche Sportarten erinnerten. Das Ganze fand immerhin zehn Minuten am Stück statt. Für einen Europäer wie mich, sah das auf jeden Fall seltsam aus, was nicht zuletzt an der Musik lag. Eine gewisse Anmut und Besonderheit, kann ich dem Tanz trotzdem auf jeden Fall nicht absprechen. Vielleicht sollte ich mal mit Orsolya reden, wozu ich Walzer brauche, wenn ich diesen Tanz lernen kann. Das Nachschauen hat sich auf jeden Fall gelohnt und ich habe ein neues Stück japanische Kultur kennengelernt. Dass solche Veranstaltungen aber auch mitten in der Woche stattfinden, baut mich ungemein auf. Nur muss ich morgen unbedingt mal in der Touristeninformation nachfragen, ob ich nicht wirklich einen Plan der Events bekommen kann. Der Platz ist auf meinem Weg nach Hause leider so abgelegen, dass ich nicht wissen möchte, was ich schon für Veranstaltungen verpasst habe.

Das japanische Universitätssystem

Wer erinnert sich als Göttinger Student nicht liebend gerne an die guten alten Evaluationsbögen, die am Ende des Semesters bei uns die Runde machen. Genau! Fragen wie: Bewerten sie den Aufwand des Seminars in Relation zu den erhaltenden Punkten!, sorgen für die Erheiterung der Studenten und laute Würfelgeräusche, wenn man sich die zu vergebende Punktzahl ausdenkt. Transparent ist die Auswertung auch nicht und echte Probleme können nicht wirklich angesprochen werden. Für den Studenten stellt sich die Situation deshalb in etwa wie folgt dar: Vom auswertenden Amt, bekommt der Professor eine Auswertung aller Fragebögen und kann daraus nichts ersehen und schon gar nichts ändern. Für die Studenten auf der anderen Seite gibt es auch keine Handhabe, irgend etwas an nicht optimalen Seminaren zu ändern, wenn der Professor ausnahmsweise mal uneinsichtig ist. Heute habe ich von der deutschen Professorin hier in Sendai einmal Einblick in die allgemeine Situation in Japan bekommen. Die Evaluationsbögen machen hier auch die Runde und bestehen immerhin aus knapp dreißig Punkten. Die Auswertung wird im Anschluss ins Internet gestellt und ist für jeden einsehbar. Sollten sich bei der Bewertung Probleme ergeben, ist der Professor verpflichtet, im Internet Verbesserungsvorschläge zu machen, wie er derartige Probleme im nächsten Semester aus dem Weg räumen kann. Diese werden auch online angezeigt. Sollte er wider Erwarten dieses Problem auf dem nächsten Bewertungsbogen wieder haben, muss er schon langsam um seine Anstellung bangen. Welches System jetzt besser ist, sei dahingestellt. Die Wahrheit liegt vermutlich, wie immer, in der Mitte.

Ansonsten habe ich heute die meiste Zeit des Tages im Büro oder beim Kanji-Lernen verbracht. Eine sinnvolle Beschäftigung bei dem Nieselregen des Tages. Durch meine Kollegen hatte ich auch das erste Mal die Möglichkeit, einem Kolloquium der deutschen Literatur zu folgen. Ich muss sagen, ich bleibe dabei: Ich bin falsch hier. Also, für das Besprochene konnte ich mich nicht so recht begeistern, aber immerhin habe ich sechzig Prozent des Vortrages verstanden. Das war aufgrund der Fülle an Fachwörtern auf Japanisch schon nicht schlecht. Trotzdem verwunderte mich das Kolloquium etwas. Es wurde weder geklatscht, noch wurden wirklich freundliche Worte für die Vortragende gefunden. Dieser Zustand soll sich wohl auch durch die Uni hindurch ziehen, wie mir einige andere Ausländer berichteten. Auch die Präsentationsart gefiel mir nicht sonderlich. Sitzend, am Blatt klebend und eine überfüllte PowerPoint-Präsentation sorgten nicht gerade dafür, das Ganze spannender zu machen. Meine Professorin berichtete mir aber später, dass der Einsatz von PowerPoint hier noch etwas komplett Neues ist. Deshalb kann man über diese Fehler hinweg sehen. Trotz aller Langeweile, werde ich wohl öfter mal bei den Kolloquien vorbei schauen, da es kaum eine bessere Möglichkeit gibt, die Sprache zu lernen. Dass es für mich uninteressant war, lag auch eher an der Tatsache, dass es halt nicht mein Fach ist und mich der Vergleich zweier deutscher Schriftsteller und dann noch sehr oberflächlich, nicht so sehr interessiert. Vielleicht wird nebenbei ja in den nächsten Kolloquien auch mal diskutiert, nachdem in Geschichtsseminaren nur der Professor sprach und alle ruhig waren. Selbst heute, hätte ich der Meinung eines Fragestellers gerne widersprochen, aber da ich das erste Mal da war und die anderen es zwar auch komisch fanden, aber nichts sagten, habe ich mich lieber zurück gehalten.

On the road again!

Nach meinem gestrigen Kurztrip war für den heutigen Tag Entspannung angesagt, schließlich war ein Uni-Jubiläum und damit frei. O.k., Entspannung… Entspannung ….., mhhh wie funktionierte das nochmal? Ach egal, wer rastet, der rostet. Frei nach diesem Motto beschloss ich, mein Fahrrad zu besteigen und den Ozean zu sehen. Ich bin immerhin schon fast drei Monate hier und habe ihn erst einmal, beim Hinflug, gesehen. Diesen Zustand kann ich natürlich nicht bestehen lassen. Leider musste ich diesen Trip aber alleine in Angriff nehmen. Zwar konnte ich einige Leute für das Ziel Strand begeistern, aber Zeit hatte trotzdem keiner. Ob es an meinem Trip von gestern lag oder an den Nachwehen von Orsolyas Geburtstagsfeier, konnte ich leider nicht verifizieren. Aber natürlich stellt das Alleinfahren für mich kein Hindernis dar. Mehr noch, es gibt mir sogar mehr Freiheiten an die Hand. Weder muss ich auf die Zeit achten noch einen bestimmten Weg fahren. Und ich kann überall halten, wo ich es möchte. Dementsprechend begab ich mich auf den Weg, bewaffnet mit einer Karte Sendais auf Japanisch und einer groben Idee, wo ich den Ozean finde.

Es kam, wie es kommen musste: Schon nach einer halben Stunde wusste ich nicht mehr, wo ich mich eigentlich befinde. Ich fuhr durch kleinste Gassen und hielt mich nur an das Lieblingsmotto meines Großvaters: Hauptsache, die Richtung stimmt. Auf einer Karte eingetragen, muss das Ganze ziemlich kurios aussehen. Aber ich erreichte im Endeffekt ein Industriegebiet, wo ich für zwanzig Minuten keinen einzigen Menschen sah. Diese Tatsache überzeugte mich doch, bei der ersten Gelegenheit mal nach dem Weg zu fragen und tatsächlich, ich war auf dem richtigen Weg. Ich näherte mich dem Meer, wenn auch etwas südlicher, als das von mir angepeilt war. An sich stellte das aber einen Glücksfall dar, da ich als allgemeinen Orientierungspunkt einfach den Flughafen angepeilt hatte. Nach einer Weile konnte ich endlich das Industriegebiet verlassen und kam zum interessanten und entspannten Teil der Reise. Lange Reisfelder und idyllische kleine Dörfer lagen auf meinem Weg. Man merkte auch sofort, dass es sich um ein Dorf handelt, als ich überall mit Konichi wa begrüßt wurde.

Nach langem hin und her erreichte ich endlich den Strand. Meine Freude wechselte aber schnell in Ernüchterung. Überall angelten die Leute nur und wirklich sauber war der Strand auch nicht. Trotzdem beschloss ich, die Gegend etwas weiter zu erkunden und wenigstens eine kleine Wasserwanderung zu machen. Das Wasser war sehr angenehm und nur der Wellengang etwas stark. Innerlich verfluchte ich schon die Schilder, die vom Baden abrieten. Dann geschah es aber: Es waren keine Angler mehr zu sehen, der Strand wurde etwas sauberer und zwei Surfer eroberten die Wellen für sich. Was interessieren schon Verbote? Schnell die Badehose ausgepackt und zu den Surfern ins Wasser. Diese schauten zwar erst einmal etwas überrascht, als jemand ihre Ruhe störte, waren aber sehr freundlich. Also einige Minuten das kühle, salzige Nass in Verbindung mit dem hohen Wellengang genossen. Trotz festem Grund schafften es einige der Wellen, mich umzuhauen. Im Anschluss noch einen kurzen Plausch mit den Surfern gehalten und zurück aufs Fahrrad und ab in Richtung Heimat. Interessanterweise bin ich offensichtlich der Erste meiner Freunde in Sendai, der diese Strecke auch wirklich mit dem Rad zurück gelegt hat. Vor der Fahrt erzählte man mir groß, dass man den Ozean locker in einer Stunde erreichen kann. Selbst wenn man ihn an einer anderen Stelle als ich erreicht, braucht der Bus laut meiner Recherche auf dem Rückweg, schon knapp eine Stunde. Wie man das mit dem Rad erreichen will, ist mir schleierhaft. Auf jeden Fall war es eine sehr lustige Fahrt und ich kann nur empfehlen, japanische Dörfer zu bereisen. Die Reaktionen der Kinder, aber auch der Alten sind göttlich. Eine Oma, die ebenfalls auf dem Rad unterwegs war und mich grüßte, ist fast vom Rad gefallen, als sie mich sah. Der überraschte Ausruf, als sie mein Gesicht sah und der Redeschwall, wo ich denn bitte her komme, sprachen Bände.

Nur Geniesser fahren Fahrrad und sind immer schneller da

Wie komme ich bitte zum Sendai Hauptbahnhof? – Schmeiß das Fahrrad hinten drauf, dann nehme ich dich mit, sonst ist der Weg zu weit!

Was soll man denn bitte denken, wenn man solche Antworten bekommt? Aber egal, da meine Tutorin momentan vollkommen in den Vorbereitungen für ihr Deutsch-Examen nächste Woche steckt, hatte sie keine Zeit, mich zu treffen Was kann man nun sinnvolleres an einem warmen Tag machen, als einen kleinen Trip. Gesagt, getan, das Fahrrad bestiegen und los ging es. Eigentliches Ziel war eine große Buddha-Statue hier in Sendai. Leider sollte ich diese nie erreichen. Ich nahm mal wieder die falsche Abzweigung und kurz vor der Statue ging es auf einmal in den Norden der Stadt. Als ich das merkte, war es aber leider zu spät. Ich war nicht im Westen der Stadt, sondern wieder im Norden, den ich letzte Woche schon ein wenig unsicher gemacht hatte. Diesmal wollte ich aber etwas anderes sehen und fuhr einfach mal weiter. Ein sehr großer Fehler.

Nach einer ganzen Weile wusste ich nicht mehr, wie ich hingekommen war zu dem Ort und wie ich wieder zurück kommen sollte. Zu allem Überfluss konnte man auch nicht hundertprozentig sagen, wo die Stadt weiterging. Dementsprechend beschloss ich, nach dem Weg zu fragen. Die Antwort führte mich aber leider nicht wieder zur Stadt zurück, sondern noch weiter in ein mir unbekanntes Gebiet. Nur leider diesmal ohne die Möglichkeit, nach dem Weg zu fragen. Was also machen? Umkehren? Schilder suchen? Verzweifeln? Ich entschied mich für die Suche nach Schildern. Insbesondere, da ich mittlerweile schon knapp sechs Stunden auf dem Sattel saß und es kurzzeitig anfing zu regnen. Der Regen entpuppte sich zu meinem Glück aber als von kurzer Dauer und führte nur zu einer gewissen Abkühlung der Luft, was das Fahren etwas erleichterte. Endlich fand ich auch Schilder, nur leider wiesen diese überall hin, nur nicht nach Sendai. Kein Problem, in diesem Moment kam ein Fahrer mit einem Transporter vorbei und fragte mich, wo ich hin möchte. Daraus entstand oben zitiertes Gespräch. Was sollte ich machen? Das Wetter war gut, ich noch nicht erschöpft und so spät war es auch noch nicht. Nein, diese Schande wollte ich mir ersparen, mit dem Auto zurück gebracht zu werden.

Gesagt, getan, dankend abgelehnt und dafür Felix angerufen. Ich fand Hinweise auf eine Schnellstraße 8, die eine gute Wegmarke abgeben sollte. Also Felix das Problem geschildert und er suchte mir auf Google Maps die Acht heraus und erklärte mir, wie ich ihr nach Hause folgen muss. Spätere Internetrecherchen ergaben, dass ich mich zu diesem Zeitpunkt wohl an der Grenze zu Rifu, einer Nachbarstadt von Sendai, befunden habe. Mit der Acht als Grundlage, war es dann aber relativ einfach, den angrenzenden Straßen zurück nach Sendai zu folgen. Nur die Japaner in Sendai verwunderte der radelnde Deutsche etwas. Mehr als einmal musste ich mir anhören, ob sie mich richtig verstanden haben und ob ich die 6 Kilometer (natürlich verringerte sich die Zahl, das war die Angabe bei der ersten Nachfrage) wirklich zurücklegen will oder ob ich nicht einen anderen Bahnhof meine.

Nach knapp neun Stunden Fahrt erreichte ich dann aber doch irgend wann einmal das University House Sanjo. Dafür kenne ich jetzt viele neue Läden, die auf dem Weg lagen. Egal ob Book Offs, UNiQLRs oder neue Yamayas, auf dem Weg sah ich alles. Nur meine Mitstudenten sticheln immer, wenn ich einen der Läden erwähne, wie viele Stunden sie bitte fahren sollen, bis sie die Läden erreichen. Beim nächsten Mal werde ich auf jeden Fall nicht mehr blind irgend welchen Wegbeschreibungen glauben. Dafür entschädigte eine kleine Geburtstagsfeier für Orsolya auf dem Dach des Internationalen Hauses ein wenig für die Strapazen. Wobei die riesigen Kakerlaken, die nach einer Weile zum Vorschein kamen, den Abend schneller beendeten, als geplant. Da lobe ich mir wirklich Sanjo.