Womit fängt der Tag besser an, als mit Japanern, die verrückte Dinge tun? Genau diese Gedanken überkamen mich, als ich heute früh auf dem Weg einen Japaner sah, der sich freudig bei jedem vorbeikommenden Auto verbeugte. O.k., ich traue den Japanern ja viel zu, das war aber selbst für verrückte Japaner zu viel. Zu meinem Glück befanden sich auf der viel zu kleinen Fahne hinter ihm einige Kanjis, die ich sogar verstand. Wenn ich es richtig deute, handelte es sich um einen Politiker, der für sich Werbung machte. Wie es möglich sein soll, dass auch nur ein Japaner die Nachricht auf der kleinen Fahne, mit schwarzer Schrift auf dunkellila Grund, lesen konnte, kann ich mir zwar noch nicht vorstellen. Aber er wird sich schon etwas dabei gedacht haben. Zum Test kann man ja einfach mal ein eine Fahne auf der Diesdorfer Straße oder dem Göttinger Kreuzbergring aufstellen und testen, wie viele wirklich gelesen haben, worum es ging. Besonders erschwert wird das Ganze ja noch, wenn man den seltsamen Mann beobachtet, der sich gerade für einen verbeugt.
Man sieht, der Tag fing gut an. Nach etwas Schleimerei im Sprachkurs, wo die Deutschen bewiesen, dass sie etwas Japanisch sprechen können und als einzige den Unterricht von Frau Abe lobten, ging es ins Büro. Es offenbarte sich mir ein göttliches Bild. Man schaute einen Film über Hitler, der ziemlich langweilig war. Von den 6 Anwesenden schliefen fünf und Shimizu war gerade erwacht, dank meines Türöffnens. Besonders die beiden vor dem Beamer sitzenden machten das Filmschauen zum Hochgenuss. Ohne es zu merken, bewegten sich ihre Köpfe beim Schlafen immer weiter ins Bild. Es ist schon beachtlich, wie simultan das von sich ging. Schlecht nur, dass der Professor genau hinter ihnen saß, aber dieser ließ sich nichts anmerken. Ich sollte zwar im Anschluss noch Fragen beantworten, weil der Professor weg musste. Aber bis auf die Frage, wie der Gruß aussah, kam nichts. Also konnte die Sitzung schnell beendet werden und den am Gruß interessierten, wurde er schnell wieder verboten. Interessant war, wie erwachsen die Studenten doch sind. Es gab eine blau erleuchtete Leinwand, der perfekte Ort, um ein Schattenspiel zu veranstalten.
Der Professor war also außerhalb des Raumes, der perfekte Zeitraum, um Shimizus neusten Plan, eine Parodie auf Kafkas Prozess zu schreiben, in die Tat umzusetzen. In meinen Augen wäre die perfekte Parodie zwar eine klare Schreibweise mit kurzen Sätzen, aber gemeinsam gelang es uns, einen ziemlich guten Text zusammenzustellen. Hoffentlich mag der Professor es auch, aber wir werden es schnell genug herausfinden. Keine Minute zu früh wurden wir fertig, kam direkt im Anschluss doch der Professor zurück. Ich glaube, ab jetzt werde ich wohl von den Studenten ferngehalten. Der Professor wollte die Studenten überzeugen, eine Zusatzstunde nächste Woche zu machen. Wie jeder gute Student, der nichts versteht, nickte Shimizu einfach. Eine schlechte Idee, wenn man diese Woche nach Tokyo zurück fahren will. Also machte ich, dessen Gesicht vom Professor abgewendet war, Shimizu vor, welche Bewegung er zeigen soll. Und so schafften wir es, das Unheil abzuwenden. Der Professor sollte eigentlich alles mitbekommen haben, aber er sagte nichts. Immerhin ist er froh, dass seine Schützlinge zur Abwechslung auch Deutsch reden. Dass ich dabei aber so oft nachhelfe, ist ihm wahrscheinlich nicht ganz so recht. Ich werde im Endeffekt aber als kleineres Übel angesehen und deshalb sagt der Professor auch nichts. Anschließend machte ich noch ein wenig Anschauungsunterricht über deutsches Essen und dann ging es ab auf den Heimweg. Am Anfang handelte es sich bei dem Nachhauseweg mit Shimizu noch um das große Schweigen. Heute ist es genau umgekehrt. Er spricht fast nur Deutsch und sein Englisch lässt leicht nach. Der Professor hat auf jeden Fall recht, dass das Level der Studenten im letzten halben Jahr stark gestiegenen ist. Ob ich daran Teilschuld habe, an dieser Spekulation mische ich mich lieber nicht ein.