Wo bitte geht es zum nächstem Flugzeug? Ich kann doch nicht in einem Land leben, dass keinen Fußball beherrscht. O.k., es gibt andere Gründe, hier zu bleiben! Aber wirklich, das war heute interessant. Mayumi, meine Konversationspartnerin, hatte zum Spiel Vegalta Sendai gegen die Yokohama Flügels Marinos geladen. Hauptstar des Abends sollte Shunsuke Nakamura, seines Zeichens Kapitän der japanischen Nationalmannschaft, sein. Vegalta ist gerade wieder mal in die erste Liga aufgestiegen und belegt den ersten Abstiegsplatz. Das Ensemble um Schottland- und Spanien-Legionär Nakamura dagegen sucht noch die Form und liegt gesichert im oberen Mittelfeld der Liga.
Von den Begleitumständen des Spiels würde ich gerne ein wenig mit nach Deutschland nehmen. Alles ging gesittet ab und Taschen wurden nur kurz nach offensichtlichen Glasflaschen kontrolliert. Selbst die wurden nur in Becher umgefüllt und nicht einfach weggeschmissen. Leibeskontrollen gab es dagegen auf beiden Seiten nicht – ein Traumzustand. Dazu waren fast alle in Trikots erschienen, eine gelbe und blaue Wand war auch beeindruckend und in Deutschland wünschenswert. Negativ fielen dagegen nur die Handtücher als Schalersatz auf. Die sind viel zu kurz für europäische Hälse und ich hatte immer Angst, meins zu verlieren. Dass das Stadionbier Mist war, dafür kann Sendai dagegen nichts. Es handelte es sich halt um Bier und noch dazu noch japanisches. Leffe oder Wernesgrüner zu importieren, wäre vermutlich auch zu teuer. Die Snacks auf der anderen Seite waren ungewohnt, aber nicht schlecht. Zwischen frittierten Nudeln und Sojabohnen gab es eine große Auswahl. Wem die nicht zusagte, der hatte halt von zu Hause was dabei.
Für die Zuschauerbelustigung tut man auch viel. Vor dem Spiel gab es ein Jugendspiel und die Zuschauer gingen voll mit. Cheerleader und ein Maskottchen versuchten auch, die Stimmung anzuheizen. Darauf hätte ich aber gut verzichten können. Die Japaner mit ihren „ach süß“ Ausrufen aber nicht. Dabei fiel der hohe Frauenanteil der Stadionbesucher auf. Viele waren sogar nur mit Freundinnen da. Kein Wunder also, wer für den riesigen Absatz an Fanartikeln ohne Logo, aber mit Maskottchen, sorgte. Zur Halbzeit durften dann kleine Kinder auf den Platz und Platzwart spielen. Ein großer Spaß für sie und viele „süß“-Kommentare von den Damen. Stimmung war auch reichlich vorhanden. Liedtexte gab es am Block, alle sangen das ganze Spiel mit und es gab kaum Unterbrechungen. Wenn man etwas Negatives finden will, dann die fehlende Angepasstheit an die Spielsituation, die Monotonie und dass der Gegner genau das Selbe, nur mit anderem Teamnamen nutzte. Sogar die Streifenchoreo war die gleiche. Stoffbären in den Teamfarben, alle paar Reihen den Block runter. Die fehlende Angepasstheit muss man sich so vorstellen: Das Team liegt zurück und es gibt kein anfeuerndes Lied, sondern den gleichen monotonen Singsang in Endlosschleife. Trotzdem war vor allem die Geschlossenheit der Fans in einer Farbe und dass alle mitsangen beeindruckend und ein absolutes Plus.
Das Spiel selber war so lala. Japaner sind technisch stark und sehr schnell. So viele Hackentricks habe ich in einem Spiel noch nie gesehen. Genutzt wird es aber nicht. Anstelle des perfekten 4-3-3 spielte man 4-4-2 mit einem langsamen Spielaufbau und absoluter Positionstreue. Kein Spieler verließ für eine Sekunde seine Position, noch nicht einmal für den Ball. Die wichtigste Position ist der Fantastia, in Europa einfach nur Zehner genannt. Ihm sind Mangas, Bücher, TV-Shows und im Stadion eigene Lieder gewidmet. In Einzelaktionen soll er den Sieg bringen. Schlecht nur, wenn man dann Spieler wie Nakamura auf die Position stellt. Dessen Stärke war schon immer, mit Pferdelunge die linke Außenbahn lang zu jagen. Als Zehner ist er vergeudet. Ribery wollte nicht ohne Grund links bleiben.
Der Zehner kann klappen, Werder machte es vor, aber nicht bei den Zuständen hier. Die Außenverteidiger gehen nie nach vorne, die Außen ziehen immer nach innen und die Stürmer warten auf lange, hohe Bälle. Da alle Angriffe über den Zehner gehen, ist der Gegner ausrechenbar und es kommt nur zu Einzelaktionen – wie 4 Gegner auszuspielen, um dann den Ball zu verlieren oder Distanzschüsse. Dabei macht es die Abwehr leicht. 5 Fouls, dabei zwei gelbe und ein Verletzter und 3 Ecken zeigen es. Die Abwehr versuchte meist nur abzudrängen, damit Distanzschüsse verziehen. Die Außen hatten auch nichts zu tun – der Gegner zieht nach innen, darum kann sich die Innenverteidigung kümmern. Die meisten Ballkontakte hatten so die Innenverteidiger, gefolgt vom Zehner. Der rechte Verteidiger von Vegalta dagegen hatte im ganzen Spiel keinen Ballkontakt, soweit ich es gesehen habe. Wenigstens blieb das Spiel für die Zuschauer so spannend. Eins-Eins-Situationen und Distanzschüsse sind immer nett anzuschauen. Das Siegtor für Yokohama fiel folgerichtig auch nach einer Ecke und Zuordnungsproblemen in der Abwehr.
Das liest sich jetzt ziemlich negativ. Das Spiel war aber schon nett. Nur zeigten sich genau die gleichen Probleme, die man im TV bei anderen J-League-Vereinen oder der Nationalmannschaft auch sehen kann. Könnte man sich von seinen traditionellen Wegen trennen, könnte man viel erfolgreicher sein. Das sehen auch viele Japaner so. Von der Leistung heute hätten deutsche Dritt- und sogar einige Viertligisten mit ihnen kurzen Prozess gemacht. Die Verseuchten haben nicht ohne Grund vor 2 Jahren in Antalya gegen Sendai gewonnen. Gerade auch wegen der bemühten Fans wäre es wünschenswert. Trotzdem war es ein sehr lustiger Tag und das Stadion wird mich bald wieder sehen. Nur ein Motto muss der Verein unbedingt ändern, sonst muss ich es tun: „Es ist nur Fußball, aber ich mag es.“ Was heißt hier „nur Fußball“? Die Japaner in meiner Nähe haben mir nach Mayumis Übersetzung wenigstens Recht gegeben – ein unhaltbarer Slogan.