Oktoberfest im Juni

Nach den guten alten Weisheiten von Obelix, bleibt mir eigentlich nur eine Sache über Japan zu sagen: Die spinnen, die Japaner.

O.k., diese Feststellung ist jetzt nicht verwunderlich, aber mir wurden heute vermehrt die Seltsamkeiten der japanischen Kultur vorgeführt. Es fing schon mit dem Weg in mein Büro an. Normalerweise ist dort immer Stimmung und irgendwelche Leute unterhalten sich. Heute war das Büro zum Bersten gefüllt und keiner der Japaner wagte es, den Kopf zu heben. Wie sich herausstellte, war im Büro gerade Unterricht im Lesen. Die Studenten mussten zwei Stunden lang ruhig dasitzen und deutsche Bücher lesen, während der Professor kontrollierte, dass sie auch wirklich nur dies taten. Wohl dem, der günstig saß und schlafen konnte. Die Methode des versteckten Schlafens wurde auch von einigen genutzt. Ich verstehe ja den Sinn hinter dieser Maßnahme. Das Lesen von Büchern verstärkt das Verständnis einer Sprache ungemein und ich verfluche regelmäßig, dass ich durch die Kanjis kaum in der Lage bin, dies im Japanischen auch anzuwenden. Trotzdem kann ich meinen Studenten doch nicht irgendwelche Bücher in die Hand drücken und sie so zwingen, die Bücher zu lesen, ohne dass sie danach besprochen werden! Nur eine kurze vierzeilige Zusammenfassung, soll hier am Ende das Lesen des Werkes beweisen. Auch die Auswahl der Werke ist ziemlich fragwürdig. So sind Kinderbücher zwar gut für Anfänger und deren Auswahl deshalb irgendwie nachvollziehbar. Wieso Männer aber Twilight lesen müssen, erschließt sich mir nicht vollends. Selbst ich als begeisterter Leser würde bei dieser Thematik aus Prinzip einschlafen. Allgemein sind die Bücher komisch zusammengewürfelt und decken hauptsächlich Interessengebiete ab, die kaum ein Student hat. Da gibt es auf jeden Fall noch eine Menge Verbesserungsspielraum.

Ansonsten hat Tetsuya uns zum Oktoberfest in Sendai eingeladen. O.k., ich verstehe ja viel und dass die Japaner die Bayern lieben, ist nichts Neues. Aber wieso ein Oktoberfest im Juni? Die Bierauswahl geht auch stark ins Irische und Englische, aber immerhin ist Paulaner vorhanden. Auch die Trinklieder, mit denen Werbung gemacht wird, sind mysteriös. Zwar versteht man, dass wohl deutsche Texte die Grundlage bildeten, aber die Lieder werden wohl von Katakana abgelesen und sind dementsprechend einjapanisiert. Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie das wohl werden wird.

Genauso bin ich mal gespannt, was das noch mit dem deutsch-japanischen Gemeinschaftsgedicht wird. Andauernd wurde heute mein Name im Büro verwendet und ich fragte mich schon, was ich angestellt habe, bis mein zweiter Advisor mich aufklärte. Shimitzu hat den anderen berichtet, wer für den Text zuständig war (wobei ich mich mit Daniels Meisterwerk aus seinem letzten Kommentar nicht messen kann). Gleichzeitig war seine Professorin aber so begeistert von seiner Leistung, dass er das Gedicht gesondert ausdrucken musste und es in irgend eine größere Sammlung aufgenommen werden soll. Ich bin sehr gespannt, was das werden wird. Geschweige denn, dass das Gedicht bei weitem gerade mal akzeptabel war und nicht wirklich ausgereift, aber wenn sie meint. Sie ist auf jeden Fall die Einzige, die noch nichts vom Co-Autoren weiß und dabei wird es auch hoffentlich noch mindestens ein Jahr bleiben.

Von poetischen Ergüssen und bebender Erde

Es ist getan, Shimizu hat die Deutschstunde irgendwie unbeschadet überstanden und das Gedicht wurde auch nicht zerrissen. Diese Tatsache konnte meine Nerven dann doch um einiges beruhigen. Im Endeffekt betont mein Professor aber immer wieder, dass ich mich mit den Japanern auf Deutsch unterhalten soll und nichts anderes ist ja dabei auch passiert. Nur meinen bescheidenen Vorschlag, dass Shimizu ja für mich bei meinen Japanisch-Prüfungen auflaufen kann, wurde leider als undurchführbar abgeschmettert. Total unverständlich, denn bis auf die unbedeutenden Fakten, dass er kleiner ist, kürzere Haare hat und Japaner ist, wäre das doch nie aufgefallen. Na gut, es war einen Versuch wert. Besonders toll war aber Andres Reaktion auf eine Nachfrage zu dem Gedicht. Shimizu hat mich nach irgend welchen Fachbegriffen befragt, die mir ebenfalls nicht eingefallen sind. Also schnell Andre angerufen. Seine Reaktion lautete aber leider nur, er studiert etwas Vernünftiges und braucht das nicht zu wissen. Hat er ja auch nicht ganz unrecht.

Ansonsten wurde es ein sehr beschaulicher Tag. Die Regenzeit hat sich noch nicht breit gemacht und wir genießen die Sonne und die viel zu hohen Temperaturen. Dafür konnte ich heute mal ausprobieren, wie es sich anfühlt, wenn die Erde ein wenig bebt. Erst dachte ich ja, das Beben ist noch eine Nachwirkung des bulgarischen Wodkas von gestern (zu Lars Beruhigung, ich hab nur einen kleinen Schluck bei Orsolya probiert ;-P), aber dem war nicht so. Es war aber auch ziemlich schnell wieder vorbei. Das dürfte damit auch mein erstes Erdbeben überhaupt hier in Sendai gewesen haben. Beziehungsweise, das erste Erdbeben, was ich aktiv bemerkt habe. Ein Grund zur Sorge war es auf jeden Fall nicht. Immerhin habe ich jetzt den Beweis, dass ich 2006 schon mal eines erlebt habe. Damals haben Dennis und ich aber an alles gedacht, außer dass es ein Erdbeben gewesen sein könnte. Wirklich merken tut man die einfachen aber auch wirklich nur, wenn man sich in einem Gebäude etwas höher befindet.

Anschließend ging es dann in die Stadt. Orsolya hat demnächst Geburtstag und ich stand vor meiner Lieblingsfrage, frei nach den Prinzen: „Was soll ich ihr schenken, ohne sie zu kränken?“ Es ist ja nicht so, als ob dieses Problem in Deutschland nicht schon schlimm genug wäre. Hier in Japan ist das aber schon fast unmöglich. Noch nicht mal die Standardgeschenke wie DVDs funktionieren. Erstens kosten selbst Uralt-Filme wie „Zurück in die Zukunft“ mal locker 40 Euro und damit das Gleiche wie BluRays. Zweitens ist die Auswahl auch noch teilweise ziemlich fragwürdig. Ein japanisches Drama oder einen Samuraifilm, will ich dann auch nicht gleich schenken. Nun gut, mir wird schon irgend etwas einfallen. Muss ja, aber der heutige Tag hat mir mal wieder die Preisgestaltung der Japaner im Vergleich zu den Deutschen vor das Auge geführt. Zum Glück kenne ich mittlerweile schon alle wichtigen günstigen Läden, wo ich für mich zuschlagen kann.

Reiks zweites Standbein

Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, Heinrich Heine.

Dies entspricht in etwa allem, was ich von deutscher Lyrik noch beherrsche.
Aus diesem Grund komme ich langsam auch in eine Identitätskrise hier in Japan. Vor mittlerweile vier Jahren verließ ich das Siemens Gymnasium, wohl wissend, dass ich mich nie mehr mit anderen Dingen als mit Geschichte beschäftigen werde. Dieser Vorsatz ging auch ziemlich lange gut, bis ich meine Füße auf den japanischen Boden setzte. Als ich heute mein Büro der deutschen Literaten betrat, saß Shimitsu schon in Lauerstellung bereit. Flehend, mit gefalteten Händen, erbat er meine Hilfe bei der undankbaren Aufgabe seines Deutsch-Kurses, ein deutsches Gedicht mit wenigstens 6 Versen zu schreiben. Das Grundgerüst stand zwar schon, aber es fehlten laut seiner Aussage zwei Dinge: die Hälfte der Wörter und schlimmer noch: die Poesie. Er hatte zwar sein Bestes gegeben, das Gedicht aber auf Japanisch geschrieben und nur übersetzt. Die Reime funktionieren zwar im Japanischen ausgezeichnet, wenn man die Kanjis beachtet, aber im Deutschen hört sich das Ganze dann doch etwas komisch an. Natürlich konnte ich ihn mit so einer Aufgabe nicht im Stich lassen.

Also hieß es: Ärmel hochkrempeln und sich vier Jahre zurück versetzen. Wie funktionierte das noch einmal mit Gedichten und vor allem muss sich das Ganze etwa auch noch reimen? Also schnell meinen zweiten Advisor als Übersetzter angefordert und die Schreckensnachricht vernommen. 6 Verse sind Pflicht und Reime gefordert und dazu hatte sich Shimizu auch noch das Thema Marathon ausgesucht. Zwar ist das ein interessantes Thema, aber für Reime ziemlich kompliziert. Also ran an den Feind und über eine Stunde später hatten wir ein Gedicht fertig. Dabei wurde auch noch der gesamte Inhalt von seiner Vorarbeit verarbeitet. Meine Deutschlehrer wären aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen. Dazu konnte ich noch die Sage von Marathon einbauen und wenigstens mein Geschichtswissen mit einfließen lassen. Jetzt begann aber der schwierige Part. Der Text alleine reicht ja nicht, Shimitsu muss auch wissen, was denn im Text steht. Also verging noch einmal annähernd eine Stunde, bis er es halbwegs verstanden hatte. Zum Glück kam erst in diesem Moment der Professor des betreffenden Kurses hinein und konnte von unserer deutsch-japanischen Gemeinschaftsarbeit nichts mehr feststellen. Mein Advisor meint zwar, das das Deutsch die Sache eventuell auffliegen lassen könnte, aber meiner Meinung nach, hätte er die Worte auch alle nachschlagen können. Und das Grundgerüst stammt ja von ihm. Trotzdem bin ich froh, so etwas nie wieder machen zu müssen. Ich habe ihm auch gleich erklärt, nächstes Mal soll er sich doch lieber ein Geschichtsthema aussuchen. Auf jeden Fall kann ich Lyrik zum zweiten Standbein machen, falls aus dem Geschichtlerdasein nichts wird. Wobei: lieber nicht.

Abends gab es dann noch eine kleine Geburtstagsfeier. Unser Bulgare hatte Geburtstag und zu meinem Glück laut Facebook Mohammed auch. Ich hatte ihm etwas zum Geburtstag besorgt, aber er hatte dort das falsche Datum eingetragen. Da ich nichts von dem Geburtstag des Bulgaren wusste, konnte ich das Geschenk aber gleich weiter verwenden. Auffällig waren wie immer die Koreanerinnen. Selber wollen sie auf keinem Foto sein, agieren aber selber wie Paparazzis. Als sie einmal dachten, ich könnte ein Foto gemacht haben, kamen sie angerannt und wollten das kontrollieren. Weil sie mir nicht glaubten, versuchten sie an die Kamera ranzukommen. Ein sehr schönes Bild, vergleichbar mit zehn Jahre alten Kindern, die versuchen, die Größe des Vaters zu erreichen. Die Australierin hatte Mitleid mit den Beiden und versuchte zu helfen, aber nicht lange. Durch ihren Ansturm erwischte ich sie perfekt, um sie zu Schultern. Daraufhin wurde sie erst einmal von mir aus dem Raum getragen. Begleitet wurde dies mit der Feststellung des Bulgaren, die Deutschen wissen wenigstens noch, wie man Frauen nach Hause bekommt. Um zu zeigen, dass ich beide Methoden beherrsche, wurde sie von mir im Anschluss auch auf den Armen zurück getragen. Auf jeden Fall war es ein sehr lustiger Abend, auch wenn betrunkene Koreanerinnen anstrengend sind. Und vor allem: die vertragen auch gar nichts.

Wenn das Navigationsgerät versagt

Heute stand ein ruhiger Tag für mich an. Meine Tutorin hatte keine Zeit und meine Kommilitonen auch nicht. Zu allem Überfluss war die Tür zum Büro auch nicht offen, was also machen? Ich entschied mich, Sendai etwas zu erkunden, wozu ich in letzter Zeit am Wochenende nie komme. Da dazu die Sonne auch noch perfekt war, schnappte ich mir mein Rad und machte mich auf den Weg. Ziel sollte eine Parkanlage im Norden der Stadt werden, die mir Google Maps anzeigte.

Der Weg war auf jeden Fall nicht zu verfehlen, galt es doch nur, einer Straße immer weiter zu folgen. Zu meiner Überraschung fuhr ich schon nach knapp dreißig Minuten an der Konzerthalle des Sendaier Symphonie Orchester vorbei und nur zehn Minuten später am Stadion. Wieso dies für mich eine Überraschung darstellte, ist leicht erklärt. Egal, wo ich hin möchte, wenn ich nach dem Weg frage, wird mir immer die U-Bahn oder Busverbindung genannt. Zum Beispiel ging ich gerade gestern zur Touristeninformation und fragte, wie ich zur Sendaier Konzerthalle gelangen kann. Die Antwort war ein wirrer Plan von U-Bahn- und Buslinien. Nicht anders sah Mayumis Aussage darüber aus, dass ich mit der U-Bahn zum Fußballstadion fahren muss, das ist ja so weit entfernt. Dabei hatte ich in beiden Fällen klar gemacht, mein Rad nutzen zu wollen. Als ich deshalb vor kurzem meine Europa-erfahrenen Japaner befragte, wurde mir auch gleich der Kopf gewaschen. Man erklärte mir, wie Japaner den europäischen Drang nach Spaziergängen sehen. Für Japaner bedeutet spazieren gehen, eine Strecke abzulaufen, die man in zehn Minuten erreichen kann. Als besagte Japaner dann in Europa gefragt wurden, ob sie spazieren gehen wollen und zusagten, konnten sie ihr Unglück über die lange Strecke gar nicht fassen.

Aber zurück zum Thema. Besonders das Stadion hat mir gefallen. Für eine Stadt wie Sendai hat es genau die richtige Größe und für wichtige Spiele gibt es im Notfall ja noch das WM-Stadion. Nur eins verwirrte mich. Nirgends in der Nähe des Stadions war mal ein Hinweis auf den Verein zu finden. Gut, es hingen ein paar Wimpel an den Laternen am Stadion, aber das tun sie auch in der restlichen Stadt. Von Hinweisen am Stadion oder gar Ticketshops beziehungsweise einem Fanshop konnte gar keine Rede sein.


Mein eigentliches Ziel verfehlte ich aber dann offensichtlich doch. Eventuell sollte ich mir doch mal ein Navigationsgerät zulegen, denn eigentlich kann man das grüne Areal laut der Karte gar nicht verfehlen. Nach knapp zwei Stunden, Berg hoch und Berg runter, erreichte ich die Autobahn und den nördlichen Stadtrand. Von dem versprochenen Park war aber weit und breit nichts zu sehen. Da stand ich nun in der Pampa. Ein Gebiet, in das sich vermutlich nicht all zu viele Ausländer verirren, wie mir die Reaktionen der Anwohner zeigten. So wurde mein Vorbeifahren an einer sehr idyllisch gelegenen Schule durch die Schüler ausgiebig lautstark bewertet. Besonders die Höhe meines Rades wurde dabei kommentiert. Im Endeffekt lief auch noch ein älterer Japaner auf mich zu und fragte mich, was ich denn suche. Ich muss mich doch verfahren haben, der Bahnhof ist doch die andere Richtung. Bis ich ihm erklärt hatte, dass ich den Bahnhof nicht suche vergingen einige Minuten. Aber immerhin nett, dass man gleich versuchte, sich um mich zu kümmern. Die Strecke war auf jeden Fall sehr schön. Und die Ruhe, die auf dem Weg herrschte, war perfekt, um dem hektischen Alltag im Stadtinneren etwas zu entkommen. Nur werde ich mit dem Rad wohl nie wirklich lange Strecken fahren können. Wenn ich mir vorstelle, wie ich damit mit den Amerikanern nach Tokyo gefahren wäre. Ich hätte vermutlich nicht mal die halbe Strecke geschafft. Schon die Minireifen, die japanische Räder auszeichnen, hätten die Fahrt zur Qual gemacht. So habe ich im Endeffekt mal einiges von der Stadt gesehen und ein wenig Sport gehabt. Das perfekte Ausgleichsprogramm zum morgen wieder einsetzenden Stress. Zu dem Konzert und zum Fußball, werde ich aber auf jeden Fall mit dem Rad fahren.

Sendai, die Musikstadt

Wieso geht eigentlich immer gerade die Sonne auf, wenn ich ins Bett gehe? Das entwickelt sich mittlerweile schon zur Gewohnheit, eventuell sollte ich da mal etwas überdenken? Wobei, wenn ich es mir recht überlege, wieso eigentlich? Wenigstens sehe ich dank meines Balkons doch sehr schön den Sonnenaufgang. Meine nächste Wohnung braucht unbedingt auch einen Balkon. Das ist schon etwas Schönes! Wie man aber schon merkt, ging das Bowlen gestern doch etwas länger, so dass mir etwas ausschlafen doch ziemlich gut gefallen hätte. Mir im Weg stand dabei nur mein Treffen mit Mayumi. Also hieß es doch, früh raus aus dem Bett und auf zum Bahnhof.

Schon der Weg dorthin offenbarte mir wieder, warum ich ein Großstädter bin und Göttingen mir gefühlter Maßen zu klein ist. Es gab mal wieder eines der vielen Musikfestivals. Bei bestem Sonnenschein wurde überall in der Stadt musiziert. Es war das reinste Spektakel. Am Bahnhof dann noch schnell an Sonys neusten 3-D-Bildschirmen vorbei und schon stand ich vor Mayumi. Nebenbei, diese 3-D-Bildschirme werden sich nie durchsetzen. Das Bild war zwar genial, aber diese unförmigen 3-D-Brillen erinnerten an meine 3-D-Brille, die ich vor mittlerweile 10 Jahren bei meinem ersten PC dabei hatte. Diese zeichnete durch ein hohes Gewicht und eine Form aus, die einfach nicht an mein Gesicht passen wollte.

Mit Mayumi ging es dann zu irgend welchen Tischen und große Beschreibungen gingen los. Über sechs Stunden wurde über Gott, Fußball und die Welt getratscht und versucht, die deutsche Sprache zu vermitteln. Falls jemand in Deutschland Schluckauf hatte: ich habe zwar alle meine Bekannten vorgestellt, habe aber natürlich nur das Beste erzählt. Jedenfalls, was ich für das Beste hielt. Auch wurden Geschenke verteilt. So machte ich wie immer Werbung für Göttingen und besonders natürlich für Magdeburg. So besitzt sie jetzt ein Buch über Magdeburg. Aber auch DVDs lieh ich ihr und andere Sachen wechselten den Besitzer. Unter anderem bin ich jetzt stolzer Besitzer von Karten für das Sendai Philharmonic Orchestra. Schlecht ist nur, dass ich noch eine Begleitung brauche. Meine erste Wahl, Orsolya, ist an diesem Tag nicht da, so dass ich jetzt mal andere Leute fragen werde. Mal schauen, wer Zeit und Lust hat. Schön ist auch, dass ich mir am 7. August ein Fußballspiel mit ihr in Sendai anschauen werde. Besonderes Highlight dürfte das Mitspielen der Nummer zehn der Blue Samurais, Shunsuke Nakamura, darstellen Er ist in dieser Saison zu den Yokohama Flügels Marinos gewechselt. Aber auch ansonsten bin ich jetzt auf dem Laufenden und kenne ihre halbe Familie. Dass die Chinesin, die uns beide vorgestellt hat und die maximal auch 23 ist, schon verheiratet ist, hat mich dann aber doch leicht verwundert. Aber egal, andere Länder, andere Sitten. Nur eine einzige Sache gibt mir echt zu denken. Ich fliege fast 10.000 km in ein fremdes Land und hier fangen die Leute auch schon an, sich über meine Schlaf- und Essgewohnheiten zu beschweren. Dabei dachte ich, gerade in Japan sieht das nicht groß anders aus. Gut, was soll““s, wenigstens hat Mayumi bewiesen, dass sie eine gute Mutter wird. Ich bleibe trotzdem bei meinem Wahlmotto: Napoléon ist mit drei Stunden Schlaf bis nach Moskau gekommen und außerdem: schlafen kann ich, wenn ich tot bin.

Nach über sechs Stunden konnte ich dann aber auch endlich nach Hause. Nach Hause? Nein, dafür war es wahrlich noch zu früh. Also genoss ich noch das Ende der Innenstadt-Konzerte. musikEs war wieder mal beeindruckend, wie aber auch wirklich alle mitmachten. Beim letzten Stück hielten fast alle ihre Feuerzeuge hoch und sprangen im Takt. Es herrschte eine extrem ausgelassene Stimmung. Zu Hause überraschte ich dann noch meine Mitbewohner mit der Frage, welche Musik hier viermal am Tag lautstark und immer zur selben Zeit abgespielt wird. Die sieben Uhr Musik hatten sie alle zu ihrem Unmut auch schon vernommen, den Sinn konnten sie sich aber alle nicht erklären. Vermutlich handelt es sich um eine Weckmusik. Sollte das der Fall sein, dann muss ich mich aber an Obelix halten: „Die Spinnen, die Japaner“. In der Woche würde ich das ja noch verstehen, aber doch nicht am Wochenende! Wenigstens gaben mir die anderen aber auch recht und finden das Ganze ziemlich fragwürdig.

Bowlen für Geizhälse

Ich verstehe die Probleme nicht, die andere haben. Orsolya und Co beschweren sich alle, wie schwer es ist, einen Konversationspartner zu bekommen. Ich habe damit irgendwie kaum Probleme. Heute ging es ins Internationale Wohnheim zum Essen. Wer war die erste Person, auf die wir trafen? Rieko, eine Studenten des Studienganges Deutsche Kultur. Dementsprechend muss sie Deutsch lernen. Besonders, da sie im Juli für einen Monat nach Deutschland geht. Da sie dafür natürlich Deutsch verstehen muss und das noch nicht so drauf hat, wurden wir als Gesprächspartner ausgewählt. Da die beiden anderen Deutschen aber keine Zeit haben und eh demnächst wieder nach Deutschland gehen, blieb diese ehrenhafte Aufgabe an mir hängen und damit habe ich mal wieder eine neue Konversationspartnerin. Auch ansonsten war die Party ziemlich lustig. Es wurde z.B. Namensbingo gespielt, wofür man 16 Namen von anwesenden Personen aufschreiben musste. Irgendwie brauchte ich keine fünf Minuten und schon war die Liste voll. Aus mir unbegreiflichen Gründen kannte mich die halben Anwesenden schon namentlich, was einen Namensaustausch sehr beschleunigte. Auch unser Essen kam sehr gut an. Wir waren die einzige europäische Küche. Ansonsten gab es noch Koreanisch, Mexikanisch, Japanisch und Chinesisch. Besonders die chinesischen Köche waren dabei sehr von mir angetan. Grünes Tee-Ei erkannte ich ebenso wie die anderen Gerichte sofort. Da irgendwie keiner Karotten mag, blieb ein Gericht, das fast nur aus Karotten bestand, nur für mich übrig. Also von der Nahrungsmittelversorgung kann ich mich nicht beschweren.

Anschließend lud Watanabe-San zum Grillen in den vierten Flur ein. Ich bin mal wieder sehr neidisch. Der vierte Flur macht eindeutig mehr als wir. Also groß gegrillt, na gut eigentlich eher Yakitori gemacht, aber sie haben es als Grillen bezeichnet. Nachdem dies fertig war, wurde der Wunsch nach Bowling laut. Es war zwar schon Mitternacht, aber das hält ja keinen Studenten auf.

Also ging es schnell zur Bowlingbahn und dort wurde eine ruhige Kugel geschoben. Vermutlich zu ruhig, den in der ersten Runde kam ich nicht über 89 hinaus, da ich immer nur neun Kegel traf. Ich gebe aber den Kugeln und den Schuhen die Schuld. Schuhgröße 30 Zentimeter war kaum zu bekommen und dann auch noch zwei Paar und Kugeln gab es auch nur bis zu einem Gewicht von 15, wobei fünfzehn ganze zwei Mal vorhanden war. Dafür waren die Schuhausgabeautomaten ziemlich amüsant. Die gingen aber nur bis 27 Zentimeter. Anschließend hieß es auf einmal, wir teilen uns in neue Gruppen auf und die Gruppe mit der schlechtesten Gesamtpunktzahl muss den Besten einen Saft ausgeben. Geld ausgeben? Soweit kommt es ja noch. Dazu war unser Team mit einer Durchschnittspunktzahl von 95 Punkten auch noch ziemlich schlecht besetzt. Da sprang mein Geschäftssinn ein. In Katohs Namen, den ich am Display ersetzte (wir konnten für die neuen Gruppen ja keine Namensänderungen mehr vornehmen) schaffte ich 175 Punkte und mein Team mit 15 Punkten den Gesamtsieg. Andre war nicht erfreut, mir einen Saft ausgeben zu müssen, dafür bedankte sich mein Team ausgiebig. Auch, war das mal wieder erstaunlich, wie Japaner aus sich herausgehen. Ob auf dem Boden wälzen, irgendwelche ausladenden Bewegungen, jeder Punkt musste genau dokumentiert und unterlegt werden. Also nichts mit den ganz ruhigen und zurückhaltenden Japanern, wie man sie sich als Europäer so vorstellt. Danach ging es dann aber um zwei doch mal nach Hause, morgen muss ich schließlich meine Konversationspartnerin Mayumi treffen.

Von Kartoffelsalat und Mitstudenten

Wenn man solche Freunde hat, wer braucht da noch Feinde? Diese Frage stellte sich den Vertretern Deutschlands heute öfter. Was bei mir zu selten vorkommt, trifft bei den beiden Deutschen zwei Etagen tiefer sehr häufig zu: Sie treffen sich zu gemeinsamen Runden mit ihren Mitbewohnern. An dieser Tatsache ist meist auch nichts Schlechtes zu finden, bis der Flurälteste Watanabe sie verdonnerte, für ein internationales Fest morgen zu kochen. Natürlich konnte ich sie dabei nicht alleine lassen und wurde als Unterstützung geworben. Also ging es heute auf den Markt, um die Zutaten für eines der einfachsten, aber im Ausland als Deutsch geltendes Essen, zu besorgen – Kartoffelsalat. An sich kein Problem, wären da nicht die Preise. Wir staubten die günstigsten Angebote ab, die wir finden konnten und trotzdem kostete die Schüssel Kartoffelsalat mal locker knapp dreißig Euro. Besonders, dass man Kartoffeln nicht im Netz kaufen kann, erschwerte die Sache ungemein. Aber egal, es ist ja zum Glück einmalig und hoffentlich schmeckt es den anderen auch noch.

Ansonsten habe ich heute mal wieder festgestellt, dass das Beste, was einem im Ausland passieren kann ist, dass die anderen denken, man versteht sie nicht. Als ich heute im Büro saß und meine Sprachkursaufgaben löste, waren ausnahmsweise auch einige Studenten da, die nur im zweiten Jahr sind. Da diese sich kaum mal ins Büro verirren, hatten sie natürlich noch nicht mit mir zu tun. Aus diesem Grund befragten sie die anderen über mich. Der Einzige, der sich raushielt, war Shimizu. Er ahnte vermutlich, dass ich etwas verstehe. Er nutzte eine der Pausen lieber, um ein wenig für mich zu übersetzen, Dabei sollte man eher von erklären sprechen, da er mehr Japanisch, als Englisch und Deutsch gesprochen hat. Es ist auf jeden Fall interessant, über was alles gesprochen wird, wenn man denkt, der andere versteht nichts. Wobei die anderen die Fragen auch nicht so gut beantworten konnten, da sie über mein Privatleben nicht so gut im Bilde sind. Der Einzige, der was wissen konnte, hat halt nichts gesagt. Mir ist aber dadurch mal wieder bewusst geworden, warum ich mich bei solchen Aktionen auch in Göttingen zurück gehalten habe. Man weiß nie, was der daneben sitzende vielleicht doch versteht, denn hören ist leichter als sprechen. Trotzdem trauten die Damen sich auf jeden Fall nicht, mich anzusprechen. Also verwendete ich einen Trick und Shimizu verstand sofort. Ich spielte ihm eines seiner Lieblingslieder auf dem Netbook vor. Er nutzte dies aus, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, indem er mit sang. Dadurch, dass „Mustapha“ aber nun ein sehr seltsames Lied für Queen-Verhältnisse ist, wollten die jungen Damen natürlich erfahren, worum es sich handelte und ich bekam die Chance, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Ich glaube, jetzt werden sie eher auf mich zugehen. Musik ist auf jeden Fall ein gutes Mittel, um das Eis zu brechen. Ich muss sagen, aus zwei Gründen sollte ich öfter mit den Damen sprechen. Auf der einen Seite sind sie nett, auf der anderen Seite muss ich ihre Deutschunkenntnis ausnutzen. So lange ich weiß, dass mein Gegenüber kein Englisch und kein Deutsch beherrscht, fällt mir die Kommunikation auf Japanisch viel leichter. Ansonsten kommt mir zu schnell der Gedanke, warum ich mir das antue, wenn der andere meine Ausführungen auf Englisch und Deutsch doch viel besser verstehen könnte. Dies ist eine Eigenschaft, die ich sehr schnell ablegen sollte!

Nur was den Fußball betrifft, muss ich mir etwas einfallen lassen. Die Japaner haben schon wieder verloren und mein zweiter Advisor wird mich vermutlich über die Gründe ausquetschen. Vermutlich sollte ich wirklich gleich im Büro schauen, wie er es mir angeboten hat, dann gibt es wenigstens keine Nachbesprechungen. Aber es ist schon lustig, dass sie jedes Spiel, was ich von ihnen gesehen habe, verloren haben. Ich scheine dabei kein Glück zu bringen.

Reik 2 : Technik 0

„Amerikanische Bauteile, russische Bauteile, alle Made in Taiwan.“ An dieses Zitat aus Armageddon musste ich heute auch denken. Nicht genug, dass mein zweiter Advisor mit der Technik des russischen Astronauten einen Computer reparieren wollte, einfach kräftig draufhauen. Nein, ich durfte mich mal wieder mit Yodobashi Camera rumärgern. Vor mittlerweile zwei Wochen habe ich mein Handy dort abgegeben, in der Hoffnung, dass ich es schnell wieder bekomme. Dabei wurde mir versprochen, dass ich in spätestens nach einer Woche einen Anruf über die Kosten bekomme. Tja, heute nach zwei Wochen kam dann der Anruf, dass das Handy wieder da ist. Hat ja schon mal sehr gut geklappt mit den Absprachen. Ich befürchtete schon das Schlimmste mit etwaigen Kosten. Also schnell hinfahren und irgendwie erklären, dass ich mein Handy will. Gesagt getan und schon wurden meine Daten auf mein Handy überspielt. Der Display funktionierte auch, was will man also mehr? Nur das Gesicht meiner Betreuerin gefiel mir nicht. Sie versuchte mehrmals, irgend etwas anzurufen und rannte auf einmal los, zu den Kollegen. Nachdem ich verwirrt zehn Minuten am Schalter stand und mir das Schauspiel von drei aufgebrachten Softbankmitarbeitern anschaute, kam sie wieder und meine nur: „Qualitätsprobleme“. O.k., ist die Übertragung nicht so gut, war es eh noch nie! Genau in dem Moment bekam ich von Felix einen Anruf, bekam mein Telefon weitergereicht und schlagartig erkannte ich das Problem. Wie es aussieht, hat man beim Display anschließen den oberen Lautsprecher nicht richtig angeschlossen. Dementsprechend kann ich nichts hören. Mein Leihhandy hatte ich schon wieder abgegeben und es war natürlich auch schon neu formatiert. Es passieren also auch in einem Land der Techniküberflieger einfache Fehler.

Jetzt konnte die ganze Prozedur wieder von vorn beginnen. Das Handy wird wieder eingeschickt und ich darf wieder warten. Warum diese Prozedur aber über fünfundvierzig Minuten brauchte, braucht sich mir wohl nicht zu erschließen. Man hatte sogar soviel Angst, dass der böse Gajin sich aufregen könnte, dass man schon vorsichtshalber den Abteilungsleiter zum Entschuldigen bereitgestellt hatte. Auch die anderen zwei Mitarbeiter, die vorher versucht hatten, das Handy hinzubekommen, entschuldigten sich andauernd. Später berichtete mir eine der Mitarbeiterinnen, dass bei einem derartigen Fall wohl mal ein Europäer sich ziemlich aufgeregt hatte und sie seitdem bei Ausländern besonders besorgt sind. Von den Entschuldigungen kann ich mir zwar nichts kaufen, ich blieb aber die Ruhe in Person, lachte über das Problem und harrte der Dinge, die da kommen werden. Was blieb mir auch anderes übrig. Wenigstens konnte ich so mit der einzigen halbwegs gut aussehenden Angestellten noch ein wenig schwatzen, auch wenn sich das durch die Sprachbarriere als schwierig erwies.

Tennis mit dem Chef

Immer wieder schafft es mein Department, mich zu überraschen. Dabei erwarte ich schon viel und sollte deshalb nicht so schnell geschockt werden. Nachdem mich gestern dankbarerweise ein Mitstudent auf den Tennistermin für heute aufmerksam gemacht hatte, konnte ich heute früh wenigstens mal meine Sportsachen mit zur Universität nehmen. Leider spielt jedes Department hier in Sendai etwas Anständiges wie Baseball oder Fußball, nur meine Leute scheinen eine Vorliebe für die viel zu kleinen Bälle zu haben. Aber egal, drei Tennistermine im Monat umsonst für die Studenten, das hat schon etwas. Etwas seltsam kam es mir dann aber vor, als auf einmal der oberste Chef meiner Abteilung auch den Weg zum Tennisplatz nahm. Mögliche Erklärungen waren aber schnell gefunden. War es nicht möglich, dass er persönlich etwas wegen den Plätzen klären muss? Schließlich waren wir mit Kaori, Shimizu und meinem Informanten schon vier Leute, perfekt für ein Feld also. Aber meine schlimmsten Befürchtungen bestätigen sich, als sich unser Chef ebenfalls umzog.Also hieß es zu fünft Tennistraining und ein wenig spielen. Man muss schon sagen, mein Chef hat es schon drauf am Ball. Er scheint das Spiel öfter zu spielen. Kaori und ich dagegen machten auf Sportschüler und ließen uns noch einmal alle Techniken genau erklären. Vom obersten Boss beobachtet zu werden, hat meiner Technik dazu auch nicht wirklich geholfen und ich lieferte meine schlechteste Leistung am Schläger ab, seitdem ich hier in Sendai Tennis spiele. Da mein Chef mir auch andauernd neue Sachen zeigte, die ich einhalten sollte, wurde es auch nicht einfacher. Ich glaube, einfach so los spielen liegt mir mehr. Dafür haben meine Kommilitonen wenigstens einige deutsche Flüche gelernt.

Anschließend an das Ereignis zog ich mich in das Computerkabinett im Internationalen Institut zurück. Man sollte meinen, dass man dort 19.00 Uhr seine Ruhe hat, aber plötzlich tauchten zwei Japaner auf, die unbedingt ein Essay korrigiert haben wollten. Na gut, zum Korrigieren reicht es bei mir gerade noch, aber er hat so viele Fehler gemacht, dass es schon fast an Umschreiben grenzte. Zu allem Überfluss war die Meinung auch noch so schlecht, idealistisch und schlecht begründet, dass es mir schwer fiel, nicht einfach alles zu ändern. Er hat über Methoden geschrieben, wie man Schülern, die morgens in der ersten Stunde wegen Verschlafen und Faulheit schwänzen, andere Möglichkeiten geben kann, diese Stunden nachzuholen. Dies tat er aber in einer Art und Weise, dass ich mir das Lachen ernsthaft verkneifen musste. Er hat den ganzen Text aber im Original korrigiert bekommen. Trotzdem muss ich wohl nicht verstehen, wie man einen Text auf Englisch verfassen kann und dann aber kein Wort Englisch versteht, noch nicht einmal, als ich es auf dem Computer geschrieben habe. Zum Glück hatte er eine vorlaute Freundin dabei, die mir den Kram etwas erklären konnte. Wenigstens macht sein Text jetzt aber Sinn, nicht wie seine japanische 1-zu-1-Übersetzung, die komplett falsche Satzstrukturen besaß, da die japanischen Strukturen imitiert wurden.

Zu Hause bei Japanern

Wenn eine Japanerin und ein Ausländer zusammen durch die Stadt laufen, bedeutet das für Japaner, dass es sich um ein Paar handelt. Was es dann aber bedeutet, wenn eine Japanerin zwischen zwei Deutschen durch die Stadt läuft, wollte Yuri uns nicht verraten. Unsere Feststellung, eine Japanerin, die sich nicht entscheiden kann, ließ sie leider nicht gelten. Heute sollte diese Art von Kommentaren noch weiter gehen, schließlich waren wir beide zur Abschiedsfeier von Yuri eingeladen. Frei nach dem Motto des Prinzen-Liedes „Was soll ich ihr schenken, ohne sie zu kränken?“ standen wir beide nun vor einem großen Problem: Was schenken wir einer Japanerin, die garantiert nichts aus Japan braucht und an deutschen Sachen auch nicht so interessiert sein dürfte? Die Idee blieb bei einem T-Shirt hängen. Ein T-Shirt, wie einfallslos, wird der geneigte Leser jetzt denken, aber weit gefehlt. Letzten Samstag hatte sich Andre ein T-Shirt mit einer 8-Bit-Rollenspielfigur aus dem Jahr 1987 gekauft. Dafür wurde er von Yuri ausgelacht und geärgert. Sie bestand darauf, dass sie nie so etwas anziehen würde und falls ihr Bruder so etwas haben will, würde sie es beseitigen. Was lag nun näher, ihr etwas zu besorgen, das sie nicht wegschmeißen darf, da es sich um ein Geschenk handelt? Sie war doch eindeutig interessiert an dem T-Shirt? Gesagt, getan und mich im Laden erst mal belehren lassen, dass irgendwie nur Ausländer das T-Shirt kaufen. Das letzte Mal am Sonntag ein großer blonder. Tja, Zufälle gibt es!

Nun ging es ans Verpacken und Beschriften. Das Shirt wurde noch mit unseren Namen und Andres Spitznamen versehen und so gut es ging eingepackt. Anschließend ging es endlich los, nur waren wir schon vier Minuten verspätet. Genau jetzt gab es schon den ersten Anruf, wo wir denn bleiben. Nach einiger Sucherei und einer fast halbstündigen Verspätung, fanden wir dann auch endlich das Haus. Es handelte sich um die Privatwohnung eines Group Mori-Mitglieds mit einer kleinen Küche, einem kleinen Wohnzimmer und anschließendem Tatamizimmer, wo nachts die Betten rausgeholt werden. Es war auf jeden Fall sehr schön, mal irgend eine japanische Wohnung zu sehen und die Idee kennenzulernen, den Lüfter gleichzeitig als Wasserkocher zu missbrauchen. Es wurde ein feucht-fröhlicher Abend. Es gab Sushi zum selbst basteln und andere Köstlichkeiten. Unter anderem entschuldigte sich die Dame noch einmal, dass ich im April nicht vom Flughafen abgeholt wurde und wir nichts von der Willkommensparty von Group Mori wussten, da müssen wir wohl durchs Raster gefallen sein. Besonderes Highlight war aber Yuris Blick, als sie das T-Shirt sah. Trotzdem sah sie es sportlich und probierte es sogar an. Wir beide stellten dann auch das Hauptgesprächsthema dar. Der Mann des Group Mori-Mitgliedes und eine weitere junge Musikantin löcherten uns mit Fragen, die Yuri im Notfall übersetzten musste. An Lebensmitteln und Getränken mangelte es auch nie und im Notfall hatten wir in Sekunden etwas Neues zu essen. Immer darauf bedacht, keinen Fehler zu machen, schafften wir es irgendwie, die Fragen alle zu beantworten. Nur mein Studienfach musste ich anders definieren. Geschichte – insbesondere Generationengeschichte – zu erklären, ist ziemlich schwierig und führte zu einem doppelten Erklärungsversuch. Yuri bekam auf Deutsch eine Erklärung von mir und das Group Mori-Mitglied eine auf Englisch von Andre. Auch zum Thema Freundin wurden wir befragt und wir wurden den Verdacht nicht los, dass sie uns am liebsten mit irgendwem verkuppeln wollte. Das können wir aber auch selber und ein wenig flirtete Andre mit Yuri schon, wenn auch nur aus Spaß. Anschließend wurden uns noch Fotos gezeigt und wir redeten viel. Das erste Aufbruchsignal wurde deshalb auch von mir und der Japanerin gekonnt ignoriert. Andre dagegen, hat gar nichts mitbekommen. So wurden wir erst 1.00 Uhr raus geschmissen. Yuri wird uns auf jeden Fall fehlen und besonders eine Geschichte von ihr war traurig. In Mannheim hat sie keine Freunde, mit denen sie etwas unternehmen kann. Am liebsten hätte sie uns mit nach Deutschland genommen. Schade, dass man da nicht aus der Ferne helfen kann.

Nach langen Verabschiedungen und zwei Umarmungen durch sie, ging es dann doch nach Hause. Wir werden sie auf jeden Fall im Auge behalten und Group Mori hat uns schon für die nächsten Sachen vorgemerkt. Ach, und dass wir Dai mit der anwesenden Japanerin verkuppeln wollten, verraten wir ihm lieber nicht, leider ist es aber an seiner Raucherei gescheitert.