Reik J., der wiedergeborene Freddie M.?

Nachdem ich schon in Deutschland regelmäßig gefordert habe, den Tag zu verlängern, um alles zu schaffen, muss ich wohl auch langsam in Japan diese Forderung stellen. Der heutige Tag fing erst mal ganz gemütlich beim Kaffeetrinken mit einem Japaner an, der ein Jahr lang in Bayern gelebt hat. Sein Deutsch ist dementsprechend anständig. Mir erschließt sich zwar nicht der Sinn, warum man ihm vorgeschlagen hat, nebenbei noch Deutsche Literatur zu studieren, um damit seine Sprachkentnisse zu vertiefen. Aber ist ja eigentlich nicht mein Problem. Dieses Vorgehen wäre zwar vermutlich in Deutschland praktikabel, hier bedeutet es aber, auf Japanisch über Thomas Mann und Kafka zu diskutieren. Das ist eigentlich nicht gerade förderlich für die Vertiefung der Sprachkenntnisse. Auf jeden Fall will er mich jetzt öfter treffen, um sein Deutsch ein wenig zu erhalten.

Nach meinen anstehenden normalen Stunden, stand dann etwas Besonderes auf dem Plan. Da zwei unserer Studenten einen Job für die Zeit nach dem Studium gefunden haben, ging es zum gemeinsamen Nomihodei. Wir bekamen diesmal so viel Essen vorgesetzt, dass es dem Begriff Trinkfest eigentlich gar nicht gerecht wurde. Netterweise übernahmen die Betreuer auch noch einen Großteil der Rechnung, sodass wir am Ende 1500 Yen gespart haben. Als besonders interessant stellte sich die Sitzordnung heraus. Die Advisor waren bemüht, jeden wirklich so zu positionieren, dass die optimalen Gespräche entstehen konnten. Da zum Beispiel einige Herren etwas offener sind, wurde ich kurzerhand von den Damen weg, zu diesen umpositioniert. Aber auch ansonsten war alles aufs Genaueste durchgeplant.

Das echte Highlight des Tages fand deshalb auch danach statt. Unser oberster Boss hatte Lust auf Karaoke, also blieben 5 Japaner und ein Deutscher, der nur die Hälfte verstanden hatte und unwissend stehengelassen wurde, zurück und suchten sich eine Karaokebar. Neben der standardmäßigen kostenlosen Eiscreme und alkoholfreien Getränken, konnte unser Prof. uns ja nicht hungern lassen. Also ließ er kurzerhand noch einmal Pommes, vier Pizzen und noch einige Kleinigkeiten auffahren. So konnte meine erste Karaokesitzung beginnen.
Natürlich musste ich auch noch an echte Vollprofis geraten. Shimizu begleitete sich teilweise mit Mundharmonika, eine der Damen konnte ihre Stimme so verändern, wie ich es nie erwartet hätte und Kalklatte schaffte es, wie eine Frau zu singen. Das ist nebenbei noch nicht mal als Beleidigung zu verstehen. Er sang nur Lieder, die von Frauen gesungen werden. Und wenn man ihn nicht gesehen hätte, hätte man von der Stimme her denken können, er sei eine Frau. Kurzfristig habe ich teilweise schon Vermutungen angestellt, welche Geschehnisse diese hohe Stimme verursacht haben könnten. Auf jeden Fall waren alle mehr oder weniger Profis und ich dazwischen. Den ganzen Abend musste ich an Frau Schemetowas berühmtes „Reik ich bin immer so nervös, wenn du singst!“ und Reiks Antwort: „Wissen sie was, ich auch!!!!“ denken. Also wurde die Datenbank durchwühlt. Bis auf 99 Luftballons und einige andere nicht so tolle Lieder, gab es erwartungsgemäß nichts aus der deutschen Sparte. Also hieß es, ausländische Künstler zu überprüfen. Blöd nur, dass zwar alle Künstler, wie Bowie, Genesis und Co. vertreten waren, aber immer mit nicht so tollen Liedern, die für Anfänger ungeeignet waren. Dementsprechend entschied ich mich für das gute alte „These are the Days of our Lives“ von Queen. Nachdem der Einstieg geglückt war, ging es dann auf der Queen-Schiene weiter. Mutig wurde ich eigentlich nur bei „It““““““““s my Live“ von Bon Jovi, „Another Brick in the Wall“ von Pink Floyd und „Scarabrough Fair“ von Simon and Garfunkel. Ganz blöd habe ich mich auf jeden Fall wohl nicht angestellt, wirklich gut aber auch nicht. Zum Glück konnte ich immer auf die lautstarke Unterstützung vom Shimitsu rechnen. Es ist halt doch lohnend, dass der den gleichen Musikgeschmack hat wie ich. Wie sich herausgestellt hat, mag er selbst Billy Joel und fast alle Bands, die ich auf dem MP3 Player habe. Nebenbei hat Shimitsu mich heute mit japanischen Süßigkeiten eingedeckt. Nachdem ich ihm Schokolade und vor allem Lakritze zu essen gegeben habe, wollte er sich jetzt revanchieren. Und das noch nicht mal im Bösen, da Shimitsu der erste Japaner ist, den ich kenne, der Lakritze wirklich liebt. Auf jeden Fall haben wir knapp 6 Stunden gesungen und erst im Morgengrauen kam ich nach Hause. Wobei es interessant war zu sehen, dass selbst an einem Samstagmorgen um 4 Uhr, noch 5 Leute schnell Kleinigkeiten im Kombini gekauft haben. Also wird es wieder einmal schwer auszuschlafen, auch wenn es wirklich mal dringend notwendig wäre, aber wir werden sehen.

Reik, das Anschauungsobjekt

Heute lernte ich Sendai mal aus einer anderen Perspektive kennen. Nachdem ich in aller Frühe meinen Sprachkurs absolvierte, galt es die Zeit bis zu meinem Treffen mit Kaori sinnvoll zu verleben. Nebenbei, sollte es Giovannie und mir zu denken geben, dass unsere Lehrerin momentan an uns beide nur noch Fragen stellt, die mit Fußball zu tun haben? Ach was, das muss meine Einbildung sein. Wobei ich zugeben muss, dass sie den AC Mailand kennt, aber den ruhmreichen 1. FC Magdeburg nicht, das ist schon ziemlich hart. Zum Glück reichen meine Japanisch-Kenntnisse mittlerweile wenigstens soweit aus, um von dem Sieg gegen Mailand zu berichten. Immerhin bemüht sie sich, die Fragen wirklich auf uns anzupassen und im Gegensatz zu unseren Gläubigen, müssen wir nicht den ganzen Tag Fragen zu unserem Glauben beantworten.

Auf jeden Fall hieß es, drei Stunden zu überbrücken und gleichzeitig einige Erledigungen zu tätigen. Dementsprechend ging es in die Innenstadt, wo überraschend viele Kinder rumliefen. Nie fühlte ich mich hier beobachteter. Ein Kind ging sogar soweit, den Kopf seines Mitschülers mit seinen Händen in meine Richtung zu drehen, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Was soll man in solch einer Situation bitte machen? Nach einigem Grübeln entschied ich mich für ein einfaches Nicken, verbunden mit einem Konichi Wa. Dass ich beobachtet werde, habe ich ja öfter und meist stört es mich nicht. Aber heute stellte das schon einen Extremfall dar, was nicht zuletzt der Tatsache geschuldet war, dass nicht allzu viele Leute auf der Straße unterwegs waren. Leider hätte ich mich mit meinen Besorgungen aber nicht so ranhalten müssen, da Kaori spontan krank geworden ist. Dementsprechend fiel diese Veranstaltung dann doch ins Wasser. Aber kein Problem, da hat mir Schimitsu halt ein wenig Go erklärt. O.k., ich hätte eher eine unserer Damen befragen sollen, da er immer gegen diese verliert, er ist aber leichter in Gespräche zu verwickeln. Gleichzeitig versuchte ich, den Japanern französische Schätze näher zu bringen. Alle Studenten müssen deutsche Kinderbücher als Hausaufgaben lesen, um ihr Sprachverständnis zu verbessern. Durch Zufall entdeckte ich, verstaubt auf den Schränken, eine komplette Asterix-Kollektion. Und da ich schon immer befragt wurde, was wir für Comics lesen, machte ich halt eine Lehrstunde über Asterix. Ich glaube, die Leute waren nicht so vom Zeichenstil überzeugt, aber dafür konnte ich den Ausfall Kaoris gut kompensieren. Trotzdem muss sie bald wieder fit sein. Ich habe ein Problem mit meinem Handy und da muss sie zur Hilfe mit in den Laden kommen, um es ihnen zu erklären. Aber das wird erst kommen, wenn sie fit ist.

Von Clubs und Tennis

Wie ich schon des öfteren angedeutet habe, sieht die Arbeitseinstellung der Japaner etwas anders aus, als in Deutschland. Eine nicht unbedeutende Rolle spielt dabei das Studierzimmer. Unsere Bibliothek fungiert gleichzeitig als Arbeitsplatz und Lebensmittelpunkt. Hier hat man alles, was man benötigt. Einen mit Alkoholika aller Art gefüllten Kühlschrank, Mikrowelle und Kaffeemaschine sind genauso vorhanden, wie Schließfächer für die Studenten. Durch diese Annehmlichkeiten ist es für die Japaner auch einfacher, mal schnell spontan zu sein. So geschah es heute, dass ich kurz das Büro betreten habe und schon der spontane Beschluss von Schimitsu und einem seiner Freunde gefällt wurde, wir gehen Tennisspielen. O.k., Fußball wäre mir lieber gewesen, aber ich bin ja für alle Schandtaten zu haben. Also ging ich mit. Tennisschläger werden im Büro gelagert, stellen deshalb also auch kein Problem dar. Die Uni verfügt über Tenniscourts, so ist das auch kein Problem. Sportsachen hatte ich natürlich wieder einmal nicht dabei, aber die beiden anderen auch nicht. Dementsprechend ging es in Straßenkleidung auf den Platz und ein schnelles Spiel entbrannte, das auch nicht durch den Regen aufgehalten werden konnte.

Aber auch an anderen Gelegenheiten mangelt es hier nicht, um seine Hobbys auszuleben. Die Uni hat für diesen Zweck auf dem Campus die verschiedensten Gebäude für Clubs errichtet. So gibt es unter anderem ein abgelegenes Haus mit extra Schießstand für den Bogenschießclub. Ein großes Haus für alle Musikclubs und die Kartenclubs, musste ich dann heute mit Orsolya besuchen. Diese möchte dem Jachtclub beitreten. Leider ist dieser schwer zu finden und wir zogen deshalb zusammen los, um diesen zu suchen. Besagtes Gebäude stellte ein Schauspiel für sich dar. Die Clubräume waren allesamt nicht größer als meine alte Studentendorfwohnung, also knapp neun Quadratmeter. Dementsprechend standen Mitglieder jedes Musikvereins vor der Tür und spielten ihre Instrumente. Man wurde schon am Eingang von einer Serie schiefer Töne und nicht zusammenpassender Lieder begrüßt. Diese Erfahrung war für mich ein klares Zeichen, bei einer etwaigen Clubsuche einen zu nehmen, der nicht in diesem Gebäude liegt. Mehr zugesagt hat mir da schon der Outdoor-Club. Dessen Raum liegt in einem zweiten Komplex. Hier sieht zwar alles etwas abgenutzt und seltsam aus, dafür haben die Clubräume einen ganz eigenen Charme. Konsolen aller Art, viele Mangas und eine eigene Kochecke führen dazu, dass man trotzdem ein gutes Gefühl hat, wenn man den Raum betritt.

Solch ein Clubsystem wie hier, habe ich auf jeden Fall in Deutschland bis dato noch nicht gesehen. Ähnliches haben wir nur in Ansätzen in den Sportvereinen. Aber ansonsten gibt es etwas in dieser Art, im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, bei uns in Deutschland kaum. Ob diese Erfindung sinnvoll ist, muss da aber jedenfalls jeder für sich selbst entscheiden. Eine etwas größere Vielfalt, würde aber auch Göttingen nicht unbedingt schaden. Der oben bereits beschriebene Studierraum wäre in meinen Augen auch für deutsche Unis eine ziemlich sinnvolle Erfindung. Im Prinzip ist er wie unser Freiraumkaffee, nur für halt für Mitglieder der Abteilung. Dies stärkt auf jeden Fall das Gemeinschaftsgefühl, worauf hier ziemlich Wert gelegt wird.
Ansonsten wurde mir heute mal wieder bewiesen, dass Japan zu klein für normale Leute ist. Als ich heute Coop besuchte und dazu eine Treppe heruntergehen musste, habe ich mir ziemlich stark den Kopf gestoßen. Wenn man dann weiß, dass ich sowieso immer leicht nach vorn geneigt laufe, ist das um so verwunderlicher. Trotzdem sind Treppen hier wirklich nur auf Japanergröße ausgerichtet. Also, wer immer hier mal vorbei schaut, bitte den Kopf unten halten! Na wenigstens hatte Orsolya etwas zu lachen.

Deutsches Tayaki

In Ungarn herrscht Land unter, in Deutschland bricht die Eiszeit erneut aus und in Japan, ja, da herrscht Sonnenschein. Wir haben bis zu dreißig Grad und keine Wolke am Himmel – so kann es bleiben. O.k., wärmer darf es nicht mehr werden, sonst stelle ich die Arbeiten ein, aber ohne Regen mag ich es schon mal ziemlich. Auffällig ist dagegen, wie sehr Japaner um ihre Computer-Bräune besorgt sind. Während man in Deutschland rausgehen und die Sonne genießen würde, sieht man die Japaner kaum auf den Straßen. Sie verstecken sich im Schatten oder schützen sich mit einem Regenschirm vor der Sonnenstrahlung.

Aber es gibt auch die zweite Sorte Mensch, die keine Zeit hat, die Sonne zu genießen. Erst hieß es für mich heute, im Japanischunterricht nach dem Mund von Frau Abe zu reden. Wer traut sich denn auch zuzugeben, das Japanisch-Lernen langweilig ist, wenn sie direkt hinter einem steht. Ihr Vorführen des Tanzes von gestern war dafür aber zu köstlich. Anschließend wurde die Mission für heute gestartet: Verschicke ein Paket nach Deutschland, ohne die notwendigen Sprachkenntnisse und ohne eine vernünftige Verpackung zu haben. Es endete in einem Showkampf mit Händen und Füßen – und mittendrin drei Ausländer. Reik entdeckte zwei Kommilitonen und spannte sie gleich ein, zu helfen. Leider konnten die beiden genauso wenig Japanisch, wie meine Wenigkeit. Also half uns nur das Schauspielern weiter. In Form von Montagsmalerei wurden unsere Wünsche dargestellt. Auf jeden Fall wurde das Paket nach 30 Minuten erst mal verschickt. Jetzt bin ich mal gespannt, wann der Kram ankommt (zwischen 6 und 60 Tage ist wohl einkalkulierbar).

Das Highlight war aber das Deutsche Tayaki von gestern. Ich habe es in meinem Department verteilt und der Gesichtsausdruck einiger „Opfer“ war zu göttlich. Reingehauen haben sie dann aber trotzdem richtig. Die Reaktionen waren ziemlich geteilt und besonders Leberkäse kannte niemand so wirklich hier. Nur die Frage ist, wie soll man Leberkäse bitte schön erklären? Thomas kann sich wohl schon auf neue Kunden einstellen. So viel Werbung, wie wir in den letzten Tagen betrieben haben, muss sich der Umsatz eigentlich mindestens verdoppeln. Trotzdem meinte Herr Kawamura, dass ich sein Weltbild von Tayakis zerstört habe.Was soll das erst werden, wenn ich mit Döner-Tayaki komme? Eine andere Sache, die Japanern ungemein Angst macht, ist Lakritze. Passenderweise habe ich welche in Sendai entdeckt und einfach mal mitgebracht. Wir haben auch wirklich jemanden gefunden, der sie gerne zu sich nimmt. Schimitsu-kun kann wirklich alles essen. Ich bleibe da doch lieber bei der neuesten Spezialität auf dem Campus: selbstgemachte Crêpes mit Eis und Erdbeeren. Für 250 Yen kann man da echt nichts verkehrt machen.

Ach ja, meine zukünftige Tandempartnerin von gestern, hat sich auch bei mir gemeldet. Offensichtlich handelt es sich um eine 26-jährige Japanerin, die gerne reist und kocht. Mit der Aussage, dass sie gerne Fußball schaut, hat sie natürlich gleich meine Zustimmung gewonnen. Jemanden, der freiwillig Fußball schauen als Lieblingsbeschäftigung angibt, kann ich auch mal treffen. Mal schauen, wie sich das noch entwickelt.

Big brother is watching you

Das Wochenende ist vorbei, der Ernst des Lebens geht wieder los. Dementsprechend ging es heute erst mal zu Group Mori. Neben der älteren Dame, deren Dosen ich öffnen durfte und die sich darum extra stark um mich kümmerte, hieß das für mich heute: Gespräche mit Chinesen. Diese belagern den Raum zu späterer Stunde, zu der ich meist erst erscheine. Besonders eine Dame hatte dabei heute Interesse an mir. Sie hat eine japanische Freundin, die Deutsch lernen will und mich dafür als Tandempartner benötigt. Es ist ja eigentlich so, dass davon schon viel zu viele habe, schließlich nutzt mein halbes Department mich für diesen Zweck aus. Egal, eine Dame mehr oder weniger fällt da auch nicht mehr ins Gewicht. Was die Frage danach, ob ich verheiratet bin, bedeuten sollte, hat sich mir zwar nicht so genau erschlossen, ist vermutlich aber auch nicht wichtig. Nur im Zusammenhang hörte sich die Konversation schon etwas seltsam an: „Würdest du sie als Tandempartnerin nehmen? Ach und bist du verheiratet?“

Dann ging ich doch lieber schnell ins Department um zu schauen, ob die junge Dame von gestern noch mit mir redet. Aber da ist alles in Ordnung und mein zweiter Advisor hat sich köstlich über die Geschichte amüsiert. Dafür habe ich nochmal etwas Schokolade für das Department springen lassen und mir das Schauspiel angeschaut, wie Japaner versuchen, Ritter-Sport zu essen. Auf die Idee, die Tafel in der Mitte zu knicken, sind sie erst gekommen, als eine Deutschland-Veteranin sie darauf aufmerksam machte. Für das Betriebsklima ist Schokolade auf jeden Fall das beste Mittel.

Nachdem die japanischen Pflichten endlich alle erledigt waren, konnte es in die Stadt gehen. Aber auf dem Weg wollte ich noch eine Postfiliale suchen. Seit Tagen schließlich brannte ein Brief an die Uni Göttingen darauf, abgeschickt zu werden. Wie immer kannte ich mich nicht aus und fragte. Das stellt schließlich eine gute und praktikable Möglichkeit dar, die Sprache zu üben. O.k., siebzig Prozent der Menschen versuchen auf Englisch zu antworten, aber immerhin dreißig Prozent sprechen auch auf Japanisch mit mir. Blöd nur, wenn eine Polizeistreife in der Nähe ist, die auch noch Langeweile hat. Also wurde diese von der angesprochenen Dame gebeten, uns doch bitte unseren Standort zu verraten. Kein Problem, gesagt getan und schon kannte ich den Weg zur Post. Nur die Polizei hatte leider zuviel Langeweile. Also hieß es Aliencard rausholen, Fakten von dieser abschreiben, Telefonnummer verraten und noch ein wenig Smalltalk über Reiks Studien halten. Auch wenn mir bewusst ist, dass solche Untersuchungen hier häufiger vorkommen, dafür dass ich nur nach den Weg gefragt habe, hätte ein Vorzeigen der Karte auch gereicht. Das Abschreiben der Fakten in den Notizblock war schon etwas seltsam. Da mir aber nichts vorgeworfen wurde und ich mir keiner Schandtat bewußt bin, gehe ich von einer Standarduntersuchung aus. Diese Vermutung verstärkte später auch Thomas, der deutsche Barbesitzer, den ich noch einige deutsche Tayakis abkaufte, um morgen meine Advisor zu verwirren. Gleichzeitig gab es die Ankündigung für die neueste Kreation, die es ab morgen gibt: Indisches Tayaki. Wie das schmecken soll, kann ich mir zwar noch nicht vorstellen. Andere hätten das aber am liebsten schon heute dort geholt.

Ein neuer Tag – Festival Tag 2

Festival – Tag zwei war der Plan für heute, aber erst mal hieß es, ein anderes Hindernis aus dem Weg zu räumen. Gestern hatte ich eine Benachrichtigung im Postkasten, dass mein Paket aus Deutschland nicht abgegeben werden konnte. Also habe ich Nobu um 21.00 Uhr beauftragt, dort anzurufen. Es wurde verabredet, dass das Paket heute zwischen 8 und 12 erneut zugestellt wird. Man muss die Post hier echt lieben. Nicht nur, dass das Anrufen vierundzwanzig Stunden möglich ist, nein – Punkt 8 Uhr klingelte es und mein Paket war endlich da. Damit wird mir auch das Fahrradfahren erleichtert, da ich endlich eine lange Sattelstange besitze. Geklaut werden kann mir der Sattel auch nicht mehr, da es z.B. Katoh nicht mal geschafft hat, sich auf das Fahrrad mit neuem Sattel draufzusetzen.

Anschließend ging es in die Innenstadt. Wir kamen auch gerade rechtzeitig für eine Artistikshow mit Leitern. Leider standen wir falsch, so dass wir die schwächsten Artisten erlebten. Aber selbst die waren schon beeindruckend und aus der Ferne konnte man die starke Leistungen der anderen Gruppen sehen. Wobei, das Sehen war so eine Sache. Vor mir stand eine alte Dame und versuchte verzweifelt, die Kamera so hochzuhalten, dass sie das Geschehen ohne Köpfe fotografieren kann. Da das Hochstrecken aber bedeutete, dass die Kamera in meiner Schulterhöhe war, nahm ich ihr die Kamera ab und machte schnell die Bilder. Meine Größe überraschte sie so, dass sie eine halbe Stunde später mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihrem Enkel wiederkam und ihren Mann ein Foto von uns vieren machen ließ. Dann unternahm sie noch den Versuch, dass das sehr junge Enkelkind mit mir sprechen sollte. Das Kind war verdammt süß, weigerte sich aber zu sprechen. (Hätte ich bei einem komischen großen Typen, der auch noch anders aussah, vermutlich auch gemacht.) Ältere Kinder störte das weniger. So hatte an gleicher Stelle ein Mädchen auf den Schultern ihres Großvaters ihren Spaß, meine Haare zu begutachten und sich dibisch zu freuen, wenn ich mit ihr interagierte.

Nachdem dies erledigt war, ging es entlang der Fressbuden zu einer frühneuzeitlichen Waffendemonstration. Besonders auffällig war, dass die Japaner es lieben, alles aufzuspießen. Ob Fisch, Würstchen, Okonomiyaki, alles gab es in Spießform. Auf dem Weg traf unsere japanisch-vietnamesisch-deutsche Delegation dann noch Felix und seinen Vater, der dank eines Abstechers bei einer Geschäftsreisegerade Japan besucht. Zusammen ging es weiter, die Waffentechnik zu begutachten und dann einen mittelalterlichen Schwertkampf anzuschauen. Dieser enttäuschte mich leider etwas, da er in Form von Schattenkämpfen ausgeführt wurde und die Kontrahenten immer weit voneinander abbremsten. Wobei es auch besser so war, da bei vollständig ausgeführten Schlägen der Held der Geschichte schon im ersten Kampf durch eine Ungenauigkeit verloren hätte. Bei diesem Stück sah ich dann auch eine meiner japanischen Kommilitoninnen. Diese sehr kleine Dame ignorierte mich und reagierte auch nicht auf Begrüßungen, als ich hinter ihr stand. Sie versuchte verzweifelt, über die vor ihr stehenden Reihen von Japanern hinwegzuschauen. Da mir ein ins Gesichtfeld stellen für die Begrüßung aber zu plump war, entschied ich mich für eine andere Art. Schnell wurde die Dame an der Hüfte gepackt und einen Meter über die Erde gehoben. Nach einem markbetäubenden Schrei der Überraschung erkannte sie mich endlich und sie konnte sich vor Lachen gar nicht mehr beruhigen. Ich entschuldigte mich noch ein paar Mal, obwohl ich sagen muss, das Ergebnis war mir diese Begrüßung wert.

Anschließend gingen die später hinzu gekommenen Laura und Orsolya und meine Wenigkeit dann noch zur Bühne in der Nähe des Rathauses und lauschten den Bands. Zwar waren einige, wie die Flamenco-Truppe, nach meinem Geschmack nicht ganz so gut, aber dafür riss die Trommelband zum Schluss noch einmal alles heraus. Zwar fehlte der Band die Leichtigkeit weltweit bekannter Bands wie Yamato, trotzdem konnte sich der Auftritt sehen lassen. Der Jubel der ansonsten heute sehr zurückhaltenden Zuschauer kannte keine Grenzen mehr, als auch noch der zum Fest gehörende Tanz zum Abschluss gespielt wurde. Mit dieser Aktion beendeten wir auch diesen Abend und kehrten in die Heimat zurück. Es lässt sich auf jeden Fall festhalten, dass japanische Feste von der Grundhaltung genau so ablaufen wie deutsche. Nur das Zuschauer-Aktive-Verhältnis ist hier etwas anders. Während in Deutschland solche Veranstaltungen bei guter Leistung stark beklatscht werden, passiert dies in Japan kaum. Dagegen sind die aktiven Mitglieder des Festivals viel motivierter. Wer in Deutschland schon einmal Umzüge von Dorfkapellen gesehen hat, die nicht genug zu trinken bekamen, kann sich vorstellen, was ich meine. In Sendai mussten die Tänzer ewig umherziehen und trotzdem zeigten sie Topleistungen. Selbst die Rentner der Truppe schafften es nach drei Stunden immer noch, das Tanzbein zu schwingen. Ansonsten ist sich das Ganze schon ziemlich ähnlich.

Suzume-Odori

Es gibt Wochenenden, da gibt es kaum etwas zu erledigen und dann gibt es so etwas wie heute, wo man sich gar nicht entscheiden kann. Gut, was macht man, wenn man sich nicht entscheiden kann? Mann nimmt alles mit. Dementsprechend ging es heute ziemlich früh zum BBQ von @home und tufsa. 120 Teilnehmer stritten sich dabei um die Lebensmittel. Es gab vier Grillecken, die Gegrilltes aus Russland, Südamerika, Thailand und Neapel versprachen. Zusätzlich standen eine italienische Minestrone und eine koreanische Suppe und als vegetarisches Gericht Yakitori-Soba bereit. Um das Eis zwischen Japanern und Ausländern zu brechen, hatte man sich die Methode ausgedacht, den Leuten bei der Anmeldung Gutscheine auszustellen. Man bekam vier gleiche Gutscheine und musste einen mit einem Ausländer und zwei mit Japanern tauschen, um an das unterschiedliche Essen heranzukommen. Gut, das Fleisch fiel für mich schon mal flach, dementsprechend wurde der zu spät gekommene Katoh erst mal mit zwei Gutscheinen eingedeckt. Nach 120 Anmeldungen erhielt nämlich niemand mehr Gutscheine und so wäre er aus dem Raster gefallen. Die restlichen zwei Gutscheine wurden dann gerecht auf die osteuropäischen Nachbarn aus Bulgarien und Ungarn verteilt und ich wendete mich der Minestrone zu. Wie auch die Fleischgerichte, war diese nicht wirklich originalgetreu, aber wenigstens vegetarisch und lecker. Die Soba sahen zwar gut aus, nach meinen letzten Erfahrungen mit Soba habe ich aber doch lieber auf sie verzichtet. Die dadurch gewonnene Zeit habe ich lieber sinnvoll genutzt, indem ich einer Japanerin das Steinespringen am FLuß erläutert habe. Für den eigentlichen Wettkampf war ich aber nicht gut genug. Dann haben mich noch zwei Herren des örtlichen Fußballteams abgefangen und über Deutschland, die Welt und natürlich Fußball ausgequetscht. Übernächste Woche steht dann wohl ein Testspiel an. Aber auch ansonsten gab es einige interessante Gespräch und natürlich die üblichen Heul-Arien, wie sehr man den Herrn aus Göttingen, der vor zwei Jahren hier war, doch vermisst. An diese habe ich mich aber mittlerweile gewöhnt.

Danach ging es dann in die Innenstadt, das Aoba-Matsuri genannte Fest anschauen. Dieses Fest aus der Zeit um 1650 ist Date Masamune geweiht und stellt das öffentliche Vorführen der örtlichen Schreine dar, untermalt von einem Volkstanz. Dieser Volkstanz existiert seit der Errichtung der Burg Sendais im Jahr 1605. Er wird Suzume-Odori (Sperlingstanz) genannt, weil er die Bewegungen von Sperlingen darstellt. Dabei werden besonders Fächer genutzt und wirklich jede Altersgruppe ist beteiligt. Vom verängstigten Kleinkind bis zur rüstigen Rentnerin und selbst diese springen wie junge Vögel durch die Gegend. Für Ausländer ist nur die Tatsache nervig, dass sich der Text und die Melodien nie ändern und die Gruppen den gleichen Tanz, nur mit leichten Variationen durchführen. Dieser ist trotzdem sehr beachtlich und wird teils mehrere Stunden am Stück durchgeführt. Morgen werden dazu dann auch die Schreine rumgetragen. Trotzdem hat es sich gelohnt, sich in das Gewühl zu schmeißen, auch wenn wir wieder Thema waren. So wurde ich von japanischen Schülerinnen als Ausländer begrüßt und man war sehr begeistert. Blöd nur, dass ich es nicht mitbekommen habe und Katoh mir vor Lachen nichts erklären konnte. Mein Aussehen muss aber auf jeden Fall Deutsch sein. Wir waren auf dem Nachhauseweg kurzzeitig in einem Restaurant mit geteilter Toilette. Als ich diese verlassen wollte, kam eine Japanerin auf mich zu und meinte nur: „Könnte ich diese Toilette nutzen?“ Mein verwirrter Gesichtsausdruck erzählte natürlich Bände, da ich mich weder im Lokal noch draußen Deutsch unterhalten habe.

Morgen wird das Chaos weitergehen und wir werden das große Finale anschauen. Vorher muss ich aber erst mal mein Paket aus Deutschland von der Post bekommen. Heute konnte es mir leider nicht zugestellt werden, da ich nicht zu Hause war. Wenn ich eines hier liebe, sind das die Sonntage. Heute um 20.00 Uhr haben wir die Post angerufen und mein Paket für morgen erneut ausstellen lassen und morgen früh kommt dann die Post. Hoffentlich klappt das alles, aber wird schon, warum auch nicht.

YouTube-Star

In jedem Land, in dem man die Sprache nicht versteht, läuft man Gefahr, Fehler zu begehen oder komische Erlebnisse zu haben. Die Fehler merke ich persönlich nicht so sehr, aber komische Erlebnisse habe ich doch des Öfteren. Der Vorteil ist, egal was ich unterschreiben muss, ich lasse es mir von kundigen Japankennern übersetzen oder ich unterschreibe es nicht. Telefonanrufe von irgendwelchen Verkäufern hatte ich auch schon des öfter. Der Typ heute hat mich sogar verstanden, dass ich nur Englisch beherrsche. Er hat dann aber doch wieder Versuche auf Japanisch gestartet, so dass ich aufgelegt habe. Blöd nur, dass man bei Mitstudenten nicht so verfahren sollte.

Als ich heute Shimitsu getroffen habe, erklärte er mir stolz etwas auf Japanisch. Es ging irgendwie um Musik und ob ich mitkommen will. Hörte sich vernünftig an und ich hatte auch gerade nichts besseres zu tun. Also habe ich zugesagt – und da lag der Fehler. Schneller, als ich mich versah, mußte ich an irgendeiner Stelle stehen und den Hintergrund für eine Musikvideo-Parodie darstellen. Das Video wurde dann auch erst mal im kompletten Department rumgezeigt. Die Leute haben sich amüsiert, dass ich den Hintergrund darstellen musste. Ich will gar nicht wissen, was er mit diesem Video machen will. Nebenbei: Ich sollte unbedingt meine Japanischkentnisse aufpolieren! Es ist irgendwie etwas verunsichernd, wenn im Zusammenhang mit Schach andauernd mein Name fällt. Und wenn ich es richtig verstanden habe, wird in diesem Zusammenhang auf Shimitsus und meinen glorreichen Sieg gegen Kalklatte (und ich nenne ihn so, weil er blasser ist als ich und das soll was heißen) verwiesen wurde. Wobei Shimitsu wohl mir die alleinige Verantwortung übertragen hat. Trotzdem würde ich doch gerne genauer wissen, was da besprochen wurde, aber dafür waren sie leider zu schnell. Das beste Bild gab aber das Department um 17.30 Uhr ab. Der oberste Chef der Abteilung spielte Karten mit einigen Studenten und die anderen 6 Studenten und mein zweiter Advisor schauten zwei Studenten beim Go-spielen zu. Man kann echt sagen, in meinem Department herrscht ein ziemlich familiäres Verhältnis.

Blau/Gelb/Rot

Über die Tücken des japanischen Straßenverkehrs, insbesondere der Radfahrer, habe ich mich ja schon einmal ausgiebig ausgelassen. Trotzdem hatte ich in den letzten Tagen mehrfach die Gelegenheit, den Straßenverkehr etwas genauer erklärt zu bekommen. Gleichzeitig verbrachte ich die meiste Zeit im Labor und konnte endlich das Gerücht der strebsamen Japaner widerlegen.

Immer mehr erschließt sich mir, dass das Ignorieren von Verkehrsregeln ein allgemeines Hobby der Japaner ist. Autofahrer lieben es, bei dunkelblau (grün ist hier blau) über die Ampeln zu rasen. Busfahrer nehmen meist keine Rücksicht auf die Straße, die sie befahren. Sie rasen durch kleinste Gassen, als ob gar keine Gefahr besteht, dass Gegenverkehr kommt. Dies ist der komplette Gegensatz zu den Japanern, die auch schon mal zehn Minuten hinter einem Radfahrer herfahren, um kein gefährliches Überholmanöver durchführen zu müssen.

Aber auch bei Regeln allgemein nehmen es die Japaner gelassener als meine Wenigkeit. Die Parkverbotsschilder in der Innenstadt sind allesamt zugeparkt und selbst einfachste Regeln wie „Nicht mit dem Hund durch den Bahnhof spazieren!“ werden gekonnt überlesen. Besonders die Parkverbotsschilder stellen uns Ausländer vor gewaltige Probleme. Auf das Glück und die Japaner verlassen oder doch lieber das Rad in Sicherheit haben? Auch die Auslegungen im Haus Sanjo sind ziemlich interessant. Offiziell dürfen wir nicht Gefährliches besitzen und sind verpflichtetet, sogar Drucker nur zu mieten. Interessanterweise hebeln unsere Japaner diese Regeln gekonnt aus. Wenn man deren Zimmer sieht, ist der letzte Beweis gegeben, dass die Regeln offensiv hier sehr ausgelegt werden.

Auf jeden Fall kann ich dadurch jetzt zwei typische Vorurteile gegenüber Japanern widerlegen. Erstens sind Japaner wirklich noch bürokratischer, als es sogar die Deutschen sind. Die Regeln werden aber geschickt allesamt gedehnt. Dasselbe gilt für das Vorurteil des ewig arbeitenden Japaners. Nachdem ich in letzter Zeit an mehren Tagen bis zur Schließzeit im Department war, hat sich meine Vermutung bestätigt. Ursache für die langen Arbeitszeiten sind die Chefs und die leichte Ablenkbarkeit der Japaner. Keine 10 Minuten schaffen es die meisten, sich auf einen Text zu konzentrieren und sie machen etwas anderes. Dementsprechend lange bleiben sie deshalb in der Uni.

Das Problem mit den Namen

Wie kommt es eigentlich, dass wenn ich von anderen Leuten schreibe, immer nur ausländische Namen oder Kaoris Name fällt? Bin ich japanerfeindlich und unterhalte ich mich mit meinen Departmentleuten nicht oder wo liegt das Problem? Erst mal, ich kommuniziere regelmäßig mit ihnen. Das eigentliche Problem lässt sich auf zwei einfache Punkte reduzieren, die ich im Folgenden kurz erläutern möchte. Punkt Nummer eins: Es ist ziemlich schwer, Japaner in Gespräche zu verwickeln, in denen man nicht das Gefühl hat, dass sie gleich abhauen möchten. Der zweite Punkt ist von ziemlich trivialer Natur: die Namen. O.k., das Problem, dass mich die halbe Welt kennt, ich aber nie die Namen weiß, ist mir jetzt schon etwas länger bekannt. Hier in Japan wird das Ganze dann aber doch etwas auf die Spitze getrieben. Ich habe in meinem Lab rund 50 Leute, von denen im Schnitt vielleicht täglich 10 anzutreffen sind und 7 den harten Kern bilden. Die haben es einfach und müssen sich nur meinen Namen merke. Für mich ist das aber etwas komplizierter, da Japaner im Englischen dazu auch noch gerne nuscheln und man erwartet, dass ich mir die Namen nach der ersten Vorstellung auch noch merke. Meine Codenamen wie „Knubbelnase“ und „Kalklatte“ sind zwar für die einfachere Einordnung ziemlich praktisch, aber im echten Leben wohl weniger praktikabel. Trotz allem lerne ich die Leute langsam näher kennen und ich muss wohl dringend Telefonnummern austauschen, um die Namen mal herauszubekommen. Da lobe ich mir Facebook oder Studi, die erleichtern das Leben ungemein, leider haben die Japaner es aber nicht so mit diesen Programmen.

Heute war ein extremer Tag, an dem dieses Problem zum Tragen kam. Nach meiner obligatorischen Kanjistunde besuchte ich mein Department. Passenderweise betrug die Anzahl der möglichen Gesprächspartner im Labor 0 und die Anzahl der anwesenden Japaner 6. Alles kein Hindernis. Erst mal habe ich die Ruhe mit der Allzweckwaffe Schokolade gelockert und dann habe ich festgestellt dass mich so ziemlich gar keiner versteht. Ich bin dann in die Ecke verschwunden, habe ein Karl Marx-Karrikaturenbuch auf Deutsch geschnappt und gewartet was denn so passiert. – Notiz an mich selber: Japanischlernanstrengungen maximieren! – Der Vorteil dieser zurückgezogenen Position ist, dass man auf der einen Seite gut den Gesprächen folgen und ohne das Wissen der Japaner sein Verständnis der Sprache schulen kann und auf der anderen Seite befinde ich mich in so einer Lage, dass ein schnelles Einbinden in irgendwelche Aktivitäten ermöglicht wird.

Lange brauchte ich auch nicht zu warten und schon wurde ich mit einem zierlichen „Nachname+san, Text berichtigen?“ aufgeschreckt. O.k. das Nachname+san muss ich einigen dringend abgewöhnen. Ich weiß ja, dass es die übliche Variante ist, aber bei japanischen Namen hört sich das noch vernünftig an, bei deutschen Namen finde ich es unpassend. Also wurde schnell ein großer Text berichtigt und einige interessante Fakten über die Dame dabei herausgefunden. Danach ging es wieder in die Achtungsposition, aus der immer mal kurze Versuche unternommen wurden, um mich einzubinden. Richtig was geworden ist das aber leider nichts. Dafür habe ich mittlerweile drei Ansprechpartner im Department und einige zumindest so halbwegs.

Neben der bekannten Kaori ist dabei mein alter Tennispartner hervorzuheben: Schimizu-san (Codename Knubbelnase – der Name könnte sich noch ändern, wenn endlich mal jemand deutlich seinen Namen ausspricht). Sein Deutsch und Englisch sind ziemlich unterdurchschnittlich, was uns die Kommunikation sichtlich erschwert, er ist dabei einer der wenigen, wo ich es wirklich bedauere. Neben seinem Sportinteresse sticht besonders sein Musikgeschmack hervor. Wer Mustapha von Queen kennt und dann noch mag, muss schon einen besonderen Geschmack haben. Aber auch Pink FLoyd und einige andere Bands wie Genesis mag er. Dementsprechend tauschen wir uns eigentlich nur mit Musikbegriffen aus.
Neben ihm stechen noch zwei Damen heraus. Beide können Deutsch und haben schon mal kurz Deutschland besucht. Fuji-san (Angaben ohne Garantie ;-p) zeichnet sich durch ihr löchern nach Backrezepten aus. Die zweite Dame hat ebenfalls einen exquisiten Musikgeschmack, denn welcher Japaner hat schon eine Prinzen-Musiksammlung? Mit diesen drei Personen sind immer auf irgendeine Art und Weise Gespräche möglich.

Trotz allem gelingt mir das Ganze mit Gewalt auch bei den anderen. So ist es eine gute Gelegenheit, mit Japanern den gleichen Nachhauseweg zu haben. Dabei wurde z.B. die Dame ausgequetscht, der ich bei den Hausaufgaben geholfen habe. Auch eine gute Übung für mein Japanisch, da die deutschen bzw. englischen Fragen meist nicht verstanden werden. Besonders ihr Hobby, Handynovellen zu schreiben, erscheint mir ziemlich interessant. Passt aber auch zu der ziemlich zurückgezogenen Art der Dame. Dazu muss man wissen, das Handynovellen der neueste Schrei in Japan sind. Handys können hier ja alles, also auch z.B. Fernsehen und jetzt wurde die Marktlücke für den Japaner gefunden, der nicht immer Bücher mitschleppen kann. Mangas und Bücher können sehr günstig als Fortsetzungsgeschichten im Internet gekauft und auf dem Handy gelesen werden. Das sie da anständige Geschichten schreiben kann, ist schon ziemlich beeindruckend.

So ich hoffe ich konnte ein wenig Einblick in das Alltagsleben in meinem Department geben und die Gründe aufzeigen, warum in diesem Blog zu 90 Prozent nur Ausländer vorkommen. Ich muss jetzt schnell weiterlernen, schließlich will ich mich mit meinem Queenfan bald richtig austauschen können.