Nachdem ich schon in Deutschland regelmäßig gefordert habe, den Tag zu verlängern, um alles zu schaffen, muss ich wohl auch langsam in Japan diese Forderung stellen. Der heutige Tag fing erst mal ganz gemütlich beim Kaffeetrinken mit einem Japaner an, der ein Jahr lang in Bayern gelebt hat. Sein Deutsch ist dementsprechend anständig. Mir erschließt sich zwar nicht der Sinn, warum man ihm vorgeschlagen hat, nebenbei noch Deutsche Literatur zu studieren, um damit seine Sprachkentnisse zu vertiefen. Aber ist ja eigentlich nicht mein Problem. Dieses Vorgehen wäre zwar vermutlich in Deutschland praktikabel, hier bedeutet es aber, auf Japanisch über Thomas Mann und Kafka zu diskutieren. Das ist eigentlich nicht gerade förderlich für die Vertiefung der Sprachkenntnisse. Auf jeden Fall will er mich jetzt öfter treffen, um sein Deutsch ein wenig zu erhalten.
Nach meinen anstehenden normalen Stunden, stand dann etwas Besonderes auf dem Plan. Da zwei unserer Studenten einen Job für die Zeit nach dem Studium gefunden haben, ging es zum gemeinsamen Nomihodei. Wir bekamen diesmal so viel Essen vorgesetzt, dass es dem Begriff Trinkfest eigentlich gar nicht gerecht wurde. Netterweise übernahmen die Betreuer auch noch einen Großteil der Rechnung, sodass wir am Ende 1500 Yen gespart haben. Als besonders interessant stellte sich die Sitzordnung heraus. Die Advisor waren bemüht, jeden wirklich so zu positionieren, dass die optimalen Gespräche entstehen konnten. Da zum Beispiel einige Herren etwas offener sind, wurde ich kurzerhand von den Damen weg, zu diesen umpositioniert. Aber auch ansonsten war alles aufs Genaueste durchgeplant.
Das echte Highlight des Tages fand deshalb auch danach statt. Unser oberster Boss hatte Lust auf Karaoke, also blieben 5 Japaner und ein Deutscher, der nur die Hälfte verstanden hatte und unwissend stehengelassen wurde, zurück und suchten sich eine Karaokebar. Neben der standardmäßigen kostenlosen Eiscreme und alkoholfreien Getränken, konnte unser Prof. uns ja nicht hungern lassen. Also ließ er kurzerhand noch einmal Pommes, vier Pizzen und noch einige Kleinigkeiten auffahren. So konnte meine erste Karaokesitzung beginnen.
Natürlich musste ich auch noch an echte Vollprofis geraten. Shimizu begleitete sich teilweise mit Mundharmonika, eine der Damen konnte ihre Stimme so verändern, wie ich es nie erwartet hätte und Kalklatte schaffte es, wie eine Frau zu singen. Das ist nebenbei noch nicht mal als Beleidigung zu verstehen. Er sang nur Lieder, die von Frauen gesungen werden. Und wenn man ihn nicht gesehen hätte, hätte man von der Stimme her denken können, er sei eine Frau. Kurzfristig habe ich teilweise schon Vermutungen angestellt, welche Geschehnisse diese hohe Stimme verursacht haben könnten. Auf jeden Fall waren alle mehr oder weniger Profis und ich dazwischen. Den ganzen Abend musste ich an Frau Schemetowas berühmtes „Reik ich bin immer so nervös, wenn du singst!“ und Reiks Antwort: „Wissen sie was, ich auch!!!!“ denken. Also wurde die Datenbank durchwühlt. Bis auf 99 Luftballons und einige andere nicht so tolle Lieder, gab es erwartungsgemäß nichts aus der deutschen Sparte. Also hieß es, ausländische Künstler zu überprüfen. Blöd nur, dass zwar alle Künstler, wie Bowie, Genesis und Co. vertreten waren, aber immer mit nicht so tollen Liedern, die für Anfänger ungeeignet waren. Dementsprechend entschied ich mich für das gute alte „These are the Days of our Lives“ von Queen. Nachdem der Einstieg geglückt war, ging es dann auf der Queen-Schiene weiter. Mutig wurde ich eigentlich nur bei „It““““““““s my Live“ von Bon Jovi, „Another Brick in the Wall“ von Pink Floyd und „Scarabrough Fair“ von Simon and Garfunkel. Ganz blöd habe ich mich auf jeden Fall wohl nicht angestellt, wirklich gut aber auch nicht. Zum Glück konnte ich immer auf die lautstarke Unterstützung vom Shimitsu rechnen. Es ist halt doch lohnend, dass der den gleichen Musikgeschmack hat wie ich. Wie sich herausgestellt hat, mag er selbst Billy Joel und fast alle Bands, die ich auf dem MP3 Player habe. Nebenbei hat Shimitsu mich heute mit japanischen Süßigkeiten eingedeckt. Nachdem ich ihm Schokolade und vor allem Lakritze zu essen gegeben habe, wollte er sich jetzt revanchieren. Und das noch nicht mal im Bösen, da Shimitsu der erste Japaner ist, den ich kenne, der Lakritze wirklich liebt. Auf jeden Fall haben wir knapp 6 Stunden gesungen und erst im Morgengrauen kam ich nach Hause. Wobei es interessant war zu sehen, dass selbst an einem Samstagmorgen um 4 Uhr, noch 5 Leute schnell Kleinigkeiten im Kombini gekauft haben. Also wird es wieder einmal schwer auszuschlafen, auch wenn es wirklich mal dringend notwendig wäre, aber wir werden sehen.