In letzter Zeit häuft sich eine Beschwerde unter den Ausländern, mit denen ich hier spreche. Immer mehr berichten, wie schwer es ist, mit Japanern zu reden. Es wird gesagt, dass diese nicht reagieren, im Büro die Ausländer ignorieren und dass den Ausländern die Worte fehlen, um sich mit ihnen zu unterhalten. Ich muss ehrlich sagen, irgend etwas mache ich falsch (oder auch nicht). Ich kann keine dieser Behauptungen bestätigen. Irgendwie scheinen die anderen Ausländer zu viel Angst zu haben, etwas falsch zu machen oder ich muss ein ungeheures Glück haben.
Dass keiner meiner Leute im Department mit mir redet, kann man, wie der geneigte Leser wissen sollte, nun ganz und gar nicht behaupten. Wir haben zwar das Problem mit der Kommunikation und einige sind etwas schüchterner, aber im Endeffekt muss man nur auf sie zugehen und erreicht meistens etwas. Nachdem man das ein- bis zweimal gemacht hat, sieht die Welt da auch schon ganz anders aus. So redet zum Beispiel eine Dame, die meist eine Pollenmaske auf hat, mittlerweile regelmäßiger mit mir, nachdem sie in den ersten Wochen komplett auf Abstand geblieben war. Es hat gereicht, einmal den gleichen Heimweg gehabt zu haben und dabei sich kurz mit ihr zu unterhalten. Auch auf der Straße sehe ich das Problem nicht. Natürlich hat man öfter das Problem, dass als Antort „keine Ahnung“ kommt oder dass ein paar Wörter fehlen und man sich dann nicht versteht. Aber dann wird sich halt höflich bedankt und der Nächste gefragt. Im Allgemeinen bemühen sich aber alle, einem möglichst weiterzuhelfen, auch wenn es manchmal unter Gewaltanwendung erzwungen wird. Viele vergessen hier wirklich den Ausländerbonus. Wir sind nun mal Ausländer und niemand erwartet hier, dass man die Sprache perfekt beherrscht. Meistens reden die Leute sogar extra langsam und tun alles, dass man sie versteht. Schon alleine die Handzeichen sind meistens sehr einfach zu verstehen.
Es stellt sich jetzt die Frage, wieso ich gerade heute auf dieses Thema komme. Dies ist sehr einfach zu beantworten. Gerade habe ich es ausgiebig ausprobiert. Orsolya war heute beim Yachtclub, Laura wollte lernen und von den anderen hatte auch keiner so wirklich Zeit. So bin ich nach dem längeren Schlafen heute halt alleine losgezogen. Erstes Ziel war das historische Museum. Schon der Einlass stellte sich schwierig dar. Da ich auf den Studentenrabatt aus war, habe ich unter dem Hinweis „Tohoku Universität“ meinen Studentenausweis vorgelegt. Auf einmal wollte die junge Dame irgend etwas anderes von mir haben und das große Raten stand an. Also wurde schnell eine Kollegin befragt und die kam auf dem Namen Aliencard. Nach dem Lösungswort war das Problem schnell aus der Welt geschafft und ich bekam, bis auf die Sonderausstellung, sogar freien Eintritt. Gleichzeitig war das Gespräch der Beweis, nicht so schnell den Kopf in den Sand zu stecken, sondern einfach weiter zu philosophieren. Im Notfall findet sich immer jemand, der das richtige Wort kennt. Die Ausstellung war dazu noch ziemlich gut gemacht. Zu kritisieren war allemal die große Anzahl an Zeitstreifen mit zu vielen Zahlen, trotzdem vermittelte die Ausstellung die Geschichte der Stadt und in der Sonderausstellung der Schätze Tibets sehr anschaulich. Besonders interessant waren die Forschungsmeinungen zu steinzeitlichen Gegenständen, die sich teilweise von deutschen Interpretationen entfernten.
Den Abschluss der Ausstellung stellte dann eine Fotowand mit Bildern aus den Sechzigern und Siebzigern der Stadt dar. Plötzlich hörte ich eine Stimme, eine alte Frau erzählte mit jemandem. Vorsichtig umgedreht, da war wirklich keiner, die meinte also mich. Und schon legte sie richtig los und berichtete mir die Geschichten hinter jedem einzelnen Bild, was dort vertreten war. Ich verstand zwar nur ca. 30 Prozent, interessant war es aber auf alle Fälle. Wieso sie der Meinung war, dass es für mich interessant war und mich deshalb ansprach, weiß ich zwar nicht, aber immerhin habe ich so etwas gelernt. Anschließend an das Museum ging ich dann noch durch zwei angrenzende Tempel. Bis auf ein Duell, wer größer ist, mit einem ca. zehnjährigen Jungen (ich hab natürlich um Haaresbreite gewonnen und durfte dann noch ein Gespräch mit der Mutter führen, wo ich denn herkomme und so weiter) und einer jungen Dame im Ausgehkimono, gibt es aber darüber nicht allzu viel zu berichten.
Insgesamt hat der Tag heute auf jeden Fall bewiesen, dass es nicht so schwer ist, mit Japanern ins Gespräch zu kommen. Und entgegen anderslautender Meinungen bin ich überzeugt, es liegt nicht nur an meinen 1.94 Meter, dass die Leute mit mir reden. Teilweise vermute ich einfach, dass die Ausländer zu unnahbar wirken und dann noch zu viele Angst haben, Fehler zu machen.