Gruppenmusterung

Mhh, noch 24 Stunden, um seine Abschlussarbeit fertig zu schreiben und immer noch zu wenig auf dem Papier. In Deutschland wäre die logische Konsequenz, zum Arzt zu rennen und sich eine Krankschreibung zu besorgen, die eine Verlängerung erlauben würde. In Japan ist dies aber nicht möglich, wie ich heute festgestellt habe. Wir befinden uns in der Untersuchungswoche. Die Uni hat ihre eigenen Ärzte auf dem Campusgelände, die in derartigen Fällen konsultiert werden können.

In dieser Woche ist vor dem Gebäude ein besonderes Schauspiel zu beobachten. Große Mengen an Studenten drängen in diese Praxen. Die erste von zwei alljährlichen Untersuchungen der Studenten steht an. Das Ganze muss man sich laut meinen Informationen wohl so vorstellen, wie die Einschulungsuntersuchungen in Deutschland. Gleichzeitig wird untersucht, ob jemand sich an einer ansteckenden Krankheit (z. B. Schweinegrippe) angesteckt hat.

Die Bedeutung dieser Untersuchungen erzeugen dabei aber besondere Blüten. So konnte ich heute in meinem Department Gesprächen folgen, die richtig Angst vor diesen Untersuchungen zeigten. So will eine Kommilitonin keine Chips bis morgen Nachmittag mehr essen, weil das Probleme in diesem Test bringen könnte. Welche Art von Problemen (außer 2 Gramm mehr auf der Waage), konnte ich mir zwar nicht erklären, aber es wird schon etwas dran sein. Ich selber bin aber raus aus der Betrachtung. Wie es aussieht, hat mein Department einfach vergessen, mich für diese, seit der Schweinegrippe verpflichtende, Untersuchung anzumelden. Mir soll es recht sein. Ansonsten verlief der Tag heute ruhig, auch wenn es mir in japanisch/deutscher Teamarbeit gelang, jemanden im Schach auszuschalten und ich ausgiebige Gespräche mit den Verantwortlichen in meinem Department hatte. Wie es aussieht, wird der Donnerstag wichtig für mich, da sich an diesem Tag mein Status als Graduierter entscheidet. Dann lassen wir uns mal überraschen, was dem Prüfungsamt diesmal einfällt, um mich zu ärgern.

Ein Hoch auf die Konsumgesellschaft Japans

Gestern Abend hatte ich endlich mal die Gelegenheit, die japanischen Annehmlichkeiten auszuprobieren. Wir erinnern uns an Göttingen: Ein Rewe, der bis Mitternacht offen hat, ist dort das Höchste der Gefühle. Versuche, dies auch in anderen Supermärkten zu wiederholen, schlugen alle fehl. Ganz anders sieht das in Japan aus. Um 23.45 Uhr war ich endlich so weit, zwei Briefe, die schon eine ganze Weile auf das Versenden warten, fertigzustellen. Jetzt stellten sich nur zwei Probleme: Wie soll ich das Ganze ohne Drucker drucken? Wo bekomme ich ordentliche Briefumschläge her? Beim Kauf der vorhandenen Briefumschläge fanden Orsolya und ich die Idee mit den japanischen Zeichen auf dem Umschlag noch cool. Heute, mit einigen Japanisch-Kenntnissen, stellte sich heraus, dass es sich um Zahltagesumschläge handelt. Auch wenn die Empfänger es nicht lesen können, käme mir das Versenden in diesen Briefumschlägen doch recht komisch vor. Was also machen? Warten bis morgen ist eine Idee, aber viel zu einfach. Das würde ich nur geschickt verdrängen. Also noch schnell raus zum Combini, eine Art Kiosk, der eine Auswahl wie ein kleiner Supermarkt in Deutschland hat. Unterschied ist eigentlich nur, dass er vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet hat und er nicht viel teurer als ein normaler Supermarkt ist. Einige Dinge, wie Eier, bekommt man in ihnen sogar günstiger.

Zum Glück gibt es die hier an jeder Ecke. Gesagt, getan und einige Briefumschläge geholt. Mhhh, eigentlich könnte man auch einige Bilder in den Brief legen. Gesagt, getan und den USB-Stick an einen der bereit stehenden Kopierer angeschlossen, Bilder ausgesucht und für 30 Yen pro Bild einige ausgedruckt. Gut, die Qualität von Fotostudios erreicht das Gerät nicht ganz, für den Preis kann man aber nicht viel falsch machen und der Empfänger kann das Briefthema besser nachvollziehen. Die Briefe kann man auch gleich für 5 bis 10 Yen ausdrucken, nur irgendwie erkennt er nur docx, nicht aber das normale doc-Format. Natürlich könnte man um Mitternacht auch noch mal Hunger bekommen. Also gleich noch in einen der echten Supermärkte hinein, der auch ganztägig geöffnet ist und Tageseinkauf absolvieren. Frisch gestärkt und mit allen Bedarfswaren ausgestattet, kann es dann zurück nach Hause gehen. Und falls man doch mal etwas, z.B. Getränke oder Snacks, vergessen hat, gibt es ja noch die allgegenwärtigen Vending machines. Die sind auch nicht so teuer und bieten Sandwiches und Getränke für den faulen Studenten an, der nicht so weit gehen möchte.

Es lebe die Konsumgesellschaft! Ein derartiges System würde in Deutschland wohl an allen Gewerkschaften scheitern und sich nicht unbedingt rentieren. Trotzdem ist es schon beachtlich zu sehen, dass es sich hier offensichtlich rechnet. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es auch keinen extra starken Wachschutz, der ab 23 Uhr den Laden bewacht. Angst vor Überfällen haben die Angestellten offensichtlich nicht.

Botanische Gärten und Stamm 10

Ich wurde heute von einer ziemlich nervigen Melodie, die draußen irgendwo abgespielt wurde, unsanft aus meinem Träumen geholt (Notiz an mich: Es ist eine blöde Idee, mit offenen Fenster zu schlafen!). Danach hieß es, eine sinnvolle Beschäftigung zu finden. Zu meiner Schande war ich nicht in der Lage herauszufinden, wann irgendwelche Amateurvereine innerhalb Sendais Sportveranstaltungen haben. Da ich auch nicht auf meine Leute zählen konnte, die sich allesamt auf die Tests vorbereiten, ging es halt anstelle dessen in den Botanischen Garten. Botanischer Garten – das habe ich mir so wie in Göttingen vorgestellt. Ein kleines Areal, wo man einige exotische Pflanzen sehen kann. Von wegen, nach über eineinhalb Stunden rumirren durch einen Wald mit über 5000 Bäumen, schaffte ich es endlich wieder an die Sonne. Der Botanische Garten ist mit einem Museum, einen normalen Garten und einem riesigen Waldareal ausgestattet. Laut den Schildern umfasst das komplette Umrunden des Areals knapp 10 Kilometer. Eine schöne Strecke, um die Seele etwas baumeln zu lassen. Dafür, dass es sich um eine Einrichtung der Tohoku Universität handelt, war ich ziemlich beeindruckt.

Anschließend ließ ich die gute alte Göttinger Tradition des Stamm 10 Essens wieder aufleben. Laura und Orsolya kamen rüber zum Essen und wir beschlossen, Crêpes herzustellen. Da keiner meiner Nachbarn wirklich etwas mit dem Begriff Crêpe anfangen konnte, wurde halt jeder von ihnen ebenfalls mit durchgefüttert. Mittlerweile habe ich hier auch schon den Ruf, dass ich doch ein Restaurant eröffnen solle. Besonders mein Hausältester Nobu forciert diesen Berufswechsel, aber ich bleibe doch lieber bei meinem Gewerbe und werde ein anständiger Historiker. Falls es doch wider erwarten nichts werden sollte, verkaufe ich halt Onigiri und Melonpan in Deutschland, damit würde ich bestimmt eine Marktlücke schließen.

Deutscher Scout und Trainer in Aktion

Da denkt man einmal, es ist sonnig, warm und dazu noch Samstag, da wird bestimmt ein Ausflug für uns Ausländer anstehen, aber weit gefehlt. Leider stehen nächste Woche für einige von uns die ersten Prüfungen an. Prüfungen, werden da jetzt einige fragen, aber ihr seid ja erst fünf Wochen da? Ja, so habe ich mir das auch gedacht, aber in Japan gibt es neben den Endjahresprüfungen noch Mittsemesterprüfungen. Dementsprechend war heute mit keinem meiner Leute zu rechnen. Kein Problem für mich, also ging es mit einer Stadtkarte bewaffnet alleine los, die Gegend zu erkunden. Nützlicherweise stellte das zeitgleich die Möglichkeit dar, meine doch arg eingerosteten Japanischkentnisse mal wieder etwas auf Vordermann zu bringen.

O.k., ich gebe zu, meine Aussprache ist nicht gerade die Beste, aber trotzdem war das eine heiden Arbeit. So fragte ich einen Jugendlichen auf Japanisch, ob er Fotos machen könnte. Aber schon nach dem zweiten Wort hatte er mir mein Handy aus der Hand gerissen, um von mir ein Foto zu machen, das ich Orsolya weiterleiten konnte. Auch ansonsten stellt das momentan eines meiner Hauptprobleme dar. Zwar merke ich, dass mein Japanisch langsam wieder kommt und besser wird, nur ist irgendwie jeder überrascht, wenn ich mal Japanisch verwende und ignoriert das. So gab es heute die Gelegenheit, sich mal mit einem jüngeren Mitbewohner zu unterhalten. Aber die Überraschung in seinem Gesicht, als ich mal kurzzeitig Japanisch sprach, war schon nicht mehr feierlich. Trotzdem bekomme ich langsam ein Gefühl dafür und das ist das Wichtigste.

Auf der anderen Seite habe ich aus der Not eine Tugend gemacht und bin zum Fluss gefahren. Ich habe mich dort zum Lernen niedergelassen und gleichzeitig die F- bis C-Jugend eines örtlichen Fußballvereins beim Training beobachtet. Aus meiner Sicht unterscheidet sich das Training schon stark von deutschem Training. Neben der Tatsache, dass hauptsächlich Kondition durchs Laufen trainiert wurde, legte man starken Wert auf Technik. Hauptsächlich wurden Pässe und im Spiel Torschüsse auf Minitore geübt. Kein Wunder, dass Japan keine Stürmer bekommt, wenn die alle nur lernen, auf so kleine Tore zu schießen. Auch das Konditionsbolzen scheint eine beliebte Strategie hier in Japan zu sein. So viele Sportler, egal welcher Sportart, wie hier in Gruppen zum Konditionserzeugen laufen müssen, habe ich in Deutschland noch nie gesehen. Selbst den Bogenschießclub treffe ich meist zweimal am Tag beim Laufen. Spielverständnis war dagegen kaum vorhanden, so dass oftmals 20 Mann einem Ball hinterher liefen, eine Tatsache, die selbst in der D-Jugend nicht mehr auftreten sollte. Trotzdem hat das Zuschauen Spaß gemacht, auch wenn der eine D-Jugend-Spieler verdammt verdattert geschaut hat, als ich ihn auf Japanisch gefragt habe, ob er Ballack oder Schweinsteiger darstellt, da er ein deutsches Trikot an hatte. Die Eltern waren eher daran interessiert, was für einen Kram ich denn lerne und mehr als ein Erwachsener stand über mir und betrachtete mein Kanjilernen ausgiebig

Von Importbier und Nomikais

Heute hatten wir einen ziemlich ruhigen Tag. Kanjikurs und Regen sorgten nicht gerade für Spannung. Viel wichtiger für die internationale Gemeinschaft war das Auffinden eines Importartikelladens. Die erfreuten Aufschreie der übrigen Deutschen, dass anständiges Bier entdeckt wurde, waren weit zu hören. Anständiges Bier, also europäisches Bier, ist hier in Japan eine Seltenheit. Es gibt zwar natürlich Bier im Land der aufgehenden Sonne, nur wirklich nach Bier schmecken tut es nicht. Aber auch für die restlichen Menschen wurde gesorgt. Der Laden führt auch Snacks zu vernünftigen Preisen. Damit war es möglich, die Vorräte in den Küchen aufzufüllen.

Anschließend ging es mit den Leuten von @home zu einem Nomikai. Nomikai sind Trinkpartys und genau diesem Umstand sind wir nachgekommen. Es sind große Mengen von Alkohol geflossen, so dass man unseren letzten Bestellungen merklich langsamer nachkam. Auch wurden wir dann irgendwann des Lokals verwiesen, weil wir zu lange da waren. Trotzdem war die Feierei eine angenehme Sache. Einige von uns sind danach dann mal wieder singen gegangen, leider habe ich dieses Ereignis aufgrund von Kommunikationsproblemen gepflegt verpasst, aber beim nächsten Mal dann sicher.

Von Geschenkpapier und alten Omas

Wir schreiben den 6. Mai, Golden Week ist vorbei und die armen Ausländer dürfen sich wieder in ihren Sprachkursen einfinden. Dabei haben wir uns heute ziemlich gewaltig blamiert. Wie sieht das denn bei euch im Ausland aus, wann sind eure Feiertage? Mit was für einfachen Fragen man die Studenten doch durcheinander bringen kann. Der ganze Kurs rätselte, darunter auch die beiden deutschen Vertreter. R: Wir haben zum Beispiel den Tag der Arbeit. A.: Ja also, da existiert noch der Tag der Deutschen Einheit. Wann war der noch mal vor lauter Schreck? R.: Genau und der 17. Juni, ach den gibt es ja nicht mehr oder der 8. Mai – Tag der Befreiung – ach nein, den haben sie ja schon zu DDR-Zeiten abgeschafft, mhhh. Auf jeden Fall war das kein rühmliches Blatt. Aber immerhin haben wir mehr gefunden als die anderen. Denen ist nur der Muttertag eingefallen, was noch nicht einmal ein Feiertag ist. Dass uns die restlichen Zeiten entfallen sind liegt natürlich nur daran, dass ein guter Student nie frei hat ;-P.

Nach diesem Kurs ging es für mich durch die halbe Stadt, Geschenkpapier finden. Es kann eigentlich nicht sein, dass Japan, das Land, was besonderen Wert auf Geschenkpapier legt, dieses nur im Stadtinneren oder bei richtig großen Ketten verkauft. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, so habe ich öfter rosa Papier mit Herzen gesehen. Das habe ich aber lieber nicht gekauft. Die möglichen Interpretationen, wenn ich Kaoris Geschenk damit eingepackt hätte, waren mir dann doch zu viel. Uneingepackt lassen war nach Daniels Hinweis natürlich auch keine Option. Von daher war ich ziemlich zufrieden, blaues Papier und silbernes Geschenkband gefunden zu haben. Also schnell zu Group Mori – mich stärken und mit Hilfe der Mitglieder das Geschenk schnell verpacken. Wie sich dann herausstellte, hat das Buch von Lars recht gehabt. Japaner öffnen echt nie Geschenke vor demjenigen, der sie verschenkt hat. So kann es nicht passieren, dass sie aus Versehen den falschen Eindruck hinterlassen. Besser wäre das Öffnen aber gewesen, da Kaori die Haarnadel als Lesezeichen fehl deutete. Mehrere Damen haben mir aber die Nutzung des Teils als Haarnadel bestätigt, jetzt darf ich demnächst wohl mal Aufklärung leisten.

Anschließend ging es noch in die Stadt, meine Aliencard besorgen. Jetzt bin ich auch ein echter Alien und kein vorläufiger mehr. Besonders gefällt mir an der Karte, dass die Nationalität, der Wohnort im Heimatland und der Geburtsort in ein Feld eingetragen werden. Auf meiner Karte steht jetzt: Deutsch-Borde-Magdeburg. Zum Glück ist es nicht wichtig, aber offensichtlich ist die Behörde nicht mit meinem Wohnort „Stadt Wanzleben-Börde“ klargekommen und somit wurde es „Borde“. Abschließend ging es noch in einen Supermarkt. Woran erkennt man, dass man in Japan ist? Ich kam hinein und überlegte knapp 30 Sekunden, welches Gemüse ich schnell mit den Händen zur Kasse transportiere. Plötzlich stand eine Oma mit einem Korb neben mir, rüberreichte mir den Korb und erkläre mir für das nächste Mal, wo die Körbe stehen. Offensichtlich sah ich ziemlich verzweifelt aus.

It““s a kind of magic

Auf meiner Etage wohnen abgesehen von mir noch zwei weitere Ausländer. Das sind der Koreaner, den man nur beim Kochen mit zwei anderen Damen sieht und der Venezulaner Dai. Besagter Dai hat zwei Hobbys: ganz besonders gern vergißt er seinen Wohnungstürschlüssel und simst mich deswegen an und er jongliert auch gern. Nun hat die Tohoku ja verschiedenste Clubs. Einer dieser Clubs ist der Magie- und Jonglierclub, in dem Dai vor kurzem auch Mitglied geworden ist.

Aus diesem Grund stand der heutige Tag ganz unter dem Motto „It““s a kind of magic“. Leider kam weder Freddie Mercury herausgesprungen, um den Song zu singen noch gab es Highlanderduelle zu beobachten. Trotzdem war es ein interessantes Ereignis. Es fand in einer großen Stadthalle eine Aufführung des Magieclubs statt. Das Ganze war ziemlich professionell aufgezogen. Sogar mehrseitige farbige Programme wurden kostenlos verteilt. Mir persönlich haben am besten die Aufführung „Blau und Weiß“ (schon alleine wegen des Namens) und ein mit Zaubertricks untermaltes Theaterstück gefallen. Dafür, dass es sich komplett um Amateure handelte, war der Eindruck der Stücke auf jeden Fall ziemlich professionell. Etwas erschreckend war nur die beste Aufführung. Auf der einen Seite fragten wir uns extrem, wieso die ansonsten ach so steifen Japaner immer auf so abgedrehte Ideen kommen und diese auch noch durchführen und auf der anderen Seite spielte eine „Dame“ eine der Hauptrollen. Diese Person hatte eine ziemlich weibliche Stimme und auch ansonsten sah sie total weiblich aus. Mir sind zwar gleich die übergroßen Schuhe aufgefallen, aber erst aus nächster Nähe konnten wir im Endeffekt sicher sagen, dass es sich um einen Kerl handelte. Das selbst der sechste Sinn von Orsolya versagt hat, hat schon Seltenheitswert.

Allgemein war es eine sehr starke Aufführung. Dass sie trotz drei Stunden Unterhaltung absolut kostenfrei war, war bei der Qualität schon sehr beeindruckend. Damit endete auch unsere Golden Week und morgen geht der Ernst des Lebens wieder los.

Intelligente Gajins?

Matsushima, angeblich einer von Japans drei schönsten Orten, stand heute auf dem Schlachtplan der furchtlosen Gaijins. Dementsprechend ging es heute 9.00 Uhr für eine dreizehnköpfige Delegation auf die ca. dreißig minütige Fahrt nach Matsushima – auf Deutsch: Kieferninseln. Kieferninseln? Bin ich in Deutschland nicht auch gegen Kiefern allergisch? Richtig geraten! Und so ist es auch hier. Plötzlich begann die Nase zu laufen und die Augen zu tränen – aber nichts, was eine deutsche Allergietablette nicht heilen kann. Nebenbei: ich kann mir eine Allergie auch gar nicht erlauben, die Taschentücher hier sind so schlecht, dass sie schon vom Anschauen reißen.

Trotz allem wurde es ein sehr interessanter Trip. Die Koreanerinnen, die nie wieder mit uns losziehen wollten, waren wieder mit am Start und fluchten bei jedem noch so kleinen Hügel. Aber auch Christian mit seiner Ehefrau waren z.B. vertreten und waren für Turteleien zuständig. Mit unserem Auftreten haben wir auf jeden Fall wieder einigen Eindruck hinterlassen. Besonders auffällig sind aber die Reaktionen auf die Feststellung, dass wir Studenten sind. Aufgrund unserer Gruppengröße und Auffälligkeit wurden wir heute öfter angesprochen, woher unsere Reisegruppe komme. In Deutschland heißt es bei dem Wort Studenten meist: „Ach, faule Bande, die den ganzen Tag nur feiert.“. Hier wäre dass zwar sehr angebracht, im Endeffekt wird hier aber immer herausgestellt, wie intelligent wir doch sein müssen, wenn wir Studenten sind – und dann auch noch an der Tohoku, die immerhin als drittbeste öffentliche Universität des Landes gilt.

Matsushima selber ist mehr oder weniger ein Küstenabschnitt mit mehreren Tempeln und vielen kleinen Inseln, von denen drei per Brücke erreicht werden können. Dementsprechend ist der Aufenthalt besonders für Naturliebhaber interessant. Auf der einen Insel kann man sogar den Strand erreichen, muss sich dafür aber einen kleinen steilen Weg an einem Seil entlang hangeln. Wieder einmal stellten dabei die Koreanerinnen ihre Bergaffinität unter Beweis und kamen ab der Mitte nicht mehr weiter. Das ließen sich der Brasilianer und ich nicht schon wieder antun, also hat er das Seil festgehalten und ich bin rauf und habe mir die Damen nacheinander geschnappt und sie runtergeschleppt. Zum Glück sind beide nur halbe Portionen und wiegen nicht sehr viel. Die Inseln sind auf jeden Fall nett anzuschauen, auch wenn das Wasser etwas sauberer sein könnte.

Was macht der Student zum Mittag, wenn er schon mal am Meer ist? Natürlich Sushi essen! Wir orderten 4 Menüs für sechs Personen und teilten uns das Essen auf. So viel Unbekanntes hatte ich schon lange nicht mehr auf dem Tisch, aber ein echtes Sushi-Restaurant in Japan ist schon etwas anderes als in Deutschland. Da merkt man die lange Ausbildung und es schmeckt einfach anders. Auch Leute, die in Deutschland mal ein Supermarkt-Sushi oder ähnliches gegessen haben und es eklig fanden, sollten, wenn sie nach Japan kommen, unbedingt mal echtes Sushi testen.

Gestärkt von dem Essen wollten sich die werten Studenten dann auf den Heimweg machen. Da haben sie aber die Rechnung ohne den Wirt, beziehungsweise ohne Orsolya und Reik gemacht. Wir entschieden, dass ein früheres Verschwinden langweilig wäre und zogen noch mal los, um Tempel zu erkunden und die Spezialitätenküchen unsicher zu machen.

So besuchten wir noch einen sehr interessanten Tempel. Später stellte sich heraus, dass sein Leitmotiv in der Suche nach einem Freund oder einer Freundin besteht. Passenderweise war der Tempel auch von den Japanern ziemlich gut besucht. Neben schöner Natur und einem Zen-Garten wurden Liebesamulette, Statuen für ewiges Liebesglück und sehr teure Amulettketten verkauft, die dem Liebesleben auf die Sprünge helfen sollen. Die Japaner wissen schon, wie man aus so was ein Geschäft macht.

Ich glaube, das nächste Mal sollte ich mir auch einige Amulette besorgen. Ich wüsste da in Deutschland einige Personen, die dafür gute Verwendung hätten. Den Gebeten in den Schreinen vertraue ich irgendwie nicht so in diesem Bereich. Wer weiß, ob die angesprochenen Götter Deutsch können und auf der anderen Seite ist es mir zu unsicher, wo ich bete. So haben, wie wir später herausbekamen, unsere Venezualerinnen heute an einem Tempel für „sichere Geburt“ gebetet, das wäre mir dann doch etwas zu schnell. Morgen werde ich dann die Golden Week in Ruhe ausklingen lassen und dann geht auch schon der Ernst des Lebens wieder los. Aus diesem Grund musste ich auch noch ein Geburtstagsgeschenk für meine Tutorin besorgen. Was schenkt man einer Japanerin, die man kaum kennt? Die Frage ist schon in Deutschland schwer genug, aber hier, wo Geschenken noch eine viel größere Bedeutung zufällt, war das eine echte Qual. Zum Glück hat mir Orsi sehr geholfen und wir haben ihr ein handgefertigtes Lesezeichen und einige Süßigkeiten aus Matsushima geholt. Ob es ihr gefallen hat, werde ich dann in den nächsten Tagen berichten.

Die Burg ohne Burg

Nach der gestrigen Kletterei stand heute etwas Entspannung an. Also schnell die Karte gewälzt und nachgeschaut, wo man hinfahren könnte. Schloss Sendai hört sich vielversprechend an. Wie war das, was hat Daniel gesagt, man kann Ausgrabungen besichtigen? Noch ein Grund mehr, die Gegend unsicher zu machen. Aber schon auf dem Weg dort hin sollte sich das Ganze als großer Fehler herausstellen.

Das erste Problem stellte das Wetter dar. Oh nein, jetzt kommt der schon wieder mit seinen Hasstriaden auf den Regen, wird der geneigte Leser jetzt denken. Aber es geht ausnahmsweise mal nicht um den Regen. Passend zur Golden Week hat auch die Sonne angefangen golden zu scheinen. An einem Tag ohne eine einzige Wolke hatten wir sommerliche 25-30 Grad, je nach Thermometer und Platz. Dazu ist auch noch die Luft verdammt trocken und wir bekamen einen Ausblick, was uns hier im Sommer erwartet. Das zweite Problem stellte der Weg dar. Man sollte meinen, dass ich nach dem gestrigen Tag von Bergen endgültig geheilt bin, dem ist aber anscheinend nicht so. Dementsprechend habe ich mich einen schönen steilen Weg zum Schloss hochgekämpft – und das bei der Sonne. Der Ausblick entschädigte aber für alles. Zwar konnte ich nichts von Ausgrabungen entdecken, aber auf dem Plateau, wo früher das Schloss stand, befindet sich heute ein großer Tempel. Diesen Tempel habe ich besichtigt und gleichzeitig gab es eine wunderschöne Aussicht auf die Stadt. Auf dem Rückweg ging es dann noch durch den Botanischen Garten und am Flussufer entlang, um die Stadt besser kennen zu lernen.

Dementsprechend war der komplette heutige Tag ziemlich entspannt und galt als Vorbereitung auf den morgigen Ausflug nach Matsushima. Dieser dürfte ziemlich interessant werden, da heute schon Teile der deutschen Delegation und unsere ungarische Delegation mit Sonnenbrand nach Hause gekommen sind. Matsushima dürfte noch schlimmer werden. Meine Hoffnung geht auch noch dahin, dass wir es vor dem Ansturm der Japaner schaffen. Selbst Burg Sendai war heute verdammt überlaufen.

Yamadera und „die Gemeinschaft des Reiks“

Wir schreiben den vierten Tag der Golden Week und ganz Japan hat sich auf Reisen und Sightseeingtouren begeben. Da können die Austauschstudenten Sendais natürlich nicht nachstehen. Sofort wurde ein Aufruf gestartet, das idyllische Bergheiligtum Yamadera unsicher zu machen. Aus fast allen Kontinenten fanden sich Reisewillige ein. Südamerika war mit Brasilien und Venezuela vertreten, Nordamerika mit den USA und Mexiko, auch Australien, Korea und Japan schickten Vertreter und Finnland, Bulgarien sowie Ungarn waren auch dabei. Wenn es etwas zu feiern oder erkunden gibt, ist die deutsche Delegation natürlich immer dabei und dementsprechend erschienen Moritz, Andre, Felix und ich geschlossen um 9 Uhr am Bahnhof, um die Reise in Angriff zu nehmen.

Yamadera liegt etwa eine Stunde Zugfahrt von Sendai entfernt und bedeutet übersezt soviel wie Bergtempel. Diesen Namen hat die Anlage nicht ohne Grund. Es handelt sich um eine Tempelanlage mit über 40 Tempelgebäuden, die auf dem Berg errichtet sind. Yamadera ist dabei gleichzeitig eine der ältesten Tempelanlagen in Japan. Der buddhistische Priester Jikaku Daishi, berühmt für seine Reisebeschreibungen, hat im Jahr 860 den ersten Tempel Yamaderas gegründet, dem Risshakuji.

Schon der Hinweg von Sendai nach Yamadera ist ein Genuss. Der Zug schlängelt sich durch Gebirge und Wälder, dabei sieht man eindrucksvoll die Natur Japans. Endlich angekommen, kann man aus der Entfernung schon den Tempel auf dem Berg sehen. Also, hinauf die Stufen. Laut einigen Flyern soll es sich um rund 1.100 Stufen handeln, die nicht das große Problem darstellen – der Andrang der Japaner schon eher. Es bildeten sich die Treppen hoch förmlich Schlangen und dementsprechend musste man ziemlich angepasst gehen. Dadurch konnte man nicht seine eigene Geschwindigkeit laufen, was die ganze Angelegenheit etwas erschwerte. Der Ausblick und die alten Tempel entschädigten aber für alles, obwohl es schon stark kommerzialisiert war und selbst im Tempel Essensstände existierten. Obwohl die Japaner überaus ungläubig sind, wurde doch an jedem Schrein ausgiebig gebetet (Glocke läuten – dreimal in die Hände klatschen – verbeugen – Spende einwerfen – beten – noch mal klatschen – gehen).

Da es schon überall Zukunfts- und Glücksvorhersagen gab, mussten wir das natürlich ebenfalls probieren. Nichts einfacher als das, alle hatten sehr großes Glück. Dann war ich an der Reihe. Also begab ich mich an meinen zweiten Versuch, in Japan mal eine glückliche Vorhersage zu bekommen. 2006 erhielt ich in Tokyo noch eine Vorhersage von sehr großem Pech und durchwachsenem Glück. Diesmal sah es aber gut aus, schließlich hatten 18 Leute schon sehr großes Glück gezogen! Aber einer muss ja eine Ausnahme machen. Ich entschied mich wieder einmal für durchwachsenes Glück und werde diesen Vorhersagen in Japan ab jetzt fern bleiben. Aber wenigstens stehe ich dazu. Man kann auch solche Zettel an extra Befestigungen anbringen, damit sie nicht in Erfüllung gehen. Das habe ich aber nicht nötig und lebe lieber mit meinem kleinen Glück.

Dann habe ich noch schnell für den sportlichen Erfolg gebetet und es ging die 1.100 Stufen wieder herunter. Das Beten für den sportlichen Erfolg übernehme ich übrigens nicht alleine. Die Japaner scheinen ihren Samurai Blue, also ihrer Nationalmannschaft, nicht wirklich etwas bei der WM zuzutrauen: Man wurde aufgefordert, Glücksamulette für den Nationalmannschaftserfolg zu kaufen. Offensichtlich hofft man, wenigstens mit Hilfe von oben etwas erreichen zu können. Gerade als wir den Tempel verließen, begann es kurz zu regnen. Also wurde der Entschluss gefasst, den Ort zu verlassen. Da das Wetter sich aber schnell wieder änderte, wollten zehn Mitglieder der Gruppe noch bleiben, um auf einem Wanderweg entlangzulaufen.

Die Gruppe, bestehend aus 3 Koreanerinnen, einen Brasilianer, einen Amerikaner, einen Mexikaner, einer Australierin, einem Bulgaren, einer Ungarin und einem Deutschen zog also los und alles lief am Schnürchen – bis wir zu einer Felswand kamen. Zwei Wege führten weiter und keiner sah wirklich vertrauenerweckend aus. Der eine führte auf ebener Strecke weiter und der andere führte die Steilwand hinauf. Logischer Weise wäre die Antwort „umkehren“ gewesen, aber nicht mit uns. Mit vollem Selbstvertrauen wurden Gruppen losgeschickt, die Wege zu erkunden. Da sich die eine nicht mehr am Treffpunkt einfand, folgten wir ihr. Ein schwerwiegender Fehler, denn es ging die Steilwand hinauf. Schnell ging es nur noch weiter, indem man sich von Baum zu Baum vorarbeitete. Aber ein Rückkehren war aufgrund des Untergrundes ausgeschlossen, da es zu gefährlich erschien. Dementsprechend arbeiteten wir uns immer weiter den Berg hoch, in der Hoffnung, einen Weg zu finden, der sicher ist. Leider sollte das nicht so einfach sein. Gleichzeitig war unsere Ausrüstung nicht auf dieses Gelände ausgerichtet. Jeans, Röcke und normale Sonntagsausgehschuhe sind nicht gerade fürs Klettern geeignet. Nach langen Strapazen und Aussagen des Amerikaners, er hätte einen Weg gesehen, erreichten wir die Bergspitze – einen guten Ausblick auf das Tal inbegriffen. Leider war dies von Fotos kaum einfangbar. Die Bäume waren zwar durchlässig, aber auf den Fotos kommt der tolle Ausblick nicht so rüber.

Nun waren wir also oben angekommen, ohne einen Ausweg gefunden zu haben und ohne zu wissen, wo wir sind. Das GPS im Handy unseres Führers zeigte auch nur an, dass wir auf irgend einem Berg sind und mitten im Wald stehen. Gleichzeitig bekam eine Koreanerin Probleme mit dem Kreislauf. Also Schnellversorgung durch den Brasilianer und mich. Krämpfe per Massage beseitigen, Wasser einflößen und Stirn kühlen. Zum Glück konnte es weiter gehen. Wir fanden einen Weg, der fast normal begehbar war. Aber wer „Herr der Ringe, Teil 1“ gesehen hat, kam sich einigermaßen wie in den Reiseszenen der Gemeinschaft des Ringes in diesem Film vor. Über Berg und Tal wurde sich gekämpft, auf den verbotensten Wegen, bei denen wir eine Koreanerin gerade noch vor dem Absturz an einer Klippe bewahren konnten. Die Herren mussten also das Sichern übernehmen. Der Bulgare nahm einen Stock als Armverlängerung und sicherte damit eine Dame, der Brasilianer und ich übernahmen die restlichen Koreanerinnen und sicherten vorne bzw. hinten ab. Gleichzeitig mussten wir die Taschen übernehmen. Ich muss feststellen, dass nichts besser aussieht, als bergsteigende Herren mit Frauenhandtaschen oder mit drei Messanger-Taschen und drei Fotoapparaten am Gürtel. Zwischenzeitlich ließen die Damen etwas Frust an dem Amerikaner und dem Mexikaner ab, da wir ihnen diesen Trip zu verdanken hatten.

Nach etwa drei Stunden schafften wir es endlich aus dem Gebiet heraus, für dessen Durchqueren eigentlich nur 45 Minuten angesetzt werden. Als Erfolg können wir immerhin werten, dass Orsolya und ich den Gipfel erreichten. Da sie aber kurz vor mir oben war, bleibt ihr die Namenswahl übrig. Weiterhin wollen die Koreanerinnen aus uns unerfindlichen Gründen nicht mehr mit uns spazieren gehen und die Australierin hat so viele Fotos beim Klettern machen lassen, dass sie ihr Zimmer damit pflastern kann. Mir persönlich hat es eigentlich trotz der Probleme Spaß gemacht. Das Klettern war in Ordnung, auch wenn ich nächstes Mal doch bitte etwas besser angezogenen sein möchte und dann gerne eine Karte hätte. Dafür können wir mit absoluter Sicherheit sagen, dass wir jetzt eine Gegend Japans besser kennen, als das die meisten Japaner tun.

Morgen wird es dafür etwas ruhiger, da bis auf Orsolya und mir alle nur noch schlafen wollten und der Trip nach Matsushima wohl um einen Tag verschoben wird. Trotzdem bleibt die Erkenntnis, dass ich es liebe, nicht allergisch auf die Natur zu sein. Weiterhin kann ich erfreut feststellen, dass ich heute mit dem Klettern etwas gemacht habe, was mir in Deutschland wohl nie passiert wäre. Auch wegen des wunderschönen Tempels, kann ich dem Tag eigentlich nur Gutes abgewinnen.