Wir schreiben den vierten Tag der Golden Week und ganz Japan hat sich auf Reisen und Sightseeingtouren begeben. Da können die Austauschstudenten Sendais natürlich nicht nachstehen. Sofort wurde ein Aufruf gestartet, das idyllische Bergheiligtum Yamadera unsicher zu machen. Aus fast allen Kontinenten fanden sich Reisewillige ein. Südamerika war mit Brasilien und Venezuela vertreten, Nordamerika mit den USA und Mexiko, auch Australien, Korea und Japan schickten Vertreter und Finnland, Bulgarien sowie Ungarn waren auch dabei. Wenn es etwas zu feiern oder erkunden gibt, ist die deutsche Delegation natürlich immer dabei und dementsprechend erschienen Moritz, Andre, Felix und ich geschlossen um 9 Uhr am Bahnhof, um die Reise in Angriff zu nehmen.
Yamadera liegt etwa eine Stunde Zugfahrt von Sendai entfernt und bedeutet übersezt soviel wie Bergtempel. Diesen Namen hat die Anlage nicht ohne Grund. Es handelt sich um eine Tempelanlage mit über 40 Tempelgebäuden, die auf dem Berg errichtet sind. Yamadera ist dabei gleichzeitig eine der ältesten Tempelanlagen in Japan. Der buddhistische Priester Jikaku Daishi, berühmt für seine Reisebeschreibungen, hat im Jahr 860 den ersten Tempel Yamaderas gegründet, dem Risshakuji.
Schon der Hinweg von Sendai nach Yamadera ist ein Genuss. Der Zug schlängelt sich durch Gebirge und Wälder, dabei sieht man eindrucksvoll die Natur Japans. Endlich angekommen, kann man aus der Entfernung schon den Tempel auf dem Berg sehen. Also, hinauf die Stufen. Laut einigen Flyern soll es sich um rund 1.100 Stufen handeln, die nicht das große Problem darstellen – der Andrang der Japaner schon eher. Es bildeten sich die Treppen hoch förmlich Schlangen und dementsprechend musste man ziemlich angepasst gehen. Dadurch konnte man nicht seine eigene Geschwindigkeit laufen, was die ganze Angelegenheit etwas erschwerte. Der Ausblick und die alten Tempel entschädigten aber für alles, obwohl es schon stark kommerzialisiert war und selbst im Tempel Essensstände existierten. Obwohl die Japaner überaus ungläubig sind, wurde doch an jedem Schrein ausgiebig gebetet (Glocke läuten – dreimal in die Hände klatschen – verbeugen – Spende einwerfen – beten – noch mal klatschen – gehen).
Da es schon überall Zukunfts- und Glücksvorhersagen gab, mussten wir das natürlich ebenfalls probieren. Nichts einfacher als das, alle hatten sehr großes Glück. Dann war ich an der Reihe. Also begab ich mich an meinen zweiten Versuch, in Japan mal eine glückliche Vorhersage zu bekommen. 2006 erhielt ich in Tokyo noch eine Vorhersage von sehr großem Pech und durchwachsenem Glück. Diesmal sah es aber gut aus, schließlich hatten 18 Leute schon sehr großes Glück gezogen! Aber einer muss ja eine Ausnahme machen. Ich entschied mich wieder einmal für durchwachsenes Glück und werde diesen Vorhersagen in Japan ab jetzt fern bleiben. Aber wenigstens stehe ich dazu. Man kann auch solche Zettel an extra Befestigungen anbringen, damit sie nicht in Erfüllung gehen. Das habe ich aber nicht nötig und lebe lieber mit meinem kleinen Glück.
Dann habe ich noch schnell für den sportlichen Erfolg gebetet und es ging die 1.100 Stufen wieder herunter. Das Beten für den sportlichen Erfolg übernehme ich übrigens nicht alleine. Die Japaner scheinen ihren Samurai Blue, also ihrer Nationalmannschaft, nicht wirklich etwas bei der WM zuzutrauen: Man wurde aufgefordert, Glücksamulette für den Nationalmannschaftserfolg zu kaufen. Offensichtlich hofft man, wenigstens mit Hilfe von oben etwas erreichen zu können. Gerade als wir den Tempel verließen, begann es kurz zu regnen. Also wurde der Entschluss gefasst, den Ort zu verlassen. Da das Wetter sich aber schnell wieder änderte, wollten zehn Mitglieder der Gruppe noch bleiben, um auf einem Wanderweg entlangzulaufen.
Die Gruppe, bestehend aus 3 Koreanerinnen, einen Brasilianer, einen Amerikaner, einen Mexikaner, einer Australierin, einem Bulgaren, einer Ungarin und einem Deutschen zog also los und alles lief am Schnürchen – bis wir zu einer Felswand kamen. Zwei Wege führten weiter und keiner sah wirklich vertrauenerweckend aus. Der eine führte auf ebener Strecke weiter und der andere führte die Steilwand hinauf. Logischer Weise wäre die Antwort „umkehren“ gewesen, aber nicht mit uns. Mit vollem Selbstvertrauen wurden Gruppen losgeschickt, die Wege zu erkunden. Da sich die eine nicht mehr am Treffpunkt einfand, folgten wir ihr. Ein schwerwiegender Fehler, denn es ging die Steilwand hinauf. Schnell ging es nur noch weiter, indem man sich von Baum zu Baum vorarbeitete. Aber ein Rückkehren war aufgrund des Untergrundes ausgeschlossen, da es zu gefährlich erschien. Dementsprechend arbeiteten wir uns immer weiter den Berg hoch, in der Hoffnung, einen Weg zu finden, der sicher ist. Leider sollte das nicht so einfach sein. Gleichzeitig war unsere Ausrüstung nicht auf dieses Gelände ausgerichtet. Jeans, Röcke und normale Sonntagsausgehschuhe sind nicht gerade fürs Klettern geeignet. Nach langen Strapazen und Aussagen des Amerikaners, er hätte einen Weg gesehen, erreichten wir die Bergspitze – einen guten Ausblick auf das Tal inbegriffen. Leider war dies von Fotos kaum einfangbar. Die Bäume waren zwar durchlässig, aber auf den Fotos kommt der tolle Ausblick nicht so rüber.
Nun waren wir also oben angekommen, ohne einen Ausweg gefunden zu haben und ohne zu wissen, wo wir sind. Das GPS im Handy unseres Führers zeigte auch nur an, dass wir auf irgend einem Berg sind und mitten im Wald stehen. Gleichzeitig bekam eine Koreanerin Probleme mit dem Kreislauf. Also Schnellversorgung durch den Brasilianer und mich. Krämpfe per Massage beseitigen, Wasser einflößen und Stirn kühlen. Zum Glück konnte es weiter gehen. Wir fanden einen Weg, der fast normal begehbar war. Aber wer „Herr der Ringe, Teil 1“ gesehen hat, kam sich einigermaßen wie in den Reiseszenen der Gemeinschaft des Ringes in diesem Film vor. Über Berg und Tal wurde sich gekämpft, auf den verbotensten Wegen, bei denen wir eine Koreanerin gerade noch vor dem Absturz an einer Klippe bewahren konnten. Die Herren mussten also das Sichern übernehmen. Der Bulgare nahm einen Stock als Armverlängerung und sicherte damit eine Dame, der Brasilianer und ich übernahmen die restlichen Koreanerinnen und sicherten vorne bzw. hinten ab. Gleichzeitig mussten wir die Taschen übernehmen. Ich muss feststellen, dass nichts besser aussieht, als bergsteigende Herren mit Frauenhandtaschen oder mit drei Messanger-Taschen und drei Fotoapparaten am Gürtel. Zwischenzeitlich ließen die Damen etwas Frust an dem Amerikaner und dem Mexikaner ab, da wir ihnen diesen Trip zu verdanken hatten.
Nach etwa drei Stunden schafften wir es endlich aus dem Gebiet heraus, für dessen Durchqueren eigentlich nur 45 Minuten angesetzt werden. Als Erfolg können wir immerhin werten, dass Orsolya und ich den Gipfel erreichten. Da sie aber kurz vor mir oben war, bleibt ihr die Namenswahl übrig. Weiterhin wollen die Koreanerinnen aus uns unerfindlichen Gründen nicht mehr mit uns spazieren gehen und die Australierin hat so viele Fotos beim Klettern machen lassen, dass sie ihr Zimmer damit pflastern kann. Mir persönlich hat es eigentlich trotz der Probleme Spaß gemacht. Das Klettern war in Ordnung, auch wenn ich nächstes Mal doch bitte etwas besser angezogenen sein möchte und dann gerne eine Karte hätte. Dafür können wir mit absoluter Sicherheit sagen, dass wir jetzt eine Gegend Japans besser kennen, als das die meisten Japaner tun.
Morgen wird es dafür etwas ruhiger, da bis auf Orsolya und mir alle nur noch schlafen wollten und der Trip nach Matsushima wohl um einen Tag verschoben wird. Trotzdem bleibt die Erkenntnis, dass ich es liebe, nicht allergisch auf die Natur zu sein. Weiterhin kann ich erfreut feststellen, dass ich heute mit dem Klettern etwas gemacht habe, was mir in Deutschland wohl nie passiert wäre. Auch wegen des wunderschönen Tempels, kann ich dem Tag eigentlich nur Gutes abgewinnen.
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Aufstieg zum Tempel
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Nicht nur
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wir wollten hin!
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viele Stufen
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Unsere Wandergruppe
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Rast
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Wo gehts lang?
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Wer sucht solche
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Wege aus?
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Nur Bergauf
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Es ging wieder runter!
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Hurra geschafft!
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War anstrengend!
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Rückfahrt