Bist du Katholik oder Protestant? Nö, ich bin FCM-FAN!

Weihnachten kommt immer näher, wieso kann es nicht schon vorbei sein? Natürlich sind die Weihnachtsvorbereitungen in Deutschland auch schon voll im Gange, aber die Japaner gestalten das Weihnachtsfest genau so wie sie alles gestalten, sie übertreiben es mal wieder maßlos. Die Stadt kann man eigentlich nicht mehr betreten. Alle Bäume werden mit Lampen geschmückt, alle Geschäfte mit den kitschigsten Weihnachtssachen, die man normalerweise nur aus schlechten amerikanischen Filmen kennt. Aber auch die Geschäfte haben sich angepasst. Zu völlig überzogenen Preisen von bis zu 15 Euro werden Ministollen angeboten und alles andere, was Japaner als weihnachtlich ansehen. So wurde die halbe Modekollektion auf die Farben rot und grün, inklusive Rentieren, umgestellt. Wirklich nerven würde mich diese Umstellung aber nicht, schließlich bleibt man wenigstens von den leidlichen Weihnachtsliedern verschont. Trotzdem ist die Sache sehr nervig, denn die Japaner denken tatsächlich, wir würden das Fest in Europa um einiges ernster nehmen, als wir es in Wirklichkeit nehmen.

Eine der häufigsten Fragen in der letzten Zeit war: Welcher Religion gehörst du an? Bist du Katholik oder Protestant? Ein FCM-FAN! Nach dieser Antwort kann man immer das ungläubige Gesicht eines Japaners vor sich sehen. Keiner Religion anzuhören ist unerhört, besonders in dieser Jahreszeit. Wieso darf ich bitte ein christliches Fest feiern, obwohl ich Atheist bin? Also fängt eine größere Belehrung über das Christentum in Europa an und natürlich auch über das moderne Weihnachten, welches bei weitem nicht mehr so viel mit dem religiösen Fest zu tun hat, wie es früher einmal gewesen sein mag. Richtig kurios werden dann aber die folgenden Fragen der Japaner: So musste ich mich heute doch tatsächlich der Frage stellen, wo ich begraben werde, wenn ich mal sterbe, schließlich sind die Friedhöfe nur für Christen. Ein wenig seltsam kann man bei solcher Frage dann doch schon mal schauen. Also durfte ich das Beerdigungsprinzip Deutschlands erklären und dass natürlich nicht alle Nicht-Christen einfach nur ins Wasser geschmissen werden. Geschweige denn ist ja wohl klar, dass in Zukunft der Mittelkreis für mich reserviert wird, ich bin schließlich Treueringbesitzer! Die Frage zeigte aber mal wieder Japans sehr kontroverse Haltung zur Religion. Religion ist hierzulande einfach nur Mittel zum Zweck. Der Shintoismus ist gut für die Geburt und für Hochzeiten, also werden meistens unter diesem Glauben die Feste begangen. Für den Tod bietet der Buddhismus eine bessere Zukunft, also wird man buddhistisch beerdigt. Über dieses Vorgehen gibt es auch überhaupt keinen Zweifel und das Leben komplett ohne Religion kann man sich schon gar nicht vorstellen. Da deutsche Filme dazu auch nur die christliche Beerdigung zeigen, geht man in Japan grundlegend davon aus, dass es bei uns nicht anders geht. Allgemein ist die Erklärung dafür, dass Weihnachten hierzulande nur ein Fest für Verliebte darstellt, mit diesem Weltbild der Religion erklärt. Verliebte dürfen wie im Film das Fest begehen, ansonsten ist das Fest für den normalen Japaner aber kaum zu feiern. Schließlich verfügt man nicht über den richtigen Glauben und man möchte sich ja das Karma nicht durch ein heidnisches Fest (ein Fest der falschen Religion) zerstören. Auf jeden Fall hoffe ich, das Fest ist bald vorbei und ich hab wieder Ruhe. Religion ist nicht gerade ein Thema, was ich immer wieder durchkauen möchte.

Ansonsten werde ich immer besser beim Thema Magisterarbeiten. Die Hälfte des Tages verbracht ich mit der Magisterarbeit von Rieko. Der Dezember rückt immer näher und damit auch ihr Abgabetermin. Da sie aber eigentlich noch einige Monate mehr bräuchte bin ich da, um auszuhelfen. Deutsche Mode wird auch nicht wirklich spannender dadurch, dass ich mich jetzt tiefer mit der Materie beschäftigen muss. Dazu kommt, dass viele der von Rieko verwendeten Artikel Namen von Modedesignern oder VIPs beinhalten, die ich noch nie gehört habe. Dadurch wird es natürlich auch für mich schwerer, ihr die Zusammenhänge der Artikel darzulegen. Trotzdem gebe ich mein bestes, schließlich hilft sie mir auch immer wieder. Wirklicher Fan des Themas werde ich trotzdem wohl nie. Dass ich den Leuten ein wenig helfe, hat sich zu dem auch noch bei den anderen Studenten herum gesprochen und immer mehr kommen und stellen mir Fragen. So helfe ich gerade bei einer Magisterarbeit über deutsche Autos oder erkläre anderen die Benennung von Uhrzeiten. Unschlüssig bin ich mir zwar noch, ob ich für eine 45er Uhrzeit dreiviertel oder viertel vor beibringen sollte, aber ich werde wohl bei meiner Version bleiben. Was das Ganze, besonders das Autothema, zwar immer mit deutscher Literatur zu tun hat, ist mir noch nicht ganz klar, aber so lange die Professoren derartige Themen erlauben, soll es mir recht sein. Gleichzeitig habe ich dadurch immer Menschen an der Hand, die mir bei meinen Forschungen auch aushelfen können.

Neulich im Sprachkurs – wie falte ich noch mal einen Kranich?

Was für ein Tag! Ein Kampf gegen die Hände, japanische Küchenspionage und dann mit dem Rad auf der Schnellstraße unterwegs, aber der Reihe nach:

Bekannterweise haben die Sprachkurse ja wieder angefangen und ich bin wieder im Kurs von Frau Abe gelandet. Heute konnte ich diesem auch endlich mal beiwohnen und fragte mich gleich, ob ich nicht doch im falschen Raum gelandet bin. Eine der ersten Aufgaben des Tages bestand daraus, ein Origami, eine Papierfalterei, herzustellen. Schon das Wort Origami lässt mich erzittern. Mit Schaudern denke ich daran zurück, wie mir bei chinesischer Kalligrafie in Göttingen versucht wurde, das kunstvolle Falten näher zu bringen. Schlecht nur, dass es in einer Geschwindigkeit stattfand, dass keiner der Anwesenden folgen konnte und ich so schon wieder alles verdrängt habe. Was Origami mit einem Japanisch-Kurs zu tun hat, nur um der Frage schon mal entgegen zu treten, ich habe keine Ahnung. Vermutlich versteht man durch das Falten die Sprache besser. Bei mir hat es, wenn auch aus anderen Gründen, ganz gut geklappt.

Unsere Klasse besteht aus fünfzehn Leuten, die kurzerhand in drei Gruppen aufgeteilt wurden. Da Asiaten bekanntlicherweise in der Kunst des Origamis doch etwas geschulter sind als Europäer, wurden die Asiaten auf die einzelnen Gruppen aufgeteilt und sollten das Vorgehen erklären. Ich landete in einer reinen Männergruppe, wo der einzige Asiat, ein Koreaner, natürlich keine Ahnung hatte, was zu tun ist. Also hielten wir Kriegsrat. Zwei Nordafrikaner holten die I-Phones heraus und kurzerhand wurde im Internet eine bebilderte Bauanleitung gesucht. Die anderen hatten derweil schon angefangen. Aber sollen die anderen sich doch mit Kunstwerken wie Schnecken oder Blumen abmühen, wir sind froh, wenn wir einen Kranich hinbekommen. Gleichzeitiges Bauen kam für uns eh nicht in Frage und ein Türke und ich interpretierten die Bauanleitung, während ein Libyer unsere Beschreibungen in die Tat umsetzte. O.k., wir bekamen zwar nur drei Kraniche und das unter vielen Flüchen (auf japanisch natürlich, so viel Zeit muss sein, wir waren ja schließlich im Japanisch-Kurs) fertig, aber die anderen werden uns schon nicht so weit voraus sein. Dachten wir jedenfalls. Natürlich hatten die anderen in der Zeit allesamt irgendwelche Kunstwerke fertig und die einzigen, die nichts vorzuweisen hatten, waren der Türke und ich, die einzigen Europäer des Kurses. Wo ist bitte der Gleichstellungsbeauftragte, ich fühle mich benachteiligt. Um der Schande zu entgehen beschlossen wir, unsere halb fertigen Ansätze als moderne Kunst zu verkaufen und der Türke bastelte kurzerhand Papierschiffe aus ihnen. In Europa ist das schließlich das einzige bekannte Origami und wir wollten uns doch vor den Asiaten nicht mit unseren wirklichen Fähigkeiten blamieren???.

Nach dieser Peinlichkeit wurde der Kurs aber auch nicht besser. Der nächste Plan von Frau Abe war es, uns Kochrezepte aufschreiben zu lassen. Normalerweise wäre das ein klassischer Fall von Nudeln in Topf schmeißen, passierte Tomaten in anderen Topf und am Ende nach dem Kochen alles mixen. Im Lichte der Tatsache, dass die ganzen Asiaten im Kurs auf einmal aber anfingen, die großen Rezepte herauszuholen und die Herstellung von chinesischen Spezialitäten oder Kimuchi erklärten, wollte ich diesen Versuchen aber in nichts nachstehen. Was gäbe es auch besseres, als einen Bulgurauflauf zu beschreiben? Vieles, wo die Zutaten in Japan bekannt sind, aber das wurde mir erst später klar. Es wurde eine Heidenarbeit und ich brauchte natürlich am längsten. Dafür nahm meine Lehrerin es persönlich an und ließ sich alles erklären, machte Anmerkungen über die Anzahl von einigen Zutaten und wann es zu pfeffern und salzen ist auf das Blatt und nahm es mit nach Hause unter der Bemerkung, hört sich lecker an. So kann man auch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die Studenten sind beschäftigt, üben die Sprache und als Lehrer hat man einmal im Semester ca. zwanzig neue Rezepte zu Hause rumfliegen.

Abends galt es für mich dann noch einmal kurz zum Fanshop von Vegalta zu fahren, schließlich fehlten mir noch die Karten für die nächsten Spiele. Ich kann nur sagen, japanischer Straßenverkehr ist wirklich interessant. Ich folge in Seelenruhe einem Fahrradweg, der auf einmal auf die Straße mündet. Kein Problem, also geht es halt auf der Straße weiter, die überraschenderweise für den Stadtteil in einem wunderbaren Zustand ist. Warum das so ist, wird mir 200 Meter weiter klar. Auf dem Straßenschild, das die nächste Gabelung erklärte, wurde meine Straße doch wirklich als Schnellstraße 35 angegeben. So ein Warnschild am Ende des Fahrradweges wäre doch mal nett gewesen, aber zum Glück waren die Autofahrer eh vorsichtig, wenn sie mich gesehen haben. Mich würde ja mal interessieren, ob es schon eine Radiomeldung gab: ?Gefahr auf der Schnellstraße 35, verrückter Gajin auf dem Fahrrad unterwegs!?? So unverhofft die Straße auch angefangen hatte, hörte sie dann aber auch wieder auf und ich befand mich auf einmal wieder auf einer normalen Stadtstraße. Viel besser wurde es mit dem Straßenverkehr dort aber auch nicht. Ich musste an einer Ampel an dieser viel befahrenen Straße die Straße überqueren. Normalerweise wartet man, flucht etwas, dass die Ampel zu lange rot ist und überquert dann die Straße. Was macht man aber, wenn die Autofahrer anhalten und einen rüber lassen wollen? Beim ersten Mal konnte ich den Fahrer ja noch weiter winken und auf die Ampel aufmerksam machen, der vierte Fahrer wartete dann aber auf einmal stur und es entwickelte sich schon ein kleiner Stau. Entnervt gab ich auf und überquerte die Ampel halt bei rot, was macht man nicht alles für die Japaner. Man merke sich also, japanischer Verkehr ist immer für eine Überraschung gut. Man stelle sich mal so ein Anhalten in Deutschland vor. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist wohl ziemlich gering.

Die Influenza kommt, versteckt euch in euren Zimmern!

Die Japaner soll noch einmal einer verstehen. Gerade gestern lobe ich noch die freudige Entdeckung, dass es beim Fußball Rabatt für Studenten gibt und heute sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Mayumi, meine Konversationspartnerin, hat mitbekommen, dass ich gestern auch im Stadion war und mich darauf vorbereitet, schnell Karten zu besorgen, da das letzte Spiel der Saison sehr schnell ausverkauft sein könnte. Kein Problem für mich. Nebenan gibt es einen Kombini, der auch Karten verkauft und 24 Stunden geöffnet ist. Also ging es zu später Stunde rüber und schnell war ein Angestellter gefunden, der mir die Karten organisieren sollte. Der weigerte sich aber auf einmal, mir die ermäßigte Karte auszuhändigen, schließlich bin ich kein Schüler sondern Student. Zum Glück hatte ich die Karte von gestern dabei und erklärte ihm irgendwie auf Japanisch, was mein Problem darstellt. Wirklich nachvollziehen, wie es zu solchen Diskrepanzen kommt, konnte er auch nicht und rief deshalb bei der Geschäftsstelle des Ticketcenters an. Die verwiesen ihn aber auch nur an den Verein, so dass ich wenn dann morgen wieder kommen soll und er dann den Verein anruft. Jedenfalls habe ich seine viel zu schnellen japanischen Erklärungen so gedeutet. Ganz nachvollziehen kann ich das Dilemma nicht. Gestern hat die junge Dame am Ticketschalter meinen Studentenausweis genau gecheckt und mir daraufhin die Karte ausgehändigt. Auch ansonsten hat keiner Probleme gemacht, so dass die Problematik schon leicht unverständlich ist. Die einfachste Lösung wird sein, dass ich mich morgen auf zum Verein mache und das Problem persönlich kläre, auch wenn ich auf den Fahrradtrip bei der in Sendai gerade herrschenden Kälte eigentlich nicht all zu viel Lust habe. Aber was macht man nicht alles für Rabatt, auch wenn ich dadurch gegen die neusten Regelungen meines Wohnheimes verstoße.

Ich dachte, ich lese nicht richtig, als ich im Verwaltungsgebäude die Regelungen zur Influenzabekämpfung entdeckte. Das Wohnheim bittet alle Studenten, Mundschutz zu tragen, um niemanden anzustecken oder angesteckt zu werden, auch Berührungen sind zu vermeiden. So weit, so gut und noch einigermaßen verständlich. Die Aufforderung, das Haus nur im Notfall zu verlassen und große Menschenansammlungen zu meiden, hat mich dann aber doch extremst zum Lachen gebracht. In anderen Ländern sagt man, dass man das Immunsystem mit spazieren gehen und frischer Luft stärken soll, hierzulande wird gebeten, die Wohnung nur im Notfall zu verlassen. Diese Vorschriften passen aber auch ansonsten in das Gesundheitssystem der Japaner. Seit es etwas kälter geworden ist, sieht man wieder vermehrt auf den Straßen die Japaner, die nur noch mit Mundschutz durch die Gegend rennen. Gleichzeitig wurde vor jedem Gebäude ein kleiner Tisch aufgebaut, auf dem Desinfektionsmittel steht und die Bemerkung, doch das Gebäude nur desinfiziert zu betreten. Persönlich bin ich ja der Meinung, sie übertreiben leicht. Aber sollen sie machen, so kann ich bei einer Epidemie wenigstens sagen, ich habe sie verursacht, weil ich alle Regeln missachtet habe.

Anders ist es aber auch nicht wirklich möglich. Neben den üblichen Verpflichtungen bin ich momentan relativ stark als Übersetzer und Hilfe für Riekos Abschlussarbeit eingespannt. Ihr Deutsch ist zwar ziemlich gut, aber für Redewendungen, wie sie sie jetzt häufiger für die Arbeit lesen muss, reicht es dann aber doch nicht aus. So habe ich heute über eine Stunde die Bedeutung eines Zeitungsartikels mit ihr diskutiert. Aber auch ansonsten wird ausgenutzt, dass ich wieder da bin, wenn man es denn weiß. Irgendwie hat sich meine Rückkehr herumgesprochen und ich hab schon böse SMS über meine nicht erfolgte Rückmeldung erhalten. Eine Person, die es wusste, war Laura, so dass ich dann auch gleich noch mal ihr Fahrrad reparieren durfte. Bei knapp fünf Grad ist das keine schöne Aufgabe, aber ich bin bekannterweise ein Profi im improvisieren und trotz fehlender Werkzeuge schaffte ich es in Rekordzeit, das Rad wieder auf Vordermann zu bekommen.

Heimspiel und Fanclubmitglied – Ausländer im Stadion

Es gibt Tage, da kann einem schon die Lust vergehen. Heute war der Besuch des Fußballspiels Vegalta Sendai gegen Jubilo Iwata angesetzt. Jubilo ist der erste Verein, den ich aus Japan je spielen gesehen habe und aus diesem Grund wollte ich das Spiel unbedingt sehen. Eigentlich hatten drei Leute zugesagt, mit mir ins Stadion zu gehen, aber wer kennt nicht den Spruch, es kommt immer anders als man denkt. Um 15 Uhr sollte es losgehen und zwei der betreffenden Personen erschienen gar nicht und der dritte entschuldigte sich nach einem Anruf meinerseits, dass er es heute doch nicht schaffen könnte. Solch eine Zuverlässigkeit kann schon leicht auf die Nerven gehen. Dazu war das Wetter auch noch nah am Regen, was also tun? Ich entschied mich, trotzdem erst einmal zum Stadion zu fahren und im Notfall halt nicht rein zu gehen, falls ich doch keine Lust hatte. Nachdem ich die Strecke zum Stadion endlich hinter mich gebracht hatte, kam gleich der nächste Schock. Vegalta, ein Aufsteiger, der um den Klassenerhalt kämpft, will tatsächlich 30 Euro für eine Karte haben. Das ist mehr, als Yokohama oder Kobe für bessere Sitzplätze wollten. Damit war meine Motivation endgültig flöten gegangen, aber jetzt war ich einmal hier. Also Augen zu und durch, das Geld kann man ja Andernorts einsparen, beim Essen oder Trinken zum Beispiel. Es sollte sich um die beste Entscheidung des Tages handeln.

An der Kasse, ich hatte schon das Geld bereitliegen, kam auf einmal die zaghafte Frage: Bist du zufällig Student? Natürlich keine Frage und schnell den Ausweis gezuckt. Tatsächlich, es gibt in Sendai als einer der wenigen japanischen Vereine Studentenrabatt und die Karte kostet schlappe 9 Euro im Kindertarif. Was will man mehr? Nicht mal Mayumi, meine Konversationspartnerin, wusste von solchen Nachlässen und hatte mir im August eine Vollpreiskarte besorgt. Also rein ins Vergnügen und Sitzplatz suchen. Kontrollen gab es natürlich auch wieder nicht, aber so etwas erwarte ich schon gar nicht mehr. Gar nicht so leicht, bei freier Platzwahl noch einen Platz zu ergattern und alles sah schon nach einer Stehparty aus. Plötzlich entdeckte ich einen freien Platz und nach einigem Verhandlungsgeschick konnte ich ihn mein eigen nennen.

Was folgte, war eines der besten Fußballerlebnisse seit langem. Meine Nachbarn waren mehrere befreundete Familien, die zusammen zum Fußball gehen. Drei Mütter und zwei ihrer Ehemänner hatten dabei die Aufsicht über eine ganze Rasselbande. Zwei Söhne um die 12 Jahre, zwei Töchter um die 10 Jahre und ein Baby wollten beaufsichtigt werden. Am schlechtesten hatte es wohl das Baby erwischt. Angeschnallt an den Körper der Mutter, musste es das intensive Mitsingen, Mitspringen und Schimpfen seiner Mutter ertragen. Immerhin wird man so frühzeitig an die wichtigste Nebensache der Welt herangeführt. Ein 1,94 Meter großer Gajin sorgt aber natürlich für Neugier bei jungen Kindern. So dauerte es nicht lange, bis die Jungen mich ansprachen. Ein „mein Japanisch ist beschissen“ später war das Eis endgültig gebrochen und die ganze Belegschaft horchte mich aus und bemühte die winzigen Reste Englisch und Deutsch, die sie noch aus Schulzeiten kannten. Die Tatsache, dass ich das letzte Spiel von Vegalta in Kobe gesehen habe, sorgte dann endgültig zur Aufnahme in die Gemeinschaft und das Fußballspiel wurde um so lustiger. In diesem Moment verfluchte ich wirklich die Tatsache, keine FCM ? Anstecknadeln oder ähnliches zur Hand gehabt zu haben, denn ich hätte sie gut gebrauchen können. Meine Bestechungen mit Schokoladennüssen wurden mit japanischen Süßigkeiten zurückgezahlt und die kleinen Mädchen hatten besonders Gefallen an dem großen Ausländer gefunden. Die Mutigere der beiden fragte mich erst auf Japanisch und Englisch (für eine ca. Zehnjährige super beeindruckend) aus und malte später aus Langeweile ein Bild, das sie mir schenkte. Aber nicht nur die Familie versuchte alles, um mich einzubinden. Genau bei meiner Ankunft wurde gerade die Aufstellung verkündet und in Sendai wird für den koreanischen Superstar mit der 10 ein extra Tanz mit Hüpfen veranstaltet. Da ich geistig noch nicht darauf eingestellt war und etwas verdattert schaute, griff mich ein Japaner, hakte sich ein und zeigte mir, wie ich hüpfen muss. Später machte er mir auch noch die Handbewegungen für einige Schlachtrufe vor. Man merkt, ich war das Highlight in diesem Block und es war eine perfekte Möglichkeit, mein Japanisch zu polieren und mit Menschen in Kontakt zu kommen.

Aber nicht nur das Drumherum begeisterte, nein auch das Fußballspiel sah fast aus wie echter Fußball. Zu Zeiten, wo die größten der Welt und die Stadtmusikanten nur unentschieden spielen, war das eine Genugtuung. Aber erst einmal zum äußeren. Mit Jubilo Iwata hat sich das Team des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts in Sendai die Ehre gegeben. Um das Jahr zweitausend gewann Iwata so ziemlich alles, was man nur gewinnen konnte. Asienchampionsliga, Meisterschaften, Pokale – alles wurde, mit einer Mannschaft nur aus Japanern bestehend und dazu meist aus der eigenen Region, gewonnen. Das alles änderte sich um das Jahr 2003, als die Mannschaft merklich überalterte und es nicht gelang, die Positionen entsprechend gleichwertig neu zu besetzen. Mit dem gleichzeitigen Erstärken des Lokalrivalen Shimizu S Puls, der immer erfolgreicher wird und die Fans von Jubilo übernimmt, folgte der tiefe Fall Iwatas, der 2008 beinahe zum Abstieg in die J-League 2 führte. Das konnte nur dank eines Sieges in der Relegation gegen Vegalta Sendai verhindert werden. Heutzutage spricht man bei Jubilo auch gerne mal von einem schlafenden Riesen, der aber weit hinter den Erwartungen bleibt. Wo haben wir das nur schon mal gehört? Dieses Jahr lief es auch nicht besonders für den Verein und man befindet sich gerade auf dem 11. Platz der Liga. Trotzdem gelang der Mannschaft um den 35jährigen Torhüter und Kapitän der japanischen Nationalmannschaft Yoshikatsu Kawaguchi ein Achtungserfolg, indem man vor zwei Wochen den Ligapokal erringen konnte. Auf der anderen Seite bei Vegalta geht immer noch das Abstiegsgespenst rum. Die bittere und völlig verdiente Niederlage gegen Vissel Kobe letzte Woche hat wichtige Punkte gekostet. Zusätzlich erscheint das Spiel, das komplett um den nordkoreanischen Spielmacher Yong-Gi Ryang aufgebaut ist, zu langsam und uninspiriert.

Von den Problemen Vegaltas am letzten Wochenende war dieses Mal auf jeden Fall nichts zu sehen. Man begann mit einem Offensivfeuerwerk, das man gegen Vissel schmerzlich vermisst hat. Nach zwanzig Minuten konnte man sich bei Kawaguchi, der eindrucksvoll bewies, warum er Nationaltorwart ist, bedanken, dass es immer noch keine Führung für Vegalta gab. Dann geschah es endlich und der Ball gelangte ins Tor. Der Erste, der schrie, war ein komischer Ausländer. Er fing schon an Tor zu rufen, als der Ball unhaltbar aufs Tor zurollte, während der Rest im Stadion noch ungläubig die Augen rieb. Was folgte, war eine Abklatschorgie mit der gesamten Nachbarschaft, denn jeder wollte sich einmal mit mir abklatschen. Es sollte aber nicht beim 1:0 bleiben, sondern es gelang noch eine Erhöhung auf 2:0 vor der Pause, wobei sich Jubilos Abwehr nicht mit Ruhm bekleckerte und ihr Torwart einem leid tun konnte. Er war der einzige Grund, warum es noch nicht 4:0 stand. In der zweiten Halbzeit versuchte Jubilo dann mehr, gelangte aber maximal nur durch Unaufmerksamkeiten vors Tor von Sendai und vergab dann kläglich. Vegalta machte es besser und erhöhte zum 3:0 Endstand. Das Ergebnis darf aber nicht über die Schwächen des Spiels hinwegtäuschen. Es gab nur hohe Bälle auf die Stürmer und manchmal hat sich mein Gefühl verstärkt, dass Japan wirklich jeden stürmen lässt, der das Aussehen eines Tores beschreiben kann. Was die vergeben haben, war nicht mehr feierlich. Dafür pfeifen die Schiedsrichter hierzulande kaum mal etwas, was bei den Gelben-Karten-Orgien in Deutschland schon etwas seltsam anmutet. Wirklich umgeholzt wird aber sowieso kaum einmal. Lieber lässt man den Gegner flanken, als dass man eine Grätsche ansetzt. Gut, bei den Flanken der Japaner auch kein Wunder, etwas Ungefährlicheres gibt es kaum.

Zum Abschluss nahmen mir meine Nachbarn noch das Versprechen ab, nächste Woche wieder am selben Platz zu erscheinen und die Kinder machten alle mit ihren Handys Bilder von mir. Ich muss sagen, es war ein perfekter Spieltag. Obwohl Vegalta in den ersten zwanzig Minuten viel Mist baute und es gegen den Abstieg ging und Jubilo eine 3:0 Klatsche ohne große Torchancen bekam, nie wurde es unsachlich im Stadion. Die Jubilo-Fans supporteten wie die Vegalta-Fans 90 Minuten durch. Natürlich gab es auch mal Flüche, besonders von einem Deutschen, der froh war, dass keiner ihn verstand und von den Jungen hinter ihm und der Mutter mit Kind neben ihm, die ihrem Sohn einiges an bösen Wörtern beibrachte. Aber es waren eher Anfeuerungsrufe, als dass es gegen die Spieler ging. Es war ein wirkliches Familien- und Fußballfest, wo niemand der Meinung war, 90 Minuten pfeifen zu müssen, Regionen meinte verunglimpfen zu müssen oder das gesamte Personal zum Teufel schicken wollte. Halt Fußball, wie es sein muss und ich habe es genossen. Jetzt müssen sie nur noch beim Niveau des Spiels etwas zulegen und ich bin restlos glücklich.

Nach einer langen Heimfahrt hatte ich dann endlich mein Wohnheim erreicht, als Kato Anti und mich, die gerade zur Tür rein kamen, erst einmal noch zu einer Party schleifte. Dort unterhielten wir uns ein wenig. Und Yuka, eine alte Bekannte und die am besten Deutsch sprechende Japanerin die ich kenne, hat sich angekündigt, mit mir demnächst mal ein Spiel sehen zu wollen. Sie ist zwar kein Fußballfan, aber man muss ja mal sehen, was Sendai so zu bieten hat, wenn man hier schon lebt. Auch ansonsten war es eine lustige Runde und dadurch der perfekte Abschluss des Abends. Ich muss wohl den Leuten dankbar sein, die abgesagt haben (oder auch nicht), denn mit ihnen wäre das Spiel wohl nicht so lustig geworden. Dadurch, dass ich alleine unterwegs war, haben sich die Japaner viel eher bereit erklärt, sich mit mir zu beschäftigen. Ansonsten wäre ich wohl auch nicht noch zu der Party gekommen. Nächste Woche werde ich wohl wieder da sein, auch wenn leider in 5 Spieltagen die Saison schon zu Ende ist.

Von Gospel und Feueralarmen

Der heutige Morgen hat mir den Beweis gebracht, wenn eine Katastrophe mein Wohnheim trifft, werde ich einfach mit untergehen. Am frühen Morgen gab es im Wohnheim eine Feueralarmübung und irgendwie habe ich es geschafft, davon wirklich gar nichts mit zu bekommen. Das muss man erst einmal hin bekommen und ich frage mich ernsthaft, wie schlecht die Warntöne hier sind, dass man davon nichts hört. Zum Glück plane ich eh, nicht von einer Katastrophe getroffen zu werden, von daher wird das schon. Aber Nobu hat versprochen, das Wohnheim über die Problematik mal in Kenntnis zu setzen.

Ansonsten haben wir einen leicht betrübten Sonnabend gehabt, der verlockend für eine Shoppingrunde war. Also ging es für mich in die Stadt, schließlich müssen die Vorräte nach dem Besuch meiner Eltern und den damit verbundenen Reisen wieder aufgestockt werden. Wirklich zum Shoppen konnte ich aber leider gar nicht kommen, schließlich galt es, interessanteren Dingen beizuwohnen. Das allwöchentliche Festival stand dieses Mal komplett unter dem Motto Gospel. Überall in der Stadt waren Bühnen aufgebaut und man konnte den verschiedensten Interpreten lauschen. Meiner Meinung nach war das Ergebnis zwar teilweise suboptimal, aber trotzdem stellten diese Minikonzerte eine gelungene Beschäftigung dar. Einige japanische Sänger bewiesen aber eindrucksvoll, dass ihre Stimmen für Gospelgesang nur im begrenzten Maße geeignet sind. Man merkt schon, dass der Gesang in afroamerikanischen Kirchen entstanden ist und viele japanische Sänger irgendwie doch nicht über das Stimmvolumen verfügen, um den Gesang überzeugend auf die Bühne zu bringen. Als Randbemerkung ist es sowieso relativ seltsam, christliche Lieder hier in Japan zu hören. Japan hat als Hauptreligionen den Shintoismus und den Buddhismus. Das Christentum versuchte erstmals seit dem Jahr 1549 im Land der aufgehenden Sonne Fuß zu fassen, scheiterte aber an einem großen Verbot zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert, bei dem Christen verfolgt und getötet wurden. Offiziell zugelassen wurde die Religion erst wieder im Jahr 1873 und hat mittlerweile knapp 1 Prozent der japanischen Bevölkerung hinter sich. Wirklich Einfluss hat das Christentum dementsprechend nicht im Land und die Symbolik wie Kreuze werden zwar gerne als Modeschmuck getragen, von der Bevölkerung aber nicht mit dem Glauben verbunden. Aus diesem Grund war es sehr interessant, die Besucher der Konzerte zu beobachten. Von dem, was ich aufschnappen konnte, konnte kaum einer etwas mit den Texten anfangen und immer wurde nur die melodische Verarbeitung angesprochen. Die wenigsten Gäste, aber auch Sänger, waren wohl Christen. Gleichzeitig sprangen aber auch einige kuriose Gestalten auf dem Fest herum. So führte eine Japanerin ihren fetten, aber total aufgedonnerten Hund, in einem Kinderwaagen spazieren, was schon ziemlich seltsam anmutete. Beachtlicher war aber die Datingmethode eines anderen Japaners. Er führte seinen Hasen an einer Hundeleine aus und wirklich alle Japanerinnen, die seinem Weg kreuzten, mussten den Hasen streicheln und sich mit dem Besitzer unterhalten. Merke: will man Frauen kennen lernen, gibt es offensichtlich kaum einen besseren Weg dafür.

Am Abend beschlossen wir dann, noch ein wenig gemeinsam zu kochen. Eine 9 Mann große Gruppe machte sich also zur Invasion im Sayus – Supermarkt auf. Man sollte nicht meinen, wie kompliziert das Kochen für 9 sein kann. Alle hatten Nahrungsmittel, die sie nicht vertrugen. Alex und ich mit unserem Veganer- beziehungsweise Vegetarier-Lebensstil, machten die Sache auch nicht gerade einfacher. Im Endeffekt einigten wir uns auf gebratene Soba-Nudeln mit Fleisch und Gemüsepfanne für die fleischlose Ernährung. Es entwickelte sich ein sehr lustiger Abend, wobei Ulf mit seinem T-Shirt mit eingebautem Lautsprecher den absoluten Höhepunkt darstellte. Da hat einer zu viel Fernsehen geschaut, auch wenn das Musik abspielen aus dem T-Shirt schon interessant ist.

Umzugshilfe

Es ist Freitag, in der Uni erwartet mich keiner und die Eltern haben sich auf den Heimweg gemacht. Das ist der perfekte Zeitpunkt, um ein wenig auszuschlafen und sich dann dem Ernst des Lebens zu widmen. Ein schöner Plan, wenn er denn umsetzbar gewesen wäre. Irgendwie hat die Welt Wind davon bekommen, dass ich wieder in Sendai bin und ab 6 Uhr morgens stand mein Handy nicht still. Egal, bekannterweise ist Schlaf eh überbewertet und wenn ich eh einmal wach bin, kann ich auch etwas sinnvolles machen. Also ging es in die Stadt, Besorgungen machen und anschließend mit einem Kumpel mittags in die Mensa. Da die Mensa genau an meiner Fakultät liegt, kann man da ja auch mal vorbei schauen. Zwar wurde mir letztens erst ziemlich klar gemacht, dass meine Anwesenheit freitags nicht notwendig sei, da die stattfindenden Vorträge uninteressant seien, aber das ist ja kein Hindernis und man muss sich ja mal selber ein Bild machen.

Damit fing mein Tag eigentlich erst richtig an. Als erstes galt es, die Vortragsreihe zu verfolgen. Zwar verstand ich nicht alles, aber da es um Comics und Musik in Deutschland ging, waren die Referate schon einschätzbar. Die Frage ist nur, was soll man dazu sagen. Die Referate waren ziemlich fragwürdig und man merkte, wie selten die Referenten Präsentationen vortragen müssen. Die erste Referentin ging sogar so weit, unbewusst den ganzen Vortrag über einen Kugelschreiber auf den Fingern zu jonglieren. Kritik am Inhalt der Referate gab es zwar keine, berechtigt wäre sie aber bei beiden gewesen. Aus meiner Sicht mangelte es sowohl an der Vortragsweise, der Präsentation und teilweise auch am Inhalt. So hatte der zweite Referent als Thema Heavy Metal. Als Kulturwissenschaftler ist das Thema schon in Ordnung, trotzdem kann ich zum Erstellen eines Referats über die Neuzeit kein über 12 Jahre altes Buch als Hauptquelle verwenden. Im Endeffekt verstehe ich jetzt meinen Professor als er meinte, ich solle bei den Referaten nicht erscheinen. Wenigstens dauerten sie aber nicht (wie normal) 4 Stunden.

Anschließend an die Referate wurde etwas auf Japanisch gesagt, was ich nicht verstand. Nur die Bemerkung, dass ich der Assistent der deutschen Professorin sei, fand ich leicht seltsam. Bevor so etwas geschieht, hätte ich gerne die Bezahlung geklärt und jemanden, der mir davon persönlich berichtet, was zu tun ist. Wie sich herausstellte, war der Hauptteil der Neuigkeit die Aufforderung, beim Ausräumen eines Raumes zu helfen. Ich bekam es zwar nicht mit, als es dann aber zum helfen ging, ging ich einfach mit. Wie sich herausstellte, war ein Großteil des Jobs das Kistenschleppen. Für Shimizu und mich war das kein Problem, hatten wir vorher doch gerade mit Grasovka angestoßen. Meine Eltern hatten diesen mitgebracht, damit Shimizu endlich mal anständigen Wodka und nicht das japanische Panschzeug trinkt. Beim Helfen passierte mir dann aber leider ein Malheur. Auf Japanisch erkläre mein oberster Professor, dass wir uns an allen Büchern bedienen könnten. Da ich mir aber nicht sicher war, befragte ich die anderen und verpasste deshalb ein 1950er Buch über den Verfall und Fall des römischen Empires. Diese Werksammlung hätte ich auch gerne gehabt. Den alten Besitzer des Ganzen kann das auch nicht stören, da dieser vor 2 Jahren verstarb und bis heute das Zimmer nur als Ablage genutzt wurde. Aus diesem Grund durfte man auch keine Staublunge haben, die Sachen waren nach zwei Jahren auch nicht mehr im besten Zustand. Nach zwei Stunden rücken, lag auf einmal ein Schatz vor mir. Japan und Deutschland nach dem Weltkrieg. Eine unschätzbare Publikation, die laut Register auch nie im allgemeinem Buchhandel erschienen ist. Für meine momentanen Forschungen sollte das Buch aber auf jeden Fall hilfreich sein. Das solche Schätze zwischen Diskettentaschen und verstaubten Büchern liegen, hatte auch keiner gewusst. Trotzdem verließen wir alle den Raum mit vielen Büchern in der Hand und bekamen vom obersten Chef sogar noch Pizza spendiert. Seit wann eine Pizza Margarita aber Noriblätter drauf hat, ist mir noch nicht ganz klar, aber solange es schmeckt. Insgesamt blieben wir so bis 22.00 Uhr im Büro. Man stelle sich so ein Verhalten an einem Freitag in der Uni in Göttingen vor. Die Meisten machen freitags ja noch nicht einmal Unterricht und hier sitzt man noch ewig zusammen.

Highlight war aber eigentlich der Nachhauseweg mit Shimizu. Da er viel zu viele Bücher hatte, half ich ihm beim Hochtragen und sah so das erste Mal eine japanische Studentenwohnung. Und was soll ich sagen? Ich bin neidisch! Er hat ein größeres Zimmer mit sehr moderner Küche. Schlafen tut er im Tatamiraum nebenan, wo er auf der Tatamimatte am Boden schläft. Die Wohnung war auf jeden Fall perfekt für ihn alleine geeignet, auch wenn seine riesige CD-Sammlung eigentlich impliziert, dass er mit mehreren Leuten zusammenlebt. Nein, das Zimmer war auf jeden Fall genial und genau das, was ich mir später in Göttingen wünsche. Gerade solche Informationen, wie die Lebensweise der Japaner, haben den Tag für mich interessant gemacht und natürlich die Tatsache, Bücher kassiert zu haben, auch wenn einige Bücher zu spät kamen, um noch Besitzrechte darauf anzumelden. Da die Publikation aber nie in Deutschland erschienen ist, stellt sie für mich einen sehr interessanten Punkt für weitere Forschungen dar.

Wieder alleine in Sendai

Es wird ruhiger in Sendai. Heute ist der vorletzte Tag für meine Eltern in Japan und damit auch zeitgleich der letzte Tag in Sendai. Dementsprechend war der heutige Tag ziemlich stressig. Aus praktischen Gründen hatten wir entschieden, dass ich nicht mit nach Tokyo komme. Die Uni und auch der finanzielle Faktor hätten da nicht unbedingt mitgespielt. Also musste die Zeit meiner Eltern in Sendai heute noch einmal komplett ausgenutzt werden. Gar nicht so leicht, wie man meinen sollte. Erst einmal galt es für mich, mit einem riesigen Problem in Sendai zu kämpfen, das Parken.

Da das Hotel meiner Eltern in der Innenstadt liegt, bin ich die letzten Tage immer mit dem Rad zum Hotel gefahren. Dummerweise braucht man für dieses aber auch einen Parkplatz. In Japan sieht es aber so aus, dass die Fahrradparkplätze in der Innenstadt rar gesät sind und meistens kostenpflichtige Angebote darstellen. Die Japaner stört das aber reichlich wenig und sie parken einfach, wo sie wollen. Als Gegenmaßnahme lässt die Stadt dagegen Lieferwagen herumfahren, die die falsch abgestellten Räder einsammeln. Als ich heute bei dem Hotel meiner Eltern ankam, war mein Stammparkplatz wegen Bauarbeiten gesperrt. Als ich mein Rad einfach in eine Traube anderer Räder stellen wollte, kam natürlich gerade besagter Transporter. Ich konnte gerade noch rechtzeitig mein Rad in Sicherheit bringen und durfte geschlagene fünfzehn Minuten nach einem anständigen Parkplatz suchen. Wie sehne ich mich nach Deutschland, wo man das Rad noch meist irgendwo abstellen kann!

Als wir uns endlich getroffen hatten, konnte es dann losgehen. Die letzten Sachen, die bei mir bleiben, wurden umgepackt und dem Hotelpersonal irgendwie erklärt, dass wir die Koffer noch ein wenig lagern wollen.
So konnte es noch einmal losgehen. Mit dem ging es einmal quer durch die Stadt. Dabei gab es für uns einen Zwischenstopp am Sendai Castle. Der Ausblick ist einfach zu gut, als dass man ihn auslassen kann. Zu unserer Überraschung sprangen dort auch einige Menschen in Samurairüstungen herum. Man kennt das ja aus anderen Ländern, wo sich Menschen ein Zubrot durch solche Auftritte verdienen und Geld für Fotos möchten. Aber Japan wäre nicht Japan, wenn es hier nicht anders wäre. Es handelte sich um eine Laienschaupielergruppe, die einfach etwas Werbung für sich machen wollte und sich bereitwillig mit allen Japanern ablichten ließ. Meine Mutter war aber nicht so ganz von der Idee überzeugt, so dass wir das mal lieber sein ließen.

Nach Sendai Castle mussten wir dann aber auch wieder zurück zum Bahnhof, so viel Zeit bleibt dann doch nicht. Also ging es noch schnell in ein japanisches Soba-Stehrestaurant, um den Magen zu füllen. Das ist schon komisch, seinen Topf Nudeln im Stehen zu verdrücken, aber das Restaurant war klasse besucht und geschmeckt hat es auch noch. Jetzt können meine Eltern wenigstens sagen, sie haben so etwas auch mal mitgemacht. Nach dem Essen ging es für meine Eltern dann zum Shinkansen und nach einer letzten Verabschiedung blieb ich alleine zurück. Hoffentlich klappt alles in Tokyo ohne Übersetzer, aber Japaner sind auch so hilfsbereit, dass das trotzdem alles klappen sollte.

Genau diese Theorie wurde mir dann später auch noch bestätigt. Meine Eltern haben abends noch einmal kurz durchgerufen und vom Hotelfindeerfolg berichtet. Sie brauchten nur eine Japanerin, die sie auf der Straße vor dem Bahnhof angesprochen hat und meine Eltern dann gleich 10 Minuten durch Ueno geführt hat. Wenigstens kann ich jetzt aufgrund der Japanerin ruhig schlafen, in der Gewissheit, dass alles geklappt hat.

Hiraizumi

Sendai an sich hat nicht all zu viele Sehenswürdigkeiten, die man Gästen vorstellen könnte. Natürlich verfügt die Stadt schon um ein paar Orte, nur ob man damit mehrere Tage füllen kann, bleibt fragwürdig. Um uns aber nicht zu langweilen beschlossen wir für den heutigen Tag, eine Runde heraus zu fahren und den Ort. Hiraizumi zu besichtigen. Gleichzeitig bot das mal wieder die Gelegenheit, den Shinkansen zu nutzen. Das ist eine Beschäftigung die ich unbedingt ausnutzen musste.

Hiraizumi selber stellt einen verschlafenen Ort in der Iwate-Region dar. Wäre nicht seine Geschichte, so würde er wohl aufgrund seiner Größe kaum einmal Besucher haben. Vor knapp 800 Jahren sah das Bild aber noch ganz anders aus. Die ?sh? Fujiwara, ein mächtiger Clan, beherrschten von etwa 1.000 an für rund 200 Jahre T?hoku. Als Hauptstadt und Regierungssitz wählten sie dazu den Ort Hiraizumi aufgrund seiner strategisch günstigen Lage und seiner spirituellen Bedeutung. Diese Wahl führte zu einem Aufschwung der Stadt, deren Bedeutung für Kunst und Kultur gleichmäßig mit anstieg. Die Stadt wurde einer der größten Japans und die Funde von Porzellan und anderen Gegenständen belegen eindeutig den Reichtum der Stadt. Nach dem Aussterben des Geschlechts, verfiel aber auch die Macht und der Reichtum der Stadt und ihre Bedeutung schwand schnell.

Schon die Touristeninformation am Bahnhof machte klar: Wir sind etwas besonderes. So gab es zur Abwechslung wirklich einmal deutsche Karten. Warte – deutsche Karten? Da kann doch etwas nicht stimmen und vom ganzen Schreibstil hatte ich schnell Thomas im Verdacht. Wer anderes sollte solche Übersetzungen denn erstellt haben? Was soll ich sagen, ich hatte recht. Spät abends berichtete uns Thomas von der dazugehörigen Geschichte. Auf jeden Fall entschieden wir uns für den mehrere Kilometer langen Wanderweg, um den Ort zu erkunden. Es stellte sich als eine eindeutig gute Entscheidung heraus. Wie schon auf Yamadera, waren die Herbstfarben schon weit verbreitet. Es war ein Mekka für Hobbyfotografen. Allgemein hat der Ort aber so einiges zu bieten. Egal, ob Park, Tempel oder Ausgrabungen, für jeden Geschmack ist etwas zu finden. Dazu sahen die Tempel auch noch sehr gut aus. Besonders der goldene Pavillon, der in einer Hütte unter Verschluss stand, stellte sich als sehr ansehnlich heraus. Wieso der Ort unter anderen ausländischen Touristen kaum bekannt ist, verwunderte mich schon sehr. Den Blicken nach zu urteilen, bilden Ausländer auf jeden Fall nicht das Standardbild des Ortes. Wie gesagt, die Tempel waren den Spaziergang wert und die Unbekanntheit des Ortes ist sehr unverständlich. Vermutlich liegt es einfach an der Tatsache, dass man versucht, den Ort nach dem Gedankengut des Ortes zu verkaufen und erreicht dadurch nicht die Anzahl an Besuchern, die man sich eigentlich wünscht. Der Versuch, sich als UNESCO-Weltkulturerbe zu bewerben, scheiterte an dem selben Problem.

Nach einem längerem Aufstieg zum Haupttempel des Ortes, entschieden wir uns, ein leichtes Essen zu uns zu nehmen, um uns zu kräftigen. Wirklich klein wurde das Essen aber nicht. Mein Vater bestellte dabei ein Gericht, wo ihm zu Tempura eine selbst zuzubereitende Sojasoße bereitgestellt wurde und anschließend 18 Schüsseln mit Sobanudeln gereicht wurden. Das hört sich nach besonders viel an, ist es aber nicht. Im Endeffekt hätte er vermutlich auch nicht mehr oder weniger bekommen, wenn er ein normales Sobaessen genommen hätte. Die Idee, sich selber den Dip anrühren zu können und verschiedene Geschmacksrichtungen ausprobieren zu können, gefiel mir aber richtig gut. Bitte mehr davon! So kann man wirklich das Beste für sich herausholen.

Nach dem Essen begaben wir uns langsam nach Hause. Was sollte man mit dem angebrochenen Tag noch machen? Wir entschieden uns, zur riesigen Buddhastatue am nördlichem Ende des Ortes Sendai zu fahren. Mittels Linienbus war das Erreichen der Statue auch kein Problem. Leider war sie aber gerade geschlossen worden und wir standen vor verschlossener Tür. Wir entschieden uns für den taktischen Rückzug, nachdem wir das Aussehen der Statue auf Fotos festgehalten hatten. Auf dem Rückweg geschah es dann. Normalerweise hat jeder Mitfahrer des Busses beim Einstieg eine Nummer zu ziehen, um dadurch eine Verifizierung der Fahrtkosten zu ermöglichen. Leider vergaßen wir dies aus verschiedenen Gründen, so dass ein Japaner all sein Englisch herausholte und uns alles erklärte. Es ging zwar trotzdem alles gut, aber der Japaner stand schon Gewehr bei Fuß, um uns bei unserem Ausstieg aus der Predulie zu helfen. Zum Glück brauchten wir es aber nicht. Nach etwas Shoppen in der Innenstadt, ging es erst einmal etwas Essen. Wir entschieden uns für ein sehr leckeres Okonomiyaki Restaurant. Nachdem dort die Grundlage gelegt war, zogen mein Vater und ich auch noch einmal zum MafuMafu.

Dort angekommen zeigte sich eine sehr breit gefächerte Gästeliste. Aus allen Altersklassen waren Leute anwesend. Besonders gut haben wir uns mit unseren Nachbarn verstanden, die seit heute 33 Jahre verheiratet sind. Irgendwie hatten sie einen Narren an meinem Vater gefressen, so dass er ein Bier von dem Paar ausgegeben bekam. Dies ist eine sehr seltene Geste in Japan. So ging es eine ganze Weile hin und her und es wurde ein sehr lustiger Abend. Ich glaube, mein Vater versteht mittlerweile, warum ich öfter mal dort aufzufinden bin. Ansonsten kann ich nur noch einmal Hiraizumi für zukünftige Japanreisende vorschlagen, ein wirklich schöner, wenn auch von den meisten vergessener Ort, in der Nähe Sendais.

Gefangene der JR

Matsushima überraschte mich gestern doch sehr. Normalerweise gebe ich niemandem die Empfehlung, diesen Ort zu besuchen, da ich nicht selber hundert Prozent von ihm überzeugt war. Seit gestern gebe ich wenigstens den Tipp unter Vorbehalt. Hundertprozentig stehe ich zwar immer noch nicht hinter den Inselketten, aber gesehen haben muss man es dann vermutlich doch wenigstens einmal. Eine andere Touristenattraktion im näheren Umfeld würde ich aber vermutlich immer vorschlagen, den Bergtempel Yamadera. Beide Besuche, die ich bis heute vollzogen habe, bewiesen die Einmaligkeit des Ortes. Aus diesem Grund entschied ich heute, meinen Eltern den alten Bergtempel zu präsentieren.

Bevor es losgehen konnte, galt es zwar noch einige Probleme in der Uni aus der Welt zu schaffen. Dank meiner allgemeinen Bekanntheit war das aber schnell geschafft, so dass wir etwas früher losfahren konnten, als wir es eigentlich geplant hatten. Dieser Umstand sollte sich später als absoluter Glücksfall herausstellen. Bis Yamadera klappte auf der Hinfahrt aber alles noch locker. Gut, die dunklen Wolken am Himmel sahen nicht gerade verheißungsvoll aus, aber das kann uns ja nicht schocken. Also ging es die über tausend Stufen hoch zum Tempel. Der Aufstieg an sich ist aber gar nicht so beschwerlich, wenn man von den für europäische Füße viel zu kleinen Stufen absieht. Der Ausblick entschädigt aber auch für alles. Trotzdem müssen wir ziemlich geschafft ausgesehen haben, so viele japanische Rentner wollten uns beim Aufstieg per Sprüche motivieren. Yamadera ist auf jeden Fall eine Reise wert. Selbst bei dicken Wolken sieht die Natur noch beeindruckend aus und besonders die Herbstfarben kamen wunderbar zur Geltung. Unser Privatfotograf kam berechtigterweise kaum noch aus dem Fotografieren raus. Ich persönlich kann dagegen mit Fug und Recht langsam behaupten, dass Yamadera bei jeder Jahreszeit eine Reise wert ist, schließlich habe ich mittlerweile Frühling, Sommer und Herbst dort erlebt. Wirklich viele Gäste gab es aber nicht. Bis auf ein paar Rentner, hatten sich noch einige sehr junge Japanerinnen und ein Fernsehteam eingefunden, um Yamadera zu besteigen. Für uns war der Umstand aber ideal, erlaubte es doch ein ruhiges Aufsteigen, ohne drängeln und im eigenen Tempo.

Unsere Einschätzung über die Wolken sollte sich aber als goldrichtig heraus stellen. Zwar regnete es kurz mal, als wir die Spitze des Tempels erreicht hatten, aber wirklich los ging es, als wir den Tempel gerade verließen. Wir beschlossen, schnell mit dem Zug zurück zu fahren. Wer konnte auch damit rechnen, dass die japanische Bahn ebenfalls Verspätungen hat? Natürlich nie im Shinkansenbetrieb, aber im privaten kann das schon geschehen. Die Bahn nannte auch Gründe per Durchsage, doch leider war sie viel zu schnell gesprochen, als dass ich einen Sinn aus ihr entdecken konnte. Also tat ich mich mit einem koreanischen Amerikaner zusammen und gemeinsam gelang es uns, einen Sinn aus der Meldung zu finden. Aufgrund des heftigen Sturms konnte der Zug an der Anfangsstation nicht losfahren und wir mögen doch bitte warten. Wie lange sagte uns aber besser keiner. So saßen wir über eine Stunde später immer noch an den Gleisen und harrten da den Dingen, die noch kommen sollten. Weggehen war aber auch nicht möglich, konnte der Bahnmitarbeiter uns schließlich keine Zeiten nennen, so dass wir immer bei den Gleisen bleiben mussten. Nach langer Verspätungspause kam er dann doch endlich. Leider fuhr er trotz der Verspätung aber nicht durch, sondern musste mehrmals fünfzehn Minuten Pause machen, um einen anderen Zug sein Gleis nutzen zu lassen. Im Endeffekt verschwendeten wir knapp 3 Stunden für die Fahrt, die im Idealfall 45 Minuten benötigt.

Da der Tag eh fast um war, zeigte ich meinen Eltern noch kurz mein Zimmer und die Universität. Sie hatten sogar die Möglichkeit, sich mit einem Kollegen auf Deutsch zu unterhalten. Da auf dem Weg zur Uni auch ein Kaiten-Sushi liegt, machten wir dorthin noch einen kleinen Abstecher. Kaiten bedeutet Fließband und das Fließbandsushi wurde hier in Sendai erfunden. Es war ein großer Spaß, unterschiedliche Fischsorten zu probieren, die meine Gäste noch nicht kannten. Nur eine Sache verwunderte mich. Japaner sind super hygienisch, aber das fertige Sushi konnte 3 Stunden auf dem Fließband bleiben. Zum Glück ist selber bestellen auch möglich, so dass wir trotzdem immer super frisches Sushi hatten. Irgendwie ist es aber nicht mit deutschem Sushi zu vergleichen. Der Fisch und der Reis sind einfach mal um einiges besser und der Geschmack ist mit keinem Restaurant in Deutschland vergleichbar. Geschmeckt hat das Essen auf jeden Fall beiden und die wichtigsten Orte Sendais kennen sie jetzt auch, was will man mehr.

Matsushima die Dritte

Alle guten Dinge sind drei. So lautet die alte Lebensweisheit und genau nach diesem Prinzip lebte ich heute. Mittlerweile habe ich Matsushima, einen der angeblich drei schönsten Plätze Japans, schon zweimal besucht. Keines der beiden Male konnte der Ort mich wirklich überzeugen. Im Frühjahr mit Orsolya und den anderen war es kalt und nebelig, im Sommer mit Dennis dann nur noch nebelig und wirklich beeindruckend war der Ort nicht. Aber ich gebe ja allen mehrere Chancen. Dementsprechend fuhren meine Eltern und ich heute mit dem Zug nach Matsushima. Eigentlich auch nicht, da wir einige Stationen vorher ausstiegen, um die Fähre nach Matsushima zu nehmen. Ein neuer Ansatz, um die Faszination des Ortes zu verstehen, da ich das Fahren mit der Fähre aus Kostengründen bisher immer vermied. Das Wetter hatte auf jeden Fall ein Einsehen mit unserer Entscheidung. Der Himmel war fast wolkenlos und die Sonne strahlte. Wir hatten somit beste Voraussetzungen für eine Bootsfahrt.

Es konnte also losgehen und die Besatzung des Schiffes legte sogar englische Erklärungen für uns drei ein. Aufgrund der günstigen Witterungsbedingungen war das Meer ruhig und wir hatten eine angenehme Fahrt. Einzig verwunderlich war die große Anzahl an Möwen, die unserem Schiff folgten. Wie sich herausstellte, verkauft das Schiffspersonal etwas Futter, auf das sich die Möwen stürzen. Dementsprechend ist es möglich, Möwen per Hand zu füttern und einige Japaner machten von dieser Möglichkeit nur all zu gerne Gebrauch. Einer davon hatte nach einer dreiviertel Packung aber genug von dem Spaß und drückte mir noch einige von den Stangen in die Hand. Also war ich an der Reihe, zu füttern. Meiner Meinung nach ist es auf jeden Fall nichts, was ich öfter machen möchte und das bis heute alle Passagiere dabei unverletzt in Matsushima angekommen sind, verwundert mich allerdings sehr. Die Schnäbel der Möwen sind ganz schön hart und treffen einen bei den Schnappversuchen schon leicht bis härter. Nachdem die Möwen genug gefüttert wurden, konnten wir uns alle nun endlich dem eigentlichen Sinn der Überfahrt zuwenden, den über 260 Inseln von Matsushima. Ich muss zugeben, aus dieser Perspektive auf einem Boot, sahen sie schon beeindruckender aus und die Namen einiger Inseln, die immer mit dem Aussehen der selbigen zu tun hat, sind mir jetzt auch klarer geworden. Einen der Top drei Plätze würde ich dem Gebiet trotzdem noch nicht geben, in meiner persönlichen Achtung ist das Gebiet aber doch gestiegen. Vor Ort ging es dann noch in einen Liebestempel und ein botanisches Sperrgebiet. Wenn man schon einmal in einem Schreingebiet ist, muss man auch einen traditionell japanischen Tee trinken. Um dieser Weisheit Folge zu leisten, versuchten wir uns auch an Matcha, echtem japanischen grünen Tee. Ein Hochgenuss, den man nicht genug loben kann. Matcha ist mit gutem Grund einer der Besten der Welt. Da wir einen Wochentag haben, stellten wenigstens die Besucher kein so großes Problem dar und wir konnten einiges ablaufen. Der Hafen bleibt aber aufgrund seiner Tourismus-Bauten ziemlich hässlich und wer nur ihn kennt, wird die Faszination der Inselgruppen vermutlich nie nachvollziehen können.

Anschließend ging es zurück nach Sendai. Gestern hatten wir uns ein Fleischrestaurant ausgeschaut, wo man selber sein Fleisch grillen kann. Das wollten wir besuchen und es sollte sich lohnen. Verschiedenste Sorten Fleisch, Gemüse und Fisch wurden aufgetischt und von uns gegrillt und gegessen. Das selber Grillen gibt dazu dem Ganzen den letzten Schliff. Man kann wirklich entscheiden, wie man das Essen gerne hätte. Einziges Manko stellte die Tatsache dar, dass sie herausfanden, dass ich ein wenig Japanisch verstand. Deshalb fing man an, nur noch mit mir und nur auf Japanisch zu reden, was die ganze Sache anstrengender machte. Trotzdem war fast alles sehr lecker, auch wenn wir bei einigen Sachen gerne gewusst hätten, was wir da eigentlich essen. Mhh, eigentlich ist das falsch, wir können normalerweise froh sein, nicht zu wissen, was wir gegessen haben. Anschließend an das Essen überschlugen sich aber noch die Ereignisse. Meine Mutter wollte die Toilette aufsuchen, aber das Restaurant besaß nur eine östliche Hocktoilette. Sie wollte deshalb darauf verzichten. Darauf folgte eine der Mitarbeiterinnen ihr noch auf die Straße, um ihr eine private Toilette, irgendwo hinter vielen engen Gängen versteckt, zu zeigen. Sie ließ sich auch nicht von dem Vorhaben abbringen. Natürlich konnte die Kellnerin uns dann nicht unbewacht alleine rumstehen lassen und verwickelte uns, mit ihrem letzten Schulenglisch, in ein Gespräch. Da wir Fotos machen wollten, bestand sie darauf, uns zu fotografieren. Aber so nicht mit uns! Ich schnappte sie mir kurzerhand und schon musste sie auch posieren. Aufgrund des Höhenunterschieds stand sie aber lieber gleich einige Stufen höher. Es entwickelte sich noch ein sehr lustiges Gespräch. Besonders, da man vorher nur Japanisch mit uns sprach, war das sehr verwunderlich, aber angenehm.

Um den Tag angenehm abzuschließen, zeigte ich meinen Eltern anschließend noch das MafuMafu. Thomas zeigte sich von seiner besten Seite und es wurde ein sehr lustiger Abend. Die benachbarten Japaner quetschten uns aus und meine Eltern sahen einen normalen Abend in der Bar. Ich denke, das hat ihnen auch Spaß gemacht, wobei das zusätzliche Essen, was wir von Thomas noch gestellt bekommen haben, wirklich kaum noch notwendig war, wir waren eigentlich auch so voll. Im Großen und Ganzen zeigte sich aber, dass man keine Angst vor japanischen Restaurants haben braucht, auch wenn man keine Ahnung hat, was man eigentlich bestellt. Es gibt kaum etwas wirklich schreckliches in der japanischen Küche und wenn, dann wird man auch rechtzeitig davor gewarnt. Besonders das Grillen am Tisch, mit einem im Tisch verbauten Grill, wird man aber leider in Deutschland nie finden, da es wohl gegen alle Auflagen verstößt. Als Japan-Reisender kann man in solchen Restaurants aber den meisten Spaß haben. Matsushima hat dazu bei mir auch Punkte gut gemacht, auch wenn ich erst einmal Yamadera im Vergleich sehen will. Ich vermute, das wird Matsushima wieder Punkte kosten, aber immerhin kann ich endlich eine Empfehlung für den Ort geben, auch wenn es nicht uneingeschränkt ist und Sonnenschein ohne Nebel als Voraussetzung hat.