Sendai, das große Dorf

Einer der Vorteile, wenn man eine Weile auf dem Dorf gelebt hat ist, dass man eine Erscheinung des Dorflebens ganz genau kennt – die Gerüchteküche. Göttingen, zwar eine Stadt, aber trotzdem nicht weit vom Dorfstatus entfernt, ist in diesem Zusammenhang nie wirklich besser gewesen. Egal, wo man hinging und was man machte, immer gab es jemanden, der einen beobachtete oder es mitbekam. Nun sollte man natürlich meinen, die Situation würde sich in einer Großstadt, wie es Sendai mit ihren über 1 Millionen Einwohnern ist, schlagartig ändern, aber ich muss der Wahrheit wohl ins Gesicht sehen, Sendai ist auch nur ein größeres Dorf. Eine alte Bekannte hatte sich für heute bei mir angemeldet – Mayumi, meine Konversationspartnerin. Aufgrund einiger technischer Probleme, wie zwei defekte PCs auf meiner Seite und dem damit verbundenen Verlust ihrer E-Mail Adresse und einer von Überstunden geprägten Arbeitszeit ihrerseits, haben wir uns schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen und es erst kürzlich geschafft, uns wieder regelmäßig E-Mails zu schreiben. Heute war es dann aber mal wieder so weit und wir beschlossen, uns zu treffen.

Trotz einiger Abspracheprobleme gelang es uns, uns gegen Mittag am Bahnhof zu treffen und uns eine ruhige Ecke zum Deutsch lernen zu suchen. Leider kann man so etwas in dieser Stadt nie in Ruhe machen. Schon nach einer halben Stunde hatten uns Orsolya und Victoria gefunden und erst einmal angesprochen. Aber auch später sah uns eine größere Gruppe von Ausländern und Japanern und gegen Abend durfte ich einen Spießrutenlauf über mich ergehen lassen, ob ich eine heimliche Freundin hätte. Besonders für die Japanerinnen in meinem Bekanntenkreis war die Tatsache, dass ich einfach nur eine Konversationspartnerin haben könnte, absolut abwegig. Auf jeden Fall hat die Klatschwelt Sendais wieder einmal neues Futter gefunden und selbst Leute, die nicht in der Gruppe unterwegs waren, haben mittlerweile schon das Gerücht über meine Freundin gehört. Ein Glück, dass Mayumi seit zwei Jahren verheiratet ist. Trotzdem war das Treffen mit Mayumi sehr lustig. Wir tauschten uns über Gott und die Welt aus und ich bemühte mich, ihr möglichst langsam alles notwendige der deutschen Sprache näher zu bringen. Leider ist bei Gesprächen mit Japanern immer das Problem zu bemerken, dass sie, wenn sie mal wieder nichts verstehen, einfach nur nicken und erst später zugeben, dass sie kein Wort verstanden haben. Das macht das Gespräch mit ihnen um einiges schwieriger, stellt aber einen normalen Umstand des japanischen Wesens dar. So gilt es auch in der Universität als unhöflich, dem Professor Fragen zu stellen. Japanische Professoren in Europa tendieren deshalb auch gerüchteweise dazu, ihren Unterricht immer so zu überziehen, dass der Student ja keine Frage mehr stellen kann. Diesmal gelang es mir aber scheinbar gut, ihr die Fakten zu vermitteln und wir hatten so ein sehr lustiges Gespräch. Gleichzeitig hat sie angeboten, mir eine besondere Sushiart beim Spiel von Vegalta nächste Woche mitzubringen. Selbst gemachtes Sushi – perfekt! Anschließend unternahmen wir den 3. Versuch, gemeinsam im MafuMafu einige deutsche Tayaki zu erstehen, aber irgendwie haben wir wirklich kein Glück. Diesmal hatte der Laden zwar einmal offen, aber das Tayaki war schon ausverkauft.

Auffällig war aber auch eine andere Sache. Mayumi ist momentan extrem erkältet und wenn in Japan jemand erkältet ist, trägt er aus Prinzip eine Gesichtsmaske. Diese ermöglicht das schadstoffärmere Atmen und verhindert gleichzeitig das Verteilen der eigenen Bazillen. Das Bild in den Straßen sieht dementsprechend kurios aus, wenn die Hälfte der Menschen mit Masken über dem Mund rumlaufen und keiner das auch nur in der geringsten Weise kurios findet. Auch im Sommer werden die Masken aufgesetzt, da sie wohl einen sehr guten Pollenschutz darstellen. Aufgrund ihrer Erkältung trägt Mayumi nun auch schon seit einer Woche eine derartige Maske. Aber weil sie Angst hatte, ich könnte ein Gespräch mit ihr mit Maske als unhöflich erachten, ließ sie heute die Maske weg. Es ist natürlich nett, dass sie an mich denkt, aber wer wäre ich denn bitte, wenn ich einen Gegenstand verurteile, den sie selber als angenehm bei ihrer Erkältung empfindet. Leider gibt es aber den Fall viel zu häufig, dass Japaner zu viel darüber nachdenken, was die Ausländer als Gast so denken.

Ein anderes aktuelles Beispiel für diesen Fall ist mein Büro. Seit jeher wird mir Kaffee angeboten, wenn mal wieder eine Kanne gekocht wird und da ich kein Kaffeefan bin, lehne ich immer ab. Laut Rieko führte dieses Verhalten, trotz meines Hinweises, dass ich Kaffee nicht mag, zu Spekulationen unter den Studenten und meinem zweiten Betreuer, dass ich aus Höflichkeit ablehne, da ich nicht in die Kaffeekasse investiert habe. Seit kurzem wird deshalb gar nicht mehr gefragt, ob ich etwas trinken möchte, sondern der Becher mit Kaffee landet einfach vor mir auf dem Tisch. Wie gesagt, diese Beispiele sind nur zwei von vielen, denn die Geschichte könnte man noch lange fortsetzen. Auf der einen Seite ist es natürlich sehr nett, wie man sich um uns Ausländer bemüht. Nur manchmal ist es wirklich seltsam, da einem immer das Gefühl gegeben wird, man ist jemand besonderes, um den man sich auch besonders Sorgen machen muss. Man wird halt nie so wirklich Teil der Gemeinschaft und ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass sich dieser Umstand mit den Jahren bessert. Thomas bestätigt eigentlich auch des öfteren, dass dies nicht der Fall ist. Es gilt halt, einmal Gajin (Ausländer), immer Gajin.

Schloss knacken leicht gemacht

Freitag, endlich ist das Wochenende in greifbare Nähe gerückt. Aber vorher gilt es noch, den üblichen Unialltag zu überstehen. Eigentlich war der Tag von mir als ein ganz ruhiger eingeplant, ein paar Unisachen lesen, im Büro sitzen und dann irgendwann nach Hause kommen. Meine Mitmenschen hatten da aber dann doch etwas dagegen. An erster Stelle steht für derartige Interventionen natürlich mein neuer Lieblingstutor Shimizu, wer denn auch sonst? Plötzlich stand er im Trainingsanzug vor mir und meinte, ich müsse jetzt Tennis mitspielen. Ganz tief in meinem Gedächtnis arbeitete es, ja tatsächlich vor ein paar Tagen hatte er den Plan mal angedeutet, aber mittlerweile hatte ich das erst einmal gekonnt verdrängt. Ich werde vermutlich eh nie die Liebe der Japaner für diesen Sport verstehen. Stehen in Deutschland an jeder Ecke Bolzplätze, so befinden sich in Japan dagegen in regelmäßigen Abständen irgendwelche Tennisplätze. Tennis ist hier nun mal kein besonderer Sport wie in Deutschland, wo er nur von Minderheiten betrieben wird, sondern ist ein Breitensport, der von der Spielhäufigkeit fast mit Fußball gleich auf liegt. Ursache für diese Entwicklung dürften wohl die Schulclubs sein, wo alle Schulen auch über einen Tennisverein verfügen. Da man in der Schule einem Club beitreten muss, gibt es auch genug Tennisspieler.

Meine Einwände über fehlende Sportsachen wurde genauso zur Seite gewischt, wie die Aussage, ich hätte noch zu tun und so fand ich mich kurze Zeit später auf dem Tennisplatz wieder. Dieser Zustand blieb aber nicht lange bestehen, denn plötzlich tauchte Orsolya auf. Meine Rettung, war mein erster Gedanke, aber sie kam natürlich nicht nur, um einen Kaffee zu trinken. Ihr Fahrradschlüssel war abhanden gekommen, also wurde ein Schlosser gesucht. Nichts leichter als das und schon ging es auf zum Rad. Ich muss sagen, ich werde ziemlich gut im Fahrradschloss knacken. Mit meinem Allzwecktaschenmesser, das Lars mir dankbarerweise mal überlassen hatte, dauert es mittlerweile nur noch 4 Minuten, diese Schlösser zu knacken. Viel mehr zu denken gibt mir aber die Sache, dass viele Leute sahen, was wir taten und keiner wenigstens mal fragte, was wir da tun. Man kann wirklich auf dem offenem Unigelände am helllichten Tag ein Fahrrad stehlen und keinem würde es auffallen. Nach dem Erfolg ging es wieder zurück zum Tennis. Ich muss sagen, ich bin besser in dem Sport geworden, auch wenn mir zu einem Nadal wohl viel fehlt und ich den Sport auch trotzdem nicht besser finde. Es war auf jeden Fall eine lustige Trainingsrunde.

Anschließend ging es dann noch mit Rieko in die Innenstadt. Sie wollte schon lange mal wieder hin, hatte aber keine Zeit, also gab ich ihr einen Grund zu gehen. Gemeinsam besuchten wir einiges an Geschäften und ich gab ihr in Anlehnung an ihr Magisterthema einen Ausblick auf den Unterschied zwischen japanischer und deutscher Mode. Es ist schon kurios zu sehen, wie ein Japaner für die kürzesten Röcke, die in Deutschland nur Gürtel genannt werden würden, vollkommenes Verständnis hat, aber Ausschnitte als absolut verwerflich und aufreizend ansieht. Weiterhin gibt es dann noch die Vorliebe für viele Sachen, die die Sachen ?süßer? erscheinen lassen, wie Rüschen und Schleifen. Das ist schon ein Unterschied zwischen den beiden Modestilen. Nachdem alles besorgt war, ging es noch gemeinsam eine Runde Okonomiyaki essen. Wir fanden heraus, dass der Platz sogar Studentenrabatt bot und genossen das Essen sehr. Wenn ich ein Gericht in Deutschland vermissen werde, dann ist es wohl Okonomiyaki. Nächstes mal muss ich aber besser aufpassen. Aus purer Berechnung schob sie sich vor mich und lud mich einfach zum Essen ein. Wenn ich den gleichen Plan auch gerade habe ein sehr verwerfliches Verhalten. Auf jeden Fall war es aber eine lustige Runde durch die Stadt, auch wenn ich dabei bleiben muss, einkaufen mit Frauen kann anstrengend sein. Wie man bei zwei gleich aussehenden Sachen zum Beispiel darauf bestehen kann, dass das eine tief schwarz und das andere echt schwarz darstellt und man sich dann Stunden lang nicht für einen der gleich aussehenden Töne entscheiden kann, werde ich wohl nie verstehen.

Spielertausch in der 70. Spielminute – der Tutor wird getauscht

Die Umstellung auf die Winterzeit hat mein Leben um einiges verkompliziert. Da Japan es als nicht notwendig erachtet, der Zeitumstellung zu folgen, haben wir mittlerweile 8 Stunden Zeitunterschied zu Deutschland. Dies ist eine schwere Hypothek, wenn die Größten der Welt erst um 19 Uhr mitteleuropäischer Zeit spielen. Aber egal, was macht man nicht alles für seinen Verein. Und so kam es dann, dass um 5 Uhr morgens nach dem Sieg des FCM ein markerschaudernder Schrei im University House Sanjo ertönte. So kann man ja auch gleich viel besser schlafen. Leider merkte auch die Erde, dass es am anderen Ende der Welt etwas zu feiern gibt und entschied, dass sie in dem Moment hier ein kleines Erdbeben veranstalten könnte. Es war nicht gefährlich, aber immerhin die passende Untermalung des Abends. Zum Schlaf kam ich dann aber doch noch und am frühen Morgen um 7 Uhr stand ich wieder auf der Matte. Wer A sagt muss auch B sagen können und so bereitete ich mich auf den Grammatikkurs vor.

Leider werde ich mit der Veranstalterin des zweiten Grammatikkurses des Jahres wohl auch nicht mehr wirklich grün. Wieder kümmerte sie sich nur um die Koreaner und Chinesen und die Nicht-Asiaten waren einmal mehr leicht überfordert. Aber jede Stunde hat ein Ende und endlich auch diese. Ich war mit Olga verabredet und begab mich mit ihr nun den beschwerlichen Aufstieg zum Sendai Schloss hinauf. Sendai Schloss habe ich damit zum sechsten Mal besucht und immer wieder hat es sich gelohnt. Der Ausblick ist einfach sehr schön und der Tempel lädt zur Entspannung ein, wenn man nicht gerade ein standardgroßer Europäer ist. Auf dem Weg befand sich eine Lampe, die nach unten hing. Da jeder an ihr vorbei kam, ignorierte ich sie, bis sie die Härte meines Schädels testen wollte. Damit war es geschehen, die Japaner hatten Gesprächsstoff für die nächsten x Partys. Ein Geschäftsmann ging sogar so weit, mir seinen Vorteil unbedingt präsentieren zu wollen und ging unter der Lampe hin und her, immer auf den vielen Platz unter der Lampe verweisend. Was soll man da noch sagen. Wenn der Japanaufenthalt vorbei ist, werde ich eh mit blauen Flecken und Beulen übersät sein. Egal, wo man hingeht, nichts ist für normalsterbliche Ausländer gebaut. Wirklich überall kann man irgendwie seinen Kopf anstoßen. Sogar bei der normalen Treppe eines Supermarktes ist man nicht sicher. Aber im Endeffekt ist es ja immer meine persönliche Dummheit, warum passe ich auch nicht besser auf.

Als ich anschließend ins Büro kam, wusste ich noch nicht, was für eine Hiobsbotschaft mir mein Professor heute noch überbringen wird. Da niemand da war, griff mein Professor mich beim hereinkommen und erklärte mir viel zu hastig etwas über Kaori, meine Tutorin. Wie es aussieht findet sie, dass sie zu wenig Zeit für mich hätte und hat deshalb um die Nichtverlängerung ihres Vertrages gebeten. Wie sollte es jetzt weiter gehen? Weder diese Frage noch genauere Erklärungen wurden mir gegeben. Nach einigem Warten (der Rauch musste weiß aus dem Schornstein kommen oder so ähnlich) war es dann endlich so weit, mein neuer Tutor betrat den Raum und es handelt sich um: Shimizu. Wie es aussieht hatte mein Professor sofort an ihn gedacht, ist er doch derjenige, der mich von den Studenten am besten versteht. Somit wurde Shimizu von ihm dazu verpflichtet, sofort die Arbeit zu übernehmen. Für Shimizu stellten sich jetzt nur zwei Fragen: Muss ich etwas machen und werde ich bezahlt? Die Fragen konnte ich sehr schnell auflösen und Shimizu war begeistert. Fürs „fast Nichtstun“ wird er auch noch anständig bezahlt. Wobei ich ehrlich sagen muss, einen besseren als ihn hätte ich eh nicht bekommen können. Wenn ich gefragt worden wäre, hätte ich ihn oder Rieko vorgeschlagen. Im Endeffekt sind das eh die beiden, die sich am meisten um mich kümmern. Shimizu kann das Geld aber gut gebrauchen und jetzt hat er mich erst mal auf seine Kosten zum Trinken eingeladen, schließlich finanziere ich den Posten mit meiner Anwesenheit ja auch. Von daher – danke Kaori, du hast mir sehr geholfen, auch wenn du zum Schluss kaum noch mal in Sendai anzutreffen warst und willkommen Tutor Shimizu, auch wenn ich dich nie so ansprechen werde!

Machtspiele im Nachbarland

Stell dir vor, es ist Krieg und keinen interessiert es. Bekannterweise hat gestern Nordkorea es mal wieder für nötig erachtet, sich einmal mehr in der Weltpolitik in Erinnerung zu rufen. Um die südkoreanische Grenzregion zwischen Nord- und Südkorea ist seit dem Bestehen des Konfliktes zwischen beiden Staaten ein Konflikt am Laufen, wer der rechtmäßige Besitzer sei. Um einmal mehr zu beweisen, dass Nordkorea der rechtmäßige Besitzer ist, hat das nordkoreanische Militär gestern ein paar Granaten auf dem laut eigener Ansicht eigentlich nordkoreanischen Besitz getestet, so jedenfalls die offizielle nordkoreanische Lesart. Dabei sind mehrere Häuser in Brand geraten und die südkoreanische Armee wurde in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Natürlich ist ein derartiger Zwischenfall ein gefundenes Fressen für die internationale Presse. Allerorts auf der Welt wurde die Nachricht verbreitet, dass ein Krieg zwischen den beiden Ländern jetzt unausweichlich sein würde. Natürlich kann solch ein Krieg nicht nur auf ein Land beschränkt bleiben und dementsprechend äußerten sich auch die japanischen Vertreter zu diesem Thema und erklärten, dass Japan auf alle möglichen Situationen vorbereitet sei.

Was ergibt sich nun aus dieser Kombination von Aussagen? Laut internationaler Presse gibt es Krieg und die Japaner bestätigen ihre Bereitschaft, sich notfalls zu verteidigen. Natürlich verbreitet das Unsicherheit. Genau so sah es heute bei vielen internationalen Studenten hier in Sendai aus. Sei es durch die Eltern, die in irgendeinem fremden Land von der Problematik gehört hatten oder auch durch die Realisierung der Nähe des Konfliktes. In Europa hat man zum Beispiel kaum ein Gebiet, in dem wirklich so nahe ein Krieg ausbrechen kann. Es war wirklich interessant anzusehen, wie sich einige wegen der Problematik wirklich einen riesen Kopf gemacht haben und wirklich nervös deswegen sind. Ganz anders sehen die Japaner die Problematik. Natürlich ist jedem die Nachricht zu Ohren gekommen. Mehr als ein Schulterzucken entlockt ein derartiges Ereignis den Menschen hierzulande aber schon lange nicht mehr. Wieso eigentlich auch?

Deshalb mal eine allgemeine Standortbestimmung für die daheim gebliebenen, die das Kriegswort mittlerweile in der Presse gesehen haben: Das Ereignis, das gestern die Titelseiten vieler Internetportale schmückte, ist eigentlich eine nordkoreanische Provokation, die in ähnlicher Form seit Jahren so stattfinden. Schon deshalb nimmt kaum ein Japaner diese Geschichten noch so wirklich ernst. Die japanischen Zeitungen fanden es nicht einmal nötig, mehr als eine Randnotiz im Politikteil darüber zu schreiben. Nordkorea fährt diese Schiene seit Jahren, was auch schon zu vereinzelten Scharmützeln mit den Nachbarländern wie Japan geführt hat. Man spekuliert darauf, dass entweder gar nichts passiert, da man einen Krieg mit Atombomben oder dem nordkoreanischen Bündnispartner China fürchtet oder dass zur Beendigung derartiger Angriffe Zugeständnisse der restlichen Länder gemacht werden. Sollte es aller Erwartungen zum Trotz dann doch zu einem Krieg kommen, wäre Japan mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit auch betroffen. Aber die allgemeinen Vorbereitungen auf einen derartigen Ernstfall finden hierzulande schon seit Bestehen Nordkoreas statt und führen nicht zuletzt zu einem 10 Milliarden höheren Budget der japanischen Selbstverteidigungstruppen im Vergleich zur Bundeswehr. Trotzdem ist die Lage aber bei weitem nicht so schlimm, wie es in Europa und der restlichen Welt momentan aussehen mag, deshalb braucht sich eigentlich keiner wirklich Sorgen machen.

Auf der anderen Seite habe ich mich heute nicht nur mit Weltpolitik beschäftigt, auch wenn das Säbelrasseln ein gute Motivation war, sich einmal genauer mit der japanischen Außenpolitik seit dem zweiten Weltkrieg zu beschäftigen. Trotzdem blieb der Tag ziemlich ruhig. Mit Shimizu und Yokoyama verbrachte ich heute einige Zeit und wir verbesserten ein wenig ihre Deutschkenntnisse. Unter anderem besuchten wir so die Mensa. Japanische Küche kann auf jeden Fall interessant sein. Neunzig Prozent der angebotenen Sachen würde in Deutschland sowieso keinen Abnehmer finden, aber einige Sachen wären auch einfach verboten. Ein halb gekochtes Ei aufgeschlagen und auf einem Teller serviert, ist schon leicht gegen deutsche Gesundheitsbestimmungen. Dass es dann aber noch erlaubt ist, das Ei in der Auslage zu postieren, bis nach ewigen Zeiten endlich ein Kunde sich des Eies annimmt, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Diese Frage ergibt sich insbesondere, weil in diesem Land der Verzehr frischen Metts nicht erlaubt ist, da das zuständige Gesundheitsamt die Gefahr der Verunreinigung des Fleisches als zu hoch einschätzt. Diese Beobachtungen lassen sich noch auf andere Lebensmittel fortsetzen. Aber egal, ich bin in Japan, dann wird so etwas natürlich auch gegessen und es schmeckt erschreckenderweise auch noch gut. Wirklich billig ist die Mensa zwar nicht, aber schmackhafter als die meisten deutschen Mensen, die ich kenne, ist sie alle Male.

Arbeiten am Tag der Arbeit

Mhhh, wieder so eine Mail in Kanji vom Büro: Was wollen die denn dieses Mal? Vermutlich wieder eine Einladung für irgend einem Vortrag, wo mir später wieder erklärt wird, ich brauche nicht erscheinen und das Ganze wäre total langweilig. Aber Moment, was ist das? Da stehen Zahlen drin, das sollte ich eventuell doch mal übersetzen. O.k.: ?Wer hat am 23.11. Zeit, bei dem allsemestrigen Test zu helfen? Deutschkenntnisse werden vorausgesetzt.? Also irgend ein Test und am 23.11. arbeiten? Will ich mir das wirklich antun? Aber egal, was steht da noch so? ?Für Leib und Seele ist natürlich auch gesorgt?.?. Halt, Essen wird gestellt? Wo muss ich unterschreiben?

Bei so einem Angebot kann man natürlich nicht nein sagen. Deutschkenntnisse habe ich und einen Lohn soll es wohl auch noch geben, Studentenherz was willst du mehr? Nur eine Frage blieb natürlich bestehen: Nehmen die mich überhaupt? Die E-Mail war eigentlich eher an den normalen Mailverteiler des Departments gerichtet, aber egal, Versuch macht klug heißt es ja so schön. Also schickte ich kurzerhand eine Mail zurück an den anfragenden Professor und erklärte, dass ich über die Deutschkenntnisse verfüge, aber das Japanisch ein Problem darstellen könnte. Außerdem wäre es sowieso ganz sinnvoll zu erfahren, was eigentlich zu machen ist. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und klang nicht gerade aufbauend. Shimizu kann mir genau erklären, was zu machen ist, aber Japanisch sollte ich schon beherrschen. Damit war die Geschichte für mich gestorben, jedenfalls bis vor ein paar Tagen. In meinem Mailpostfach fand sich doch wirklich die Anfrage, welches Essen ich denn gerne zur Mittagspause hätte. Es gibt a) Fleisch, b) Fleisch und c) oh Überraschung, natürlich auch Fleisch. Diese Auswahl ist natürlich nicht schön, aber immerhin schien ich immer noch in dem Helferteam angemeldet zu sein. Vermutlich sollte ich also doch einmal heraus bekommen, was eigentlich für ein Job ansteht. Nach Shimizus sehr hilfreicher Antwort, ? Ist einfach, mach es!? erklärte mir mein Betreuer doch endlich einmal, worum es sich eigentlich handelt: Da die Tohoku Region über kein Goetheinstitut verfügt, ist die Tohoku Universität einmal im Semester für den großen Deutsch-Einstufungstest der nördlichen Hauptinsel zuständig. Dementsprechend strömen aus allen Teilen der Region die Japaner nach Sendai, um diesen Test abzulegen. Da die Fakultät alleine mit Professoren diesen Heerscharen nicht habhaft wird, werden halt die Studenten mit einbezogen. Da sich keiner so wirklich traute, mir abzusagen (man wollte mich schließlich nicht beleidigen) bin ich halt auch Teil des Teams geworden. Als letzten Ratschlag gab er mir noch den weisen Rat, doch einfach Shimizu zu folgen, dann wird das schon.

Heute war es dann endlich so weit. Der Tag der Arbeit wird in Japan gefeiert und viele Menschen haben frei bekommen, der perfekte Tag für einen derartigen Test also. Wenn ich schon um 8 in der Uni sein soll sollte ich mir zukünftig aber angewöhnen, wenigstens etwas eher ins Bett zu gehen und nicht noch ewig mit anderen im MafuMafu rumzuhängen. Zum Glück ist Schlaf sowieso absolut überbewertet und ich kam rechtzeitig an der Uni an. Als erste Amtshandlung hieß es, dort erst einmal Tetsu anzurufen, der mich gestern bei der Verabschiedung aus dem MafuMafu gebeten hatte, ihn doch bitte irgendwie zu wecken. Dann konnte es endlich losgehen. Leider bewahrheitete sich, dass ich eigentlich nur einen Notnagel im Hilfsplan darstellte, da wir viel zu viel Personal hatten. Kein Wunder, dass in Japan die Arbeitslosigkeit so gering ist, wenn man jeden Job mit zwei zusätzlichen Angestellten absichert! So sind in Japan normale Baustellen die in Deutschland durch ein paar Absperrbändern gesichert sind, hierzulande schließlich auch mit 4 Arbeitern gesichert, die den Leuten den Weg um die Baustelle zeigen. Genau so sah es auch für uns aus. Für eine Arbeit, wie die Klassenräume vorzubereiten, für die man vielleicht 2 Leute gebraucht hätte, wurden sechs Leute in die Klassenräume geschickt. Auch später blieben Shimizu, noch ein Japaner und ich übrig und hatten die meiste Zeit eigentlich kaum etwas zu tun, bis aufs Essen. Sie hatten uns halt eigentlich wirklich nur als Reserve hin beordert, falls irgendwer kurzfristig ausfällt. Wenn der Veranstalter schon keinen Job für uns hat, suchten wir uns halt selber einen. Die meisten Aushilfen wurden in die Klassenräume abgestellt, um die Tests zu überwachen. Im Endeffekt waren sie also da, um vor dem Betrügen abzuschrecken und um Fragen beantworten zu können. Zwei andere hatten in der zugigen Luft am Eingang der Fakultät dagegen Stellung beziehen müssen, um dort die Anmeldung zu betreuen. Da es dort teilweise wirklich sehr kalt wurde, lösten wir die Betroffenen einfach kurzerhand ab und betreuten die Anmeldung. Wirklich zu tun gab es da zwar auch meistens nicht, aber immerhin konnten wir so einige Stunden in Ruhe Bücher lesen. So schlugen wir irgendwie die Zeit bis 18 Uhr tot, bis es endlich Feierabend war. Zum Glück berichteten uns die in den Klassenräumen anwesenden Studenten, dass sie auch nichts anderes als Bücher lesen veranstaltet hätten und sie dementsprechend auch etwas gelangweilt waren.

Trotzdem war die Veranstaltung ziemlich interessant anzuschauen. Die Organisation war, wie in Japan üblich, komplett durchgeplant und alles in wenigen Minuten ausgeführt, da der verantwortliche Professor zuvor einen auf die Sekunde genauen Einsatzplan erstellt hatte. Aufgrund dieses perfekten Plans gab es aber nun für das Hilfsteam um meine Wenigkeit kaum etwas zu tun, denn sogar das Befestigen von irgendwelchen Schildern dauerte kaum, da alles schon klebebereit vorlag und unser Professor uns sogar haargenau auf einer Karte markiert hatte, wo er denn gerne die Schilder hin hätte. Trotzdem blieb es ziemlich lustig, da ich mich ein wenig mit den Japanern austauschen konnte, in Ruhe ein Buch für meine Forschungen bearbeitete und die Versprechen von vorher auch alle eingehalten wurden. Es gab die verschiedensten Süßigkeiten und auch ein Mittagessen. Das war zwar notgedrungen mit Fleisch, aber wozu habe ich den Shimizu. Der war sichtlich erfreut, es essen zu dürfen und dazu haben wir noch eine kleine finanzielle Aufwandsentschädigung bekommen. Also im Endeffekt war es die perfekte Veranstaltung: Kostenloses Essen, Kontakte pflegen, kaum etwas zu tun, Einblick in das japanische Unisystem und das Ganze auch noch bezahlt – so sollten alle Veranstaltungen sein.

Wer braucht Gift, wenn er Schokolade hat?

Japaner haben eindeutig einen seltsamen Geschmack. Gut, dass sie Lakritze nicht gerne essen, kann ich ja noch verkraften, da geht es einem Großteil der Europäer wohl auch nicht anders. Aber bei Schokolade so kritisch zu sein, hätte ich ihnen dann doch nicht zugetraut. Man erinnere sich: Kurze Zeit nach meiner Ankunft belehrten mich meine Mitstudenten über den Unterschied zwischen japanischer und deutscher Schokolade. Laut ihrer Ansicht würde deutsche Schokolade viel süßer sein als japanische und damit auch viel zu süß. Diese Aussage konnte ich schon damals nicht nachvollziehen, da japanische Lebensmittel oft nur so vor Zucker strotzen. Das Gegenteil konnte ich ihnen aber damals noch nicht beweisen. Nach der generösen Lieferung meiner Eltern, bin ich nun aber im Besitz von Bitterschokolade in verschiedenen Ausführungen. Die 75prozentige legte ich meinem Büro bekanntlicherweise letzte Woche schon vor und wirkliche Fans konnte sie nicht gewinnen. Kein Problem, ich habe ja noch ein paar Ideen. Dementsprechend servierte ich heute den Japanern 66prozentige Bitterschokolade mit Chili. Was soll ich sagen? Niemand wird wohl noch jemals behaupten, japanische Schokolade wäre nicht so süß wie deutsche. Schon die Tatsache, dass die Schokolade nicht süß, war verschreckte die Leute. Als dann aber noch die Schärfe dazu kam, war es ganz aus mit ihnen. Tapfer aßen sie die Stücken auf, aber ob sie in Zukunft noch etwas von mir annehmen, ist nach den Gesichtsausdrücken ziemlich fraglich. Einer meiner Kommilitoninnen musste ich sogar einen Apfel opfern, weil ihr die Schokolade viel zu scharf war. Trotzdem gab es immerhin 2 von 8 Testern, die die Schokolade mochten. Die deutschlanderfahrene Rieko mochte sie und Shimizu isst zum Glück eh alles, was ich ihm vorsetze.

Nachdem ich mein Büro vergiftet hatte, konnte es ja endlich mit dem Studium weiter gehen. Aber heute ging es nicht so lange, denn ich war mit meinem Kumpel Tetsu verabredet. Da ich zu seinem Geburtstag beschäftigt war, hatten wir uns für heute im MafuMafu verabredet und wie immer wurde es ein sehr lustiger Abend. David, ein Schwede, der 95 Prozent des gesprochenen Deutsch versteht, aber nicht selber sprechen kann, gesellte sich noch zu der illustren Runde und so verbrachte man irgendwie den ersten Teil des Abends. So wurde erst einmal der Silvesterabend geplant. Eigentlich ist Silvester ein ruhiges Fest, was man hierzulande mit der Familie feiert. Aber irgendwie ist Thomas der Überzeugung verfallen, dass wir anstelle dessen auch einfach eine Feuerzangenbowlen-Party veranstalten können. Das MafuMafu können wir als Standort ebenfalls nutzen, jetzt müssen nur noch die letzten Details geklärt werden. Nach einer Weile kam dann auf einmal eine andere Gruppe, bestehend aus einem Schweizer, einem Bayern, einem Brasilianer und einem Japaner ins Lokal. Ich muss sagen, ich bin ja gewohnt, dass ich bekannt bin, aber die Begrüßung des Schweizers hat mich dann doch etwas aus den Socken gehauen. Als er mitbekam, dass ich aus Deutschland stamme, meinte er nur so: ?Du bist dann wohl Reik?. Das war mal eine neue Begrüßung. Dass ich bekannt bin, ist klar, aber das hätte ich dann doch nicht erwartet. Ob das gut oder schlecht ist, dass er schon von mir gehört hat, konnte er dann auch nicht beantworten. Er meinte aber, dass er bis dato nur Gutes gehört hat. Die Frage ist dann aber wirklich, wer hier in meiner Abwesenheit von mir erzählt. Gut, Yosuke ist einer der Kandidaten, die in Frage kommen. Der Koch des MafuMafu ist einer meiner Lieblingsgesprächspartner dort und als letztes Wochenende David mal alleine dort hingegangen ist, war die erste Nachfrage, ob ich denn auch noch komme. Trotzdem, die beiden ?Deutschsprachigen? waren ziemlich sympathisch. Aber seien wir ehrlich, wer den 1. FC Magdeburg als Bayer kennt, kann nur sympathisch sein. Kurze Zeit später kamen dann auch noch Yuka und Alex und die große deutschsprachige Runde war komplett. Yuka ist immerhin die Japanerin, die von allen Japanern, die ich kenne, am besten Deutsch sprechen kann. So wurde der Abend zwar wieder einmal später als gedacht, aber wenigstens war es in der großen Runde doch ziemlich lustig. Einige andere Gäste fanden uns alle so interessant, dass sie sich einfach noch zu uns setzten. Die Frage, die bleibt, ist aber wirklich: Bin ich wirklich so bekannt, dass die Deutschsprachigen in Sendai automatisch von mir hören?

Weihnachtsvorfreuden?

Wir schreiben das Jahr 1986 – ein Jahr der schrecklichen Katastrophen. Tschernobyl stellt das schrecklichste Atomunglück seit Hiroshima und Nagasaki dar, die Challenger bricht auseinander, angehende Blogschreiber erblicken das Licht der Welt und der FCM erreicht nur Platz vier in der Liga. Im beschaulichen Sendai im fernen Japan hat man sich zu dieser Zeit mit ganz anderen Sorgen herumzuschlagen. Es ist Dezember und die Bäume verlieren ihre Blätter, die Straßen sind grau und die Stimmung in der Stadt ist auf einem Tiefpunkt. Was soll man also machen? Einige Einwohner der Stadt entschieden, das Problem auf ihre Art zu lösen und bildeten eine Freiwilligengruppe. Man entschied, die Straßen lebhafter zu gestalten, indem man Bäume schmückt und beleuchtet. Überall in der Stadt erstrahlten einzelne Bäume und in kurzer Zeit gewann diese Idee immer mehr Anhänger. Aus der Freiwilligengruppe wurde eine ganze Bewegung, der sich schnell die ganze Stadt anschloss. Der Festzug des Sternenlichtes, Sendai Pageant of Starlight, entstand. Bis heute hat diese Tradition nicht an Bedeutung verloren und die Stadt Sendai und ihre Bewohner geben Millionen aus, um die Stadt zu gestalten. Durch diese Bemühungen ist das Festival ein Höhepunkt der Weihnachtszeit in Japan geworden und immer mehr Japaner pilgern nach Sendai, um das Schauspiel zu betrachten. Natürlich gelingt es nicht, die ganze Stadt innerhalb eines Tages in den gewünschten Zustand zu versetzen und deshalb wird schon seit Tagen nachts in der Stadt gearbeitet und der Schmuck befestigt. Heute war es dann so weit und der erste Teil der Stadt konnte erstrahlen. In dunkelblau erstrahlt so Ichibancho, die Haupteinkaufsstraße Sendais und lädt zum verweilen ein. Auch die Geschäfte lassen sich nicht lumpen und beteiligen sich eifrig an den Vorbereitungen. So hat Fujizaki, das größte und teuerste Kaufhaus der Stadt, kurzerhand den Haupteingang verschlossen und hinter den Schiebetüren eine Lichtshow aufgebaut. Richtig losgehen wird das Festival zwar erst am 12. Dezember, aber schon jetzt bekommt man (nicht unbedingt zu meiner Freude) schon ein starkes Gefühl der Weihnachtszeit. Das Wetter passt zwar überhaupt nicht zu Weihnachten, aber was will man machen.

Als alter Weihnachtsmuffel war das Erkunden der Innenstadt deshalb auch eine reine Qual. Aber was will man machen, wenn man noch einige Besorgungen erledigen muss, eh die neue Woche anfängt. Ich habe absolut nichts gegen das Weihnachtsfest, aber derartig übertreiben im November muss man es doch wahrlich nicht, besonders wenn man das Fest an sich eigentlich nicht feiert. Wenigstens sieht die blaue Beleuchtung von Ichibancho ziemlich gut aus, besonders im Mix mit dem sonst verarbeiteten weiß. Aber auf die teilweise abgespielte Musik hätte ich gerne verzichten können. Auf dem Weg zum nächsten Laden auf meiner Liste stolperte ich dann per Zufall über meinen alten Kumpel Tetsu. Tetsu, der eine Weile in Deutschland gelebt hat und beachtlich unsere Sprache beherrscht, berichtete mir gleich, dass er am Dienstag eine Deutscharbeit zu schreiben hat, die viel zu hart ist. Kein Problem, kurzerhand zogen wir uns in ein Cafe zurück und ich spielte für zwei Stunden den Deutschlehrer. Es ist schon seltsam, dass Japaner für so etwas nur auswendig lernen. Wie bei dem Toefel Test, dem großen Englischtest, gibt es vorgefertigte Bücher mit allen Fragen, die bei dem Test vorkommen können. Japaner lernen diese Sachen einfach auswendig und bestehen dann die Tests. Kein Wunder, dass sie sprachlich dann trotzdem noch ziemlich schwach auf der Brust sind. Aus diesem Grund versuchte ich alles, um Tetsu die Lösungen verständlich zu machen, so dass er die Zusammenhänge versteht. Gar keine leichte Aufgabe, denn die Japaner geben den Studenten wirklich fragwürdige Texte an die Hand. Ich wüsste nicht, wozu ein Japaner wirklich die Lebensgeschichte der Chanel Gründerin lesen und verstehen können muss. Sobald es anfing, um die Behandlung von Schnitten und Modestilen zu gehen, schwamm ich selber ziemlich, denn welcher normale Mensch verwendet schon die ganzen Fachbegriffe. Von den Testteilnehmern wird so etwas aber erwartet. Hoffentlich hilft meine Vorbereitung ihm ein wenig, um durch den Test zu kommen. Anschließend ging es noch etwas weiter durch die Stadt, wobei ein Buchladen mich besonders amüsierte. Normalerweise nimmt dieser Bock Off für jedes englischsprachige Geschichtsbuch wenigstens 5 Euro, egal wie dünn oder in was für einem schlechten Zustand es ist. Ein Buch im besten Zustand über die japanischen Kriegsverbrechen in China dagegen, wurde als einziges für einen Euro rausgeworfen. Wer will so etwas in Japan schon lesen? Ich natürlich und schon wechselte es den Besitzer. Im Bock Off spürte mich dann auch Orsolya auf, die gerade Großeinkauf für den Winterheimflug machte. Viele ihrer Freunde wollen irgendwelche Mangas haben, so dass sie diesen Großeinkauf machen mussten. Allgemein ist es überraschend, wie viele Leute eigentlich mal schnell nach Hause fliegen, selbst wenn sie dann nur noch vier Monate hier sind. Es werden wohl etwa ¾ der ausländischen Studenten Weihnachten und Silvester in der Heimat verbringen und es wird hier ziemlich ruhig werden. Das ist aber nicht mein Problem, da wir zurückbleibenden uns schon gut beschäftigen werden und ich eventuell auch im Winter noch einmal eine Kurzreise durch Japan antreten möchte. Ob das was wird, muss ich aber noch einmal sehen. Wenigstens musste ich so nicht alleine nach Hause gehen und wir machten uns gemeinsam auf den Rückweg.

Europäische Delegation im Yurtec Stadium

Ein leises Lied stört mich in meiner Nachtruhe. Noch kann ich es ignorieren, aber es wird immer lauter. Lange kann ich es wohl nicht mehr ignorieren. Wer weckt mich da zu nachtschlafender Stunde und dann noch an einem Samstag? Leicht verschlafen setze ich mich zum Handy in Bewegung, immer darauf bedacht, die aus dem Fenster ins Zimmer gelangenden Sonnenstrahlen zu umschiffen. Ein Blick aufs Hand verrät es, der störende ist mein Wecker. Wieso brauche ich bitte Samstags einen Wecker? Ach ja, da war ja was und verdammt, ich bin spät dran? . In Sekunden bin ich hell wach und springe unter die Dusche, ich bin ja heute verabredet. Schnell noch frisch machen und dann schlägt auch schon bald die Stunde für das Treffen. Ich bin heute mit zwei Ausländern verabredet, Antti – der Finne und Tobias – der Schwede und tatsächlich, Tobias wartet schon. Aber wo ist der andere und wieso ist Tobias so blass? Wie sich herausstellt, ist Tobias noch viel später als ich aufgewacht und hat es gerade noch geschafft, etwas Curry von gestern zum Frühstück zu essen. Dementsprechend hängt er auch noch etwas in den Seilen und schläft fast auf dem Rad. Antti dagegen wurde erst von Tobias nach dessen aufstehen geweckt und braucht deshalb noch ein paar Minuten bis zum erscheinen. Ein Hoch darauf, dass es den Menschen wie den Leuten geht, auch wenn ein derartiger Zustand um 12 Uhr mittags doch etwas peinlich ist, aber wir sind ja schließlich Studenten.

Endlich sind wir komplett und können uns auf den Weg machen. Meine neuen Freunde vom Fußballspiel letzten Sonntag hatten mich schließlich gebeten, doch dieses Wochenende wieder ins Stadion zu kommen. Und diesmal hatten sich wirklich Menschen gefunden, die mich zum Spiel begleiten wollten. Also setzten wir uns zum Stadion in Bewegung. Auf dem Weg noch schnell ein Zwischenstopp im 105 Yen Supermarkt, Frühstück, ein Sixpack und andere Getränke besorgen und eine halbe Stunde später haben wir das Stadion erreicht. Jetzt kam endlich die Stunde der Wahrheit. Meine Bemühungen im Fanshop für einen Studentenrabatt waren nicht wirklich von Erfolg geprägt und so wirklich hatte noch nie jemand von einem derartigen Rabatt gehört. Am Stadion gelang es aber auf Anhieb. Wieso es zu dieser Diskrepanz kommt und auf unserer Karte auch nur Schüler stand, will ich lieber gar nicht wissen. Aber eventuell mag die Verkäuferin mich ja auch einfach nur. Endlich konnte es losgehen. Alle meine Sorgen waren wie weg geblasen. Wir hatten Karten, waren rechtzeitig da und dazu war auch noch das Wetter perfekt. Was will man mehr? Meine Mitstreiter benötigten aber eindeutig noch ein Frühstück, also noch schnell zu einem KFC und die beiden mit Hühnerschenkeln versorgt. So verpassten wir zwar die Vorstellung der Spieler, aber immerhin waren alle satt und zum Spiel waren wir wieder locker am Stadion.

Das heutige Spiel lautete: Vegalta Sendai gegen Shimizu S-Puls. Die S-Puls kommen aus der Fußballhochburg Japans, Shizuoka. Besonders in den Jugendbereichen ist diese Region äußerst erfolgreich und Fußball begeisterte schon früh die Fans. Zur Gründung der J-League wurde dieser Verein neu aus der Taufe gehoben. Die Gründung hatte das Ziel, die Region und besonders die Stadt Shimizu zu vertreten und zu vermarkten. Die Herkunft aus einer Fußballhochburg bringt aber auch ihre Nachteile mit sich. In der gleichen Region existierte schon ein Fußballverein, der sich wegen der Gründung der S-Puls erst im zweiten Jahr in der J-League einfinden konnte. Der betreffende Verein, die Gegner Vegaltas letzte Woche, lautet Jubilo Iwata. Eines der wichtigsten japanischen Derbys entstand. Gegenseitig entwendete man sich die Jugendspieler und die Fans und verringerte dadurch seine Chancen in der Liga. Während Jubilo es wenigstens Anfang des Jahrtausends schaffte, Erfolge in die Heimat zu bringen, haftete den S-Puls lange der Titel des ewigen Zweiten an. Zwar spielte man in der Liga regelmäßig eine wichtige Rolle, doch erreichte man in bester Leverkusen-Manier immer nur zweite Plätze. Am bittersten muss dieser Umstand wohl im Jahr 1999 gewesen sein, wo man im Ligafinale gegen Jubilo um die Meisterschaft spielte und verlor. Ironischerweise gelang mit diesem zweiten Platz auch der größte Erfolg der Vereinsgeschichte. 1998 gingen die Yokohama Flügels als amtierende Pokalsieger insolvent und der Zweitplazierte S-Puls übernahm den Startplatz im Pokal der Pokalsieger Asiens und gewann diesen im Endeffekt auch. Damit ist S-Puls der einzige Sieger des Pokals der Pokalsieger Cups in Asien, der nie einen Pokal im Heimatland gewann. Seit 2006 geht es für den Verein aber mittlerweile leicht bergauf, indem man es erstmals schaffte, regelmäßig vor dem Lokalrivalen aus Iwata zu stehen und auch 2008 erstmals mehr Zuschauer ins Stadion zu locken. Neben dem normalen Stadion verfügt man in Shimizu übrigens ebenfalls über ein WM-Stadion, was für wichtige Spiele verwendet wird. Dieses Stadion muss man sich aber natürlich zu allem Überfluss mit Jubilo teilen. Diese Saison steht man auf einem 6. Platz in der Liga. Das einzige Ziel ist es, den Einzug in das internationale Geschäft fest zu machen, auch wenn man sich kurzzeitig während der Saison Hoffnungen auf den Meistertitel gemacht hatte.

Also auf ins Vergnügen und voller Vorfreude betraten wir das Stadion. Gegen unser Sixpack sagte niemand etwas, also konnte es los gehen. Auf dem Weg zu den Plätzen fiel uns noch ein Stand auf, der Schals (Handtücher) von Vegalta als Restposten von dieser Saison billig verkaufte. Da konnten wir nicht vorbei gehen und statteten uns noch kurzfristig aus. Schlecht nur, dass auf den Schals Nummern von Spielern stehen und natürlich keiner der wenigen Spieler dabei waren, die wir kennen. Also wurden kurzerhand die jungen Verkäuferinnen die unser Alter hatten ausgefragt, welchen Spieler sie denn mögen. Man wollte uns ein Heft mit den Bildern der Spieler geben, damit wir uns anhand der Gesichter entscheiden können. Aber wir ließen nicht locker und so gab man uns, peinlich berührt lachend, dass sich jemand für ihre Meinungen interessiert, den Tipp, die Nummer 24 zu nehmen. Gesagt, getan und ins Stadion und da standen sie schon, die Leute vom Fanclub von letzter Woche. Sie winkten ausgiebig und warteten auf mich. Also schnell hoch, Tasche abgestellt und die anderen nachgeholt. Bevor ich wieder da war, hatte man meine Tasche schon auf einen freigeräumten Platz gehievt und schaffte auch noch schnell für die anderen beiden Platz. Als ob die 12-jährigen Jungs auch mehrere Sitze bräuchten. Die sollen anfeuern und nicht sitzen! Wir waren im ganzen Block Mode und besonders die Neuankömmlinge wurden absolut ausgequetscht. So konnte das Spiel losgehen.

Es entwickelte sich ein gutes Spiel, was bei einem ausgeglichenen offensiven Anfang von beiden Teams zu nach einem Gestochere vor dem Tor zu einer überraschenden Führung Sendais führte. Es herrschte eine unbeschreibliche Freude im Block, hatte man das Hinspiel doch 1:5 verloren. Alle wollten dazu mit uns abklatschen, sogar die alte aber rüstige Dame hinter mir, die vermutlich älter als beide meiner Großmütter war und trotzdem in kompletter Sendai-Ausrüstung im Stadion stand. Anstelle von Altensport machte sie jeden Fangesang mit. Vermutlich ist das der Grund, warum Japaner so alt werden. Die Freude währte aber nicht lange. In ca. der 25 Minute kam es zu einem Ball aufs Tor von Vegalta, den der Torwart mit Mühe und Not auf den linken Pfosten klärte, wo es einen Zweikampf zwischen einem Sendaier und einem S-Puls Spieler um den Ball gab. Aus meiner Sicht war das ein absolut fairer Zweikampf, der zu einem misslungenen Kopfball des S-Puls Spielers führte. Der Schiri entschied aber fälschlicherweise auf Foul und Rot für Sendai. Der fällige Elfmeter wurde verwandelt und Sendai musste 70 Minuten zu Zehnt spielen. Das führte auch zur Halbzeit zum 2:1, als keiner der Spieler in der Lage war, den ballführenden Spieler einfach mal umzuhauen. In der zweiten Halbzeit wurde Sendai wieder stärker und war kurz vor dem 2:2, was nur von der eklatanten Abschlussschwäche der Stürmer verhindert wurde. Kurz vor Schluss sah es dann sehr gut aus, als sich auch noch der Torwart zu einer Ecke nach vorne begab. Als die Chance vertan war, rannte dieser aber nicht zurück, sondern versuchte dem S-Puls Spieler lieber den Ball abzunehmen. Das scheiterte und führte für S-Puls zu einem einfachen Tor. Das Spiel war entschieden durch eine Fehlentscheidung des Schiris und absolut schwache Flanken und Schüsse Sendais. S-Puls zeigte nicht viel und man wundert sich, dass sie auf den internationalen Plätzen stehen. Aber die Vereine in Japan nehmen sich stärkemäßig eh alle nicht viel, so dass dies nicht verwunderlich ist. Das große Problem was ich weiterhin sehe ist, dass man sich immer noch zu sehr auf den 10er als Spielmacher verlässt und alles über ihn läuft. Zusammen mit Stürmern, die bei allen japanischen Teams Schwächen im Abschluss zeigen, sind Tore so meist Zufallswerk. Eigentlich werden sie meist nur verursacht, weil alle japanischen Spieler denken, sie wären Messi oder Maradona und könnten alles mit Technik lösen. Kein Wunder, dass japanische Mannschaften gegen europäische, die etwas Körpereinsatz zeigen, meist ziemlich schlecht aussehen. Trotz der durch die Niederlage wieder akut gewordenen Abstiegsgefahr unterstützten die Fans ihr Team aber von ganzem Herzen und auch nach dem Spiel gab es kein böses Wort. So muss Fußball sein und so macht auch eine Niederlage irgendwie nicht ein ganz so schlechtes Gefühl.

Nach dem Spiel wurde mir noch eine Auswärtsfahrt angeboten, die ich leider wegen der Uni ablehnen musste und wir gaben allen anwesenden Kindern unseres Fanclubs eine Tüte Haribo. Da die kleine, die letztes Mal ein Bild malte, nicht da war, gaben wir ihre Tüte ihrem Vater mit. Der war absolut überrascht, aber erfreut über unsere Freundlichkeit und versprach, sie von uns zu grüßen. Falls ich es irgendwie schaffe, soll ich doch nächstes Mal unbedingt wieder kommen. So konnte es in Ruhe nach Hause gehen, dachten wir jedenfalls. Beim Ausgang durften wir uns aber noch eine kurze Standpauke anhören, dass Dosenbier im Stadion verboten ist. Aber wenn keiner uns etwas sagt, wie sollen wir denn dann bitte auf die Idee kommen, das umzufüllen? Zum Glück waren wir aber auch nicht die einzigen, die wir mit Dosenbier sahen. Den anderen beiden hat es auf jeden Fall auch sehr gefallen und beide sangen lautstark mit, nachdem ihnen das am Anfang noch etwas komisch vorkam. Wenn sie könnten, würden sie gerne nächstes Spiel wieder mitkommen, leider ist das aber mittlerweile ausverkauft. Aber ratet mal, wer eine Karte hat!

Die verschollene Tutorin lebt noch!

Ja, sie lebt noch! Nach über dreimonatiger Abwesenheit ist sie wieder aufgetaucht, meine Tutorin Kaori. Shimizu hatte mir zwar versichert, dass er gehört hat, dass sie noch existiert, aber aufgetaucht ist sie in der ganzen Zeit kein einziges Mal. Und ich hätte es mitbekommen müssen, schließlich bin ich die meiste Zeit des Tages im Büro. Aber gut, zugegebenermaßen schreibt sie gerade ihre Bachelorarbeit und ist dadurch ziemlich eingebunden und als Tutorin benötige ich ihre Dienste auch ziemlich selten, denn bekannterweise habe ich zwei Leute gefunden, die diesen Job viel effektiver und dazu noch hundertprozentig freiwillig machen – Shimizu und Rieko. Wegen mir ist sie aber eigentlich auch nicht wirklich wieder aufgetaucht, sondern mehr wegen eines Vortrags über ihre Bachelorarbeit, aber wenigstens konnte ich mich ein wenig mit ihr unterhalten.

Bevor wir uns aber unterhalten konnten, kam für mich erst einmal die große Überraschung. Ich wollte ins Büro gehen und zwanzig Augenpaare starrten mich aus dem komplett überfüllten Büro an. Das war der perfekte Zeitpunkt für einen strategischen Rückzug. Woher konnte ich auch ahnen, das die allwöchentliche Vortragsreihe dieses Mal im Büro vorgenommen wird. Natürlich hätte ich zuhören können, aber wieso sollte ich. Das Büro war komplett überfüllt und deutsche Literatur ist nicht gerade das Nummer eins Thema auf meiner Interessenliste, besonders wenn es fünf Referate auf Japanisch über das Thema gibt. In solchen Situationen ist dann ein Rückzug doch angebrachter, ich brauche ja zum Glück das Büro nicht, um meine Forschungen voran zu treiben. Zum Glück kenne ich eine sehr nette Dame, die nur wenige Meter weiter ein eigenes Magisterbüro hat und freundlich genug ist, einem armen Deutschen Asyl zu bieten. Kurzerhand ging es zu Rieko. Als Bezahlung durfte ich einige Texte für sie übersetzen, aber das ist zum Glück das kleinste Problem für mich. Ein wenig Smalltalk und die Forschungen konnten endlich beginnen. Interessant war auf jedem Fall bei dem Smalltalk, dass in Japan die erhöhte Terrorgefahrenstufe in Deutschland ein Thema ist. Normalerweise ist Japan an Neuigkeiten aus dem Ausland interessiert wie an der sprichwörtlichen Wasserstandsmeldung vom Nil. Europa ist zwar noch interessanter als die eigenen Nachbarländer. Diese Länder werden nur mit Schlagzeilen bedacht, wenn bedeutende Dinge gegen Japan geschehen, wie z.B. ein Atombombentest. Dass aber eine einfache Warnung wegen erhöhter Terrorgefahr das japanische Festland erreicht, ist schon ziemlich selten und absolut atypisch. Immerhin ist das kollektive Desinteresse an außerjapanischen Problemen seit Ende des zweiten Weltkrieges immer weiter gepflegt worden. Auf jeden Fall durfte ich deshalb heute mehreren Leuten Fragen über die aktuelle Situation in Deutschland beantworten.

So ein Büro ist aber wirklich eine schöne Sache und fehlt uns in Deutschland wirklich. Wir haben ja schon keinen normalen Treffpunkt für alle Studenten der Studienrichtung, aber so ein Studienzimmer nur für das Schreiben von Arbeiten wäre schon eine anständige Sache. Das von mir letzte Woche erbeutete Buch über das Japanisch-Deutsche Verhältnis in der Nachkriegszeit erweist sich auf jeden Fall immer mehr als Goldgrube. Ein derartiges Werk über die Beziehungen und eigenständigen Entwicklungen hätte ich mir schon viel früher gewünscht, aber ich will mich ja nicht beschweren, lieber spät als nie. So vergingen die Stunden und um 18.30 Uhr rief endlich Shimizu an – die Referatsreihe war beendet. Endlich konnte ich mein wirkliches Büro wieder betreten. Auf Anhieb versuchte ich erst einmal, etwas Schokolade zu verteilen, aber Bitterschokolade trifft wohl auch nicht den Geschmack der Japaner. Am besten gefiel mir noch die Antwort nach dem probieren: K: ?Was ist das?? – R: ?Bitterschokolade.? – K: ?Ach so, die ist ja bitter.? ? R: ?Kein Wunder, das impliziert ja schon der Name?.? Der einzige, dem es uneingeschränkt geschmeckt hat, konnte natürlich kein anderer als Shimizu sein, der isst einfach alles.

Die Gegenleistung konnte sich aber sehen lassen. Da ich noch etwas schaffen wollte, war ich zu späterer Stunde noch da. Zu dieser Zeit wurde ich von meinem zweiten Betreuer auf Japanisch angesprochen. Ich habe wegen der Überraschung zwar kaum etwas verstanden, nickte aber erst einmal aus Prinzip. Das aus Prinzip nicken ist nebenbei eine schlechte Angewohnheit, irgendwann verkaufe ich mal etwas wichtiges auf dem Weg oder dergleichen. Wie sich herausstellte, wurde Sushi in der nahen Sushibar in das Department bestellt. Zu allem Überfluss musste ich noch nicht einmal zahlen, obwohl ich es gerne gemacht hätte. Das Sushi brauchte zwar eine Stunde, bis es da war, aber im Kreis der Mitstudenten und des Betreuers macht das Essen doch gleich doppelt so viel Spaß. Gleichzeitig existiert die Möglichkeit, sich ein wenig auszutauschen und noch weiter in die Gemeinschaft des Departments aufgenommen zu werden. Es ist einfach eine Schande, dass derartige Abende in Göttingen unmöglich sind. Auf jeden Fall muss ich ab jetzt freitags immer länger in der Uni bleiben. Letzte Woche kostenlose Pizza und diesmal Sushi, was will das Herz (eigentlich der Magen) mehr?

Wer hat den Lehrer raus gelassen?

Wer bin ich, wo bin ich und vor allem was ist da gerade passiert? In etwa diese Fragen stellte ich mir heute früh verzweifelt nach dem Japanisch-Kurs. Ich habe ja schon viele Lehrer erlebt, aber die Dame, die uns heute betreut hat, stellt wirklich viele Lehrer in den Schatten. Nicht nur, dass sie 15 Minuten zu spät zum Unterricht kam. Sie schaffte es auch, 10 Minuten früher Schluss zu machen und dabei wie durch ein Wunder noch all den Stoff des Tages durchgearbeitet zu haben. Jetzt gibt es nur ein Problem, ein paar Leute sind dabei auf der Strecke geblieben. Klar, ein paar Opfer gibt es immer. Aber dass diese Opfer fünf Leute betreffen und damit alle Nicht-Chinesen und Nicht-Koreaner des Kurses nur noch Fragezeichen über ihren Köpfen hatten, ist schon etwas fragwürdig. Die Frau hat schon bei ihrer Ankunft nur auf Japanisch geredet und hat es geschafft, ihr schon schnelles Redegrundtempo während des Kurses noch einmal um das Zehnfache zu steigern. Wenn man nicht versteht, was der Lehrer vorne sagt, dann erschwert dies den Lernprozess schon mal ungemein. Und wenn dann noch bei den Übungsaufgaben nur gewartet wird, bis der erste, überraschenderweise meist ein Koreaner, fertig ist, dann bringen die Übungen auch nicht viel, weil die Kontrolle des Lehrers fehlt. Aber wir sind ja keine Studenten, die sich wegen so etwas entmutigen lassen. Zur Frühstückspause wurden die Plätze geschickt so getauscht, dass alle Nicht-Nachbarlands-Ausländer nebeneinander saßen und im Notfall immer ein Koreaner nahe genug, um auszuhelfen. In Teamarbeit schafften wir es, die Stunde zu überstehen und nächste Woche fragen wir erst einmal Frau Abe, ob sie nicht auch mal mit der heutigen Lehrerin sprechen kann, damit sie das Tempo drosselt. Auf uns hat sie heute nicht geachtet. Dafür bestätigte ich meine Annahme mal wieder. Überraschenderweise ließ die Dame heute auch noch einen Kurztest schreiben und trotz fehlender Vorbereitung (weil ich nicht wusste, wie weit wir sind und welche Kapitel zu lernen sind) erreichte ich eine sehr gute Punktzahl. Ich sollte wirklich Lotto spielen, ich würde reich werden!

Trotzdem war der Kurs ziemlich ernüchternd und ich war über sein Ende sehr erfreut. Vor allem da anschließend ein gemeinsamer Mensabesuch mit einigen Neuankömmlingen rund um Olga anstand. Dabei wurde der Beschluss gefasst, dass der Botanische Garten einmal besichtigt werden muss. Bei dem Wetter mit leicht steigenden Temperaturen und Sonnenstrahlen lohnte sich das auch wirklich, schon weil doch noch ein wenig Herbstfärbung im ?Garten?, der bekanntlich ja eher ein Wald ist, zu sehen war. Olga dagegen war nicht ganz glücklich mit dem Garten, waren doch viel zu viele Stufen zu nehmen und ihre Schuhe für diese Art von Parcours nicht gerade ausgestattet. Trotzdem bleibe ich persönlich ein Fan von dem Garten, es gibt einfach keinen ruhigeren Ort zum entspannen in Sendai. Nach dieser Gewaltwanderung konnten wir den Tag aber natürlich noch nicht ausklingen lassen und es ging noch in ein Okonomiyaki-Restaurant. Der Teig an sich sagte ihr zwar auch nicht so zu, doch macht halt besonders das selber Herstellen der Okonomiyaki großen Spaß, so dass es ihr trotzdem gefiel. Ich persönlich könnte mich ja in die Soße setzen, so super schmeckt die. Da der Tag danach fast gelaufen war, verabschiedete ich mich noch schnell von ihr und machte mich auf zum Büro, um wenigstens ein wenig was tun. Aber solche ruhigeren Tage müssen auch mal sein, besonders nach solchen haarsträubenden Japanisch-Kursen ist es absolut angebracht. Wenigstens erklärte es die Frage, warum die meisten Ausländer heute gar nicht erst erschienen sind. Die wussten schon, was sie erwartet und nahmen deshalb lieber gar nicht erst teil.