Schneemänner mit drei oder zwei Bällen?

Könnte jemand bitte einmal den Winter in Deutschland abbestellen? Danke! Die Temperaturen im fernen Deutschland haben sich mittlerweile bis ins ferne Inselreich Japan herumgesprochen und so komme ich seit ein paar Tagen nicht mehr um das Beantworten von Fragen herum. Ist es bei euch immer so kalt? Habt ihr die gleichen Temperaturen wie Finnland? Ist der Winter in Japan nicht viel zu mild für dich? Ja ist er, aber das ist meine eigene Macke und könnten wir uns mal über etwas anderes unterhalten? So schnell lassen die Meisten aber leider nicht locker und so erfuhr ich die seltsamsten Fakten über Japan, die ich garantiert nie hören wollte. Zum Beispiel stelle ich mir ernsthaft die Frage, wieso ein Japaner mir ein Vortrag über die Unterschiede japanischer und deutscher Schneemänner hielt. Die Frage ist eigentlich nur, wieso ich verwundert sein sollte und vor allem es mich interessieren sollte, dass japanische Schneemänner nur aus zwei Kugeln bestehen. Ich meine, bei der Körpergröße der Japaner müssen die Teile halt kleiner ausfallen und da ist dann halt kein Platz mehr für eine dritte Kugel, ist doch ganz einfach?

Trotzdem kann man die Zeit im Labor auch sinnvoll nutzen. Aber bevor ich damit anfangen konnte, schockten Shimizu und ich erst einmal die deutsche Professorin der Fakultät. Dezember ist die Zeit der Adventskalender und da er sich ernsthaft bemüht, mir bei einem Kalender zu helfen, teilten wir heute die Lösung in seinem Namen und mit seiner Adresse mit. Ich bin mal gespannt, ob der Betreiber den Gewinn auch nach Sendai übermitteln würde. Fair alleine gelöst wurde es aber alle Male. Als die deutsche Professorin mitbekam, dass Shimizu bei einem deutschen Quiz mitmacht und dann auch noch die Lösung richtig hat, war sie vollkommen perplex. Einen derartigen Fall hat sie in über zehn Jahren in Japan auch noch nie erlebt. Sie konnte es kaum fassen und war begeistert. Wenn ich so mit meinen Mitstudenten weitermache, lässt mich die Professorin wohl nie wieder aus dem Land, immerhin beginnen sich einige wirklich für Deutsch zu interessieren und einen kleinen Anteil daran könnte ich schon haben.

Da ich mit derartigen Gesprächen und Aktionen aber doch relativ viel Zeit verbrachte, galt es für mich heute, etwas länger in der Uni zu bleiben. Auffallen würde ich mit einem derartigen Vorgehen eh nicht, denn im Gegensatz zu Deutschland, wo nur eine Seminarbibliothek oder ein Cafe zum Treffen einladen, gibt es in Japan ja die nützlichen Büros. Da die Zimmer der Japaner ziemlich klein sind und man zu Hause meist schlecht lernt, bleiben viele Studenten länger hier und lernen hier. Dementsprechend war ich nicht alleine. Dabei konnte man aber wunderbar die standardmäßige Lebensmittelversorgung der Japaner verfolgen. Zum Frühstück gibt es ein Brötchen oder eine Fertig-Nudelsuppe Ramen. Zum Mittag geht man je nach Zeitbedarf in die Mensa oder isst Ramen und zum Abendbrot wird man sehr ausgefallen und man kauft sich eine teure Bentobox oder man isst – oh Überraschung – einfach mal Ramen. Ich glaube, man erkennt ein System und es ist wirklich so. Der Taschenschrank ist gut gefüllt mit Ramentöpfen und einige Studenten haben heute wirklich dreimal Ramen gegessen. Wobei ich ehrlich sein muss, einige habe ich noch nie etwas anderes essen sehen. Wie die immer gesund bleiben, ist mir echt ein Rätsel, aber ich versuche alles, um ein derartiges Schicksal zu vermeiden. Trotzdem sind diese Fertigsuppen der Umsatzartikel Nummer 1 hierzulande. Ewig viele Nudelvariationen stehen zur Verfügung und finden auch in großer Anzahl Abnehmer. Bei Bentoboxen verstehe ich den Kauf ja noch, da es sich um Boxen handelt, in dem echtes Gemüse und andere Sachen liegen, die noch halbwegs gesund sind. Bei Ramen bezweifle ich das Vorhandensein von anderen Mitteln als Chemikalien aber. Wenigstens war Shimizu auch noch abends da, so konnte ich im perfekten Japanisch eine Mail an den Familienvater vom Fußballspiel schreiben. Mal schauen, wie er reagiert, dass ich auf Japanisch schreibe, ich bin gespannt.

Japanische Schlafgewohnheiten und die Sicherheit im Land

Bekannterweise stehe ich hierzulande ein klein wenig auf Kriegsfuß mit der Technik. Eine zerstörte Kamera, zwei Laptops und ein Uhrenarmband sprechen dafür wohl Bände, wobei ich feststellen will, dass alles schon ersetzt wurde und ich nicht komplett techniklos bin. An den Schäden hatte ich ebenso nicht all zu viel Einfluss, sondern es handelte sich um normale Verschleißerscheinungen. Wenn man bedenkt, dass ich normalerweise immer die Technik für andere Leute repariere, ist das schon etwas traurig. Auf der anderen Seite kann ein gezielter Zerstörtrieb auch entscheidende Vorteile haben. Genau diesen Vorteil musste ich heute Morgen ausspielen. Gestern hatte ich ja mein Fahrrad nicht auf bekommen und der Schlüssel war immer noch verschollen. Da der Schlüssel aber während der Fahrt vorne am Vorderrad hängt, kann er auch nirgends befestigt werden. Da das Schloss eh schon ziemlich stark hakte, reichte es mir heute endgültig. Ein gezielter Zugriff mit einem Schraubenzieher und in ganzen zwei Minuten hatte ich das Schloss zerstört und mein Rad befreit. Es ist schon beachtlich, wie schlecht japanische Fahrräder gesichert sind. 90 Prozent der Räder hierzulande besitzen nur ein einfaches Vorder- oder Hinterradschloss. Die Teile sind natürlich sehr schnell geknackt. Auf der anderen Seite werden Mountainbikes notgedrungen mit Hilfe von Kettenschlössern abgesichert, die aber bei weitem nicht sicher sind. In Deutschland würde man die Teile nicht einmal für Uralträder nutzen. Trotzdem bleibt die Statistik für geklaute Fahrräder ziemlich gering und ein Großteil der verschollenen Räder wurde nur vom Ordnungsamt beschlagnahmt, weil man an unerlaubter Stelle das Rad abgestellt hatte. Dafür ist mein Rad jetzt wieder mit einem identischen Schloss gesichert und ich habe deshalb jetzt endlich zwei Fahrradschlüssel. Überrascht hat die Japaner der Umbau meines Rads dann aber doch. Ich stand vor dem Laden und habe schnell das Schloss ans Vorderrad geschraubt und mehrere Japaner haben nachgefragt, wieso ich so etwas denn selber mache, dafür gibt es doch Fahrradwerkstätten. Dazu muss man wissen, dass man nur drei Schrauben festziehen musste. Da frage ich mich echt, wo die Eigenständigkeit geblieben ist.

Anschließend ging es ins Büro, schließlich konnte ich jetzt das Rad endlich abschließen. Als erstes bekam ich einmal eine Übersetzung meiner Gutscheine. Offensichtlich ist das Fleisch, was mir zugeschickt wird, wirklich Topqualität und auf der anderen Seite habe ich bei dem Restaurantgutschein die Auswahl zwischen einem Fleischrestaurant und dem Hotel. Mal schauen, wann ich die beiden einlöse, neidische Blicke habe ich auch so bekommen. Ansonsten scheinen meine Japaner zu viel Langeweile zu haben. Als ich das Büro betrat, erwartete mich eine Armee an Origamifiguren, die von Japanern kunstvoll hergestellt wurden. Gut, dass ich so etwas überhaupt nicht beherrsche. Unten könnt ihr euch die zwei besten Figuren dann auch anschauen, damit man sich darunter etwas vorstellen kann. Ansonsten konnte ich heute Zeuge für die beachtlichste Fähigkeit jedes Japaners werden: das Schlafen bei jeder Gelegenheit. Ich dachte mir nichts besonderes, als mein Betreuer gelangweilt die Blätter weglegte und sich die Jacke anzog. Der will bestimmt schnell zum Kiosk gehen, dachte ich, aber weit gefehlt. Schnell die Jacke zugebunden, Beine nach vorne und in einer Minute schlief er auf einmal am Tisch, mitten am Arbeitstag. Dass Studenten im restlichen Büro das an den Tischen regelmäßig machen und es schon mal vorkommen kann, dass auf einmal alle im Büro vor sich hin schnarchen, kannte ich ja schon. Aber dass sogar die Angestellten und Dozenten so etwas während des Dienstes tun, hat mich dann schon überrascht. Wobei, so besonders ist das gar nicht. Beachtet man die Straßenbahnen, Busse und Züge, sieht man das Phänomen öfter. Alle Japaner scheinen es zu beherrschen, zu dösen. Sobald sie ein Geräusch hören, wenn zum Beispiel der oberste Boss das Büro betritt oder wenn die richtige Haltestelle kommt, machen sie die Augen auf und können sich gerade noch rechtzeitig darauf vorbereiten. So war es auch bei meinem Betreuer. Als ein Student ihn etwas fragte, schlief er ohne sich stören zu lassen, wie man an der regelmäßigen Atmung vernehmen konnte. Als Herr Morimoto auf einmal das Büro betrat, war er blitzschnell wach und griff nach den Papieren. Diese Alarmanlage im Kopf muss ich mir auch noch mal unbedingt besorgen!

We serve! (Lions Club Motto)

So muss der Tag losgehen! Erst kann man das tägliche Rätsel nicht lösen und dann steht man auf einmal vor dem Fahrrad und bekommt es nicht aufgeschlossen – der Tag muss doch schlecht werden. Kurzentschlossen schnappte ich mir den nächsten Bus und fuhr in die Stadt. Wirklich Zeit für etwas anderes hatte ich eh nicht mehr, da ich Mayumi gleich treffen wollte. Gerade noch in der Zeit erreichte ich den Treffpunkt und es konnte losgehen – ich lernte, wie man Mochi selber herstellt. Mochi ist auf besonderem Wege zubereiteter japanischer Klebereis. Organisiert wurde das ganze Treffen von einigen japanischen Studentinnen der örtlichen Mädchenuniversität. Ihre Herkunft konnten sie auch wirklich nicht verbergen. Alles war auf niedlich ausgerichtet und das ganze Programm war generalstabsmäßig durchgeplant. Nur mit einer Sache hatte man nicht gerechnet: Ausländer, die kein Japanisch können. Da man die ganzen Menschen in Gruppen aufgeteilt hat, lief man natürlich Gefahr, dass es zu einer ungünstigen Konstellation kommt und genau so war es auch. An meinem Tisch fanden sich eine Südafrikanerin und ein Ire ein, die überhaupt kein Wort verstanden. Dazu gab nur Japaner bei uns, die kein Englisch konnten. Ein anderer Ausländer, der schon 6 Jahre hier ist, durfte deshalb immer übersetzen. Man hatte sich aber einiges einfallen lassen. Es wurden verschiedenste Spiele gemacht, um das Eis zu brechen und dank des Übersetzers lief es auch ziemlich gut. Trotzdem merkte man den Damen die Unerfahrenheit an. Unter anderem ließen sie alle Programmpunkte im Anschluss an diesen noch einmal durch die Anwesenden kommentieren. Ein langweiliger Punkt, der absolut nicht notwendig war. Mittendrin wurden aber die Japaner an unserem Tisch durch ein Spiel getauscht und die Neuen konnten doch wirklich Englisch. Jetzt konnte es bei uns wirklich losgehen. Vor allem die eine Englischlehrerin war dabei sehr sympathisch.

Nach einigen Spielen konnte es aber endlich losgehen. Auf traditionelle Art wurde Mochi hergestellt, also mit Hammer und viel Wasser. Dabei wird der Teig erst mit dem Hammer geknetet und dann geschlagen. Das war die perfekte Aufgabe für mich. Kurzentschlossen nahm ich den 8 Kilo schweren Hammer und bearbeitete den Teig. Besonders das Schlagen war interessant, da zwischen den Schlägen eine zweite Person immer Wasser nachgießen musste. Man musste also extrem aufpassen, diese Person nicht zu treffen. Fürs Abreagieren ist das aber die perfekte Aufgabe und es machte viel Spaß. Anschließend gab es die nächste Gesprächsrunde und das gemeinsame Essen des Mochis. Es war verdammt lecker, aber leider konnte ich es kaum genießen. Die Veranstaltung dauerte länger, als von mir eingeplant und ich musste schnell zum Treffpunkt für die nächste Veranstaltung.

Was jetzt kam, war das eigentliche Highlight des Tages, auch wenn das Kochen auch sehr viel Spaß gemacht hat. Der Lions Club hatte mal wieder gerufen und ich musste eine ausländische Gesandtschaft von 4 Leuten aufstellen. Also schnell in das Hemd und die Stoffhose wechseln und auf zum Hotel. Kurzfristig bekam ich zwar graue Haare, weil nichts so klappte, wie es sollte, aber immerhin kamen wir rechtzeitig und alle beim Hotel an. Die erste Frage, die uns gestellt wurde, war: An welchem Tisch willst du sitzen? Ich entschied mich für B, wohl weißlich, dass die höchsten Tiere immer am Tisch A sitzen. Es sollte meine beste Entscheidung des Tages werden. Heute fand die Weihnachtsfeier der Lions Club Vorstandsmitglieder mit ihren Familien statt. Dementsprechend wenige Leute waren da, aber alle Tische waren voll besetzt, nur meiner nicht. Nur zwei Leute waren anzutreffen und drei folgten später. Trotzdem blieb aber ein Platz frei. Ein freier Platz, der eigentlich eingeplant war, bedeutet übrig gebliebenes Essen und das Oberhaupt der Familie erkannte richtig, dass ich ein armer Student bin und mir derartige Köstlichkeiten sonst nicht unbedingt leisten kann. Kurzerhand wurde die Kellnerin beauftragt, dem Studenten doch bitte doppelte Rationen zuzuteilen. Und was für Rationen das waren! Es gab zuerst eine Gelee-Fisch-Obst-Mischung mit einem silbrigen Metall versehen. Anschließend wurde eine Suppe mit frischem, selbst gemachten Brot serviert, gefolgt von einem gebratenen Fisch, der schon beim Anschauen zerfiel und (nach Aussage der Tischnachbarn) absolut zartes Fleisch mit Salat. Abgeschlossen wurde das Ganze mit einem Schokomousse, mit Goldblättern belegt und auf einem Früchtespiegel. Man kann gar nicht oft genug sagen, wie lecker das Ganze war. Besser habe ich in Japan wirklich noch nie gegessen, außer eventuell beim 1. Treffen des Lions Club und ob ich so gut in Deutschland schon im Restaurant gespeist habe, ist auch fraglich. Anschließend an das Essen mussten wir kurz Weihnachten in unserem Heimatland vorstellen und damit war unsere Rolle am Abend schon erledigt.

Nach der Vorstellung fing aber das eigentliche Highlight des Abends an. Vor dem Bankett wurden Bingolose verkauf, die wir Studenten uns natürlich auch zulegten. Der Unterschied war eigentlich nur, dass die Lions Club Mitglieder mehr kauften. Per Zufallsgenerator wurden nun Zahlen gezogen und derjenige, der die Zahl hatte, konnte einen Preis gewinnen. Erster Preis war ein Flug nach Hawaii für ein paar Tage und der zweite ein Onsen Besuch. Das hätte ich natürlich auch genommen. Ansonsten gab es viele Spaßtrostpreise, wie zum Beispiel als Goldbarren verpackte Taschentücher und einige Sachen, die nicht genau zuzuordnen waren. Da ich, wie mein Hauptgesprächspartner richtig feststellte, ein armer Student bin, überließ er mir von seinen fünf Losen auch gleich noch einmal zwei, nur um die Summe, nachdem die Reise weg war, auf fünf zu erhöhen. Trotzdem sah es schlecht aus und Trostpreis um Trostpreis gingen weg, ohne dass wir Ausländer etwas gewannen. Unser Glück schien uns verlassen zu haben, bis auf einmal die 46 aufleuchtete. Die Nummer hatte ich doch gerade bekommen!? Kurzerhand ging ich nach vorne und konnte mit den Preisen nichts anfangen. Woher soll ich wissen, was sich dort drinnen befindet? Zwei Umschläge lagen gesondert und waren größer. Also schnappte ich mir kurzerhand einen von diesen und schleppte ihn gleich erst einmal zu unserem Gastgeber, einem Kollegen von Thomas, der perfekt Englisch kann. Eine Übersetzung später hatten wir heraus, dass ich 400 Gramm eines sehr, sehr guten Fleisches zugeschickt bekomme. O.k., Fleisch ist jetzt nicht unbedingt das, was ich gewinnen wollte, aber was man hat, hat man. Noch in diesem Gedanken versunken verfolgte ich, wie Thomas Kollege und ein Japaner überlegten, wie man mir die Fleischart erklären kann, als eine andere mir bekannte Nummer erklang -die 42 hatte gewonnen. Schnell ging ich zu meinem Platz, wo gerade mein Nachbar für mich gehen wollte, um den nächsten Preis abzuholen. Diesmal war ich schlauer und beorderte den Kollegen nach vorne. Der übersetzte mir erst mal einiges, so dass ich die meisten Spaßtrostpreise ausschließen konnte. Wirklich gut war aber keiner der Preise und so nahm ich einen Moosschwamm, weil da drunter noch ein Briefumschlag lag. In diesem Umschlag befanden sich in Wirklichkeit Gutscheine und eine Übersetzung später hatte ich heraus, dass ich für 50 Euro in dem Edelhotel, wo das Treffen war oder in einem von 5 Restaurants essen darf. Da wird sich schon eine nette Dame finden, die mit mir geht! Später bestätigte man mir, dass ich die absoluten Hauptpreise, neben den paar Tagen Hawaii, gezogen habe. Was will ich mehr? O.k., das Motto „Glück im Spiel, Pech in der Liebe“ wird sich mal wieder bemerkbar machen, aber was solls? Das Lions Club Treffen war auf jeden Fall wieder ein Highlight und ich bin froh, dass Thomas mich immer als erstes für so etwas anruft. Wann bekommt man schon mal die Gelegenheit, in solchen Kreisen zu verkehren? Als Historiker vermutlich wohl nie, wenn ich nicht etwas absolut Bedeutendes ausgrabe oder doch noch Politiker werde. Den Japanern scheint es auch gefallen zu haben, denn alle verabschiedeten uns lang und breit und wie man gemerkt hat, hat sich mein Tischoberhaupt auch sehr um mich bemüht. Da bleibt nur zu sagen: Bis zum nächsten Mal (hoffentlich).

Sushi und Bier, die perfekte Kombination für einen Fußballsamstag

Morgens halb zwölf in Sendai, Japan: Während der Freundeskreis noch laut eigenem Bekunden selig in den Betten liegt, befindet sich ein wackerer Deutscher schon auf seinem Fahrrad, um der schönsten und wichtigsten Nebensache der Welt nachzugehen, dem Fußball. Wir schreiben den letzten Spieltag der J-League und für Vegalta Sendai geht es um den Verbleib in der ersten Liga. Verständlich also, dass ich dort nicht fehlen möchte, auch wenn es beinahe so gekommen wäre. Obwohl ich mich rechtzeitig um Karten bemüht hatte, bekam ich nur unter absoluter Mühe und im komplett falschen Block eine Karte. Aber kein Problem: Wofür hat man Vitamin B? Mayumi, meine Konversationspartnerin, ist Fanclub-Mitglied und bekommt rechtzeitig Karten für den richtigen Block und mittels eines Tricks will sie einige andere und mich in eben diesen Block hinein bekommen.

Schlecht an dieser Sache ist nur die Tatsache, dass Mayumi nicht mit der Idiotie des deutschen Gesprächspartners gerechnet hat. Ich war zwar mehr als rechtzeitig am Stadion, aber ein kleines Detail fehlte: Das Handy lag 45 Minuten Radweg entfernt in meiner Wohnung und damit war das einzige Kontaktmittel zu Mayumi außer Betrieb. Was soll ich also machen? Zurückfahren ist keine Option und mich darauf verlassen, dass Mayumi mich im Stadionumlauf findet, ist nicht gerade meine Art. Kurzerhand entschied ich mich für einen Frontalangriff. Mit gezückter Karte und Finger über dem Block schob ich mich hinter einer Gruppe von Japanern in den Block und niemand konnte mich aufhalten. Jetzt konnte die Suche nach Mayumi oder Megumi, der Schwester von Mayumi, beginnen. Praktischerweise kann ich aber nirgends unbeobachtet herum laufen und schon nach kurzer Zeit hatte mich die Familie von den letzten Spielen entdeckt und Yosuke kam sogar runter gerannt, um mich zu einem Platz zu geleiten. So viel Mühe muss mit etwas Süßem belohnt werden und so spendierte ich den Kindern eine Packung Smarties. Ohne Tasche läuft die Suche nach Mayumi eh viel einfacher und wirklich, kurze Zeit später stand ich ihr gegenüber. Sie versorgte mich auch gleich erst einmal mit ein paar selbst gemachten Sushis (vergorener Reis mit Gemüse wird auch als Sushi bezeichnet, auch wenn er eine andere Form hat) und nach kurzer Beratung entschieden wir, dass ich das Spiel mit der Familie sehen werde. So oft trifft man die ja ab jetzt doch nicht mehr.

Das Spiel selber fand gegen Kawasaki Frontale statt. Das ist ein ziemlich spät aufgestiegenes Team, was überraschend letztes Jahr den 2. Platz in der 1. Liga erreicht hat. Dieses Jahr spielt die Mannschaft um den Spielmacher der japanischen Nationalmannschaft, Kengo Nakamura, ebenfalls wieder sehr gut mit und steht deshalb abgesichert auf dem 5. Platz der Tabelle. Für Vegalta ist das Spiel dagegen von höchster Wichtigkeit. Zwar stehen Vissel Kobe und der FC Tokyo noch hinter ihnen in der Tabelle, verliert man heute aber hoch und die beiden anderen gewinnen, besteht noch eine Abstiegsgefahr. Die Gegner der beiden anderen Mannschaften stellen unter normalen Umständen kein unüberwindliches Risiko dar. So konnte es im so ziemlich ausverkauften Yurtec Stadion endlich zur Sache gehen. Vegalta begann offensiv und bekam in der ersten Minute gleich erst einmal einen klaren Elfer versagt. Dass japanische Schiedsrichter wirklich nichts pfeifen, setzt sich fort und sollte heute noch zwei eigentliche Elfer kosten. Nach einer stürmischen Anfangsphase kam es plötzlich zu einem Konter und aus dem Nichts stand es 1:0 für Kawasaki. Die 27 von Vegalta sah da auch ziemlich schlecht aus, da sie wie immer nur versuchte, den Gegner abzudrängen, anstelle einfach dazwischen zu grätschen. Bis auf tausende 100prozentige für Vegalta sah es nun lange nach einer Niederlage aus, aber man stemmte sich dagegen und in der 95. Spielminute gelang der Ausgleich nach einer Ecke. Das Stadion stand Kopf! Damit war der Abstieg auch rechnerisch keine Gefahr mehr und es konnte gefeiert werden. Gleichzeitig erreichten uns auch Nachrichten von Kobe, die Urawa mit 4:0 nach Hause geschickt haben und so eine wirkliche Gefahr hätten darstellen können. Tokyo dagegen verlor desolat gegen Kyoto und steht damit als dritter Absteiger fest. Damit haben sich alle Teams, die ich hier gesehen habe, in der ersten Liga halten können.

Während des Spiels kümmerte sich die Familie wieder sehr um mich. Man brachte mir sogar ein Bier mit, da ich als Deutscher ja wohl Bier trinken werde. Sie werden mir auf jeden Fall alle fehlen. Ich muss auch sagen, besonders der ganz Kleine der Familie ist mittlerweile schon perfekt erzogen. Sobald er in einem Lied Nummer 1 hört, reckt er den Finger in die Höhe und ist dabei sogar schneller, als das restliche Stadion. Die Mutter hatte offensichtlich viel Erfolg damit, einen kleinen Nachwuchshooligan heran zu züchten. Als Überraschung bekam ich auch noch einen A2 großen Vegaltakalender in die Hand gedrückt. Normalerweise sollte man den beim Einlass bekommen, aber irgendwie hatte ich das wohl verpasst. Glücklicherweise dachte die Familie aber gleich an mich und besorgte mir einen mit. Zu schade, dass die Saison hier jetzt schon aufhört, aber was will man machen? Zum Abschied gaben sie mir noch eine Kontakt-E-Mail-Adresse, so dass ich wohl die Tage einen Japaner für mich eine Nachricht auf Japanisch verfassen lassen werde. Wenn ich das selber mache, werden die Sätze vermutlich etwas zu simpel.

Nach der großen Verabschiedung ging es dann runter zu Mayumi. Gemeinsam warteten wir auf die Verabschiedung der Mannschaft. Anstelle einer Feier des Klassenerhaltes, kamen die Spieler dreißig Minuten nach Spielende wieder auf den Platz und stellten sich in einer Reihe auf. Erst hielt die Bürgermeisterin im Vegalta-Trikot eine lange Rede, der Manager und der Trainer folgten. Anschließend wurden noch zwei Spieler verabschiedet, die bei ihren jeweils 10 Minuten langen Abschiedsreden bittere Tränen vergossen. Erst dann konnte es zur Ehrenrunde gehen. Die ganze Zeremonie dauerte noch einmal über zwei Stunden und die Blöcke blieben voll dabei. Zum Abschied gab es für einen der Spieler, der sein bisheriges Leben bei Vegalta verbracht hat, noch einmal eine gesonderte Choreo und dann konnte es endlich nach Hause gehen.

Zu Hause hatte mir Orsolya eigentlich versprochen, mir einen Pfannkuchen, von der Party die man gemacht hat, aufzuheben. Doch als ich ankam, waren alle schon aufgegessen und nur der harte Kern war noch da. Eigentlich schade, aber die Zeremonie war es wert. Wir unterhielten uns noch eine Weile über Gott und die Welt und schlechte Kinofilme, eh es dann nach Hause ging. Der Plan, einen ruhigen Abend zu verbringen, musste von mir dann aber doch noch verworfen werden. Rieko hatte von mir vor ein paar Tagen ein Rezept für Mangocreme bekommen und kam damit nicht zurecht. Also durfte ich um 1:30 Uhr noch mit dem Zubereiten anfangen. Das fiel ihr mal wieder früh ein, aber egal, Schlaf ist eh überbewertet! Wenigstens hat Vegalta nicht verloren, das hebt die Stimmung ein wenig, auch wenn mir ein Spiel und Sieg der größten der Welt immer noch viel lieber gewesen wäre.

Um noch kurz zu beweisen, dass Sendai mit ihren Anhängern auch Stimmung machen kann, hier noch drei Videos zum Thema. Die Fans gelten hierzulande als eine der besten Anhängerschaften.
Bitte hier anklicken:
Video 1: We“re not gonna take it
Video 2: Forza SENDAI
Video 3: Cobra

Sonnenschein über Sendai

Deutschland geht im Winter unter. Die Zeitungen zählen schon die Opfer des Wetters und bei bis zu 10 Grad Minus und Schnee ist der Weg zur Arbeit nicht immer ganz angenehm. Währenddessen, auf einer kleinen Insel rund 10.000 km östlich von Deutschland, haben ein paar ausländische Studenten nichts besseres zu tun, als in kurzen Hosen und Trikots Fußball zu spielen. Man merkt also, um mich muss man sich keine Sorgen machen. Hier in Sendai ist das Wetter noch ziemlich warm. Besonders wenn die Sonne am Himmel zu sehen ist, gibt es überhaupt keinen Grund sich zu beschweren. Temperaturen von bis zu 15 Grad Celsius sind noch als sehr angenehm zu bewerten und verleiten einige Leute sogar noch, mit kurzen Hosen auf die Straße zu gehen. Wirklich kalt wird es eigentlich nur in den Zimmern, wo keine Sonne hinreicht. Besonders mein Zimmer kühlt sich aus unbegreiflichen Gründen relativ stark ab, wobei ich auch keine Veranlassung sehe, die Klimaanlage anzuschmeißen, weil die Temperaturen dazu noch bei weitem nicht ausreichend weit im Keller sind.

Letzten Mittwoch hatte Mohamed mir schon angekündigt, dass aufgrund des noch relativ guten Wetters einige Studenten Fußball auf dem Campus spielen. Immerhin war die Uni so freundlich, direkt auf dem Hauptplatz des Zentralcampus ein Basketball- und ein Fußballfeld zu errichten. Ein guter Grund im blau-weißen Trikot dort zu erscheinen. Ich war zwar etwas spät dran, wurde aber schnell eingewechselt und es war eine sehr lustige Zeitüberbrückung. Mit einem Tor, zwei Vorlagen und keinem Gegentreffer als Torwart lässt sich meine Quote sogar relativ sehen. Solange ich treffe, regt sich zum Glück auch keiner über die tausenden versprungenen Bälle auf – der Herr Georgi lässt grüßen. Als Verteidiger bin ich aber eher zu gebrauchen. In bester Prest-Manier einfach mal dazwischen zu gehen liegt mir mehr. Das Wetter lud aber unzweifelhaft zum Spielen ein und einige Japaner schauten uns auf einmal sogar zu, wie wir spielten.

Anschließend fühlt man sich auch viel besser im Büro. Wobei, im Büro war heute eh nicht viel los. Die Leute waren alle nicht anwesend, so dass ich in Ruhe arbeiten konnte. Auf einmal kam zwar jemand, aber der hatte nur den Plan, in Ruhe ein Origami herzustellen. Man erinnert sich: ich war zu blöd, wenigstens einen Kranich herzustellen und der fing auf einmal an, einen Teufel zu basteln. Na gut, wer zu viel Langeweile hat, den soll man nicht aufhalten. Ich wäre aber vermutlich gepflegt untergegangen bei dem Versuch. Dafür ging es abends dann als Ausgleich ins MafuMafu. Wir waren schon eine Weile nicht mehr da und was gibt es besseres, als derartig den Abend ausklingen zu lassen. Schon beim hereinkommen wurde ich lautstark mit meinem Vornamen von einer Japanerin begrüßt. Keine Ahnung, woher die den immer wissen, aber zwei Stunden lang arbeitete ich mich an die Erinnerung heran, woher ich die junge Dame überhaupt kennen könnte. Wie sich herausstellte hatte sie einen ostdeutschen Exfreund und ich hatte sie vor ewigen Zeiten mal getroffen. Ihre Geschichten waren aber wirklich göttlich. So berichtete sie ihre Erfahrungen mit Deutschland. Diese Berichte fingen mit der Kleidung an. Die tiefen Ausschnitte der Deutschen sagen ja wohl eindeutig die Ziele der Damen aus, während die Miniröcke der Japaner doch so viel subtiler sind. Gänzliches Unverständnis hatte sie dann aber für ihre Schreckenserfahrung mit dem FKK-Strand. Als der Bruder ihres Exs auf einmal nackt vor ihr stand, ging bei ihr gar nichts mehr und sie hat sich dort so geschämt und vermutet jetzt, alle Deutschen wären so freizügig wie der Bruder. So kann man auch das Bild einer Nation kaputt machen! Im Großen und Ganzen war es zwar sehr lustig, aber viel zu voll. Eine Gruppe von neu angekommenen Studenten hatte sich eingefunden und mal wieder viel zu viel getrunken. Besonders ein Amerikaner war fertig mit der Welt und wurde nur lauter und lauter. So macht der Kneipenbesuch viel weniger Spaß, weil der für mich wichtigste Punkt mit den Gesprächen wegfiel. Dass Orsolya und ich zur Verabschiedung als Stammkunden jetzt schon umarmt werden, hat uns dann aber doch überrascht. Nächstes Jahr wird die Kneipe dann wohl pleite gehen, wenn wir weg sind.

Die Antwort lautet McCartney…….

Donnerstagmorgen, der übliche Schrecken steht an. Früh aufstehen und mit dem Rad rüber zur Uni quälen, immer in dem Wissen, dass bei der Japanischlehrerin viel Nachbearbeiten von Nöten sein wird, denn im Kurs versteht sowieso niemand etwas von ihr. Nachfragen wird bekannterweise auch gleich als Beleidigung ausgelegt, also versucht man es gar nicht erst. Ein Umstand, der die hohe Abwesenheitsquote der Studenten am Donnerstag erklärt. Aufbauend für mich ist eigentlich nur eine Sache, die Koreaner verstehen mittlerweile zum Großteil auch nichts mehr, was könnte es also besseres geben als sich direkt mit ihnen zu verbünden. Mittlerweile sieht der Unterricht aus diesem Umstand so aus, dass einer noch etwas weiß und mitarbeitet und der Rest versucht nur zu überleben. Zum Glück ist unser Bündnissystem aber bestens ausgebaut und im Unterricht hört man nur nach das Flüstern der Studenten, die den gefragten Studenten mit der Antwort aushelfen. Aber ich muss feststellen, ganz unverdient ist diese Hilfe nicht. Es ist zwar nicht die feine englische Art, aber wenn die Koreaner bei den Kurztests mit ihren Büchern arbeiten, ohne dass die Lehrerin etwas sagt, können einige Hilfen beim Fragen beantworten auch nicht verkehrt sein. Aber so ein Kurs hat bekannterweise auch seine Vorteile und sei es nur der Fakt, dass er nach 280 Minuten vorbei ist.

Da saß ich nun komplett in der Japanischzone und versuchte, meinen Kopf wieder zu ordnen und mich nebenbei ein wenig mit Olga zu unterhalten, als ich auf einmal eine SMS bekam. ?Die heutige Antwort lautet McCartney.? Wer schreibt bitte so etwas und vor allem, was will er mir damit sagen? Gleich mal den Absender überprüft und es handelte sich um Shimizu. Mein erster Reflex war eine Antwort mit dem Text ?Ich will Lösen! Die Frage lautet: ?Welcher Beatle ist heute Vegetarier??. Wohl wissend, dass er kein Wort verstehen würde, unterließ ich es lieber und machte mich schnell auf dem Weg zum Büro. Dort traute ich meinen Augen nicht. Gestern hat bekanntlich die Zeit der Adventskalender angefangen und in guter Tradition löse ich bei einem Kalender im Internet Quizfragen. Den Kalender habe ich gestern Shimizu gezeigt und da saß er nun mit drei anderen Studenten, alle mit elektronischen Wörterbüchern bewaffnet. Er hatte die Frage soweit es ihm möglich war übersetzt und dann versucht, mit ihnen die Lösung heraus zu bekommen. Mein Professor Herr Morimoto wäre stolz auf mich. Wenn ihm in der deutschen Literatur vor einem Jahr jemand erzählt hätte, dass vier Studenten freiwillig in der Mittagspause Rätsel auf Deutsch lösen, er hätte sie wohl für unzurechnungsfähig erklären lassen. Gut, aufgrund ihrer Sprachkenntnisse hatten sie den letzten Teil der Frage nicht richtig verstanden, aber der Ansatz war auf jeden Fall richtig und mit einem Muttersprachler gelang es mit ihrem Ansatz dann auch ganz schnell, die richtige Lösung zu finden. Mich freut es ja Rätselpartner gefunden zu haben, aber wirklich, ein wenig mehr könnte Shimizu ab jetzt schon in seinen SMS schreiben, so dass ich ihn auch verstehe.

Ansonsten habe ich das Büro mit einer Enthüllung schockiert, jedenfalls die anwesenden Studenten. Ich verstehe tatsächlich zum Großteil, was sie erzählen. Das ist eine Tatsache, die sie nie für möglich gehalten haben und sich deshalb auch gerne mal im meinem Beisein über mich unterhalten haben. Shimizu hat aber mittlerweile aus praktischen Gründen mitbekommen, dass ich sie verstehe und es heute den anderen verraten. Zu schade aber auch! Wenigstens konnte ich so mit meinen dieses Semester wirklich guten Kurztests des Grammatikkurs etwas angeben. Dann half ich Shimizu, seinen Deutschkurs vorzubereiten. Mein Gott – kein Wunder, dass die alle kaum Deutsch können, bei so bescheidenen Aufgaben würde ich auch meine Probleme bekommen. Sie bekommen einen japanischen Satz und sollen den wortwörtlich ins Deutsche übersetzen. Das ist schon aus Logikgründen total unpraktisch wenn man bedenkt, dass japanische Sätze eine Ordnung der Fakten nach Wichtigkeit haben, die in einer direkten Übersetzung keinen Sinn macht. Das ist ja gerade das Problem, was die Sprache für Europäer so schwer zu sprechen macht, weil wir auch vom Gefühl aus unsere Anordnung versuchen. Wieso bringt man es den Japanern erst falsch bei, um ihnen später ?hoffentlich? mal das Richtige beizubringen? Ich werde das japanische Sprachlernsystem wohl nie verstehen!

Kleine Gefälligkeiten

Es gibt Dinge im Leben, die können einem das Leben absolut erleichtern. So zum Beispiel: die richtigen Freunde für die richtigen Probleme zu haben. Diese Weisheit wurde mir heute gleich mehrmals bestätigt. Der Tag fing mit einem kleinen Arztbesuch an. Eigentlich nichts besonderes, müsste man in Japan nicht bei den Arztbesuchen dreißig Prozent der Gebühren selber tragen. Ein sehr effektives Problem, überlegt man sich bei kleineren Gebrechen doch einmal mehr, ob man zum Arzt geht oder nicht. Für mich selber trifft das Problem aber eh nicht zu, ich muss schon ziemlich genervt sein, um überhaupt einen Arzt aufzusuchen. Aus diesem Grund hatte ich eigentlich auch gar nicht vor, eine kleine Stelle an der Zunge, die seit ein paar Tagen brennt, einem Arzt vorzustellen. Aber wozu hat man Freunde. Mohamed hörte davon und fühlte sich berufen, mir zu helfen. Nicht umsonst ist er Mediziner, der hier in Sendai nur seine Postdoc-Zeit über die Runden bringt. Bei der Zunge konnte er mir zwar nicht wirklich helfen, aber er hat da noch einige Freunde und schon befand ich mich auf dem Krankenhausgelände und wurde einem Zahnarzt vorgestellt. Für Zungenprobleme sind die wohl auch Ansprechpartner. Wobei, von vorstellen kann gar keine Rede sein. Wie es sich gehört, kannte ich den Arzt, der mir gegenüberstand natürlich schon. Die Gerüchte, dass ich jeden kenne, scheinen sich langsam wirklich zu bewahrheiten. Nassal, so sein Name, war mein Kumpano beim Überstehen des letztjährigen Kanjikurses. Zwei Minuten später hatte ich ein Mittel auf dem Zettel, was mein Problem in zwei Tagen beseitigen wird und die Absicherung, dass es sich wirklich um nichts Tragisches handelt. Gut, ich wollte es eh nicht überprüfen lassen, aber wenn man schon eine Absicherung bekommt, warum nicht. Besser als ein japanischer Arzt war Nassal auf jeden Fall.

Aber nicht nur ich nehme die Hilfe anderer in Anspruch. Kaum hatte ich mich von den beiden verabschiedet, rief Kaori an und brauchte Hilfe für eine Freundin von ihr. Diese schreibt gerade ihre Abschlussarbeit und brauchte unbedingt native Englischsprecher. Kein Problem für mich, einen Hilferuf später hatte die junge Dame mehr Sprecher an der Hand, als sie brauchen konnte. Keine fünf Minuten später fühlte ich mich schon wie im Callcenter. Thomas rief an und erfragte meine Hilfe. Am Sonntag trifft sich mal wieder der Lions Club. Da wir dort so beliebt waren wollte er anfragen, ob ich nicht wieder fünf Ausländer auftreiben kann, die dort erscheinen. Dieses Mal sind wir auch vorgewarnt und müssen nicht eine Stunde vorher angerufen werden. Schlecht an der Sache war eigentlich nur, dass Thomas innerhalb von einer Stunde diese fünf Leute brauchte, also ging die Herumtelefoniererei los. Jemanden mit Freiessen zu ködern ist zum Glück sehr einfach, die Problematik fängt eigentlich erst an, wenn man dann auf die Kleiderordnung verweist. Sich anständig kleiden verschreckt dann doch einige Leute. Trotzdem kann man sich auf meine Freunde verlassen und in kürzester Zeit konnte ich Erfolg vermelden. Kostenloses Essen – wir kommen!

Nach all der Telefoniererei konnte ich mich endlich dem Büro widmen. Dort blieb es auch ziemlich ruhig und Shimizu kam wirklich mit dem von mir geschriebenen Text durch sein Seminar. Ein wenig dreist ist er aber schon, las er doch seinen Tagebucheintrag einfach nur von meinem Vorgeschriebenen ab. Hätte sich die Professorin mal seine Handschrift angeschaut, hätte sie sich ganz schön gewundert. Zum Glück ist es nicht mein Problem, wenn er so etwas anstellt. Nachdem ich ein wenig der Arbeit nachgegangen war, hieß es in die Innenstadt fahren und das von Nassal vorgeschlagene Mittel besorgen, das es angeblich überall geben soll. Leider gab es dabei nur ein Problem: keiner der Japaner wusste etwas davon. Es wurden Läden verrückt gemacht, Spezialisten befragt, aber kein Ergebnis. Anfänglich scheiterten die Läden schon am einfachsten Problem – der Ärztehandschrift. Ich glaube, ich sollte den Beruf wechseln, von der Handschrift würde Arzt sehr zu mir passen. Nach einigen Entzifferungsversuchen wusste ich endlich, wonach ich frage, aber auch das half nichts. Das beste Ergebnis hatte ich aber in einem Supermarkt. Ich hatte nur schnell einen älteren Verkäufer gefragt, der es auch nicht so genau wusste. Kurzerhand ging er Richtung Kasse und beorderte einen jungen Verkäufer zu sich, der wohl im normalen Leben Medizin studiert. Dieser war aber gerade an einer überfüllten Kasse und wollte noch schnell die Kundin fertig bedienen. Nicht mit meinem älteren Verkäufer. Kurz entschlossen brüllte er noch mal durch den Laden, nur um zwei Minuten später entnervt hin zu stapfen und den Verkäufer am Arm zu mir zu ziehen. Der arme ausländische Student darf doch nicht warten! Helfen konnte er mir zwar auch nicht, aber immerhin hatte er die meiste Fachahnung von allen. Eine Tatsache, die sonst leider fehlt, da wir hierzulande kaum Apotheken haben sondern diese in den Drogerien mit enthalten sind. Leider befindet sich das Drogeriepersonal aber nicht auf einem Level mit normalen Apothekern. Morgen bekomme ich das Mittel dann zwar auch, aber bis dahin ist es dann eh nicht mehr wichtig laut meinen Arztfreunden. Trotzdem schön, dass sie sich Sorgen gemacht haben und es mal schnell gecheckt haben, auch wenn ich es eigentlich nicht wollte.

Straßenkämpfe im Büro? Wo bin ich jetzt schon wieder gelandet?

Manchmal meine ich, ich sollte meinen Blog auf unsichtbar stellen, es scheinen zu viele Japaner mitzulesen. Gestern hatte ich noch das Thema über das Unterrichten von japanischen Studenten, da machen sie heute ernst. Erst durfte ich ein Referat eines Studenten überarbeiten. An sich handelte es sich um gutes Deutsch, aber ich muss sagen, ich finde den Studenten beachtlich. Er schafft es wirklich, in jedes seiner Referate sein Lieblingsthema hineinzubringen: Autos. Ich habe ihn bisher noch nie über etwas anderes reden hören. Da er eigentlich auch „Deutsche Literatur“ studiert, entzieht es sich meiner Kenntnis, wie er das Thema immer wieder durch bekommt. Aber er scheint die richtigen Kniffe zu kennen. Vermutlich erklärt er, dass es sich bei Blaupausen ebenfalls um Literatur handelt. Naja, mir solls egal sein, nur würde ich gerne mal anständige Dinge durchlesen und nicht die Geschichte des Mercedes S 600. Der Zweite, der mich gleich in Beschlag genommen hat, war Shimizu. Laut meinem zweiten Betreuer hat er offensichtlich das Tutor und Student-System noch nicht verstanden, denn irgendwie half er nicht mir, sondern er diktierte mir seinen Tagebucheintrag für die nächste Stunde des Tagebuchseminars. Gut, diktieren ist eventuell etwas zu viel des Guten, eher verwandelte ich seine Gedankensplitter in halbwegs normale deutsche Sätze. Die anderen Anwesenden schlugen schon vor, ein Copyright unter den Text zu setzen. Copyright Reik nach einer Idee von Shimizu, aber so etwas würden wir ja nie machen und solange sich die Professorin nicht beschwert, sehe ich auch keinen Grund, damit aufzuhören – schließlich erarbeiteten wir den Text gemeinsam.

Viel interessanter für mich war dagegen die Lektüre eines chinesischen Buches über die Kriegsverbrechen der Japaner im zweiten Weltkrieg. Wir erinnern uns: Die Japaner waren nicht wirklich besser als die Deutschen, sondern hatten zum Beispiel die Angewohnheit, möglichst keine Gefangenen zu nehmen, da ein Aufgeben unehrenhaft war und deshalb das Leben der gefangenen Soldaten verwirkt war. Natürlich regt ein derartiges Buch zu Diskussionen an und einige der Japaner nahmen sich doch ein Herz und befragten mich zum Titel. Dadurch erhielt ich einen Einblick in das Wissen der Studenten über den zweiten Weltkrieg und was soll ich sagen, es ist nicht viel. Wo in Deutschland jedem das Schuldbewusstsein der Deutschen für die Gräueltaten des 2. Weltkriegs vermittelt wird, gibt es in Japan wirklich keine derartige Aufklärung. Eigentlich ist es verwunderlich. Amerika wollte Japan nicht als Bündnispartner gegen die sowjetische Gefahr verlieren und ließ der japanischen Regierung aus diesem Grund alle Freiheiten bei dem Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg. Westdeutschland war in diesem Sinne auch ein Puffer zu den Ostzonen, hier wurde aber ein komplett anderes Programm aufgefahren, obwohl sich die Taten der beiden Länder kaum unterscheiden. Ergebnis dieser freien Hand ist das ungläubige Kopfschütteln, als ich von einigen Verbrechen der Japaner berichtet. Man wusste zwar, dass einige Großväter nach dem zweiten Weltkrieg aus den ehemals besetzten Gebieten fliehen mussten und gerade so mit dem Leben davon kamen, aber die Ursachen sahen die Studenten nur in der Besatzung, nicht in der Handlungsweise der Besatzer. Kein Wunder also, wenn die Nachbarländer sich – zum Teil offensichtlich mit Recht – über die Vergangenheitsbewältigung der Japaner aufregen. Dass man nicht so viel wie in Deutschland über die Thematik weiß, hätte ich mir zwar schon gedacht. Dass die Politik es aber so gut versteht, die Erinnerungen an ein ungeliebtes Thema zu verdrängen, überrascht mich dann schon. Man kann also schon davon ausgehen, dass ein Vergleich zwischen den geschichtlichen Entwicklungen der beiden Ländern zwar viel zu umfassend für Arbeiten wäre, wie ich sie zu Unizeiten noch schreiben werde, von den Ergebnissen aber absolut interessant sein muss.

Wie beschäftigt man sich ansonsten als Student, wenn man nicht gerade von einem komischen Gajin mit Geschichte genervt wird? Man schaut sich Fernsehen an. So standen heute auf einmal mehrere Studenten um einen PC herum und schauten sich Grundlagentraining für Judo an. Das wäre an sich nicht so schlimm, wenn die Betroffenen nicht auf einmal angefangenen hätten, die Schritte nachzustellen. So verwandelte sich das Büro auf einmal in eine Kampfarena. Es fehlte eigentlich nur noch der Schrei ?Mortal Kombaaaaaaaaaaaaaaaaaaat!? und man hätte sich wie in einem der vielen japanischen Kampfspiele gefühlt. Kurzzeitig kann bei solchen Bildern schon mal die Frage durch den Kopf geistern, welches Alter die umstehenden Menschen gerade haben. Normale, über zwanzigjährige Japaner, können sich recht schnell wieder zu Kindern zurück entwickeln. Das Bild der total steifen Japaner trifft erst ab dem Alter um die dreißig zu. Es ist so, als ob dann bei den Leuten ein Schalter im Kopf umgekippt wird. Bis dahin kann man aber sehr viel Spaß mit ihnen haben.

Tandempartner oder Sprachschüler?

Woran wird man erkennen, dass mein Ein-Jahres-Aufenthalt in Sendai rum ist? Die Leistungen der Studenten der deutschen Literatur werden merklich abnehmen. ? O.k., das ist eventuell etwas übertrieben, aber in gewissen Kreisen kann das schon zutreffen. Nicht umsonst unterhalten sich Leute wie Shimizu gerne mit mir und lassen sich auch nur all zu gerne bei ihren Hausaufgaben helfen. Heutiges Ziel war Rieko. Nicht, dass sie nicht schon genug mit ihrer Magisterarbeit beschäftigt wäre. Nein, irgendwie ist sie auch noch in einem Kurs über die Leiden des jungen Werther gelandet. Der zuständige Professor lässt die Studenten dabei zu jeder Stunde einige längere Passagen lesen und dazu Problemfragen entwickeln. Wenn man die ganze Zeit an der Magisterarbeit herumdoktort, hat man für so etwas natürlich relativ wenig Zeit. Kein Problem, Rettung ist natürlich zur Stelle und zusammen arbeiteten wir die Texte durch. Wieder einmal wurde mir dabei bewusst, warum ich mich damals für die Ur- und Frühgeschichte und nicht für die Germanistik entschieden habe. Ohne gewissen Einblick in das Ständesystem der damaligen Zeit ist es fast unmöglich, anständige Problemfragen zu den Ausschnitten zu entwickeln. Was blieb mir also übrig, außer in einem Japanisch-Deutschen Mix einen Geschichtsabriss über die Zeit zu vermitteln und dann die möglichen Problemfragen, inklusive ihrer Antworten, dabei herauszuarbeiten. Mittlerweile bin ich in diesem Punkt aber wirklich gut geworden. Und wenn ich etwas in den letzten Monaten hier gelernt habe ist es, wie ich anderen Menschen, die keine Ahnung von der Materie oder auch nur von der Sprache haben, etwas näher bringen kann, so dass sie es verstehen. Trotzdem führt das des Öfteren doch mal zu witzigen Situationen. So bekam mein zweiter Betreuer sich heute kaum noch vor Lachen ein, als er eine Lehrstunde zwischen Shimizu und mir verfolgte. Shimizu, der ein ausgesprochen audiovisueller Typ ist, und ich gingen nur kurz für eine seiner Hausaufgaben die Bedeutung einiger Gemütszustände durch. Wie könnte man das besser machen, als die Gemütszustände vorzumachen und nachdem er damit angefangen hatte, machte ich mit. Mein Betreuer wollte uns beide schon ans Fernsehen weiter vermitteln, so begeistert war er von unseren Erklärmethoden. Aber ich bin in dem Fall der Meinung, so lange es hilft, sind alle Mittel erlaubt.

Dass man seine Sprachkenntnisse auch anders verwenden könnte, zeigt ein anderes Beispiel heute. Beim alltäglichen Sichten des Schwarzen Brettes meiner Fakultät, blieb mein Auge sofort auf einem Flyer hängen, der dort nicht hingehörte. Im nicht hundertprozentig perfekten Englisch pries ein Deutscher seine Fähigkeiten als ruhiger und geduldiger Mensch an, der für einen kleinen Unkostenbeitrag von 15 Euro pro Stunde bereit wäre, den willigen Studenten die deutsche Sprache zu vermitteln. Zwar beherrsche er kein Japanisch, aber mit Englisch ginge das schon. Bei dem Werber handelt es sich um einen mir bekannten Deutschen, der erst vor zwei Monaten hier in Sendai angekommen ist. Auf der einen Seite muss ich seinen Geschäftssinn loben, Interessenten für ein derartiges Angebot wird er auf jeden Fall genug finden. Negative Punkte sehe ich dabei aber auch, die man aber meist erst schmerzhaft selber bemerken muss. Es ist natürlich schön, wenn man Englisch beherrscht, auch wenn es nicht bei 100 Prozent liegt. Aber hier in Japan bringt das einen beim Vermitteln von Sprache auch nicht viel weiter. Das fängt schon damit an, dass viele, die Deutsch lernen, im Englischen auch nicht so firm sind. In diesem Fall bleiben nur drei Optionen übrig: Entweder man erklärt die Problematik im einfachsten Deutsch, man holt das Japanisch hervor oder man bemüht einen Japanisch-Deutsch-Mix. Aber selbst dann kommt es immer noch zu einem ganz grundlegenden Problem: Japaner tendieren dazu, eine Sprache ganz anders zu lernen als wir. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie häufig ich nach Gründen für den Einsatz von verschiedenen Fällen oder anderen grammatischen Regeln gefragt wurde, wo ich einfach sagen würde, ich mache es nach Gefühl. Selbst Thomas, der nun seit mehreren Jahren Deutsch unterrichtet, steht des Öfteren vor der Problematik, dass er nach besonderen Grammatikstrukturen gefragt wird, die selbst ein Deutscher kaum wirklich erklären kann. Die Japaner versuchen halt eine Sprache erst von der Grammatik komplett zu durchschauen und dann die eigentlichen Worte zu lernen. Ob der deutsche Informatiker das nun unbedingt beherrscht, wage ich persönlich nicht zu beurteilen. Für mich war es aber der Grund zu sagen, dass ich nie Geld für Unterricht nehmen würde. Für 15 Euro pro Stunde, was in Japan für Unterricht schon verdammt viel ist (normalerweise sind es maximal 10 Euro), erwarte ich von einem Lehrer das er 100prozentig weiß, was er tut. Ich könnte das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren und deshalb habe ich auch ein Angebot von Thomas ausgeschlagen, einen seiner Sprachschulkurse zu übernehmen. Auf der anderen Seite ist es natürlich ein gutes Mittel, um Geld zu verdienen. Vorher sollte für einen Ausländer aber vermutlich erst einmal der andere Weg stehen, die einheimische Sprache zu meistern und dann mit deren Hilfe die eigene Sprache als Lehrer zu vermitteln. Auf der anderen Seite war Riekos Reaktion auf das Plakat göttlich. Ihre einzige Frage war, wie man für eine Sache, die normalerweise einfach Tandempartner kostenlos machen, so viel Geld verlangen kann? Bis auf die Professoren könnte doch niemand so etwas bezahlen. Ganz unrecht hat sie mit dieser Aussage vermutlich nicht.

Trotzdem muss ich sagen, besonders die Fähigkeit Deutsch zu beherrschen, ist eine sehr wertvolle in Japan. Die Sprache ist äußerst beliebt und aufgrund eines eklatanten Mangels an Deutschen findet man sehr leicht Sprachpartner. Diese Tandempartner, für die es hierzulande auch gute Vermittlungsstellen gibt, sind gleichzeitig das beste Mittel, das echte Japan kennen zu lernen. Mit ihnen was zu unternehmen, sich austauschen und einfach nur Spaß gemeinsam zu haben, ist mit das Beste, was man machen kann. Würde man nur unter den ausländischen Studenten hocken, würde man viel zu viel verpassen. Gerade da Japaner ziemlich scheu sind und normalerweise niemanden an sich heran lassen, sollte man diese Möglichkeit wirklich niemals ungenutzt lassen.

Ein Abschied mit Stil

Wie zelebriert man seinen Abschied aus Sendai richtig? Diese Frage geisterte wohl heute bei vielen ausländischen Studenten in den Köpfen herum. Schon einen Tag nach meiner Ankunft in Sendai hatte ich einen Pakistaner kennengelernt, der seinen Doktor an der Tohoku Universität absolvierte. Kazmi, so sein Name, ist ein sehr extrovertierter und offener Mensch, der alle Menschen, die er kennt, gleich zu seinen Freunden erklärt. Man könnte fast sagen, alle Menschen, die er in Facebook hat, sind seine Freude und das sind eine ganze Menge. Dieses Verhalten ist nebenbei absolut typisch für eine große Anzahl an Leuten, die hier gerade studieren. Die erste Frage, die man bei einem ersten Treffen an den Kopf geworfen bekommt, ist nicht etwa die nach dem Namen, sondern die, ob man einen Facebook Account besitzt. Kein Wunder also, dass einige frisch angemeldete nach wenigen Tagen schon 300 Menschen in ihrer Liste haben. Aber zurück zu Kazmi. Aufgrund seiner Art ist er auch auf jeder Willkommensparty dabei oder wenn irgendeine Reise organisiert wird, er ist meistens anzutreffen. Während im April die Studenten davon nicht so betroffen waren, da wir dank @home andere Kontakte hatten, stellt Kazmi für die diesjährigen Neuankömmlinge einen echten Fixpunkt dar. Das Problem an der Sache ist nur, seine fünf Jahre Doktorstudium sind vorbei und morgen heißt es für ihn, Sendai für die nächste Zeit zu verlassen. Wie begeht man so ein Ereignis nun am besten?

Natürlich mit einer Feier! Natürlich ist es undenkbar, dass dieses Ereignis mit einer ganz normalen Feier begangen werden könnte und deshalb legte sich Kazmi komplett ins Zeug. Er organisierte einen Auftritt einer afrikanischen Trommlerkombo, die nicht nur selber in ihrem Programm spielt, sondern auch den Zuschauern Trommeln zur Verfügung stellt und sie dadurch in den Auftritt einbindet. Als ob der Auftritt noch nicht genug wäre – nein, Kazmi dachte natürlich auch an seine alten Freunde und ließ sich ein ganz besonderen Leckerbissen für diese einfallen. Er organisierte eine Liveübertragung des Events per Livestream ins Internet, so dass jeder, der wollte, sich das Event anschauen konnte. Bei so einem Aufwand kommt einem natürlich als Student, der in vier Monaten auch das Land verlässt, automatisch die Frage, ob man auch auf die Idee gekommen wäre, so einen Aufwand zu betreiben, selbst wenn man fünf Jahre im Land gewesen ist? Die einstimmige Meinung der mit mir angekommenen war nein, aber trotzdem war es eine sehr lustige Veranstaltung. Die Trommler gaben alles und das Publikum hatte sichtlich Spaß. Nur als es auf einmal hieß, einen afrikanischen Tanz aufzuführen, regte sich gewisser Ungemach bei einigen der männlichen Anwesenden. Ansonsten kann man Kazmi nur gratulieren – es war ein von a bis z perfekt durchgeplantes und außergewöhnliches Event.

Zum Abschied gab es natürlich auch von uns etwas. Olga, die Kazmi in den letzten Wochen besonders in den Alltag in Sendai einführte, hatte schon vor Tagen den Plan gefasst, Kazmi kleine Briefe mit Nachrichten zu geben. Wenn das, wie von ihr geplant, aber jeder gemacht hätte, wäre das wohl bei über 100 Anwesenden doch etwas zu viel geworden. Von Katoh und mir gab es deshalb schon letzte Woche den sachten Hinweis, ob eine Fahne nicht doch besser geeignet wäre als Geschenk. Trotz kurzem Zögern entschied sie sich dafür und Katoh stellte sogar die Fahne zur Verfügung. Kazmi war absolut begeistert von der Idee, so dass er das Kästchen mit den kleinen Briefen, das Olga trotzdem noch für längere Nachrichten dazu gegeben hatte, gar nicht so wirklich für voll nahm. Nach Hinweis darauf kannte seine Freude aber kaum noch Grenzen und jeder der Anwesenden wurde von ihm persönlich nochmal umarmt und verabschiedet. So feiert man seinen Abschied auf jeden Fall mit Stil, das muss man ihm lassen!

Ich selber hätte das Event aber um ein Haar noch verpasst. Ich war in der Innenstadt, um einige Besorgungen zu machen, als ich Orsolya traf. Irgendwie kam es dadurch dann dazu, dass ich mit ihr durch die Geschäfte zog und ihr beim Einkauf half. Ich bleibe dabei, beim Einkauf mit Frauen benötigt man starke Nerven. Trotzdem wurde es in zwei Läden noch einmal sehr kurios. In dem ersten Laden handelte es sich bei dem Kuriosum um die Verkäufer. Da Orsolya sich aus der Sicht der Verkäufer nicht entscheiden konnte, gab es gleich vier Verkäufer, die sich nur um uns kümmerten. So gab es ein Handtuch mit dem Helm des Gründers der Stadt darauf. Und schon stürmte eine von ihnen los, um eine Postkarte mit den Gründer darauf zu besorgen, um uns zu erklären, wessen Helm darauf abgebildet war. Auch ansonsten musste man kein Wort sprechen. Jede Handlung führte dazu, dass einer der vier los stürmte, um eine Erklärung heranzuschaffen oder um uns Alternativen zum angefassten Stück auf den Tisch zu legen – ein interessanter Laden. Der zweite Laden dagegen war schon bei der Begrüßung sehr freundlich. Wer kennt die Zeichen an den Türen nicht, wo das Betreten des Ladens mit Essen in der Hand oder das Fotografieren verboten wird. Das Zeichen bei diesem Laden zeigte aber ein Hände haltendes Paar. Was der Besitzer den Käufern damit sagen wollte, war mir persönlich zu hoch. Im Laden selber bemühte man sich aber ziemlich um uns. Und vor allem ich, den man als Freund vermutete, wurde von der Verkäuferin immer wieder mit Details versorgt, in der Hoffnung, ich könnte Orsolya irgendwie überzeugen. Wirklich gebracht hat dieses Manöver aber nichts.

Dafür wurde mir ansonsten noch mein Spitzname verraten, den ich wohl in Sendai habe. Wir trafen eine bekannte Orsolyas, die ich noch nie in meinem Leben getroffen hatte. Sie bestand aber darauf, mich zu kennen. Als Begründung für diese Behauptung gab sie an, ich sei doch ?der Deutsche? und jeder würde den Deutschen kennen. Sehr gut zu wissen, dass ich im Alltagsgebrauch wohl einfach nur der Deutsche genannt werde. Besonders, da es mit Thomas ja noch jemanden gibt, auf den die Bezeichnung besser passen würde. Egal, was will man machen? Bin ich halt der Deutsche!