Bonenkai

Jahresendgelage ist eine wirklich nette Umschreibung, die meine Sprachdatenbank für den heutigen Event zu vergeben hatte. In einem Land, das Weihnachten kaum feiert, braucht man natürlich nicht davon ausgehen, dass man all zu viele Weihnachtsfeiern erleben wird. Mehr noch, Weihnachtsfeiern finden eigentlich nur für Ausländer statt, um ihnen einen Gefallen zu tun. Trotzdem ist der Jahreswechsel etwas Besonderes und so dürfte es keinen verwundern, dass man natürlich einen Grund zum Feiern findet. Um diesen Umständen Rechnung zu tragen, wurde heute kurzerhand im Büro eine Jahresabschlussparty gefeiert. Normalerweise erwarte ich auch eine derartige Übersetzung für den japanischen Titel dieser Feiern, aber irgendwie fand der Ersteller der Datenbank es günstiger, eine derartige Feier als Gelage oder Besäufnis zu titulieren. Das ist ein klares Kennzeichen, dass sich die Feiern auch nicht so von den herkömmlichen Weihnachtsfeiern in Deutschland unterscheiden.

Bevor wir aber mit den Vorbereitungen anfangen konnten, galt es erst einmal ein großes Problem aus der Welt zu schaffen. Heute war Abgabetermin von Riekos Magisterarbeit. Zwar hatten wir gestern alles fertig, aber kurzfristig ist ihr in der Nacht noch ein Fehler aufgefallen und die ganze Arbeit musste noch einmal überarbeitet werden. Trotzdem gelang es, die ganzen Arbeiten frühzeitig abzuschließen und die Arbeit mit einem gesunden Zeitpolster abzugeben. Damit ist das Thema zwar noch nicht endgültig abgeschlossen, denn für die deutsche Professorin muss noch ein Exzerpt über die Arbeit in Deutsch verfasst werden. Bis zu dem Abgabetermin fließt aber noch einiges Wasser die Elbe herunter und wir kümmern uns erst später darum. Erst einmal heißt es, die Freiheit zu genießen und ein paar Tage auszuspannen. Zur Feier der Abgabe hatte ich sogar noch eine kleine Flasche Wein besorgt und da auch noch ein paar andere Abgaben heute anstanden, stießen wir mit gutem Moselwein auf die Abgabe an.

Danach konnten wir endlich ernst machen. Kurzerhand wurden 8 Pizzen bestellt, mehrere Kuchen besorgt und dazu noch Süßigkeiten und Alkohol jeglicher bekannten Art. Den Alkohol hätte man sich aber sparen können, denn überraschenderweise blieben die meisten Besucher der Feier dem Alkohol fern. Meine bescheidenen Versuche die deutsche Professorin von den Vorteilen des guten polnischen Wodkas gegenüber dem Litschilikör zu überzeugen, war trotz einer beeindruckenden Unterstützung der Studentenschaft vergebens. Im Endeffekt kamen aber weniger Studenten als gedacht und drei Pizzen blieben übrig. Übrig? Das ist ein Wort, das Kazaoka, Shimizu und Reik gar nicht gerne hören. Kurzerhand wurden die übrig gebliebenen Pizzen unter uns aufgeteilt und wie es sich für verhungerte Studenten gehört, genüsslich verspeist. Insgesamt wurde es ein witziger Abend, auch wenn für meinen Geschmack im Japanischen zu oft mein Name viel. Wieso wundern sich zum Beispiel meine werten Mitstudenten, dass Kaori über mich ohne irgendwelche Ehrbegriffe wie kun oder san spricht. Erst mal sind wir Freunde und zweiten habe ich es ihr so erlaubt. Jetzt wäre ich nur noch dankbar, wenn dieses Ereignis auch mal in meinem Beisein auftreten würde. Wenn ich in der Nähe bin, heißt es immer Reik-kun. Auch ansonsten fiel mein Name ziemlich oft. Bloß auf einige Diskussionsrunden, zum Beispiel ob es Christbaum oder Weihnachtsbaum heißen sollte, hatte ich mich eigentlich nicht einlassen wollen. Aber egal, ich bin ja gerne in Diskussionen verstrickt. Einen eher ungewollten Erfolg habe ich übrigens an der Shimizufront zu verzeichnen. Heute hat er die offizielle Unterstützung seiner Professoren für einen Aufenthalt an der Uni Göttingen erhalten. Wegen der Terrorgefahr sei Berlin doch viel zu gefährlich und in Göttingen würde sich doch nie ein Terrorist hin verirren. Natürlich handelt es sich um pure Verleumdung. Göttingen ist für einen Anschlag prädestiniert. Wenn das Gänseliesel auf einmal weg ist, wird man schon sehen! Was wir endgültig machen, müssen wir noch sehen. Ich bleibe aber bei meiner Berlin Empfehlung.

Nachtschicht

Morgens um 2 in Sendai. Ganz Sendai schläft? Nein, eine Gruppe wackererer Studenten und wahrscheinlich eine riesige Gruppe besoffener Ausländer in Kokubuncho, hält sich wacker mit Kaffee im Büro der Deutschen Literatur bei Bewusstsein. Die Frage, die sich in dieser Situation stellt, ist: Wie konnte es dazu kommen? Früh ging es heute ins Büro für mich. Wichtige Dinge standen an und man möchte ja einiges schaffen. Sehr zu meiner Freude waren die wichtigsten Leute schon da und so konnte Shimizu mir helfen, meine japanischen Texte zu beenden. Auch den Adventskalender von heute konnten wir gemeinsam schnell lösen. Gut, die anderen fürchten uns jetzt ein wenig, aber was will man machen. Das heutige Rätsel beinhaltete Noten und da Shimizu und einer seiner Freunde meiner Lösung nicht trauten, wurde kurzerhand ein Midirekorder auf einem Rechner installiert und das Stück nachgespielt. Blöd nur, dass die Reihe eigentlich dem Urschrei von Tarzan nachempfunden war und sich der Ton dementsprechend schrecklich anhörte. Die verwirrten Gesichter hatten wir auf jeden Fall auf unserer Seite.

Nachdem der ganze Kram erledigt war, konnte ich mich endlich den wirklich wichtigen Dingen des Lebens widmen. Die Abgabe von Riekos Magisterarbeit findet morgen statt und es gab noch viel zu tun. Kurzerhand wurde von uns beiden ein Kriesenstab gegründet und die Arbeiten an der Arbeit beschleunigt. Dass ich trotz des Abgabetermins Rieko noch zwang, wenigstens eine Kleinigkeit zu essen, fand ein Professor übrigens verwerflich. Auf meine Erklärung, dass man ja auch mal essen muss, bekam ich nur die Antwort „aber der Abgabetermin“. Kein Problem, nur weil es ein Professor ist, muss er ja nicht recht haben und ich konterte, dass ein umfallender Student dem Büro auch nicht weiterhilft. Erst nach einigen Kontern hatte ich meine Ansicht durchgesetzt und uns wurde eine Abendbrotpause zugestanden. Japaner haben wirklich eine seltsame Einstellung zur Arbeit.

Ansonsten gingen die Arbeiten ziemlich gut voran. Er Vorteil von Arbeiten in Japan ist, dass sie nicht gebunden werden müssen. Vielmehr läuft es so ab, dass die Texte am oberen Rand gelocht werden und einfach zwischen einen Papphefter gebunden werden. Natürlich sieht das dann nicht so elegant aus, wie eine dick gebundene Arbeit in Deutschland, dafür kann man auch wirklich bis zur letzten Sekunde daran arbeiten. Genau so entwickelte sich aber auch der Tag für uns. Immer wieder gingen wir die Texte durch und fanden immer noch Fehler. Besonders an den Leerzeichen hatte Rieko bei der Arbeit sehr gespart. Aber auch ansonsten gab es Flüchtigkeitsfehler, die wir allesamt noch beheben mussten. Einer war zum Beispiel der Wechsel von deutschen und japanischen Worten in der Quellenangabe. Viele meiner Einwände wurden aber auch gekonnt als unwichtig von ihr verworfen. Ich meine, was ist so besonderes dabei zu fragen, ob es vorgeschriebene Schriftgrößen gibt oder Zitierregeln. Es ist nicht gerade praktisch, einfach die deutschen Regeln, die ich ihr gezeigt habe, eins zu eins ins Japanische zu übersetzen. Trotzdem gelang es uns irgendwie und um 2 Uhr stand die Arbeit. Man sollte aber nicht meinen, dass wir die einzigen Studenten im Büro waren. Bei weitem nicht und so saßen um 2 Uhr immer noch zwei Studenten dort herum, die so aussahen, als ob sie nicht so schnell Feierabend machen würden. Die Einstellung stimmt offensichtlich also wirklich. Was Japaner nicht am Tag schaffen, machen sie am Abend noch fertig. Dafür lenken sie sich am Tag aber auch viel mehr ab.

Interessanterweise habe ich auch das erste Mal heute eine lang erwartete Frage bekommen. Welche Blutgruppe habe ich? Tja, gute Frage, bis heute habe ich das nicht heraus bekommen. Hier in Japan erklärt man mit Blutgruppen den Charakter der Personen und O steht zum Beispiel für sehr chaotische und ungenaue Menschen. Da ich immer wieder auf gewisse Standards bestand, die doch in einer derartigen Arbeit einzuhalten sind, wurde deswegen halt über meine Blutgruppe diskutiert. Nebenbei ist ein anderes beliebtes Motiv für Blutgruppenfragen, heraus zu bekommen, ob man mit dem Gegenüber kompatibel ist. Zum Glück passte der Kontext für diese Frage aber nicht gut genug. Ich sollte es aber wirklich mal rausfinden, vielleicht habe ich dann ja eine gute Ausrede für meine schlechten Charaktereigenschaften. Käme mal auf einen Versuch an.

Wer hat den Schnee bestellt?

Jetzt ist es uns doch wirklich passiert! Lange haben wir es versucht zu verhindern und auf eine globale Erwärmung gehofft, aber heute war es dann doch soweit, der erste Schnee ist gefallen. Ist doch gar nicht so schlimm, wird der geneigte Leser im fernen Deutschland denken, der gerade mit dem Schlitten nach Hause fahren könnte und dadurch eventuell sicherer und schneller als mit dem Auto sein Ziel erreichen würde. Hier in Japan stellt das aber schon einige kleinere Probleme dar. Das größte dürfte der Hausbau hierzulande sein. In der Annahme, dass es hierzulande ja eh warm sei und ein etwaiger Kälteeinbruch eh nicht stattfinden wird, wurden die Häuser kaum isoliert und Heizungen gibt es schon mal gar nicht. Dementsprechend verzweifelte Gesichter sieht man momentan unter den Studenten. Nicht einmal die Büros sind gut geheizt. Das Endergebnis dieser Misswirtschaft kann man zum Beispiel in meinem Büro erkennen. Keine Heizung, dünne Wände und Kälteeinbruch? Da kaufen wir doch mal schnell für 800 Euro einen extra Raumheizer. So geschah es dann auch, da mein zweiter Betreuer es nicht mehr einsah, in Jacke und mit kleinem Heizstrahler an seinem Platz im Büro zu sitzen. Zur Bedienung des Teils braucht man zwar einen Doktor, aber solange es wärmt und nach einer Weile eh alles auf Automatik steht, ist das gar kein Problem.

Wir Studenten haben es da nicht so einfach, wobei man da noch drei Typen von Studenten unterscheiden muss. Da wäre erst einmal der Typ Student mit einer eigenen Wohnung, wie Shimizu oder Melanie. Heizer sind richtig teuer und Klimaanlagen sind in den Teilen auch meistens nicht zu finden. Shimizu lebt aus diesem Grund mittlerweile nur noch im Büro oder unter seinem Heiztisch. Eine geniale Erfindung nebenbei, die sich in Deutschland auch durchsetzen könnte. Ein tiefer Tisch, an dem man hocken kann, mit einer Tischdecke zum über die Beine werfen und einer eingebauten Heizung darunter. Laut eigenen Bekunden von Shimizu würde er an liebsten sogar unter dem Tisch schlafen. Für Melanie dagegen hat sich ihre Zweiraumwohnung auf ein Zimmer reduziert, da das zweite aufgrund der Kälte kaum noch nutzbar ist. Der zweite Typ von Student ist der Typ ?Internationales Haus?. Dieser bemitleidenswerte Typ hat zwar eine Gasheizung, die aber richtig teuer ist und sich oft nach zwei Stunden von alleine ausstellt. Dort ist gerade Weltuntergangsstimmung angesagt, wie man sich unschwer vorstellen kann. Böse Stimmen behaupten ja, dass die vielen Friedhöfe um das Internationale Haus die Bewohner beherbergen, die den Winter nicht geschafft haben. Daniel könnte als Überlebender dazu bestimmt genaueres sagen. Der dritte Typ sind die Sanjo-Bewohner. Wir sind die halbwegs glücklichen mit einer Klimaanlage mit Heizfunktion und relativ dichten Fenstern. Man verlässt zwar ungern sein Zimmer, das Leben für uns ist aber relativ angenehm. Trotzdem finde ich es interessant, dass die Japaner für das Verschlafen, weil man sich aufgrund der Kälte noch mal umgedreht hat, sogar einen eigenen Begriff haben. Offensichtlich scheint das Problem mit der Kälte also nicht nur auf uns begrenzt zu sein.

Die Kälte kann mich aber nicht davon abhalten, meinen täglichen Aufgaben nachzukommen. Neben der täglichen Hilfe für Rieko und Shimizu gab es heute aber nur viel zu lesen. Um so besser, dass abends eine gelungene Abwechslung auf mich wartete. Melanie hatte in den Irish Pub eingeladen. Nichts lieber als das und kurzerhand ging es durch das starke Schneegestöber in Richtung Innenstadt. Das Gute ist, dass Japaner ab dem ersten Schneekorn kaum noch ihre Räder nutzen und dadurch der Straßenverkehr ziemlich frei bleibt. Das Schöne an den Runden mit Melanie ist, dass in ihrem Freundeskreis auch ein paar interessante Personen sind. Komischerweise kann ich auch etwas mit dem Naturwissenschaftlergerede anfangen, da hat das Siemens wohl doch nachgewirkt und es wurde so ein sehr schöner Abend. Gleichzeitig erfuhr ich durch einen ihre Freunde etwas über meine Japanischlehrerin, mit der ich nicht so klar komme. Er hatte sie letztes Jahr und hat wegen ihr den Kurs gewechselt. Sie hat es wohl geschafft, dass letztes Jahr nur noch 3 von 20 Leuten zu den Kursen kamen. Mittlerweile ist sie bei uns ja auch schon auf dem richtigen Weg, denn mittlerweile haben sich unsere 20 auch schon auf 8 reduziert – die Tendenz ist fallend. Schön zu wissen, dass die leichte Abneigung nicht nur auf mich beschränkt ist.

Diskutieren an der Uni? Keine gute Idee!

Herr Shimizu, Herr Reik hat recht, gehen sie nach Göttingen für ihren Auslandsaufenthalt, da haben sie am meisten davon! Ich glaubte nicht richtig zu hören, als ich diese Aussage heute im Büro hörte und die anderen waren noch geschockter als ich. Die deutsche Professorin hat sich noch nie von ihrer Meinung abbringen lassen und die Tatsache, dass ich diskutiert habe und München als Standort für Shimizu offen attackiert habe, soll ein Umdenken bewirkt haben? Gut, mich überraschten auch noch andere Dinge: zum Beispiel dass ich mich gegen Göttingen und für Berlin ausgesprochen hatte und dass ich mal wieder mit Herr Reik angesprochen wurde. Wann lernen die Leute endlich, meinen Vornamen von meinem Nachnamen zu unterscheiden? So schwer ist das nun auch wieder nicht. Besonders überraschte aber die Aussage, dass sie die letzten Tage noch ein paar Mal über den Disput nachgedacht habe und dass Shimizu im Endeffekt eh auf mich hören wird. Letzteres mag zweifellos richtig sein, aber im Allgemeinen war das keine Diskussion, die noch Tage lang beschäftigen sollte. In Japan aber auf der anderen Seite vermutlich schon. Wie ich heraus bekommen habe, würde es hier niemand wagen, Personen mit höherem Ansehen zu widersprechen, selbst wenn diese damit leben können. Selbst mein oberster Prof widerspricht anderen Professoren nur im größten Notfall. Da war die Verteidigung des Nordens von Deutschland schon ein Großereignis. Als wir wieder alleine waren, kamen die anderen Studenten erst einmal zu mir, um sich bestätigen zu lassen, dass sie richtig gehört haben. Im Endeffekt muss ich die nächsten Tage mit Shimizu mal durchgehen, was er denn nun als Bewerbung schreibt. Immerhin hat er heute schon die höchste Ansprechform überhaupt verwendet: das Sama (Hochgeehrter), um sich meine Dienste zu sichern.

Eine andere Person, die sich meine Dienste gesichert hat, ist Rieko und ich muss sagen, ich bin froh, wenn sie ihre Arbeit endlich abgegeben hat. Ich saß heute nur bis 23.00 Uhr in der Uni, um mit ihr noch einmal die formellen Dinge ihrer Arbeit durchzugehen. Andere Studenten waren zwar auch da, aber ihr Wissen über die formelle Gestaltung einer Hausarbeit ließ auch sehr zu wünschen übrig. Aber jetzt mal ehrlich: Was ist so schwer daran zu verstehen, dass eine Überschrift nicht alleine auf einer Seite steht oder dass Bilder direkt mit den Quellenangaben versehen werden müssen. Sie machte teilweise Anfängerfehler, die normalerweise in Deutschland schon im ersten Semester beigebracht werden. So erfährt man zum Beispiel gleich am Anfang des Studiums, dass Wikipedia keine Quelle für eine Magisterarbeit darstellt. Bis nach Japan ist das aber noch nicht durchgedrungen. Trotzdem machen wir gute Fortschritte und die Arbeit ist schon bis auf Seite 71 vorgedrungen und braucht nur noch geringe Überarbeitungen. Gleichzeitig verlerne ich nicht alle Eigenschaften, wie man eine gute Arbeit schreibt. Schließlich muss ich es auch bald genug selbst wieder machen.

Selber machen musste ich heute aber auch einige Kurse. Ich helfe ja nicht nur anderen Menschen oder diskutiere mit ihnen. So gab es heute im Japanisch Kurs einen Crashkurs im Neujahrskarten schreiben. Als ich sah, wie groß der Haufen war, den meine Japanischlehrerin letztes Jahr erhielt, bin ich froh, nur ein armer kleiner Student hier zu sein. Knappe 50 Stück hatte sie erhalten, alle mit persönlicher Nachricht und meistens auch noch selbst gestaltet, zum Beispiel mit Bildern ihrer Kinder. Natürlich ist das Verfahren mit dem Karten schreiben zu Neujahr und Weihnachten auch in Deutschland verbreitet, so schlimm ist es bei uns aber nicht. Dafür kann man in Japan aber auch gleich etwas gewinnen und die Chance steigt, je mehr Karten man bekommt. Die übliche Neujahrskarte hat eine Losnummer aufgedruckt, mit der man eine Hawaii-Reise gewinnen kann. Je mehr Leuten man also Karten schickt, desto mehr bekommt man zurück und desto höher ist die Chance auf den Gewinn. Wie es aussieht, geht das System ziemlich gut auf und Mayumi berichtete mir gerade, dass sie sich einen ganzen Tag dafür nahm, um Karten zu schreiben. Zum Glück kenne ich die Adressen meiner Bekannten immer nicht, darum bin ich zu nichts verpflichtet. Vielleicht sollte ich aber eine Entschuldigungsneujahrskarte an die deutsche Professorin schicken. Die ist dann dafür, dass ich die Frechheit besaß, zu diskutieren und dass Shimizu auf jeden Fall nördlich des Weißwurstäquators leben wird.

Fleisch als Hochzeitsgrund, wo muss ich unterschreiben?

Die Mitte des Monats Dezember nähert sich unweigerlich, für den armen Studenten bedeutet dies gleich einen mehrfachen Einschnitt. Der offensichtlichste ist natürlich, dass das Wetter unweigerlich schlechter wird. 5 Grad Celsius und Dauerregen sind unschöne Bedingungen, um zur Uni zu fahren. Bei näherer Betrachtung ist aber im Endeffekt alles besser, als das Wetter in Deutschland momentan. Der andere Punkt, liegt in der Tatsache versteckt, dass Weihnachten vor der Tür steht und damit viele der Studenten aus Sendai verschwinden. Schon jetzt, mehr als eine Woche vorher, hat sich die Anzahl der Studenten schon merklich gelichtet und es wird immer schlimmer. Prominentestes Opfer ist Orsolya, die heute den Heimweg angetreten hat. Natürlich gibt es einen Ort, den man vor einer Heimfahrt unbedingt besuchen muss: das MafuMafu. Thomas hätte es ihr nicht verziehen, wenn sie vergessen hätte, auf Wiedersehen zu sagen. Aber auch ansonsten war der Besuch sehr lohnend. Nicht nur, dass es kostenloses Essen gab, da uns einige uns unbekannte Japanerinnen einluden, ich erfuhr auch einige Neuigkeiten. Die für mich interessanteste war zweifellos die Information, die Thomas über mein gewonnenes Fleisch eingeholt hat. Wie es aussieht, handelt es sich um eine Art Rindfleisch mit viel Fett durchzogen, was beim Kochen absolut weich wird. Europäern soll es wohl überhaupt nicht schmecken. An den leuchtenden Augen der sich an unserem Tisch befindlichen Japanerinnen konnte man etwas anderes ablesen. Um es mit Thomas Worten auszudrücken: Wenn ich das Fleisch einer Japanerin schenke, sollte es eine sein, an der ich Interesse habe, denn sie wird mich dafür heiraten oder wenigstens mit mir dafür ins Bett springen. Also ist es keine gute Idee, es Mayumi zu überlassen, aber vielleicht hat ja ihre jüngere Schwester Interesse?. Nein, aber ich bin auf jeden Fall froh, dass er mich gewarnt hat. Seinen Aussagen zufolge soll das Fleisch wohl einen Gegenwert von etwa 300 bis 400 Euro haben. Nichts also, was ich meinen Mitstudenten auftischen würde und sollte, geschweige denn, dass ich es eh nicht zubereiten könnte, wie es das verdient. Aber auch ansonsten war es ein sehr lustiger Abend. Nur Laura hat mich enttäuscht. Thomas versucht in letzter Zeit alles, um mich zu verkuppeln. Ich hätte ihn vermutlich nicht mit meinem Vater zu lange allein lassen sollen. Sein heutiger Versuch betraf Laura. Sie wollte ein Glas Wasser und wollte wissen, wie teuer es ist. Thomas Aussage, ein Kuss für Reik, war ihr dann leider zu teuer. Egal, einen Versuch war es wert.

Ansonsten verbrachte ich heute meine Zeit hauptsächlich mit im Regen baden gehen und mit Japanern über Forschungsregeln diskutieren. Ich helfe ihnen ja gerne beim Berichtigen ihrer Arbeiten, aber wissenschaftliches Arbeiten ist ihnen wohl wirklich ein Graus und macht die Sache für mich sehr anstrengend. Man sollte meinen, ein Magisterstudent ist in der Lage, Fußnoten anständig zu setzen, aber weit gefehlt. Niemand im Büro hat auch nur die geringste Ahnung, wie Fußnoten nun nach Standard der Tohoku-Universität auszusehen haben. Um ein Beispiel dafür anzugeben, hatten Rieko und ich eine längere Diskussion über die Angabe von Internetquellen. Dass eine einfache Angabe der Internetseite nicht reicht, war ihr vollkommen unbekannt und eine Endliteraturangabe hatte sie auch nicht vor zu schreiben. Gut, mein Problem ist es nicht, aber ich weiß nicht, wie die deutsche Professorin darüber denkt. Leider konnte uns nicht mal mein zweiter Betreuer in dieser Frage weiterhelfen und ihr Hauptprofessor befindet sich gerade nicht in der Uni. Perfekt also, um in drei Tagen die Arbeit abzugeben. Ich mag mich zwar gerne über die vielen Hausarbeiten in Göttingen aufregen, aber gelernt haben wir dafür wenigstens was. Ich glaube, selbst die schlechteste Bachelorarbeit bei uns in Göttingen, die eine Note erhalten hat, könnte sich mit den meisten hier erstellten Arbeiten messen. Kein Wunder also, dass Göttingen im Times-Ranking weit vor der Tohoku liegt. Wir sind zwar in allen Belangen schlechter als die Tohoku, aber Göttingen hat weit mehr Publikationen. Vermutlich bräuchte man eine Mischung aus beiden Universitätssystemen, um die perfekte Universität zu erzeugen.

Von Weihnachtsvorfreude und Veganern

10.000 Kilometer und immer noch die ewig gleichen Weihnachtslieder, man kann ihnen einfach nicht entkommen. Angeblich feiern wir in Japan ja Weihnachten nicht, die Vorweihnachtszeit verändert diese Behauptung aber kaum. Zwar fehlen Sachen wie Plätzchen, Glühwein und Stollen, in anderen Bereichen sind uns die Japaner aber weit voraus – in der Dekoration. Alex lebt jetzt mittlerweile schon fast zwei Monate in Sendai, hat aber noch kaum etwas von der Innenstadt gesehen, wenn ihn nicht durch Zufall jemand mitgeschleppt hat. Dieser Zustand konnte natürlich nicht anhalten und dementsprechend schleifte ich ihn heute raus in die Stadt und zeigte ihm die wichtigsten Geschäfte. In der Vorweihnachtszeit ist dieses Vorgehen eine wahrlich schlechte Idee. Zum einen sind die Straßen und Geschäfte an einem Sonntag natürlich hilflos von Menschen überrannt, zum anderen sind die Geschäfte komplett auf Weihnachten geeicht. Wenigstens habe ich jetzt verstanden, wo Frau Schemetowa ihre immer gleichen zwei Weihnachtslieder her hatte, die sie uns immer im Musikunterricht hat singen lassen: sie hatte eine japanische CD. Wenn man in zehn Geschäften den Song ?Last Christmas? hört, zweifelt man schon einmal kurz an der Musikauswahl eines Landes.

Trotz allem schafften wir es, einige Läden zu besuchen und Alex konnte sogar einige Weihnachtsgeschenke für die Familie ausfindig machen. In dem Moment meldete sich Orsolya bei mir. Sie war ebenfalls in der Stadt und wir beschlossen, gemeinsam los zu ziehen. Ein weise Entscheidung, wie uns kurze Zeit später auffiel. Ohne dass jemand von uns etwas davon wusste, hatte Laura heute Geburtstag. Die gute Frage ist, was bitte schenken? So ging die Sucherei los. Relativ schnell wurde klar, dass das beste Mittel noch ein Kuchen sein wird. Leichter gesagt als getan, denn der Kuchen hat in Japan eine andere Bedeutung als in Deutschland. Nur ein paar kleine Bäckereien verkaufen ihn und dann zu absolut überzogenen Preisen. In der Weihnachtszeit wird das Ganze aber noch viel schlimmer. Weihnachten wird an sich ja kaum gefeiert und wenn, dann wird es als Fest der Verliebten angesehen. Ein traditionelles Essen gibt es dann aber doch sogar hierzulande. Da das Fest hierzulande sehr von den amerikanischen Filmen geprägt ist, isst man am 24.12. ebenfalls eine Kleinigkeit gemeinsam. Fleisch ist für solche Gelegenheit aber viel zu teuer, also haben die Japaner ihre eigene Tradition erfunden: den Weihnachtskuchen. Das ist normaler Kuchen, einfach nur mit Sahne überzogen und in den Farben rot und weiß versehen. Er wird überall angeboten. An sich ist das ja eine schöne Sache, wenn die normalen Kuchenpreise von etwa 10 Euro für einen derartigen Kuchen dann nicht gleich mal auf das drei- bis vierfache angehoben werden würden. Vierzig Euro für einen Kuchen, der ohne Weihnachten eventuell 10 kosten würde, ist schon ziemlich hart, geschweige denn, dass der Durchmesser maximal 10 cm umfasst. Um nicht zu zeigen, dass man die Preise so hoch angehoben hat, wird in den meisten Bäckereien im Dezember kurzerhand der normale Kuchen aus dem Regal entfernt und dementsprechend war für uns heute Suchen angesagt. Nach einiger Zeit konnten wir dies zwar erfolgreich beenden, Weihnachtskuchen kann ich trotzdem erst mal nicht mehr sehen.

Nach der nervigen Suche hieß es essen fassen. Mit einem Veganer in der Gruppe ist das in Japan ein absolut leichtes Unterfangen – oder auch nicht. Schon das Wort Vegetarier schreckt viele Restaurants ab, so dass sie bitten, doch ein anderes aufzusuchen, bei Veganer war es noch schlimmer. Bis wir ein Restaurant gefunden hatten, das Udon ohne Fischbrühe herstellt, verging schon eine Zeit. Veganer könnte ich aber wirklich nicht werden. Nicht nur, dass ich Eier und Milch liebe, aber bei normalen Gebrauchsgegenständen könnte ich nie auf einen veganen Zustand achten. Unter anderem kaufte Alex einen Pinsel nicht, da er mit Tierhaaaren versehen war und damit nicht nutzbar. Ich respektiere da zwar seine Meinung, so einen Aufwand könnte ich für so etwas aber nie betreiben. Anschließend ging es noch einmal über den Peagant of Light – es war wieder genau so beeindruckend wie gestern. Zum Abschluss wollte Orsolya unbedingt noch eine Revanche für ihre Niederlage gestern, die (wie erwartet) in einer erneuten Niederlage endete. Es war ein lustiger Tag in der Stadt, auch wenn das Veganerleben uns den Tag ungemein erschwert hat. Laura hätte ich zwar gerne etwas anderes als Kuchen geschenkt, sie war aber überrascht genug, dass wir überhaupt von ihrem Geburtstag wussten. Wer könnte den verraten haben? Ich meine, es ist ja nicht so, als ob ich bei so etwas immer bestens informiert wäre.

Es werde Licht!

Woran erkennt man, dass es dem Land beziehungsweise der eigenen Heimatstadt noch zu gut geht? Es gibt noch genug Geld, um die ganze Stadt zu beleuchten. Wie schon mehrmals angedeutet, war es endlich so weit, das Pageant of light hat angefangen. Dieses Fest, was Ende der achtziger Jahre in Sendai ihren Anfang nahm, sollte die Tristesse des Dezembers besiegen und dementsprechend hingen einige Freiwillige Lampen auf. Mittlerweile ist die Anzahl der Lampen und der Freiwilligen etwas größer geworden und die ganze Stadt ist taghell. Kein Wunder also, dass es sich bei dem um einen großen Touristenmagneten handelt. Einem Touristenmagneten kann ich mich natürlich auch nicht entziehen und dementsprechend ging es heute zur Besichtigung in die Innenstadt.

Erst einmal wurde das MafuMafu aufgesucht und Thomas begrüßt. Das MafuMafu hat ebenfalls einen Stand auf dem Markt, wobei die Geschäfte bei allen Ständen noch nicht so laufen, wie man sich das vorgestellt hatte. Trotzdem taten wir uns zusammen und ich gab mein Bestes, ebenfalls ein paar Gäste zu rekrutieren. In dem Moment tauchten dann auch Kanayo und Orsolya auf. Endlich jemand, mit dem ich das Fest besichtigen konnte. Was soll ich sagen? Die Japaner haben eindeutig zu viel Geld! Aber im Verhältnis gefällt mir das Fest um einiges besser, als die Weihnachtsmärkte in Deutschland. Die Beleuchtung ist ziemlich beeindruckend und in einem Teil des Rathauses wurden sogar die Fenster verwendet, um eine Weihnachtsnachricht zu übermitteln. Passenderweise war ich aber auch gerade richtig gekommen, denn ein riesiger Chor und ein japanischer Sänger waren gerade bei einem TV-Liveauftritt. Gesungen wurde ?Freude schöner Götterfunken? auf Japanisch. Auf Japanisch hört sich das Ganze zwar etwas kurios an, dank des Chors war es aber ziemlich gut. Thomas und ich nutzten diese Gelegenheit gleich, um die echte Version vorzutragen. Ob uns das Gäste gebracht oder gekostet hat, vermag ich zwar nicht zu sagen, aber prinzipiell würde ich einfach mal von letzterem ausgehen.

Beim Durchstreifen des Geländes traf ich dann durch Zufall auf Melanie. Ehrlich, die Stadt ist auch nur ein Dorf und man kennt immer jemanden. Da ich sie seit unserem Bergabenteuer nicht mehr getroffen hatte, setzte ich mich von den Anderen etwas ab und unterhielt mich mit Melanie. Ein großer Fehler, denn in meiner Abwesenheit entschieden sie sich dazu, doch eine Runde Schlittschuh laufen zu gehen. Mir blieb nichts anderes übrig, als auch teilzunehmen. Gar kein leichtes Unterfangen, denn selbst die größte Größe Schuhe konnte ich nur mit größter Not anziehen. Von der Länge ging es sogar fast, aber von der Breite hatte ich einen echten Kampf zu bestehen, um hinein zu gelangen. Auf dem Eis spielte ich dann mit Orsolya den Lehrmeister für Kanayo. Mehr hätte ich mit den Schuhen eh nicht hin bekommen. König des Eises war aber Katoh. Unser alter Inlinegott ist natürlich super begabt auf dem Eis und zeigte uns einige seiner Ticks, soweit das möglich war. Das Eis war in einem sehr schlechten Zustand und viel zu viele Menschen waren darauf, was das Fahren etwas einschränkte.

Anschließend an das eisige Vergnügen gingen wir noch sehr gut Essen. Mit einem Japaner, der die Karte hundert prozentig lesen kann, ist das Essen gehen wirklich etwas einfacher. Auf dem Weg zu den Rädern wollte Orsolya dann noch einmal in einem Autorennen verlieren, so dass wir eine Spielhölle aufsuchten und ich den beiden zeigte, wie wir Deutschen Auto fahren. Ich hatte schließlich einen guten Lehrmeister. Laut Orsolya war aber die Konsole defekt. Natürlich! Wenn sie gesagt hätte, sie hat mich gewinnen lassen, hätte ich das ja noch verstanden, aber so eine Ausrede – nein, die war nicht gut genug!

Wie alt bin ich?

1982 ist Rieko geboren? Ich wollte meinen Augen nicht trauen, als ich heute Riekos Studentenausweis sah. Zugegeben, das Alter seiner Mitmenschen zu schätzen ist hierzulande aber auch schon ziemlich schwer. Asiaten sehen wirklich allesamt jünger aus als Europäer. Im Vergleich zu meinen Mitstudenten sehe ich aus wie ein alter Großvater und das soll etwas heißen, werde ich in Deutschland doch immer als wesentlich jünger eingeschätzt. Hier in Japan gilt aber eine andere Philosophie. Möchte man das Alter von jemandem herausfinden, schätzt man das Alter desjenigen nach europäischem Standard ein und rechnet dann noch einmal 5 Jahre drauf. Nichts einfacher als das, wäre da nicht die beliebte Frage aller Frauen, ?Wie alt schätzt du mich denn??. Eine grausame Frage in Deutschland, noch grausamer aber in Japan, wo die Leute bewusst jung und kindlich aussehen wollen.

Den Tag dagegen verbrachte ich in meiner üblichen Manier im Büro. Schon bei meiner Ankunft winkte mich mein Dozent heran, doch schneller zu gehen, Shimizu nervt die Leute mit dem Adventsquiz und ich soll es doch bitte endlich lösen. Nichts leichter als das, aber im Raum erwartete mich ein göttliches Bild. Zwei PCs, mehrere Ausdrucke mit der Frage und mehrere Studenten mussten Shimizu helfen und sahen keinen grünen Zweig. Ich habe ja langsam das Gefühl, der Gute übertreibt es etwas, aber da muss ich mich irren.

Danach konnte es aber zu wichtigen Dingen des Lebens kommen. Ich habe eine neue Gesprächspartnerin. Gestern rief David an und fragte, ob ich seiner Brieffreundin einen Fragebogen ausfüllen könne, bei dem es einige Fragen über Deutschland zu beantworten gilt. Nichts leichter als das, bei Fragebögen helfe ich doch immer sehr gerne aus. Wer weiß denn auch, wann ich mal wieder welche benötige. Kurz nach Mitternacht kam dann die Mail der Japanerin im besten Japanisch. Nach langer Übersetzung war der Sinn endlich verstanden und die Behauptung mit dem Fragebogen widerlegt. Die junge Dame will mich ebenfalls als Brieffreund, da sie nach der Uni eventuell in Deutschland arbeiten will. So hatten wir zwar nicht gewettet, aber nichts leichter als das. Jeder Japaner, den ich aufhalten kann nach Bayern zu gehen, ist eine sehr gute Tat. Aus diesem Grund gab ich 6 heute anwesenden Japanern übrigens auch einen Vortrag über den Freistaat Bayern und seine Zugehörigkeit zu Deutschland. Die Zuhörer scheinen es auf jeden Fall verstanden zu haben und die deutsche Professorin war weit entfernt. Auf jeden Fall stand ich jetzt vor dem Problem, wie ich am besten eine Antwort verfasse. Aber wozu habe ich einen Tutor? Shimizu hat gut von mir gelernt und ohne groß zu fragen, dachte er sich eine eigene witzige und freche Antwort aus, die ihr aber gleichzeitig weiter half. Irgendwie war es aber zu sehr Shimizus Stil und ich hätte den Text wohl nie so verfasst, was die anderen schon scherzhaft feststellten. Wir hatten sogar schon überlegt, ob wir ihr einfach seine Telefonnummer geben, damit sie mit ihm sprechen kann, schließlich sprechen sie die gleiche Sprache. Nach dieser Feststellung fing unser Betreuer an uns zu fragen, ob wir sicher sind, nicht mit einander verwandt zu sein. Ob unser zweiter Vorname etwa der des jeweilig anderen sei. Jetzt schreiben wir schon unter dem jeweils anderen Pseudonym und ergänzen uns viel zu sehr. Lustig war es alle Mal. Dann habe ich Shimizu auch noch richtig auf japanisch beleidigt. Er hörte partout nicht auf mich, was ich ja verstehen kann und in kürzester Zeit schaffte er es, den kompletten Text zu löschen. Mein lang gezogenes Baka (Japanisch für Dummkopf) fand sogleich Beifall der restlichen Anwesenden, die mir allesamt erklärten, wie realistisch der Ausspruch klang. Auf jeden Fall haben wir ihr geantwortet und ich habe eine neue Konversationspartnerin. Wieso nicht, ich kann schon ein wenig erzählen.

Anschließend betrat Rieko noch das Büro. Kurz bevor ich los wollte fiel ihr ein, dass sie noch unbedingt Hilfe beim Scannen benötigt. Ich wollte zwar gerade los, um mit den anderen Pizza zu verspeisen, aber einer Dame in Not musste ich unbedingt helfen. Dementsprechend verbrachten wir die Zeit bis 22 Uhr noch damit, ihre Magisterarbeit zu überarbeiten. Nach dieser Nachtschicht wollten wir nur raus aus dem Gebäude. Kurzerhand ging es eine Runde Ramen essen und anschließend in Richtung Heimat. Rieko ist aber immer freundlich, da helfe ich sowieso gerne.

Reiks Tutor oder Reik, der Tutor?

Wie war das nochmal?: „Ich werde nie Lehrer, denn ich will nicht vor desinteressierten Schülern stehen und versuchen, denen irgend etwas beizubringen!“ Wenn das so weitergeht wie bisher, kann ich wirklich bald einen solchen Job antreten. Erfahrungen kann ich mittlerweile genug als Referenz vorweisen. Das normale Unterrichten mache ich ja schon seit ewigen Zeiten, das ist ja bekannt. Egal ob Mayumi, Shimizu, Tetsu oder andere, die Sprache zu vermitteln ist an sich nicht das große Problem. Aber heute kamen das erste Mal die anderen Aufgaben eines Lehrers zu meinem Beschäftigungsfeld hinzu. Ich saß ganz gemütlich im Büro und arbeitete nichts Böses ahnend an meinen Büchern, als die deutsche Professorin auf einmal das Büro betrat. Dabei hatte sie einen von einer Studentin geschriebenen Artikel, den sie nicht lesen konnte. Kurzerhand wurde der Studentin der Artikel vorgelegt und sie durfte die Worte deuten. Natürlich wäre es ohne weiteres möglich gewesen, jetzt einfach nur die Fehler anzustreichen, aber das wäre ja viel zu einfach gewesen. Nein, die Professorin versuchte verzweifelt, die richtigen Worte zu finden und da kam ich ins Spiel. Ich wurde kurzerhand in den Satzfindungsprozess mit einbezogen. Gar kein so leichtes Unterfangen, hatte die Studentin doch einen wunderschönen Schachtelsatz über die halbe Seite geschrieben. Da stand ich nun mit der Aufgabe da, den Satz zu teilen, die Worte möglichst beizubehalten und dann noch die kritischen Worte der Professorin ertragen, so habe ich mir meinen Nachmittag vorgestellt. Dazu bestand die Professorin darauf, einige Formulierungen, die so im Deutschen nie verwendet werden würden, aber angeblich einen höheren Sinn hätten, weiterhin zu verwenden. Na egal, solange sie sich noch einreden kann, die Studenten würden etwas bei den Artikeln mit Bewusstsein schreiben, soll es mir recht sein. Ich dagegen sehe täglich, wie sie einfach nur Formulierungen aus ihren Sprachdatenbanken kopieren. Es war ein grausames Unterfangen, aber es klappte irgendwie. Ich bekam sogar ein ?Lob?, dass ich ja trotz der Tatsache, dass ich kein Germanist bin, eine Art Sprachgefühl entwickelt hätte. Danke auch, es ist ja nicht so, als ob die Historiker so etwas nicht brauchen würden! Mir war deshalb nicht ganz klar, ob man eben meine ganze Zunft beleidigt hat oder es ein echtes Kompliment darstellte. Persönlich bin ich aber nur froh, dass Shimizu mir seine Texte immer rechtzeitig in die Hand drückt und ich deshalb vorher schon derartige Fälle verhindern kann.

Für das ?Kompliment? konterte ich aber kurze Zeit später gleich wieder. Die Professorin versuchte Shimizu davon zu überzeugen, für einen Auslandssprachkurs nach München zu gehen. Erst einmal lasse ich mir nicht gerne in meine Konvertierungsversuche herein reden und auf der anderen Seite soll der Junge nach Deutschland und nicht in den Freistaat. Kurzerhand ging eine Diskussion über die Vor- und Nachteile verschiedener Standorte los, die besonders Shimizu amüsierten. Ich meine, was ist es für ein Argument, das München bevorzugt, weil man schnell Venedig erreichen kann. Shimizu will gut und günstig leben und viel von Deutschland sehen und nicht Venedig. Alles im allem stellte dieser Versuch aber kein Problem für mich dar. Mit allem was mir zur Verfügung stand, verteidigte ich das Gebiet nördlich des Weißwurstäquators und besonders meine beiden Heimatstädte. Mal schauen, wer sich am Ende durchsetzt. Bisher sieht es aber gut aus, dass er auf die richtigen Argumente hört und etwas nördlicher bleibt.

So kann man also auch seinen Tag verbringen. Die Studentin hat von der Professorin den Auftrag bekommen, noch ein paar Sätze zu schreiben und diesmal gleich zu mir zu kommen. Und Shimizu hat auch den Hinweis erhalten, dass sein Tutoriumspartner ihm bei seiner Bewerbung helfen kann. Gut, dass der davon so viel weiß. Ich frage mich echt langsam, ob – wenn das so weiter geht-, nicht bald einmal ein Gehalt angemessen wäre. Immerhin mache ich momentan einige Jobs der Professoren mit.

Die Uni – der Familienersatz

Wer kennt die Situation in Deutschland nicht? Die Temperaturen gehen das erste Mal unter die magische Grenze von zwanzig Grad und die ersten nicht kälteresistenten Menschen holen die Winterausrüstung hervor und alle fluchen auf die Kälte und wünschen sich den Sommer zurück. Ein internationales Phänomen? Offensichtlich nicht, wie mir Japan heute eindrucksvoll bewiesen hat. Ich bin einfach nur ein wenig durch die Stadt gegangen und an jeder Ecke waren kurze Röcke zu sehen. An sich bei der japanischen Mode kein so unbekanntes Bild, sind Röcke bei Frauen hierzulande ja das Bekleidungsstück Nummer eins und die Schuluniformen der japanischen Schülerinnen schreiben sogar Röcke vor, wäre da nicht ein winziges Detail. Heute handelte es sich um den kältesten Tag des Jahres bisher. Aufhalten kann das die modeverrückten Japanerinnen trotzdem nicht. Bei den Modedamen verstehe ich das Phänomen ja noch. Denen geht es ums Auffallen und aufreizend Aussehen und da muss man schon einmal leiden. Bei den Schülerinnen finde ich die Entscheidung für Beinfreiheit dann schon fragwürdiger. Ich meine, wenigstens Strumpfhosen wären da schon drin, aber es gab wirklich kaum jemanden, der dies für notwendig hielt. Zwar hatten alle dicke Schals um und zum Großteil noch riesige Ohrenwärmer, aber die Beine können ruhig kalt werden. Natürlich gibt es eine Gruppe von Menschen, die diese Entscheidung überhaupt nicht stört: die Männer. Egal ob Japaner oder Ausländer, andauernd konnte man die auf die Röcke fixierten Blicke und anzüglichen Kommentare über die Modeerscheinung vernehmen. Da gab es wohl kaum einen, der sich darüber beschwert hätte, aber man muss schon Anerkennung zollen. Ich bin bekanntlich niemand, der schnell friert, aber selbst ich fand das grenzwertig.

Dafür kann man feststellen, dass die Japaner für das Weihnachtsfest ziemlich aufgerüstet haben, obwohl sie das Fest angeblich nicht feiern. Die Läden bersten vor Weihnachtsdekoration und Adventsausrüstung. Besonders die Mode ist davon betroffen. Wer all die Weihnachtsmann-, Rentier- und Engelskostüme kaufen soll, ist mir echt schleierhaft. Es muss aber offensichtlich einen Markt dafür geben, sonst würde nicht jeder Laden auf die Schiene aufspringen. Auch die Menschen sind offensichtlich in Kauflaune geraten und die Innenstadt ist momentan überfüllt. Es macht schon gar keinen Spaß mehr durch die Stadt zu laufen, weil man nur noch aufpassen muss, wohin man läuft. Besonders deutlich wird das, wenn der Japaner wieder mal extremst langsam läuft, um noch ein wenig auf den Minirock der jungen Japanerin vor sich zu schauen. Dafür ist das Beleuchtungsfest in Sendai fast fertig. Immer mehr Straßen erleuchten in den hellsten Farben und in ein paar Tagen gibt es auf dem Markt ein großes Fest. das dauert dann bis zum 28.12.. Zum Glück muss ich aber nicht so häufig durch die Innenstadt und der heutige Besuch war eigentlich auch mehr eine Flucht aus dem Büro, als eine gewollte Shoppingaktion.

Eigentlich wollte ich mit Shimizu, der immer süchtiger nach dem Internet-Adventskalender wird, die heutige Kalenderfrage nur kurz erörtern. Wie sich herausgestellt hat, ist das das perfekte Mittel, um ihm deutsche Grammatik beizubringen. Normalerweise ist es ziemlich schwierig, ihn zum Lesen von Büchern zu motivieren. Das ist aber auch nicht wirklich verwunderlich bei dem Kinderbuchkram, der den Studenten so vorgelegt wird. Der Kalender reizt ihn aber so, dass er sich bereitwillig durch die Grammatik der wirklich schwer gestellten Fragen quält. Wir waren aber gerade fertig und ich wollte mich wieder meinen Studien widmen, als plötzlich der Raum verdunkelt wurde. Was ist das schon wieder für ein schlechter Scherz, war mein erster Gedanke, bis ich Professor Morimoto sah. Wie sich herausstellte, hatte er einen neuen Film gekauft und wollte ihn jetzt ausprobieren. Da ihm für den Samuraifilm ein normaler Fernseher nicht gut genug vorkam, beschloss er anders zu verfahren. Was also lag näher, als das Büro der Studenten mit dessen Beamer und Audiosystem zu nutzen? Kurzerhand zog er also mit einer Tüte Chips bei uns im Büro ein und schaute mit uns seine neueste Anschaffung. Wer hat so etwas bitte schon mal in Deutschland erlebt? Man stelle sich das Bild vor, wenn ein oberster Professor, wie Herr Willroth, auf einmal zu den Studenten mit einer Tüte Chips gehen würde und einen Film schauen will und das noch an einem normalen Unitag. Das Ganze passt aber in das japanische Arbeitssystem. Die Firma ist der Familienersatz. Alle sind eine große Familie. Der Boss zeigt sich von Zeit zu Zeit mal gönnerhaft und die Arbeitnehmer vergöttern ihn dann dafür. Unter Ausnutzung dieser Gemeinschaftsgefühle versucht man hierzulande, noch ein paar Prozent Leistungssteigerung aus den Arbeitnehmern heraus zu kitzeln und schon an der Uni fängt dieses Verfahren an.