Jetzt ist es uns doch wirklich passiert! Lange haben wir es versucht zu verhindern und auf eine globale Erwärmung gehofft, aber heute war es dann doch soweit, der erste Schnee ist gefallen. Ist doch gar nicht so schlimm, wird der geneigte Leser im fernen Deutschland denken, der gerade mit dem Schlitten nach Hause fahren könnte und dadurch eventuell sicherer und schneller als mit dem Auto sein Ziel erreichen würde. Hier in Japan stellt das aber schon einige kleinere Probleme dar. Das größte dürfte der Hausbau hierzulande sein. In der Annahme, dass es hierzulande ja eh warm sei und ein etwaiger Kälteeinbruch eh nicht stattfinden wird, wurden die Häuser kaum isoliert und Heizungen gibt es schon mal gar nicht. Dementsprechend verzweifelte Gesichter sieht man momentan unter den Studenten. Nicht einmal die Büros sind gut geheizt. Das Endergebnis dieser Misswirtschaft kann man zum Beispiel in meinem Büro erkennen. Keine Heizung, dünne Wände und Kälteeinbruch? Da kaufen wir doch mal schnell für 800 Euro einen extra Raumheizer. So geschah es dann auch, da mein zweiter Betreuer es nicht mehr einsah, in Jacke und mit kleinem Heizstrahler an seinem Platz im Büro zu sitzen. Zur Bedienung des Teils braucht man zwar einen Doktor, aber solange es wärmt und nach einer Weile eh alles auf Automatik steht, ist das gar kein Problem.
Wir Studenten haben es da nicht so einfach, wobei man da noch drei Typen von Studenten unterscheiden muss. Da wäre erst einmal der Typ Student mit einer eigenen Wohnung, wie Shimizu oder Melanie. Heizer sind richtig teuer und Klimaanlagen sind in den Teilen auch meistens nicht zu finden. Shimizu lebt aus diesem Grund mittlerweile nur noch im Büro oder unter seinem Heiztisch. Eine geniale Erfindung nebenbei, die sich in Deutschland auch durchsetzen könnte. Ein tiefer Tisch, an dem man hocken kann, mit einer Tischdecke zum über die Beine werfen und einer eingebauten Heizung darunter. Laut eigenen Bekunden von Shimizu würde er an liebsten sogar unter dem Tisch schlafen. Für Melanie dagegen hat sich ihre Zweiraumwohnung auf ein Zimmer reduziert, da das zweite aufgrund der Kälte kaum noch nutzbar ist. Der zweite Typ von Student ist der Typ ?Internationales Haus?. Dieser bemitleidenswerte Typ hat zwar eine Gasheizung, die aber richtig teuer ist und sich oft nach zwei Stunden von alleine ausstellt. Dort ist gerade Weltuntergangsstimmung angesagt, wie man sich unschwer vorstellen kann. Böse Stimmen behaupten ja, dass die vielen Friedhöfe um das Internationale Haus die Bewohner beherbergen, die den Winter nicht geschafft haben. Daniel könnte als Überlebender dazu bestimmt genaueres sagen. Der dritte Typ sind die Sanjo-Bewohner. Wir sind die halbwegs glücklichen mit einer Klimaanlage mit Heizfunktion und relativ dichten Fenstern. Man verlässt zwar ungern sein Zimmer, das Leben für uns ist aber relativ angenehm. Trotzdem finde ich es interessant, dass die Japaner für das Verschlafen, weil man sich aufgrund der Kälte noch mal umgedreht hat, sogar einen eigenen Begriff haben. Offensichtlich scheint das Problem mit der Kälte also nicht nur auf uns begrenzt zu sein.
Die Kälte kann mich aber nicht davon abhalten, meinen täglichen Aufgaben nachzukommen. Neben der täglichen Hilfe für Rieko und Shimizu gab es heute aber nur viel zu lesen. Um so besser, dass abends eine gelungene Abwechslung auf mich wartete. Melanie hatte in den Irish Pub eingeladen. Nichts lieber als das und kurzerhand ging es durch das starke Schneegestöber in Richtung Innenstadt. Das Gute ist, dass Japaner ab dem ersten Schneekorn kaum noch ihre Räder nutzen und dadurch der Straßenverkehr ziemlich frei bleibt. Das Schöne an den Runden mit Melanie ist, dass in ihrem Freundeskreis auch ein paar interessante Personen sind. Komischerweise kann ich auch etwas mit dem Naturwissenschaftlergerede anfangen, da hat das Siemens wohl doch nachgewirkt und es wurde so ein sehr schöner Abend. Gleichzeitig erfuhr ich durch einen ihre Freunde etwas über meine Japanischlehrerin, mit der ich nicht so klar komme. Er hatte sie letztes Jahr und hat wegen ihr den Kurs gewechselt. Sie hat es wohl geschafft, dass letztes Jahr nur noch 3 von 20 Leuten zu den Kursen kamen. Mittlerweile ist sie bei uns ja auch schon auf dem richtigen Weg, denn mittlerweile haben sich unsere 20 auch schon auf 8 reduziert – die Tendenz ist fallend. Schön zu wissen, dass die leichte Abneigung nicht nur auf mich beschränkt ist.