Nachtschicht

Morgens um 2 in Sendai. Ganz Sendai schläft? Nein, eine Gruppe wackererer Studenten und wahrscheinlich eine riesige Gruppe besoffener Ausländer in Kokubuncho, hält sich wacker mit Kaffee im Büro der Deutschen Literatur bei Bewusstsein. Die Frage, die sich in dieser Situation stellt, ist: Wie konnte es dazu kommen? Früh ging es heute ins Büro für mich. Wichtige Dinge standen an und man möchte ja einiges schaffen. Sehr zu meiner Freude waren die wichtigsten Leute schon da und so konnte Shimizu mir helfen, meine japanischen Texte zu beenden. Auch den Adventskalender von heute konnten wir gemeinsam schnell lösen. Gut, die anderen fürchten uns jetzt ein wenig, aber was will man machen. Das heutige Rätsel beinhaltete Noten und da Shimizu und einer seiner Freunde meiner Lösung nicht trauten, wurde kurzerhand ein Midirekorder auf einem Rechner installiert und das Stück nachgespielt. Blöd nur, dass die Reihe eigentlich dem Urschrei von Tarzan nachempfunden war und sich der Ton dementsprechend schrecklich anhörte. Die verwirrten Gesichter hatten wir auf jeden Fall auf unserer Seite.

Nachdem der ganze Kram erledigt war, konnte ich mich endlich den wirklich wichtigen Dingen des Lebens widmen. Die Abgabe von Riekos Magisterarbeit findet morgen statt und es gab noch viel zu tun. Kurzerhand wurde von uns beiden ein Kriesenstab gegründet und die Arbeiten an der Arbeit beschleunigt. Dass ich trotz des Abgabetermins Rieko noch zwang, wenigstens eine Kleinigkeit zu essen, fand ein Professor übrigens verwerflich. Auf meine Erklärung, dass man ja auch mal essen muss, bekam ich nur die Antwort „aber der Abgabetermin“. Kein Problem, nur weil es ein Professor ist, muss er ja nicht recht haben und ich konterte, dass ein umfallender Student dem Büro auch nicht weiterhilft. Erst nach einigen Kontern hatte ich meine Ansicht durchgesetzt und uns wurde eine Abendbrotpause zugestanden. Japaner haben wirklich eine seltsame Einstellung zur Arbeit.

Ansonsten gingen die Arbeiten ziemlich gut voran. Er Vorteil von Arbeiten in Japan ist, dass sie nicht gebunden werden müssen. Vielmehr läuft es so ab, dass die Texte am oberen Rand gelocht werden und einfach zwischen einen Papphefter gebunden werden. Natürlich sieht das dann nicht so elegant aus, wie eine dick gebundene Arbeit in Deutschland, dafür kann man auch wirklich bis zur letzten Sekunde daran arbeiten. Genau so entwickelte sich aber auch der Tag für uns. Immer wieder gingen wir die Texte durch und fanden immer noch Fehler. Besonders an den Leerzeichen hatte Rieko bei der Arbeit sehr gespart. Aber auch ansonsten gab es Flüchtigkeitsfehler, die wir allesamt noch beheben mussten. Einer war zum Beispiel der Wechsel von deutschen und japanischen Worten in der Quellenangabe. Viele meiner Einwände wurden aber auch gekonnt als unwichtig von ihr verworfen. Ich meine, was ist so besonderes dabei zu fragen, ob es vorgeschriebene Schriftgrößen gibt oder Zitierregeln. Es ist nicht gerade praktisch, einfach die deutschen Regeln, die ich ihr gezeigt habe, eins zu eins ins Japanische zu übersetzen. Trotzdem gelang es uns irgendwie und um 2 Uhr stand die Arbeit. Man sollte aber nicht meinen, dass wir die einzigen Studenten im Büro waren. Bei weitem nicht und so saßen um 2 Uhr immer noch zwei Studenten dort herum, die so aussahen, als ob sie nicht so schnell Feierabend machen würden. Die Einstellung stimmt offensichtlich also wirklich. Was Japaner nicht am Tag schaffen, machen sie am Abend noch fertig. Dafür lenken sie sich am Tag aber auch viel mehr ab.

Interessanterweise habe ich auch das erste Mal heute eine lang erwartete Frage bekommen. Welche Blutgruppe habe ich? Tja, gute Frage, bis heute habe ich das nicht heraus bekommen. Hier in Japan erklärt man mit Blutgruppen den Charakter der Personen und O steht zum Beispiel für sehr chaotische und ungenaue Menschen. Da ich immer wieder auf gewisse Standards bestand, die doch in einer derartigen Arbeit einzuhalten sind, wurde deswegen halt über meine Blutgruppe diskutiert. Nebenbei ist ein anderes beliebtes Motiv für Blutgruppenfragen, heraus zu bekommen, ob man mit dem Gegenüber kompatibel ist. Zum Glück passte der Kontext für diese Frage aber nicht gut genug. Ich sollte es aber wirklich mal rausfinden, vielleicht habe ich dann ja eine gute Ausrede für meine schlechten Charaktereigenschaften. Käme mal auf einen Versuch an.

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