Gestik in Japan

Die Weihnachts- und Neujahrszeit ist vorbei und der Ernst des Lebens geht wieder los. So wirklich überzeugt hat mich der Satz heute früh noch nicht. Besonders, da meine besten Freunde im Büro in Form von Rieko und Shimizu erst in den nächsten Tagen nach Sendai reisen wollen. Keine guten Aussichten im Büro und kurzfristig überlegte ich, ob ich dem Büro fern bleibe und nur den Hauptcampus für meine anderen Aufgaben betrete. Ich entschied mich doch für das Büro und es sollte die richtige Entscheidung sein. Wider meiner Erwartungen war das Büro sogar ziemlich gut gefüllt, da am heutigen Tag der Abgabetermin der schriftlichen Arbeiten dieses Semesters war. Überall konnte man deshalb schwer beschäftigte Menschen sehen, die vor Nervosität, die Arbeit fertig bekommen zu müssen, förmlich rotierten. Unter diesen Studenten fanden sich auch alte Bekannte, wie die zweite Rieko, die mir am Anfang meines Aufenthaltes sehr geholfen hatte und Kaori, meine Extutorin. Ehrensache, dass ich da auch aushelfe und kurzerhand wurde ich bei mehreren kleinen Notfällen gerufen und war so gut beschäftigt. Da sie es aber doch alle schafften, ihre Arbeiten bis zum Abgabetermin einzureichen, hatte sich Professor Morimoto etwas Besonderes ausgedacht. Pünktlich um 18 Uhr stand der Sushilieferdienst vor der Tür und lieferte zwei riesen Packungen besten Sushis. Da ich eh gerade da war, wurde ich natürlich auch mit eingeplant. Japanisches Sushi ist wirklich nicht mit den deutschen Nachahmungen zu vergleichen. Es war absolut lecker und der Professor bezahlte dazu auch noch, da kann man sich wirklich nicht beschweren. Wieso habe ich eigentlich bei der Abgabe meiner Bachelorarbeit kein Essen von meinem Professor ausgegeben bekommen? Irgend etwas mache ich wohl verkehrt.

Das eigentliche Highlight war aber, den Studenten und Professoren dann bei den Gesprächen während des Essens zuzuschauen. Als Europäer stellt man sich ja die Japaner als sehr zurückhaltend und förmlich vor, was auch in den meisten Punkten zutreffen mag. Sie haben aber auch einige Gesprächsnormen, die in Europa wohl auf weniger Verständnis stoßen würde. Ein ?oh?, ?eh? oder ?ah? hat sicherlich jeder in Deutschland schon einmal verwendet. In Japan sind diese Formeln aber höfliche und normale Phrasen, um dem gegenüber seine Meinung zu dem gerade angesprochenem Thema zu zeigen. Dazu wird der Ausdruck aber nicht, wie meist in Deutschland, kurz ausgesprochen, sondern in der normalen japanischen Tradition extrem lang gezogen und extra stark betont. Verzichten sollte man darauf aber auf keinen Fall, zeigt man dem Gegenüber doch dank der Phrasen sein Interesse für das Gesprochene und gleichzeitig seine Meinung. Trotzdem mutet es mir manchmal schon etwas seltsam an, wenn 6 Studenten gleichzeitig ein ?oh? langziehen. Ich will mir auch gar nicht die Reaktion meiner Professoren vorstellen, wenn ich ihre überraschenden Ausführungen mit einem langen ?ehhhhhhhhh? unterstreichen würde. Als Kaori das extensiv heute bei Professor Morimoto machte, gab es dagegen noch nicht mal einen kleinen Blick in ihre Richtung.

Eine weitere Besonderheit der japanischen Konversation ist die Gestik. Japaner hassen es, wenn ihre Hände irgendwo sinnlos rumhängen. Aus diesem Grund wird ein Victoryzeichen bei jedem Foto mit den Fingern gebildet. Bei normalen Gesprächen sieht das nicht anders aus. Jeder Satz wird mit ausführlicher Gestik beschrieben. Man erzählt, wie man etwas festgeschraubt hat? Dann wird natürlich die Handbewegung nachgemacht. Eine Wegbeschreibung wird natürlich mit den Händen untermalt, um noch einmal anzuzeigen, wie man nun laufen muss. Gerade bei Gestik bin ich ein gebrandmarktes Kind. Schon in Deutschland habe ich sie gerne verwendet. Hier in Japan ist das Ganze aber um einiges stärker ausgeprägt und mittlerweile habe ich mir sie auch schon ziemlich angewöhnt. Mir selbst wäre das dabei noch nicht mal unbedingt aufgefallen, aber als meine Eltern im Lande waren, durfte ich mir das schon am ersten Tag anhören. Ich bin mal gespannt, wie lange ich in Deutschland zum Umgewöhnen brauche, aber auf der anderen Seite finde ich eine ausladende Gestik besonders für Referate ziemlich geeignet. Die Frage ist halt wirklich nur, wie die Leute gegenüber darauf reagieren. Auf die stark geräuschvolle Untermalung des Gesagten werde ich aber lieber ganz verzichten.

Ruhe vor dem Sturm

Wir sind mittlerweile schon im 5. Tag des neuen Jahres und die entspannte Zeit ist ab morgen wieder vorbei. Das Semester geht weiter und damit der Ernst des Lebens. Bevor es soweit ist, musste ich heute wenigstens eine meiner letzten Chancen ausnutzen, die Stadt in Ruhe zu erkunden. Aus diesem Grund ging es wirklich früh auf dem Rad los und in die einzige Richtung, die ich bisher kaum betreten habe. Zu meinem Glück ging es natürlich auch noch richtig schön steil den Berg hoch, aber so hatte ich wenigstens ein gutes Training. Wirklich, wer muss schon joggen gehen, wenn er ein Fahrad besitzt. Zum Ausgleich war die Aussicht aber nicht schlecht. Da stand ich nun, irgendwo in einer der abgelegensten Ecken der Stadt, in die sich offensichtlich, der Blicke der Schüler nach zu urteilen, kaum einmal Ausländer verirren und was passiert als erstes – ich werde erkannt. Frau Omori hat sich aus mir absolut unverständlichen Gründen natürlich exakt zur gleichen Zeit am gleichen abgelegenen Ort befunden. Wirklich, diese Stadt hat über 1 Million Einwohner und ich finde wirklich überall jemanden, der mich erkennt. Trotzdem hat sich die Strecke gelohnt, besonders da es überall, wo es bergauf geht, auch wieder bergrunter geht. Dementsprechend aufregend war der Rückweg, wo alle 2 Meter Straßenschilder bereit standen, die die Autofahrer an das Bremsen erinnern sollten, da Unfallgefahr ein großes Problem sei.

Egal, wenn ich nicht mal mehr mit meinem Rad durch die Gegend fahren kann, dann gehe ich halt ins Büro. Es fand sich auch wirklich ein Student, der die selbe Idee hatte und für mich gab es dadurch Arbeit. Ich verstehe ja persönlich, dass man als Germanist ältere Texte lesen sollte. Aber kann man nicht wenigstens den Studenten erst einmal richtig Deutsch beibringen, bevor man den Leuten Texte zu lesen gibt, die selbst für mich nur zur Hälfte zu verstehen sind? Er hatte ein Tagebuch von der Jahrhundertwende, dessen Schreiber offensichtlich ein Hobbyarzt war. Als Hobbyarzt hat er natürlich auch Behandlungsmethoden beschrieben und dafür einen Mix aus Französisch und Latein verwendet. Der Student dachte doch wirklich, ich wüsste sofort, was dort stehen würde. Als Historiker war aber natürlich sofort mein Interesse geweckt und nach langen Quervergleichen hatten wir die Lösung des Rätsels gefunden. Nur das Erklären war schwerer als gedacht, da er kaum Deutsch verstand. Wirklich, der Text war für jeden Deutschen zu schwer und jemand, der noch nicht mal die Bedeutung der Maßeinheit Teelöffel wirklich verstand, sollte das mit Sinn übersetzen. Manchmal frage ich mich wirklich, was in den Köpfen einiger Professoren hier vorgeht. Trotzdem konnte ich mich so wirklich nützlich machen und hielt eine kleine Einführung in die deutsche Medizingeschichte. Als Dank erhielt ich einige Einblicke in die japanische, soweit er etwas davon wusste. So hat sich der Aufenthalt für uns beide doch schon gelohnt.

Um noch eine andere Problematik nachzureichen: Einige meiner verehrten Leser werden sich eventuell noch an die Problematik mit meinem gewonnen Fleisch erinnern. Da mir niemand besseres einfiel, der es anständig verarbeiten kann, habe ich es kurzerhand Mayumi unter dem Versprechen geschenkt, dass sie ihre Schwester an dem Essen beteiligt. Gut, Thomas wird enttäuscht sein, schwor er doch auf die beziehungsschaffende Wirkung des Fleisches, aber so ist es garantiert in guten Händen. Es dorthin überhaupt erst einmal zu bekommen, hat sich aber als schwieriger herausgestellt, als von mir eingeplant. Eigentlich hatte ich es so bestellt, dass es am 31. hier angeliefert wird. Leider hat der Lieferdienst aber nicht geliefert und ich sollte es nun erst nächsten Freitag bekommen. Dann hätte ich es noch irgendwie Mayumi überreichen müssen. Kurzerhand hat Mayumi die letzten Tage versucht, dort anzurufen und die Adresse zu ändern. Das war ein logistischer Aufwand sondersgleichen. Sie hatte alle Daten und es stand auch drauf, dass Änderungen möglich sind aber sie haben sich trotzdem erst nach Abgleich von allen Seiten überzeugen lassen. Wenigstens bekommt es jetzt wirklich jemand, der etwas damit anfangen kann und ich habe einen Punkt weniger, den ich vor meiner Abreise verschwitzen kann.

Neujahrskarten

Die Japaner sind in einem Punkt ziemlich altmodisch. Alle was sie machen, geht normalerweise mit der neuesten Technik und meistens dadurch elektronisch. Es hat seinen Grund, warum japanische Handys den deutschen Handys um Meilen voraus sind. Zum Neujahr hingegen besinnen sie sich dann doch auf die alten Werte. Die Postkarte wird wieder herausgeholt und an alle Bekannten und wichtigen Persönlichkeiten werden welche geschickt. Dazu stehen sogar an den normalen Briefkästen gesonderte Schlitze bereit, um einen schnellen Versand zu garantieren. Egal ob Boss, Kindergärtnerin oder Familie, man weiß nie, wann man die Gunst einer Person mal wieder benötigt, also wird auch wirklich an alle geschrieben. Um Mayumi in diesem Punkt mal zu erwähnen, sie war in diesem Jahr gezwungen, 80 Neujahrskarten zu verschicken. Da Bedruckung als unhöflich gilt, musste natürlich auch jede einzeln beschriftet werden und dabei reicht natürlich nicht nur ein Satz. Nein, die ganze Karte wird von oben bis unten vollgeschrieben. Zurück bekommt man dann in etwa die Hälfte der Karten, da die höheren Personen einem natürlich nicht schreiben. Meine persönliche Quote sieht da schon etwas besser aus. Ich habe tatsächlich null Karten geschrieben und eine bekommen. Dafür, dass eigentlich kaum einer mal meine Adresse kennt, eine beachtliche Zahl. Dazu kommt, dass alle Japaner, die mal im Ausland waren, sowieso nur sehr lange Mails geschickt haben. Heute gelang es mir dann auch, endlich diese eine Karte, die Kanayo mir geschickt hatte, zu entziffern. Bei der großen Anzahl an unbekannten Kanjis war das auch eine Kunst für sich. Auf jeden Fall, was soll ich sagen? Der japanische Höfflichkeitsfluss sogar unter Freunden ist wirklich unbeschreiblich. Ich hätte eventuell ein paar Wünsche geschrieben und dann ist gut, aber Kanayo dankt mir für die verschiedensten Sachen im letzten Jahr. Felix geht sogar soweit, dass in Deutschland so ein Text leicht geändert schon als Liebesbrief durchgehen könnte. Da fühle ich mich ja fast schlecht, nur eine normale SMS geschrieben zu haben. Aber auch vom Äußeren können sich solche Karten sehen lassen. Aufwendig gestaltet und der Text mit den verschiedensten Zeichen gestaltet, die man normalerweise nur in Mails erwartet. Egal ob Herz oder Sterne, hinter jedem Satz muss etwas stehen. Japanerinnen haben schon einen interessanten Schreibstil. Auf jeden Fall habe ich mich sehr gefreut über die Karte, auch wenn einige der SMS auch ziemlich interessant waren. Nur über das Design lies sich einige Male wirklich laut lachen. Die Nachricht von Kaori passt unter anderem in dieses Schema. Sie ist so auf süß getrimmt, dass keine über 12 Jahre alte Deutsche die so abgeschickt hätte. Beeren, Smilies und die Farben rosa und pink dominieren dabei die Nachricht. In Japan ist das aber ganz normal und die Damenwelt bemüht sich extremst, dieses Image aufrecht zu erhalten, was ihnen auch irgendwie immer wieder gelingt.

Ich selbst musste heute an jemanden im Süden Japans etwas verschicken und es stellte sich als interessante Geschichte heraus. Die Postbeamten sahen mich den Laden betreten und gingen erst mal geschlossen etwas nach hinten, um sich verschwörerisch zu beraten. Nach dieser Strategiesitzung wurde mir sofort eine Japanerin zugeteilt, die etwas Englisch konnte und von da an nur mich durch alle Schritte des Versendens begleiten musste. Man fühlt sich schon etwas schlecht, wenn man den Verkehr so aufhält, aber ich hätte die Dame ja gar nicht gebraucht. So etwas eigenständig bin ich ja schon, aber erklär das mal einem Japaner. In letzter Zeit passiert mir das sowieso wieder häufiger. Ich betrete einen Modeladen und ich habe mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Verkäufer genau in meiner Nähe, der so bald ich ein wenig verwirrt schaue, sofort angesprungen kommt. Da kann der Laden noch so überfüllt sein, ich scheine wirklich immer so verloren auszusehen.

Koreanische Küche mit Freunden

Es gibt Traditionen, die man partout nicht brechen sollte. Eine dieser Traditionen ist das Verfahren. Was hätte ich verpasst, wenn ich mich nicht regelmäßig absolut verfahren würde! O.k., ich hätte eine absolute Zeitersparnis gehabt, aber das wäre ja langweilig. Aus diesem Grund war es für mich auch nicht groß verwunderlich, als ich heute nach einer kleinen Radtour in den Norden der Stadt auf einmal in Tomiya raus gekommen bin. Tomiya ist der nächste Ort nördlich Sendais, aber man merkt den Übergang kaum. Von daher ist das gar nicht so überraschend, dass man sich schnell verfahren kann. Dieser kleine Umweg von einigen Kilometern hätte mir also kaum weh getan, hätte es da nicht einen kleinen Faktor gegeben: Ich hatte zwei Stunden später eine Verabredung am Hauptbahnhof. Man kann sich mein Rennen gegen die Zeit kaum vorstellen. In bester Jan Ulrich Manier, nur mit Melonpandoping anstelle von anderen Methoden, schoss ich die Straße nach Sendai zurück. Trotz meines normalen Fahrrads schaffte ich es, auf diesem Weg sogar einige Räder mit Motor abzuhängen. Und das alles nur für einen deutschen Herrenabend!

Um genau zu sein, ein Herrenabend mit Felix und Tetsu. Besonders für Felix war es wichtig, pünktlich da zu sein. Er ist extra für seine Freundin, mit der er 6 Wochen vor seinem Abflug erst zusammen gekommen ist, zurück nach Japan gekommen und nur noch zwei Tage da. Unter solchen Umständen darf man natürlich niemanden warten lassen. Eigentlich war ein Besuch des Mafumafus angesetzt, der musste aber leider wegen eines Ruhetages ausfallen. Dementsprechend ging es für uns in den Irish Pub. Wir hörten uns wirklich an wie alte Leute, als wir über die guten alten Zeiten und von früher sprachen. Ein wenig komisch ist es schon, aber man kann einen eindeutigen Bruch zwischen den neueren Studenten und uns feststellen. Die neuen sind nett, keinen Zweifel, aber sie haben halt einen anderen Wissensstand über das Leben hier, als wir ihn schon erreicht haben. Wie sollte es auch anders sein, aber das verhindert das große Zusammenleben zwischen den beiden Gruppen. Kein Wunder, dass sich vor einem halben Jahr die Deutschen erst gar nicht gezeigt haben.

Das wirkliche Highlight war aber nach dem Pubbesuch festzustellen: Bier weckt ja bekanntlich den Magen und wir beschlossen, essen zu gehen. Da leider fast alles schon geschlossen hatten, ließen wir uns in einem koreanischen Restaurant nieder. Der erste Besuch eines solchen Restaurants für mich in Japan. Was soll man sagen, es war eine Erfahrung. Deutschland hat ja sowieso das Problem, dass viele Menschen nur ?asiatisches Essen/chinesisches Essen? kennen, was einen Zusammenschluss verschiedener asiatischer Küchen, angepasst auf den europäischen Magen, darstellt. Es ist einfach fast unmöglich, das wirkliche asiatische Essen in Deutschland zu erhalten und nach dem heutigen Essen wundert es mich auch nicht warum. Fast jeder Deutsche würde vor derartigem Essen zusammenzucken. Es war verdammt lecker, aber auch sehr seltsam. Wie es sich für die koreanische und chinesische Küche gehörte, bestellten wir mehrere Sachen und probierten dann von allem etwas. Unter anderem erhielten wir eine Suppe, die nur aus verschiedensten Meerestieren bestand. Egal ob Garnele, Krabbe oder exotischere Sachen, alles war vertreten und wollte aus der Schale gepuhlt werden. Selbst normale Sachen, wie ein normales Fischstück, hatte noch die Gräten im Inneren. Da artet das Essen schon in Arbeit aus. Dazu war es auch noch richtig scharf. Eine Vorspeise, die zum Beispiel gereicht wurde, war eine Algensuppe mit Tonnen an Pfeffer drin. Sie war ohne viel Wasser zum Nachspülen kaum essbar. Trotzdem oder gerade wegen der Exotik und weil es so ein großer Unterschied zur japanischen Küche darstellte, war es sehr lecker. Eigentlich verwunderlich, dass fast alle japanischen Restaurants in Deutschland von Koreanern geführt werden, ihre Küche ist so anders und eigentlich auch nicht schlecht. Nur weil die japanische Küche gerade ein Modetrend ist, wird die koreanische Küche leider in unseren Breiten etwas ignoriert. Eines weiß ich aber ganz bestimmt, wenn in Deutschland noch einmal jemand zu mir sagt, lass uns asiatisch Essen gehen, ich werde zusammenzucken. Die Raserei nach Hause hat sich auf jeden Fall dafür gelohnt.

Neujahrsverkauf

Jetzt weiß ich, was mir in Sendai noch fehlt! Ich benötige eine Rugbyausrüstung. Jedes Jahr vom 2. bis zum 5. Januar findet in Japan der Neujahrsverkauf statt. Keine Frage, das Schauspiel kann ich mir nicht entgehen lassen und vielleicht findet man ja etwas Brauchbares. Das Ganze muss man sich wie den Winterschlussverkauf in Deutschland vorstellen, nur etwas auf japanische Verhältnisse angepasst. Um die Spannung etwas zu erhöhen, wird die Ware des letzten Jahres in Wundertüten angeboten. Diese Wundertüten haben einen bestimmten Wert und es wird garantiert, dass der Wert der Tüten den Einkaufspreis übersteigt. Natürlich ist man dem nicht ganz ausgeliefert. Es wird bei Kleidung eine Größe angegeben und teilweise auch verraten, was drin ist. Trotzdem gibt es genug Fälle, wo man es nicht sicher weiß. Man ist im Endeffekt also auf sein Glück angewiesen. Trotz der Tatsache, dass es sich eigentlich um etwas wie einen Winterschlussverkauf handelt, ist der Inhalt der Tüten aber nicht nur auf Kleidung beschränkt. Fast jedes Geschäft der Stadt hat irgend etwas im Angebot. Man findet Wundertüten bei Bäckern, Kaffeeläden, Elektronikgeschäften. Und bei Don Quijote, dem großen Kaufhaus, in dem man alles findet, sogar Weltkriegsuniformkostüme, stehen sogar Wundertüten vor der ab-18-Abteilung. Man merkt schon, wenn man möchte, kann man einiges bekommen. Aus diesem Grund standen die Japaner auch schon um 7 Uhr in der Schlange für die besten Tüten. Wenn man bedenkt, dass um 10 Uhr erst die meisten Läden öffnen, ist das sehr beachtlich. Um 8 Uhr war mir nach der Tour gestern dann aber doch ein wenig zu früh und ich ging erst um 10 Uhr in die Stadt. Das war ein großer Fehler.

In diesem Moment wäre eine Rugbyausrüstung wirklich praktisch gewesen. Ich war nur am ausweichen und vor Japanern aus dem Weg springen. Die Stadt war überlaufen. Offensichtlich geht es Japan auch noch sehr gut, es wurden wirklich riesen Einkäufe getätigt. Yodobashi war so überfüllt, dass sie den zweiten Eingang als alleinigen Ausgang bestimmten, um den Strom der Menschen besser steuern zu können. Dazu wurde auch alles gekauft, was nicht niet- und nagelfest war, egal ob es reduziert war oder nicht. In Modegeschäfte traute ich mich lieber erst gar nicht hinein, wenn ich mir nicht eine Schlacht um mein Leben liefern wollte. Da japanische Mode mir sowieso nicht passt und meine Modeberaterin Rieko eh noch nicht zurück ist, verzichtete ich doch dankend auf die Tüten. Ich hätte zwar zum Beispiel einen billigen Addidastrainingsanzug bekommen können, der aber nicht 100 Prozent gepasst hätte und außerdem habe ich auch genug davon. Der Rest war auch nicht so meine Richtung. Man muss den Japanern aber lassen, gut vorbereitet sind sie. Man konnte sogar den Stand eines Paketdienstes finden, um seine Tüten nach Hause liefern zu lassen. Mir wurde der Stress nach 2 Stunden Kampf pur dann aber doch zu viel und ich suchte eine Alternative.

In diesem Moment fiel mir Mayumi mit ihrer Schwester ein, die gerade in Izumi unterwegs sein wollten. Nebenbei gibt es auch noch einen Laden, der Mode verkauft, bei dem ich mir auch vorstellen könnte, noch mal zuzuschlagen, bevor ich Japan verlasse und der liegt in Izumi. Also Rad geholt und in den absoluten Nordteil der Stadt gefahren. In Izumi war alles etwas ruhiger, trotzdem gab es auch hier genug Dinge in Tüten zu kaufen. Mayumi fand ich zwar nicht, aber wenigstens konnte ich so ein wenig stöbern. Mein Modeladen, auch bekannt als Vegalta Sendai Fanshop, hatte auch offen, aber leider gab es nur die Trikots von vor zwei Jahren und in Größe S zu halbwegs zahlbaren Preisen. Ich kann mir echt nicht vorstellen, wer in Deutschland bereit wäre, für ein heruntergesetztes Trikot noch 100 Euro auszugeben. Ich glaube, ich sollte nächstes mal Megumi, Mayumis Schwester, ein Clubtrikot zum Tausch anbieten, schließlich habe ich eines dank der Trikotverlosung doppelt. Mit ein wenig Glück kommt es ja zum Trikottausch. Problematisch ist nur, dass ein Clubtrikot natürlich einen viel höheren Wert hat, insbesondere den idellen Wert. Mh, schwere Entscheidung, vielleicht habe ich ja zum Beginn der nächsten Saison Glück, aber Vegalta wechselt leider zu selten das Aussehen der Trikots. Manche Preise sind hierzulande wirklich jenseits von gut und böse. Entnervt von den Preisvorstellungen verließ ich Izumi und fuhr weiter die Außengrenze der Stadt entlang. Die Landschaft ist o.k. und es gibt noch einiges an Geschäften, wo man immer mal etwas finden kann. Leider wurde es zu schnell dunkel und ich wollte einen direkten Weg Richtung Innenstadt nehmen. Das war ein großer Fehler. Als ich auf einmal auf einem Berg mit wenigen Lichtern stand und in weiter Entfernung Izumi zu erahnen war, machte ich mir schon Sorgen. Aber nach langer beschwerlicher Suche, fand ich irgendwie den Weg zurück in die Stadt. Hier in Japan merkt man aber auch schnell, wenn etwas nicht richtig läuft. Wenn keine Leute auf der Straße sind oder in deiner Nähe schnell die Seite wechseln, an Bushaltestellen kein Hauptbahnhof mehr dran steht und sich die Frequenz der Kombinis erschreckend verringert, ist das ein klares Zeichen, dass irgend etwas falsch ist. Mit viel Glück fand ich aber doch noch den Weg und konnte mich nach Hause retten. Zwar ohne Einkauf, aber mit der Gewissheit, gegen die rücksichtslosen shoppingsüchtigen Japaner bestanden zu haben.

Neujahrsessen

Schlafen kann ich, wenn ich tot bin! Dieses Lebensmotto von mir sollte sich heute als nützlicher erweisen, als ich es mir vorgestellt habe. Kaum hatten wir um 9.30 Uhr das Wohnheim wieder erreicht, hieß es schon wieder Vorbereitungen für das nächste Ereignis zu treffen. Eigentlich ist es ziemlich deprimierend, wenn man weiß, dass deine Freunde sich gerade in das bequeme Bett schmeißen können und die Beine hochlegen, während für einen selber eine neue Tour in Richtung Izumi ansteht. Auf der anderen Seite war es natürlich ein Essen bei Mayumis Eltern. Das ist ein Ereignis, was man leider nicht all zu oft erleben dürfte. Gesagt getan und schon wurden die Vorbereitungen getroffen. Für Mayumi lag der Fleischgutschein schon griffbereit, für den Rest der Familie wollte ich eigentlich noch eine Flasche deutschen Wein besorgen, aufgrund des geschlossenen Mayamas blieb mir aber leider nicht groß etwas anderes übrig, als mich mit Schokolade zu begnügen. Einmal Lebkuchen, Spekulatius und Rumkugeln sollten eigentlich ausreichen.

So vorbereitet konnte es losgehen, schließlich wollte ich Mayumi nicht warten lassen. Pünktlich drei Minuten vor der Zeit erreichte ich nach 45 Minuten Fahrt Izumi. Eigentlich hätte ich es auch schneller geschafft, aber wie schon am Morgen, wo mich 45 rote Ampeln ärgerten, erwischte mich eine Rotphase. Schlecht, wenn man nicht wie früher geschehen die Farbblindheit vorschieben will. Mayumi stand auch schon mit laufendem Motor für mich bereit. Kurzerhand wurde das Fahrzeug gewechselt und ich lernte endlich nach 9 Monaten auch mal ihren Mann kennen. Mit ihr ging es nun zu einem Nostalgietripp durch ihre Heimat, der in ihrem Elternhaus endete. Dort wurden wir schon erwartet. Die ganze Familie hatte sich eingefunden. Selbst die Großmutter und die 91jährige Urgroßmutter saßen für den Ausländer bereit. Ich war der erste Ausländer im Haus seit über 15 Jahren, wo ein paar Philippiner einmal kurz vorbeischauten. Bevor ich aber groß zur Vorstellung gelangen konnte, hatte mich der Hausherr auch schon wieder aus dem Zimmer geschleift und führte mich erst einmal durch das Haus. Ich sollte ja den richtigen Eindruck bekommen. So wurde mir der Schrein für die Vorväter genauso gezeigt, wie die Familienschätze der letzten 200 Jahre. Die Familie scheint wohl einmal sehr bedeutend gewesen zu sein und hat Katanas (japanische Langschwerter) und Musketen hergestellt. Stolz wurden mir die verschiedenen Typen von Waffen gezeigt und auch die alten Unterlagen, die alle noch erhalten sind. Das war ein Traum für alle Historiker, besonders wenn man bedenkt, wie traurig die Übersicht über meine Vorfahren so ist. Nachdem das vollzogen war, konnte es endlich zum Essen gehen.

Die Mutter von Mayumi stand die ganze letzte Woche wohl in der Küche, denn es wurde ein Festessen aufgefahren. Fisch in allen Sorten, Salate und kleine Gaumenfreuden standen bereit. Nachdem das herbe Essen mit einer Austernsuppe vollzogen war, kam die obligatorisch Motschitorte zum Vorschein, um die schon gut gefüllten Mägen mit dem Klebereisgemisch noch weiter zu füllen. Als ob das aber nicht reichen würde, wurde zum Ende noch der Lebkuchen geöffnet und etwas selbst gemachte Torte serviert. Dabei wurde ich ausgefragt und man bemühte sich, mir den Aufenthalt so entspannt und perfekt wie möglich zu machen. 20 Mochis und zwei Neujahrsstatuen wechselten dabei auch noch genauso den Besitzer, wie zwei selbst hergestellte Kisten, die an die Damen meines Haushaltes gehen sollen. Man hatte an alles gedacht. Ich persönlich vollzog auch noch einen Austausch mit Megumi, der Schwester von Mayumi. Gegen einen FCM-Handyanhänger wurde ein Vegalta Bleistift mit einer kleinen Figur dran getauscht. Man kann mir auf jeden Fall nicht vorwerfen, ich würde keine Werbung betreiben. Als sich der Abend zum Ende neigte, musste ich noch für Fotos posieren, schließlich will man meine Anwesenheit ja auch dokumentieren können. Besonders die Mutter agierte dabei extremst mit ihrem Handy. Zum Abschluss wurde ich dann auch noch mal losgeschickt, um die anderen Räume zu fotografieren. Mein Fotoapparat landete dabei kurzerhand in Megumis Händen, um mich mit den Waffen in der Hand abzulichten. Die junge Dame war sowieso ziemlich sympathisch, auch wenn ihre Mutter es gleich wieder übertreiben musste. Kurz vor meiner Abreise fragte sie mich, ob ich eine Freundin habe. Als ich eben dies verneinte, wurde mir kurzerhand Megumi angeboten. Besagte Dame war gar nicht so glücklich, von ihrer Mutter zum Angebot gebracht zu werden, wie man sich das so vorstellen kann. Es war auf jeden Fall ein großer Spaß und ich soll doch irgendwann wieder kommen. Sogar für die Ahnen wurde mir gezeigt, wie ich am Schrein beten muss. Es ist wirklich eine Schande, dass man solche Möglichkeiten wie heute nicht öfter hat, aber ich bin Mayumi wirklich dankbar, dass sie mir das ermöglicht hat. Zum Abschied war das Auto dann auch noch mal von allen Familienmitgliedern flankiert und jeden musste ich zum wiederholten Male verabschieden. Erst dann konnte es zurück nach Izumi zu meinem Rad gehen, mit dem ich mich wieder Richtung Heimat, zwar hundemüde, aber um viele wirklich schöne Erfahrungen reicher, aufmachte.

Silvester 2010

2010 ist vorbei und das Jahr 2011 hat überall angefangen. Egal, ob in Deutschland oder im fernen Japan, man muss sich wieder einmal an ein neues Datum gewöhnen. Nichts leichter als das, aber wie soll ich das Fest richtig begehen? Eigentlich stand fest, dass ich mit Thomas feiere, aber kürzlich musste diese Veranstaltung doch noch abgesagt werden. So stand ich auf einmal wieder bei null da. Ich hatte keine Ahnung, wo ich feiere und mit wem. Heute früh kam auf einmal der Anruf von David, ob ich nicht bei ihm feiern will. Als Essen gibt es Pfannkuchen und irgendwie wird der erste Sonnenschein des Jahres geschaut. Zum Glück hatte mich Victoria gestern schon in Ruhe vorgewarnt und ich war darauf vorbereitet. Natürlich war ich dabei, ich hatte aber eigene Vorschläge mit ihr erarbeitet, wie man vorgehen kann.
Anstelle von Pfannkuchen wäre zum Beispiel etwas Traditionelles besser. Also schlug ich das vor. Als er etwas wissen wollte, blieb ich bei Okonomiyaki hängen und dabei bleib es dann auch. Um 5 Uhr trafen wir uns und dann wurde schnell Material für Okonomiyaki besorgt. Um 8 Uhr ging es dann richtig los. 9 Leute hatten sich eingefunden und für die nächsten drei Stunden wurde gekocht und geredet. Das Okonomiyaki war ein großer Erfolg und jeder hatte noch so Kleinigkeiten mitgebracht. Eigentlich waren wir nur am essen. Um 23 Uhr mussten wir das Essen aber notgedrungen unterbrechen. Es ging zum größten Schrein der Gegend, um für das neue Jahr zu beten. Das war gar nicht so einfach, wenn man die riesige Schlange am Tempel sah. Kurzerhand wurde das Beten abgesagt und wir schlichen uns an den Reihen vorbei, um Fotos zu machen. Dass uns Japaner folgten, hätte uns wirklich zu denken geben sollen! Um Mitternacht läuteten die Glocken der nahen buddhistischen Tempel 108 Mal für alle menschlichen Sünden und auch bei unserem Schrein war die Hölle los. Es wurde gebetet wie von Sinnen und der Tempel machte mit den Opfergaben riesige Umsätze. Überraschenderweise wollte aber niemand die Seitenglocken läuten, sondern die Japaner, die uns gefolgt waren, machten sich dran zu schaffen. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen und wir beteten ebenfalls an diesen. Das Jahr kann also kommen, wir haben für alles Wichtige gebetet.

Jetzt hatten wir auf einmal noch viel Zeit, die wir in einem buddhistischen Tempel verbrachten, vor dessen Türen wir noch eine Goldkette fanden, die wir drinnen abgaben. Hoffentlich sucht der Besitzer dort auch. In Japan gibt es aber eine Tradition. Man versucht, den Sonnenaufgang am 1. Januar zu sehen, um so im Jahr viel Glück zu haben. Glück kann man immer gebrauchen und aus diesem Grund schlug ich vor, zum Meer zu fahren und dort zu warten. Sendai liegt an der Ostküste, also geht die Sonne passend über dem Meer auf. Also blieben wir kurzerhand bis 4 Uhr auf und machten uns dann auf den Weg. Bewaffnet mit genug Essen und Trinken für ein anständiges Frühstück, fuhren wir im Stockdunkeln die 1,5 Stunden bis zum Meer. Mit Mühe und Not schafften wir es in der Zeit und was soll ich sagen, es hat sich gelohnt. Zwar war die Sonne erst von Wolken verdeckt, nachdem sie sich aber den Weg freigekämpft hatte, war es sehr beeindruckend und schön. Die Tour hat sich also sehr gelohnt, auch wenn alle danach ziemlich geschafft waren. Wir waren auch nicht die einzigen, die an diesem Strand auf die Sonne warteten, aber die einzigen mit Fahrrad. Wir sind halt harte Ausländer. Zwischendurch erhielt ich sogar noch eine Nachricht von Rieko, wie schlecht es einem noch hätte ergehen können. Sie war am 31.12. mit dem Bus nach Hause gefahren und wegen starkem Schneefall war sie eingeschneit und erlebte Silvester nun im Bus. Bei uns dagegen war es noch nicht mal so extrem kalt und dabei ist sie nur zirka eine Stunde in den Norden gefahren. Wäre sie mal hier geblieben, ich hatte sie ja gefragt!

Es bleiben also nur zwei Dinge. Auf der einen Seite muss ich sagen, dass mein Neujahr so stattfand, wie ich mir das vor meiner Reise nach Japan vorgestellt habe. Eigentlich muss ich fast dankbar sein, das Thomas keine Kraft für eine Feier hatte, besser hätte es nicht werden können. Auf der anderen Seite bleibt eigentlich nur noch eine Sache festzuhalten. Ich wünsche allen ein gesundes, erfolgreiches und schönes Jahr 2011! Ich hoffe, in Deutschland wurde auch gut gefeiert und genießt den Tag noch!

Speisen wie die oberen Zehntausend

Da war doch noch was? Genau, vor einer Weile habe ich einen 5.000 Yen Restaurantgutschein beim Lions Club gewonnen! Was soll ich also damit machen? Natürlich könnte ich auf einen besonderen Anlass warten, aber die Gefahr ist da viel zu groß, dass er gar nicht mehr zum Einsatz kommt. Da gehe ich doch lieber nach dem Motto ?Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen? vor. Kurzerhand habe ich Victoria, unsere Halb-Amerikanerin, Halb-Chinesin zum Essen eingeladen. Alleine in einem Restaurant zu essen ist mir dann doch etwas zu peinlich und außerdem musste ich mich eh noch dafür bedanken, dass sie mir trotz Zeitmangel bei der Organisation der Hokkaidoexkursion so sehr geholfen hat. So ein Restaurantbesuch bedarf aber einiger Vorbereitungen, besonders dann, wenn es sich um ein Edelrestaurant handelt und zeitgleich am Morgen eine SMS kommt, ob wir uns zu Fuß treffen können, mit ihrem Kleid will sie ungern mit dem Rad fahren. Ich war ja bereit, mich gut anzuziehen, das bedurfte jetzt aber spezieller Vorbereitungen.

Das erste Problem stellte mein Hemd dar. Das war zwar gewaschen, aber mit dem Bügeln stehe ich etwas auf Kriegsfuß. Es ist nicht so, als ob ich das nicht machen würde, aber unser Bügeleisen funktioniert meist nicht so, wie es soll. Ein Glück, dass in diesem Moment gerade mein koreanischer Mitbewohner Kim die Unit betrat. Kurzerhand wurde er nach den notwendigen Einstellungen am Bügeleisen gefragt. Nach einer Erklärung, dass ich gleich mit einer jungen Dame essen gehe, wurde mir kurzerhand das Hemd entrissen und er bügelte es für mich. Er besorgte sogar noch schnell Kleidungsauffrischer, um das Hemd perfekt vorzubereiten. Wie war das mit dem Spruch, einmal dumm angestellt, reicht fürs ganze Leben? Ein Problem beseitigt, bleiben noch zwei andere. Ich habe natürlich kein Sakko hier in Japan, denn sind wir ehrlich: Wie hoch war die Chance, dass ich eines hierzulande gebrauchen kann? Ein weißes Hemd und Stoffhose reichen für die meisten Zwecke ja auch. Kurzerhand ging ich alle meine Möglichkeiten durch. Die Japaner fielen allesamt aufgrund von Größenproblemen aus und bei Ausländern sah es auch nicht groß anders aus. In diesem Moment kam mir die Erleuchtung in Form von Antii, der ist zwar stärker gebaut als ich, aber nur minimal kleiner. Einen Anruf (inklusive Wecken um 15 Uhr) später, hatte ich die Zusage, mir eins aussuchen zu dürfen, wenn er wirklich wach ist. Es schien wohl eine anstrengende Nacht gewesen zu sein. Jetzt blieb nur noch ein Problem. Die Dame hatte sich doch wirklich über uns lustig gemacht, dass wir keine Krawatte besitzen. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen und kurzerhand wurde eine eingekauft. Leider kommen die Teile immer ungebunden. Was ist das eigentlich für ein Betrug? Ab jetzt kaufe ich nur noch vorgebundene! Zum Glück gibt es aber die Geheimwaffe aller verzweifelten Junggesellen: Google. 45 Minuten und 15 Videoanleitungen später hatte ich es wirklich geschafft, die Krawatte war gebunden. Keine Meisterleistung, aber immerhin das Ziel erreicht. Also schnell zu Antii, das etwas zu weite, aber ansonsten gut passende Sakko besorgt, nur um dann festzustellen, dass die dunkelblaue Krawatte natürlich überhaupt nicht dazu passt. Also noch mal shoppen. Gott, ich liebe unsere Kombinis! Bevor ich aber das Haus verlassen konnte, musste ich mich noch eimal von meinem Koreaner begutachten lassen. Der zupfte noch mal kurz den Kragen zurecht und endlich konnte es losgehen. Im Laden wurde noch schnell eine halbwegs vernünftig aussehende Krawatte besorgt und der Verkäufer gezwungen, mir sie schnell zu binden. Endlich konnte es losgehen.

Im Hotel wurde auch schnell klar, dass unsere Aufmachung nicht verkehrt war. Das Hotel ist nicht umsonst eines der teuersten der Stadt. Zum Essen standen ein Chinese, ein Japaner, ein Franzose und ein Steakrestaurant zur Verfügung. Die Wahl fiel auf den Chinesen, der im Verhältnis noch günstig war und gleichzeitig Victoria die Vergleichsmöglichkeit lies. Eine gute Wahl, bedenkt man, dass beim Franzosen das billigste Menü bei 150 Euro anfing. Hier waren es wenigstens nur 80 Euro. Wirklich begeistert war das Personal aber nicht, uns zu sehen und mangels fehlender Reservierung hätten wir beinahe wieder gehen müssen. Es klappte aber doch und wir beschlossen, uns eine bunte Mischung zu bestellen. Von Reis, über Haiflossen und Gemüse war einiges dabei und es war verdammt lecker. Nur schon beim ersten Blick sah man, wie luxuriös alles war. Unter normalen Umständen hätte ich so ein Restaurant, wo das billigste Teilgericht in der kleinen Portion 20 Euro kostet, wohl nie aufgesucht. Trotzdem war es ein großer Spaß und der Service, wo man vom Koch begrüßt wird, absolut zuvorkommendes Personal einen bedient und der kostenlose Tee einer der besten Tees war, den ich wohl je getrunken habe, war eine interessante Erfahrung. So unterhielten wir uns, hielten das Personal auf Trab und kamen leicht über den Gutscheinwert, aber damit kann ich leben. Da wir schon die Schließzeiten um 45 Minuten ohne Klage des Personals verlängerten beschlossen wir, keinen Nachtisch zu uns zu nehmen, sondern zogen noch mal los und aßen als wohl bestangezogenste Kunden in einer Crêpes- und Eisbar noch einen Crêpe. Vorher mussten wir unsere Outfits aber noch auf Zelluloid bannen und fragten dazu auch einen Japaner. Der war sich aber zu fein für so etwas, was man ihm eigentlich auch hätte gleich ansehen können und so musste sein kleiner Sohn uns fotografieren. Schade, dass der Kleine unsere Füße nicht drauf bekommen hat, aber trotzdem haben wir perfekt in das Etablissement hineingepasst. Schade eigentlich, dass ich wohl nie soviel Geld verdienen werde, um in solchen Restaurants Stammkunde zu werden. Aber es war eine Erfahrung, die sich sehr gelohnt hat und Victoria hatte wohl auch ihren Spaß. Gut war auch zu wissen, dass ich mich auf meine Freunde verlassen kann. Die Vorbereitungen haben sie perfekt unterstützt, auch wenn ich Kim morgen wohl noch mal erklären muss, dass es kein Date in dem Sinne war. Trotzdem herrlich, wie er um mich besorgt war.

Den Ausländer bitte nicht anstarren oder füttern!

Kaum denkt man, die guten alten Tage seien vergangen, da fängt das alte Schauspiel von vorne an. Der eine oder andere Leser des Blogs kann sich bestimmt noch an die Anfangszeiten meiner Besuche im Büro erinnern. Ich brauchte das Büro nur zu betreten, um den ganzen Raum zur Ruhe zu bringen. Keiner traute sich, ein Wort zu sagen und die nächsten zehn Minuten war Stille, bis man sicher war, dass ich in meiner Ecke saß und nicht versuche, jemanden anzusprechen. Nach ein paar Wochen hatte ich den Zustand überwunden und dank der Hilfe von Kaori und Shimizu verbesserte sich die Situation schlagartig. Heute durfte ich zu meiner großen Freude ein Revival der Situation erleben. Die Freizeit bis Neujahr hat angefangen und kaum noch Menschen befinden sich in der Uni. Bis auf Rieko sind eigentlich alle meine vertrauten Japaner schon in die Heimat gefahren und haben mich alleine gelassen. Gleichzeitig bedeutet die Freizeit auch Zeit für die arbeitende Bevölkerung und aus diesem Grund haben es sich mehrere ehemalige Studentinnen zur Aufgabe gemacht, ihr altes Büro aufzusuchen. Viel hat sich laut ihren Bekunden nicht geändert, das Büro sieht noch fast so aus wie zu ihren Zeiten. Eine neue Sache gab es dann aber doch noch zu bewundern, und die brachte sie dann doch alle zur Verzweiflung: Wir haben jetzt einen echten Deutschen! Dass ich der erste Austauschstudent bin, das hatte ich ja schon früher vernommen. Dass aber keiner sich traut, in meiner Anwesenheit zu sprechen, kenne ich zwar von früher, ich hatte aber ernsthaft gehofft, diesen Zustand vor 9 Monaten hinter mir gelassen zu haben. Es traute sich wirklich keiner, etwas in einer Gegenwart zu sagen. Die Scham, dass ihr Deutsch zu schlecht ist oder die Gefahr, dass ich eine Kopie der deutschen Professorin der Fakultät sein könnte, war doch so groß. Zu Zeiten, als mein zweiter Betreuer nicht im Raum war, war der schlimmste Zustand erreicht. Wirklich niemand traute sich, auch nur ein Wort zu sagen, aber die Augen waren alle auf mich gerichtet. Meine Güte, ich bin ein wenig größer und meine Augen im Verhältnis ebenfalls, aber ich bin doch kein Monster (jedenfalls meistens nicht)!

Es sollte aber der Tag des Starrens bleiben. Im Büro waren zu viele Augenpaare in meine Richtung gerichtet und ich wollte den Besuch der Ehemaligen nicht mit meiner Anwesenheit belasten. Also ging ich zu Rieko und stürzte mich in meine Lieblingsbeschäftigung: Rieko das Leben in München ausreden und sie in die Richtung oberhalb des Weißwurstäquators zu lotsen. Bis jetzt hatte ich noch keinen Erfolg, aber ich bin ja noch ein paar Wochen da. Am Abend ging es wie eigentlich seit Wochen gemeinsam nach Hause, als man unüberhörbar ihren Magen vernehmen konnte. Keine leichtere Sache als das und kurzerhand besuchten wir ein Ramenrestaurant. Man muss diese Art von Restaurants lieben. Zwar sind Pizza und Döner in Deutschland auch nicht schlecht, die ganzen Nudelrestaurants in Japan werde ich aber absolut vermissen. Das Problem heute war nur, wir waren die einzigen Kunden. Eine Japanerin und ein Ausländer zu allem Überfluss auch noch. Laut Riekos Bekundungen ist der Koch der gesprächigste Koch aller Zeiten. Er ist sogar etwas berühmt, da er für eine Firma, die Instantramen verkauft, ein Curryramengericht entwickelt hat. Heute war davon aber wirklich nichts festzustellen. Zwar ruhten vier Augenpaare auf mich, er traute sich aber nicht, ein Wort zu verlieren, worüber er sich bei der Verabschiedung bei Rieko auch auf Japanisch entschuldigte. Er traute sich aber nicht, wegen dem langen Ausländer. Ich glaube, ich muss doch mal wieder Fotos machen um festzustellen, ob ich wirklich so erschreckend (mittlerweile) aussehe, dass halb Japan sich nicht mehr in meine Nähe traut oder woran es liegt. Nur einmal schaffte ich es wirklich, den Koch zu beruhigen, weshalb er sich dann ja auch bei Rieko entschuldigte. Am Wochenende hatte Rieko ja das richtig teure ?All you can eat? bezahlt und mir auch so noch was ausgegeben, so dass ich heute einfach ohne sie zu fragen bezahlte. Rieko war natürlich strickt dagegen und wollte für uns zahlen. Der Koch verstand zwar die Worte nicht, konnte anhand unserer Gestik aber schnell deuten, worüber wir gerade debattierten. Er lachte laut los, nur um Rieko auf Japanisch zu erklären, dass sie es aufgeben soll, ich sehe zu überzeugt von meinem Standpunkt aus. Immerhin, vielleicht ist er danach ja mutiger im Zusammenhang mit Ausländern, zu wünschen wäre es.

Einmal gekocht bitte

Ich bin ganz ruhig und entspannt, ich plane nichts, ich ?? verdammt warum riecht hier alles so angebrannt? Es gibt viele Sachen, die ich in Japan schon mitgemacht habe. Eine, die ich bisher immer vermieden habe, ist die japanische Tradition der Onsen. Wie der Zufall so will, hat sich aber ein alter Bekannter in Sendai eingefunden. Felix ist zurück. Nicht wirklich zurück, aber immerhin im Urlaub in Sendai. In seinen letzten Tagen in Japan ist er im Sommer noch mit Marisabel zusammen gekommen und die besucht er jetzt gerade. Gestern gab es ihm zu Ehren auch schon eine Überraschungsparty mit mehreren Nomihodais und Karaoke. Aufgrund der Planung und eines gewissen Ärgers, weil Katoh x Leute zu einer Feier der engsten Freunde eingeladen hatte, die eigentlich überhaupt noch nicht hier waren, als Felix das Land verlassen musste, hatte ich diese Feier gestern verpasst. Glücklicherweise ist es aber nicht die einzige Chance, ihn zu treffen. Heute schon sollte es die zweite geben. Ein Besuch einer heißen Quelle, einer sogenannten Onsen, in der Nähe von Sendai war angesagt. Ob die Fahrt aber stattfindet, war lange Zeit gar nicht so klar. Wie es aussah, war die gestrige Party doch etwas feuchtfröhlicher als alle gedacht hatten und alle sahen heute etwas blasser um die Nasenspitze aus. Trotzdem schaffte es aber jeder zum vereinbarten Zeitpunkt zum Bahnhof.

Was muss man sich unter einer Onsen eigentlich genau vorstellen? Japan als Vulkaninsel hat natürlich genug heiße Quellen und aus diesem Grund gibt es überall auf der Insel öffentliche Bäder, die aus den Vulkanquellen gespeist werden. Besonders alte Japaner schwören auf diese Bäder und die Temperaturen können schon zwischen 40 bis 70 Grad Celsius betragen. Das ist aber genau der Grund, warum ich sie bisher erfolgreich gemieden habe. Ich bekomme schon bei normalen öffentlichen Bädern einen Hitzeschock, was soll das erst in einer Onsen werden? Es war aber auf alle Fälle sehr lustig. Schon am Bahnhof wurden wir von einem Bus abgeholt und los konnte es gehen. Man bekommt eine Yukata, mit der man sich durch das Gebäude frei bewegen kann und es gibt verschiedene heiße Quellen, die man besuchen kann. Leider war es heute aber dort zu voll, so dass ich auf Fotos leider verzichten musste. Bevor man eine heiße Quelle betritt, reinigt man sich erst einmal gründlich. Dazu wird wirklich alles aufgeboten und sogar Rasierer und Ohrreiniger liegen für die Reinigung bereit. Anschließend übergießt man sich mit dem heißen Wasser und betritt das eigentliche Bad. Verdammt, ist das warm! Da kommt das Blut schon in Bewegung, wenn die Quelle 50 Grad hat. Ich will gar nicht wissen, wie die noch heißeren Quellen sich anfühlen! Das Highlight sind aber die Außenbäder. Alles ist von Schnee bedeckt und es ist richtig kalt. Auf der anderen Seite muss man wegen des heißen Wassers mit sich kämpfen, drin zu bleiben. Ein Onsenbesuch ist aber auf jeden Fall eine Erfahrung, die ich demnächst mal wiederholen werde (dann hoffentlich auch mit Bildern), denn eine gewisse Entspannung lässt sich danach schon feststellen. Noch mehr lässt sich aber die Anstrengung feststellen, wenn man die Onsen verlässt. Der ganze Körper ist matt, von der Anstrengung der hohen Hitze, trotzdem fühlt man sich gut. Was uns allerdings sehr hart getroffen hat war, dass die Japaner uns gemieden haben, wo sie nur konnten. Sobald sie uns in den Bädern gesehen haben, sind sie wieder gegangen und haben ein anderes Bad aufgesucht. So schlimm waren wir dann auch nicht und wir haben auch alle Regeln eingehalten.

Nicht alle Regeln eingehalten hat Rieko, die bei ihrer Zusammenfassung der Magisterarbeit angeblich mit 6 Seiten zu viel geschrieben hat. Eine 80 Seiten Arbeit auf 6 Seiten zu reduzieren ist schon beachtlich genug, die deutsche Professorin wollte es aber auf drei runter haben. Man kann sich Riekos Freude vorstellen, als sie mir das per SMS mitteilte. Kurzerhand war es aus mit meiner Ruhe. Da ich gerade wieder in Sendai angekommen war, sprang ich aufs Rad und auf ging es zur Rettung und Beruhigung. Mit einigen Mitteln gelang uns eine gewisse Kürzung, wirklich befürworten kann ich die aber nicht. So war mein entspannter Tag aber schon viel zu früh zu Ende, da ich bis 22 Uhr auf einmal noch in der Uni sitzen durfte und ihr beim Umschreiben geholfen habe. Jetzt sollte es aber wirklich langsam mal zu Ende sein.