Die Weihnachts- und Neujahrszeit ist vorbei und der Ernst des Lebens geht wieder los. So wirklich überzeugt hat mich der Satz heute früh noch nicht. Besonders, da meine besten Freunde im Büro in Form von Rieko und Shimizu erst in den nächsten Tagen nach Sendai reisen wollen. Keine guten Aussichten im Büro und kurzfristig überlegte ich, ob ich dem Büro fern bleibe und nur den Hauptcampus für meine anderen Aufgaben betrete. Ich entschied mich doch für das Büro und es sollte die richtige Entscheidung sein. Wider meiner Erwartungen war das Büro sogar ziemlich gut gefüllt, da am heutigen Tag der Abgabetermin der schriftlichen Arbeiten dieses Semesters war. Überall konnte man deshalb schwer beschäftigte Menschen sehen, die vor Nervosität, die Arbeit fertig bekommen zu müssen, förmlich rotierten. Unter diesen Studenten fanden sich auch alte Bekannte, wie die zweite Rieko, die mir am Anfang meines Aufenthaltes sehr geholfen hatte und Kaori, meine Extutorin. Ehrensache, dass ich da auch aushelfe und kurzerhand wurde ich bei mehreren kleinen Notfällen gerufen und war so gut beschäftigt. Da sie es aber doch alle schafften, ihre Arbeiten bis zum Abgabetermin einzureichen, hatte sich Professor Morimoto etwas Besonderes ausgedacht. Pünktlich um 18 Uhr stand der Sushilieferdienst vor der Tür und lieferte zwei riesen Packungen besten Sushis. Da ich eh gerade da war, wurde ich natürlich auch mit eingeplant. Japanisches Sushi ist wirklich nicht mit den deutschen Nachahmungen zu vergleichen. Es war absolut lecker und der Professor bezahlte dazu auch noch, da kann man sich wirklich nicht beschweren. Wieso habe ich eigentlich bei der Abgabe meiner Bachelorarbeit kein Essen von meinem Professor ausgegeben bekommen? Irgend etwas mache ich wohl verkehrt.
Das eigentliche Highlight war aber, den Studenten und Professoren dann bei den Gesprächen während des Essens zuzuschauen. Als Europäer stellt man sich ja die Japaner als sehr zurückhaltend und förmlich vor, was auch in den meisten Punkten zutreffen mag. Sie haben aber auch einige Gesprächsnormen, die in Europa wohl auf weniger Verständnis stoßen würde. Ein ?oh?, ?eh? oder ?ah? hat sicherlich jeder in Deutschland schon einmal verwendet. In Japan sind diese Formeln aber höfliche und normale Phrasen, um dem gegenüber seine Meinung zu dem gerade angesprochenem Thema zu zeigen. Dazu wird der Ausdruck aber nicht, wie meist in Deutschland, kurz ausgesprochen, sondern in der normalen japanischen Tradition extrem lang gezogen und extra stark betont. Verzichten sollte man darauf aber auf keinen Fall, zeigt man dem Gegenüber doch dank der Phrasen sein Interesse für das Gesprochene und gleichzeitig seine Meinung. Trotzdem mutet es mir manchmal schon etwas seltsam an, wenn 6 Studenten gleichzeitig ein ?oh? langziehen. Ich will mir auch gar nicht die Reaktion meiner Professoren vorstellen, wenn ich ihre überraschenden Ausführungen mit einem langen ?ehhhhhhhhh? unterstreichen würde. Als Kaori das extensiv heute bei Professor Morimoto machte, gab es dagegen noch nicht mal einen kleinen Blick in ihre Richtung.
Eine weitere Besonderheit der japanischen Konversation ist die Gestik. Japaner hassen es, wenn ihre Hände irgendwo sinnlos rumhängen. Aus diesem Grund wird ein Victoryzeichen bei jedem Foto mit den Fingern gebildet. Bei normalen Gesprächen sieht das nicht anders aus. Jeder Satz wird mit ausführlicher Gestik beschrieben. Man erzählt, wie man etwas festgeschraubt hat? Dann wird natürlich die Handbewegung nachgemacht. Eine Wegbeschreibung wird natürlich mit den Händen untermalt, um noch einmal anzuzeigen, wie man nun laufen muss. Gerade bei Gestik bin ich ein gebrandmarktes Kind. Schon in Deutschland habe ich sie gerne verwendet. Hier in Japan ist das Ganze aber um einiges stärker ausgeprägt und mittlerweile habe ich mir sie auch schon ziemlich angewöhnt. Mir selbst wäre das dabei noch nicht mal unbedingt aufgefallen, aber als meine Eltern im Lande waren, durfte ich mir das schon am ersten Tag anhören. Ich bin mal gespannt, wie lange ich in Deutschland zum Umgewöhnen brauche, aber auf der anderen Seite finde ich eine ausladende Gestik besonders für Referate ziemlich geeignet. Die Frage ist halt wirklich nur, wie die Leute gegenüber darauf reagieren. Auf die stark geräuschvolle Untermalung des Gesagten werde ich aber lieber ganz verzichten.