In was für einem Land lebe ich, wo es an einem Sonntag keinen Sport gibt? Da es außerhalb von Sendai aufgrund von übermäßigem Schneefall immer noch Probleme gibt blieb mir nichts anderes übrig, als meinen Tag in der Stadt zu verbringen. Zu meiner Überraschung war mit meinen Freunden aber leider auch nicht zu rechnen. Alex ist nach dem gestrigen Tag immer noch nicht so wirklich fit, Victoria ist beschäftigt, die Japaner sind auch nicht topfit und Orsolya sollte sich so langsam mal um ihre zukünftigen Wohnmöglichkeiten kümmern. Beide Wohnheime haben den entscheidenden Nachteil, dass sie nur für einen einjährigen Aufenthalt ausgerichtet sind. Für den normalen Austauschstudenten stellt ein Jahr natürlich kein Problem dar. Aber für die anderen Studenten bedeutet dies, man muss sich eine normale Wohnung besorgen. Wohnungen in Japan tendieren aber dazu, extrem teuer zu sein. Da Orsolya es nun verplant hat, Ende des letzten Jahres nach einer Wohnung zu suchen, muss sie sich ranhalten, um noch eine relativ günstige zu bekommen. Da in Japan aber alles nach Jahren abläuft, wird die Sache für sie nicht einfacher. Egal ob im Sport oder in der Schule, alles beginnt im April und hört spätestens im Februar auf. Demzufolge wird die Stadt bald von neuen Studenten überflutet und der Wohnraum noch knapper, als er jetzt schon ist. Aus diesen Gründen war aber natürlich mit ihr heute auch nicht zu rechnen. Keiner hatte also Zeit oder war in der Lage, irgend etwas zu unternehmen.
Kein Problem für mich. Mein Fahrrad wollte sowieso einmal wieder Auslauf haben und dazu kommt noch der geniale Umstand, dass in Japan Sonntags die Geschäfte geöffnet sind. Also ging es zu einer kleinen Radtour um die Stadt. Das Wetter in Sendai war dazu mild, also optimal für eine Tour. Auf dem Weg machte ich natürlich auch mal halt, so zum Beispiel bei einem Buchhandel, der gerade neu eröffnet hatte. Bücher sind hierzulande ziemlich bedeutend, auch wenn sich der Markt stark von Deutschland unterscheidet. Hinter den USA hat Japan sogar den zweitgrößten Buchmarkt der Welt. Um diesen zu festigen, werden in Japan verschiedenste Techniken eingesetzt, die in Deutschland undenkbar wären. Die überraschendste dabei ist vermutlich die Qualität des Papiers in Zeitungen und Büchern. Gerne verwenden japanische Verlage Papier von mangelhafter Qualität, mit dem sich in Deutschland nie Bücher verkaufen würden. Durch das schlechte Papier erreichen die Verlage aber gleich mehrere Ziele. Zum einen werden die Bücher und Zeitschriften billiger, was sich im Absatz bemerkbar macht und gleichzeitig werden sie nach einmaligen Lesen oftmals entsorgt, so dass das für Verlage problematische Zweitlesen unterbunden wird. Als Ausländer ist man aber trotzdem immer wieder über die schlechte Qualität überrascht. Zwei weitere große Unterschiede umfassen dagegen den Zeitungsmarkt und den Mangamarkt. Es gibt hierzulande viele wöchentliche Zeitungen, die mit Comics künstlich gefüllter erscheinen als sie sind und außerdem werden die Kunden mit Geschenken geködert. Eine Zeitschrift über die letzte Saison von Vegalta? Kein Problem – und als Zugabe gibt es gleich noch ein Vegaltahandtuch. Modezeitungen kommen natürlich mit Handtaschen, Kosmetiksets und dergleichen. Eins ist aber auf alle Fälle sicher, eigentlich jede Zeitung verfügt über eine Beigabe, die teurer ist, als der Inhalt der restlichen Zeitung, der sie beiliegt. Der Kunde freut sich auf jeden Fall und die Zeitschriften sind der Renner. Auf der anderen Seite ist dazu noch der Comicmarkt in Japan explodiert. Das Segment des Buchladens, das mit Mangas gefüllt ist, ist größer als das mit normalen Büchern. Egal was man sucht, man findet den passenden Comic dazu. Sogar Erklärbücher, wie einen Guide über Kindererziehung, kann man in dieser Form finden.
Am beachtlichsten fand ich aber wie immer eine Sache: In Japan gibt man bevorzugt die Zeiten in 12-Stunden-Schritten an. Einige Läden wollen es den Ausländern aber einfacher machen und deshalb geben sie die Zeit mittels 24-Stunden-System an. Die Frage ist nur, wie wendet man es richtig an und wie wird der Wechsel von Mitternacht zum nächsten Tag am besten dargestellt? Die Japaner haben auf diese Frage eine einfache Antwort entdeckt, sie geben die Zeit nach Mitternacht einfach als nachfolgende Zeit an. Ein Uhr schließt der Laden? Kein Problem kurzerhand wird 25 Uhr an die Tür geschrieben. Ich muss ehrlich sagen, diese Zeitangabe finde ich schon etwas seltsam. Aber wenn sie es so besser finden, von mir aus!
So verbrachte ich auf jeden Fall meinen Tag. Auf dem Rad im Außenbereich der Stadt Sendais, die Stadt halb umqueren und dabei immer mal Rast zu machen, wo ich etwas Interessantes sah. Die frische Luft tut gut, ist gesund und hilft mir gleichzeitig, für meine Forschungen einen freien Kopf zu bekommen. Was will man mehr? Oh: als Fahrradfahrer eine Warnung, wenn die Stadtstraße, auf der man sich gerade befindet, sich plötzlich in eine Schnellstraße ändert. Überall rasten sie und auf einmal wurde mir klar, was falsch war. Zum Glück fand ich schnell einen alternativen Weg, der Schreck saß trotzdem tief in meinen Knien. Trotzdem hat sich die Fahrt sehr gelohnt.