Jede Handlung führt zu einer Gegenreaktion. In den meisten Fällen trifft dies eigentlich auf schlechte Handlungen zu, heute gab es aber mal den entgegengesetzten Fall. Shimizu ist ein großer Musikfan. Seine Sammlung an Musikstücken ist dabei fast unschlagbar. Eine ganze Schrankwand voll mit Musik aus aller Welt fand ich vor einer Weile bei ihm vor. Aus der gesamten Welt? Nein, ein kleines und unbedeutendes Land in der Mitte Europas fehlte ganz eindeutig. Shimizu hatte als Germanist doch wirklich keine Musik aus Deutschland bei sich zuhause. Ein unhaltbarer Zustand, auch wenn einige Professoren an der Fakultät die Meinung vertreten, deutschsprachige Musik wäre es nicht wert, gehört zu werden. Kurzerhand orderte ich bei meinen Eltern eine CD einer meiner Lieblingsbands. In meinem Weihnachtspaket erreichte sie mich dann endlich, eine Best of CD von Silly, inklusive eines meiner Favoriten ?Halloween in Ostberlin?. ?Halloween in Ostberlin? kannte Shimizu sogar schon, da ich es ihm einmal vorgespielt hatte. Kurzerhand bekam er von mir ein Weihnachtsgeschenk in Form dieser CD. Endlich war eine seiner schwärzesten Lücken im CD-Regal geschlossen. Als Shimizu heute das Büro betrat, konnte man ihm schon von weitem ansehen, dass er etwas im Schilde führte. Ich hatte natürlich auch recht mit meiner Annahme und keine Minute später hatte ich ein Neujahrsgeschenk, wie er es nannte, vor meiner Nase liegen. Da ich eine deutsche Band geschenkt hatte, bekam ich japanischen Rock. Es handelt sich um die japanische Rock- und Folkband „Happy End“, die Anfang der siebziger den Rock in Japan salonfähig machte und dabei im Gegensatz zu ihren zeitgleichen Konkurrenten auf japanische Texte setzte.
Ich muss es Shimizu lassen, seine Auswahl war nicht schlecht. Er hat wirklich einen guten Geschmack und dabei auch noch meine Interessen gut mit eingebaut. Die Musik ist auf jeden Fall sehr hörbar. Für japanische Musikverhältnisse in den letzten Jahren ist das aber ein besonderes Kompliment. Natürlich, die klassische japanische Musik ist absolut hörbar und besonders der Teiko Einsatz, riesige Trommeln, immer wieder ein Ohrengenuss. Auch der Rock hat seine guten Seiten, in Clubs und auch im Radio und Geschäften hat aber Anfang der neunziger der J-Pop Einzug gefunden und damit der Untergang der Musikkultur Japans. Nein, so schlimm ist es eigentlich nicht und auch nicht groß anders zu Ländern wie Deutschland, gut finden muss man den J-Pop aber trotzdem nicht 100prozentig. J-Pop umfasst eigentlich alle Arten von moderner japanischer Musik, also auch zum Beispiel Rock und bildet den zweitgrößten Musikmarkt hinter den USA. Das Problem des J-Pop ist aber der Trend von immer stärker werdender Kommerzialisierung. In den Neunzigern wurden junge, gut aussehende Damen Idole, die sich mehr durch ihr Aussehen verkauften, als durch ihre Gesangskünste. Mehr noch, nach einem Run auf Idole als Einzelkünstler entstand daraus eine Welle an Castingbands aus Schönlingen und gut aussehenden Damen, deren Gesang aber gerne mal auf der Strecke bleibt. Aktuellstes Beispiel dürfte die Band AKB48 sein, eine Band bestehend aus 48 jungen Damen, die gerade das 18. Lebensjahr überschritten haben und sich in ihren Videos in die kürzesten und süßesten möglichen Röcke werfen und dementsprechend eine riesige Anhängerschaft haben. Gleichzeitig treten die 48 natürlich nicht auf, sondern es gibt verschiedene Untergruppen, die auftreten können. Die Marketingmaschine hat natürlich auch die Absatzmöglichkeiten solcher Damen gefunden und es gibt alles, was nur möglich ist, von den Damen und ich meine wirklich alles. Die Musik hört sich dagegen maximal so lala an und liegt maximal auf einem Level mit dem deutscher Castingbands, außer dass es hierzulande fast wöchentlich neue gibt. Viel Schlimmer als die Bands, die sich nur dank Sex Sells promoten und sonst kaum etwas bieten, sind dann aber die Vertreter des Schreipops, wo man kaum noch irgend etwas versteht, da anstelle des Gesangs der Schrei eingesetzt wird. Dazu sind die schrillsten Kostüme und Outfits, die nur denkbar sind, natürlich Pflicht. Wer bei dieser Beschreibung an eine gewisse deutsche Kinderband denken muss, deren Musik auch in dieser Richtung liegt und die sogar Japans Hauptstadt im Namen hat, liegt absolut richtig. Die Band stellt nur eine Mischung aus Schrei-Pop und Visual Kai, dem extravaganten Auftritt, dar. Wirklich eigenständig ist von denen nichts, sondern alles ist mehr oder wenig eine Kopie aus Japan. Und ich zitiere einen Großteil meiner Freunde aus dem Büro: bei einer schlechten Kopie kann natürlich nur absolut schlechte Musik entstehen.
Ansonsten, wenn ich mich nicht gerade mit Musik ablenkte, verbrachte ich den Tag, indem ich Shimizu bei einigen Aufgaben geholfen habe und dann kam endlich auch eines der wichtigsten Mitglieder meines Büros wieder zurück. Rieko ist wieder da! Es wurde auch Zeit und nach ihrem Einschneien auf dem Weg nach Hause zu Silvester, war es gut zu sehen, dass sie nicht krank geworden ist. Vier Monate bevor sie für immer nach Deutschland ziehen will, hatte sie jetzt endlich auch mal die Idee, sich um ihre Zukunft zu kümmern. Das war aber leider nur ziemlich oberflächlich, so dass ich eingreifen musste. Zusammen gingen wir alle ihre zukünftigen Beschäftigungsmöglichkeiten durch. Da sie ein Journalismusstudium zur Vertiefung ihres Masters in Germanistik interessieren würde, suchten wir so zum Beispiel Möglichkeiten dies umzusetzen und ich fand wirklich eine, die ihr aber leider noch nicht so zusagte, da sie lieber in München bleiben will. Der einzige Ort, wo der Studiengang ohne einen sehr schweren Deutschtest zu besuchen wäre, liegt doch tatsächlich in einer der wichtigsten Städte Deutschlands, in Magdeburg. Die FH bietet hier einen Journalismuskurs an, der genau ihren Wünschen entsprechen würde und sogar der DAAD gab den Vorschlag, aufgrund der schwierigen Zulassungssituation doch eventuell an eine FH zu gehen. Wirklich überzeugt ist Rieko aber noch nicht von der Idee. Mal schauen, was für Alternativen wir noch finden, aber ich verstehe sie schon zwischen Magdeburg und München gäbe es eventuell schon einige kleine Unterschiede, sei es auch nur, dass wir den besseren Fußballverein haben. 😉