Wir schreiben den 14. Januar 2011 und befinden uns im schönen Sendai. Bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ist es allen viel zu kalt und die Handschuhe und warmen Unterhosen in fast allen Geschäften sind ausverkauft. Die ganze Stadt friert. Die ganze Stadt friert? Nein, eine kleine Schar unermüdlicher Japaner steht in der Innenstadt in kurzen Hosen und mit einem fast freien Oberkörper bereit. Im Mund einen Glückswunsch und in der Hand eine Gabe und eine Glocke oder eine Lampe. Was konnte dieses Schauspiel, heute 16 Uhr auf den Straßen der Stadt, nur schon wieder bedeuten? Wirklich sicher war ich mir aber nicht, ob mich wirklich diese Frage beschäftigt oder ob es nicht viel mehr noch die Frage ist, warum mich so ein Schauspiel auf den Straßen der Stadt mittlerweile auch nicht mehr überraschen kann.
Zurück im Büro erleuchtet mich eine kleine Internetsuche dann aber doch recht schnell. Es handelte sich um die ersten Vorbereitungen für das sogenannte Donto Sai Festival. Das ist ein in Sendai berühmtes Festival, das jedes Jahr am 14. Januar stattfindet. Ziel des gesamten Festivals stellt es dar, auf einem großen Scheiterhaufen die Neujahrsgestecke und Talismane des letzten Jahres zu verbrennen. Die Tempelindustrie in diesem Land ist natürlich auf der höchsten Stufe des Kapitalismus angelangt. Einen Talisman zu verkaufen, der das ganze Leben reicht, wäre ja finanziell unangebracht. Aus diesem Grund wird kurzerhand erklärt, dass die Talismane nur ein Jahr funktionieren, genau wie die Neujahrsgestecke. Um ihre Wirkung nun ein letztes Mal zu beschwören, opfert man sie auf dem Scheiterhaufen und erbittet Gesundheit, Glück, wirtschaftlichen Erfolg und andere Dinge, die man fürs Leben benötigen kann. Aus diesem Grund müssen die Bittsteller demütig in leichter Bekleidung an dem Scheiterhaufen erscheinen, ihr Opfer bringen und sich dann im Tempel weihen lassen. Wo man sich jetzt als Deutscher seinen Teil über derartigen Aberglauben denken mag, sieht das Ganze in Japan schon etwas anders aus. Offiziell glaubt man zwar auch nicht wirklich daran, schaden kann es aber auch nicht. Dementsprechend schickt jede Firma Vertreter zu dem Feuer am Osaki-Haschiman Schrein, um für das Wohlergehen der Firma im neuen Jahr zu beten. Natürlich machen das nicht die Chefs alleine, sondern die jüngsten Angestellten, offiziell wegen ihrer Gesundheit in der Jugend, in Wahrheit nur, weil sich kein Chef so etwas freiwillig antun möchte. Mit rund 10 Millionen Besuchern im letzten Jahr stellt der Osaki-Hachiman Schrein dabei den Schrein mit den meisten Besuchern in Miyagi dar und wie der Zufall so will, liegt die Uni gleich in der Nähe zum Schrein. Warum sollte ich also meinen Tag im Büro verbringen, wenn ich auch sinnvolleres machen kann? O.k., sinnvoll war es schon, da es mal wieder eine Bücherspende an das Büro gab und die Bücher auf uns Studenten verteilt wurden. Alle geschichtsrelevanten Bücher wurden dabei gleich auf mich verteilt. Ein Meyers Geschichtslexikon, wo noch die Sprache von einem Weltkrieg ist, ist auf jeden Fall interessant zu lesen, nur langsam muss ich mir echt Gedanken machen, wie ich die Bücher nach Deutschland bekomme.
Also stand die Entscheidung fest, ich besuche das Fest. Nur mit wem? Shimizu wollte erst mal noch schlafen, die Ausländer später gehen und so bot sich Okada an, dass ich ihn und einige andere treffen könnte. Gleichzeitig rief Rieko an und fragte mich, ob ich hingehen möchte. Bei der Frage Okada oder Rieko verlor Okada dann knapp. Eigentlich aber nur, da Okada sich erst eine halbe Stunde später treffen wollte und wir uns dann der Gruppe anschließen wollten. Auf dem Weg zum Schrein, wurde ich dann aber fast noch ungehalten. Ein junger Halb-Amerikaner/Halb-Chinese, mit dem ich kaum mal etwas zu tun hatte, war der Meinung, sich uns anschließen zu müssen. In diesem Fall wäre es nett gewesen, wenigstens mal zu fragen und insbesondere nicht Rieko mit der Behauptung imponieren zu wollen, wie gut wir beide befreundet seien. Wenigstens liefen wir dabei Alex in die Arme, mit dem ich wirklich befreundet bin. Ignorierte der Amerikaner vorher meine Protesthaltung ihm gegenüber, die mich weiter Deutsch reden lies, hatte er drei deutschsprachigen nun wirklich nichts mehr entgegen zu setzen und verschwand endlich. Okada und die anderen trafen wir nach langer Suche dann auch, die waren aber schon einmal über das Gelände gelaufen, weil sie uns nicht finden konnten und so mussten wir doch alleine weiter.
Zu dem Fest an sich kann man nur sagen: die spinnen, die Japaner. Es war viel zu kalt für die Kleidung und es war total überlaufen. Trotzdem war es sehr lustig. Die Hungrigen konnten an den Buden zuschlagen, am Tempel konnte noch einmal richtig gebetet werden, um den Scheiterhaufen gab es eine riesige Menschenmenge und im engen Bereich um das Feuer sah man die Läufer, die ihre Opfer brachten. Ein interessantes Schauspiel, das aber von dem Wetter beeinträchtigt wurde. Wir entschieden uns, nach Hause zu gehen und zu kochen. Die provokante Frage von Rieko, die selber überhaupt nicht kochen kann, ob ich überhaupt kochen kann, lies Alex und mich zu Küchenchefs mutieren. Dazu wurde noch Nobu eingeladen und es wurde ein lustiger Kochabend – inklusive mehrstündiger Erzählrunde. Dabei wurde Nobu offiziell zu Alex neuem Tandempartner ernannt und Nobu der Gedanke eingeimpft, Deutsch zu lernen. Also war es insgesamt ein sehr erfolgreicher und lustiger Abend.