Jahresendoffensive

Japan scheint es immer noch zu gut zu gehen. In Göttingen ist es gang und gäbe, in der Zeit um Neujahr die Universität komplett für eine Woche zu schließen. Welches bessere Mittel könnte es geben, um Strom und vor allem Heizkosten zu sparen? Um Neujahr will ja bekanntlich niemand freiwillig die Universität besuchen. In Japan sieht das schon etwas anders aus. Mein zweiter Betreuer kam heute zu mir und entschuldigte sich förmlich bei mir, dass die Fakultät am 31. und 1. für die jährliche Grundreinigung geschlossen bleiben muss. Dass man für zwei Tage die Uni nicht betreten kann, noch dazu in einer Zeit, wo sowieso niemand wirklich die Uni betreten will, kann ja schon mal vorkommen. Dass man sich dafür noch bei mir entschuldigt, finde ich schon seltsam. Shimizu klärte mich aber gleich auf. So normal ist das Vorgehen eigentlich nicht. Normalerweise ist das Büro 356 Tage im Jahr offen und die letzten zwei Jahre hatte er den übergroßen Fernseher genutzt, um das Neujahrsprogramm zu sehen. Dieses Jahr wird er aber nach Hause fahren. Ein herber Schlag für mich nebenbei. Fast alle meine Freunde sind über Neujahr nicht da, ein ziemlich großer Einschnitt, der mich trotzdem nicht abhalten wird, Neujahr richtig zu begehen.

Meine Anwesenheit in der Universität war heute aber auch von größter Wichtigkeit. Es gab noch einen großen Stapel an unerledigten Aufgaben und Projekten und einige der Dinge, die mich die letzten Wochen am meisten beschäftigt haben, konnte ich heute endlich abschließen. Mit Shimizu schaffte ich es endlich, seine Bewerbung für den Austauschmonat im nächsten Sommer zu beenden und abzuschicken. Gar nicht so einfach, galt es doch noch einige Änderungswünsche der Professorin einzubauen beziehungsweise teilweise wegen Unpraktizierbarkeit zu verwerfen. Wenn alles nach Plan verläuft, dann hat er im Sommer die Wahl zwischen der HU Berlin oder einem Sommerkurs im schönen, aber ziemlich kleinen Göttingen. Ich bin gespannt, für was er sich am Ende entscheiden wird. Neben dem Abschluss des Textes von Shimizu schaffte ich es, auch mit Rieko ihren Text zur Vollendung zu bringen. Ich hätte nur nicht zu sehr aus meiner Sicht den Text umschreiben dürfen, so musste ich noch den halben Text erläutern und die Zusammenhänge zu ihrer Arbeit darlegen. Immerhin 4 Stunden brauchte diese Erklärung dann doch noch, aber jetzt ist alles erledigt. Damit sind alle meine Aufgaben für dieses Jahr endgültig vom Tisch und ich habe offiziell Urlaub oder so etwas in der Art auf jeden Fall. Meinetwegen kann die Universität jetzt abgeschlossen werden.

Zum Ausgleich für all die Zeit, die ich heute in der Uni verbracht habe, machte ich im Anschluss noch eine kleine Radtour durch Sendai. Der Umstand, dass kein Japaner freiwillig sein Rad mehr benutzt, hätte mich ja schon stutzig machen sollen, aber ich war mal wieder der festen Überzeugung, ich bilde mir das nur ein. Leider war es nicht so und ein Schneesturm fegte über mich hinweg. Schön, wenn man knapp eine Stunde von seinem Zuhause entfernt ist und auch nicht mehr weiter fahren kann, da man bei den normalen Radfahrgeschwindigkeiten dank der Schneeflocken keine zwei Meter mehr sehen kann. Kurzerhand suchte ich Unterschlupf in einem Laden, der genau neben mir war. Zu diesem Laden fällt mir nur ein: Japaner. Japaner haben ja einen Faible für diese Slotmaschinen, wo kleine Spielzeuge und Figuren heraus kommen. Die sind richtig beliebt und bei jedem großen Laden stehen Unmengen an ihnen herum. Der Laden, in dem ich gelandet war, hatte nur eine Aufgabe: die doppelten Spielzeuge und Figuren aus diesen Maschinen zu kaufen und an Sammler weiter zu verkaufen. Ich hoffe ja wirklich, dass der zum Bersten mit über 30-Jährigen gefüllte Laden nur aufgrund des Schnees so voll war, aber die Autos vor der Tür bewiesen wohl das Gegenteil. Wie sich so ein Laden halten kann, ist mir wirklich unverständlich und dazu wird man noch mit einer absolut lauten Musik bombardiert, die einen eigentlich nur auf Fluchtgedanken bringt. Trotzdem wurde wie wild gekauft. Man muss es sich so vorstellen, als ob in Deutschland ein Laden in der Größe einer normalen Drogerie anstelle von Drogerieartikeln Überraschungseifiguren verkaufen würde. Unmöglich? In Japan nicht und wieder einmal sah man, wie groß die sogenannte Nerdkultur hierzulande eigentlich ist. Zum Glück hörte der Schnee schnell wieder auf und ich konnte weiter. Ich sollte mit Radtouren aber wirklich vorsichtiger sein, wer weiß ob demnächst wieder ein Laden zum Verweilen in der Nähe ist!

Nachtschicht mit leckerer Bezahlung

Langsam sollte ich mir wirklich überlegen, meinen Slogan zu ändern. Irgendwie nehmen einige Leute meine Aussage, dass sie mich anrufen sollen wenn die Welt untergeht, zu wörtlich. Aus diesem Grund wurde aus meinem ultimativen Plan, einen entspannten ersten Weihnachtsfeiertagabend zu verbringen, gestern nicht so wirklich was. Kurz vor Ultimo kam eine Anfrage von Shimizu und ein Text von Rieko, der natürlich auch sehr schnell durchgeschaut werden musste. Um das Schauspiel noch zu verbessern, wartete auch noch eine Mail an Mayumi, in der ich ihr Deutsch berichtigen musste, auf mich. Nebenbei wollte ich auch noch dringend ein paar Mails verfassen. Im Großen und Ganzen kann man sich die anstehende Nachtschicht also vorstellen. Besonders Riekos Text hatte es in sich. Es handelte sich um eine mehrseitige Zusammenfassung ihrer Magisterarbeit in Deutsch, die sie für ihre deutsche Professorin schreiben muss. Eine Kontrolle ist da natürlich kein Problem, würden die Sätze wenigstens Sinn machen, taten sie leider aber nicht immer. Und mehr als einmal rätselte ich, was sie mir damit sagen wollte. Wirklich Rieko, ich muss echt mal festhalten, dass ich ein Historiker und kein Modespezialist bin! So ging meine Nacht also mit dem Umschreiben des Textes und dem Erstellen anderer Texte drauf. Um 5.30 Uhr ins Bett zu gehen, ist aber auf der anderen Seite auch nicht so weit von meinen normalen Zeiten entfernt.

Ums so schöner ist es natürlich, wenn man vergisst, das Handy auszustellen und um 9 Uhr jemand auf die Idee kommt, mir seine Anlagestrategien für mein Geld vorstellen zu wollen. Ja, Japan hat auch ein Problem mit Spamnachrichten und Anrufen, die Nacht war dadurch aber auch gelaufen. Eine Person hatte aber Mitleid mit mir und so verbrachte ich einen schönen Tag in der Innenstadt. Heute stand eigentlich eine Jahresanfangsparty des Wohnheims an. Da Rieko aber wenig Interesse daran hatte, dort bei der Organisation zu helfen, weil der Hauptorganisator wohl gewisse Napoleonkomplexe hat (halt klein und machthungrig), fragte sie mich kurzerhand, ob sie mich nicht zum Dank für die ganze Hilfe zum Essen einladen kann. So ging es in die Innenstadt. Dort kam es dann auch zu dem einzigen Negativpunkt des Tages. Thomas muss unsere Silvesterfeier absagen, da er nur noch auf dem Zahnfleisch kriecht. Zu schade, wer ihn sieht versteht aber die Problematik zu gut. Ansonsten wurde es aber ein sehr lustiger Abend. Mit einer Japanerin loszuziehen hat echt Vorteile, da sie einem doch noch mehr in den Geschäften erklären kann, was man noch nicht wusste. Gleichzeitig ist Rieko mittlerweile schon so europäisiert, dass es nicht so ist, als ob man mit einer Japanerin, sondern mit einer Deutschen loszieht. Nur Thomas muss ich noch einmal in Ruhe den Unterschied zwischen einem Essen und einem Date erklären.

Auf jeden Fall ging es erst einmal ein wenig shoppen, was bis heute nicht wirklich angenehmer geworden ist. Die Innenstadt ist immer noch viel zu überlaufen. Aber wir landeten in einem interessanten Buchladen, der wirklich eine Auswahl an Büchern hatte, die die Welt unbedingt gebraucht hat. In der Sektion der Deutschlernbücher fand sich so unter anderem die Perle ?Verhalten im Biergarten?. In diesem Werk wurde haarklein beschrieben, wie man überall in Deutschland Bier bestellen kann, welchen Alkoholgehalt es hat und die angeblich drei besten Vertreter der jeweiligen Unterart vorgestellt. Die Bremer unter uns hätten wegen der Abstinenz von Becks aber Protest eingelegt, wobei der zweite Hauptsponsor des FCM auch fehlte. Ich glaube, das Buch bekommt Shimizu zum Abschied. Was braucht man sonst, bevor man Deutschland bereist? Ein anderes Highlight stellte wohl das englische Buch ?Wie date ich einen Japaner? I und II? dar. In diesem Machwerk wurde aufs Kleinste beschrieben, welche Flirtphrasen wichtig sind und wie ich einen etwaigen Partner später wieder loswerde. Vermutlich hätte ich mir das Buch mal bei meiner Ankunft zu Gemüte führen sollen. Zum Abschluss des Tages ging es dann in ein Gemüserestaurant, das heute sogar ?All you can eat? angeboten hat. Ein großer Fehler, wenn ein Europäer in der Nähe ist, wie sie auch schnell feststellten und deshalb die Vorräte an einigen der bei mir beliebten Speisen ziemlich langsam wieder auffüllten. Es war aber ein sehr gutes Restaurant, auch wenn sie Rieko beleidigt haben. Ihre Teller blieben allesamt die gesamte Zeit über stehen, während beim Ausländer alle 5 Minuten ein Teller zur Seite geräumt wurde, dass er auch anständig essen kann. Man konnte wirklich eine unterschiedliche Behandlung von uns beiden feststellen. Auf jeden Fall war es ein klasse Tag. Meine Nachtschicht hat sich also wirklich gelohnt, auch wenn ich jetzt heraus bekommen muss, wie ich mich Silvester am besten beschäftige, aber das wird schon.

Weiße Weihnachten

Hier in Japan gehen die Uhren wenigstens noch richtig. Während in Deutschland seit Wochen Schneealarm angesagt ist und das Land kaum in der Lage ist, den Schnee zu bewältigen, hat in Japan der Winter genau zur richtigen Zeit angefangen. Pünktlich zum 24.12. ist der erste Schnee in Sendai gefallen, der auch wirklich liegen geblieben ist und hat uns somit weiße Weihnachten beschert. Wirklich gewollt war der Schnee zwar nicht, aber was will man machen? Um genau zu sein ist es sogar ziemlich nachteilhaft, weil man wieder einmal bemerkt, wie schlecht die Häuser doch gedämmt sind, aber noch geht es. Für einen Fahrradverrückten wie mich reicht es auch immer noch, um mit dem Rad zu fahren. So lange das möglich ist, werde ich mich nicht beschweren. Trotz allem ist auch Sendai nicht wirklich vorbereitet und es fehlen einfach Schiebemaschinen, so dass der Schnee und Matsch die Straßen ziemlich glatt machen. Dementsprechend vorsichtig sollte man trotzdem unterwegs sein.

Eigentlich hatte ich für heute eine Radtour vorgesehen. Den Wetterbedingungen und meinem Willen, das letzte Adventskalenderrätsel zügig zu lösen, opferte ich diesen Plan aber bereitwillig. Da niemand zu erreichen war, um etwas zu unternehmen, ging ich halt alleine in die Stadt. Wie ich hatten die meisten einfach gestern Abend mit den Familien telefoniert. Die späten Abendstunden zu denen dies geschieht, waren die meisten aber nicht gewöhnt. Was soll?s, ich kann mich auch alleine beschäftigen. Um genau zu sein war es sogar sehr praktisch, dass ich alleine war, denn als Gruppe, hätten wir uns nach 5 Minuten verloren. Die Stadt quoll von Menschen über. Am extremsten war der Zustand in der Hauptstraße des Peagant of Light. Man konnte auf einmal keinen Schritt mehr machen und die Japaner blockierten die gesamte Straße. Kurzerhand suchte ich jemanden, der mir das Schauspiel erklären konnte. Ich brauchte auch zum Glück nicht lange suchen, da entdeckte ich zwischen den Japanern zwei alte Bekannte. Zwei der Konzertbesucher des 23.12. standen auch in der Menge und betrachteten leicht verwirrt das Schauspiel. Sie wussten zwar auch nicht, was es war, aber wenn alle warten, kann es ja nur gut sein. Wir warteten also zehn Minuten mit den anderen, bis sich der Grund für die Massen zeigte. Alle standen die ganze Zeit im Schneewirbel, um den Anschaltezeitpunkt des Peagant of Light zu sehen. Dabei war das noch nicht einmal so etwas Besonderes. Das Licht ging halt nur auf einmal an, aber es ging ein riesiges Raunen durch die Menge, als ob sonst für eine Show geboten wurde.

Was danach passierte, überlebte ich nur dank langjähriger Fußballerfahrung. 10 Sekunden nach Anschalten der Lichter geriet die ganze Menge in Bewegung und drängelte sich in Richtung des Festplatzes. Wer war natürlich der einzige Besucher, der in die andere Richtung wollte? Kurzerhand verschaffte ich mir Platz und Respekt und kämpfte mich gegen den Strom. Alles in allem war das ein schweres Unterfangen. Trotzdem war das ganze Festival heute besser als sonst. Es gab Livekonzerte, mehr Buden und auf einmal auch noch mehr Lichter. Was will man mehr, außer besseren Lichtverhältnissen, die auch Fotos erlauben? Das einzige, was ich nicht verstehe, ist die Kostümwahl. In Deutschland verstehe ich es ja noch, wenn die Verkäufer sich als Weihnachtsmann verkleiden wollen. Wieso in Japan aber jeder zweite Verkäufer ein Rentierkostüm an hatte, brauche ich hoffentlich nicht zu verstehen. Immerhin halte ich ihnen zu gute, dass die Kostüme wärmer waren, als alles, was man sonst so anhaben konnte. Besonders, da die Kostüme auch mit einem Hut mit Gesichtsmaske versehen waren, fühlte ich mich etwas komisch, wenn ich von einem Rentier bedient wurde.

Frohe Weihnachten aus Sendai!

Es ist Weihnachten, was macht der gute Student an solchen Tagen also? Er geht natürlich in die Universität. Frei nach diesem Motto schwang ich mich natürlich aufs Fahrrad und nahm meinen Stammplatz im Büro ein. Natürlich war ich nicht der Einzige. Eigentlich alle Studenten, die auch sonst die Uni besuchen, waren heute ebenfalls da. So unter anderem Shimizu, der es wirklich schaffte, sein Bewerbungsschreiben durch die harte Kontrolle der deutschen Professorin zu bekommen. Ein Punkt in der Bewerbung ist zwar immer noch nicht hundert prozentig den Umständen entsprechend, aber solange es angenommen wurde, wollen wir uns ja nicht beschweren. Viel mehr hat mir ein anderer Student heute aber zu denken gegeben. Okada, mit dem ich mich manchmal unterhalte, wollte mir laut Shimizu wohl eine Mail schreiben. Das scheiterte nicht etwa an seinen Sprachkenntnissen, sondern an den unklaren sozialen Begebenheiten zwischen uns. Wie es aussieht, spricht er mich nur so selten freiwillig an, weil ihm nicht klar ist, wie er mich ansprechen soll. Er ist eigentlich zwei Jahre älter, ich behandle ihn aber nicht so, sondern wie einen Gleichaltrigen, da ich sein Alter nie wusste. Damit habe ich aber offensichtlich das Standessystem Japan ausgeschaltet. Ohne ein funktionierendes Standessystem funktionieren die Japaner aber auf der anderen Seite wiederum nicht. Laut Shimizu hat er wohl die ganze Zeit nur spekuliert, wie er mich zum Beispiel ansprechen soll. ?Sehr geehrter? war zu formell, ?Hallo? hätte ja wieder zu informal sein können. Shimizus Hinweis, dass er so etwas bei mir locker sehen soll, hat er leider gekonnt ignoriert und so blieb es bei dem Versuch, mir eine Mail zu schreiben. Das gibt einem natürlich zu denken, ob man nicht noch mehr versuchen sollte, dass Standessystem hierzulande einzuhalten. Wenn man aber das Alter der Japaner kaum einschätzen kann und der Stand auch sonst nicht klar wird, was soll ich bitte tun?

Jemand, den diese Problematik überhaupt nicht stört, ist Rieko. Aus diesem Grund begab ich mich auch nach der Uni mit ihr in die Innenstadt. Sie wollte ihre beste Freundin in Sendai treffen und ich leistete ihr bis zum Treffen Gesellschaft. Eigentlich war ich sogar noch länger eingeplant, da mich besagte Freundin vor zwei Tagen spontan auch eingeladen hatte mit zu kommen, leider hatte ich da schon anderen für eine Weihnachtsfeier zugesagt. Eigentlich schade, denn die beiden wollten Eislaufen gehen und standen vorher noch nie auf Kufen oder Rollen. Man kann sich das Schauspiel des ersten Eisbetretens vorstellen. Für mich bedeute es, sportlich zu werden und ich rannte mehrere Male um den Eisring, um Anweisungen und Tipps zu verteilen. Ich wollte schließlich nicht, dass sie sich öfter hinschmeißen. Eigentlich versuchten die Beiden, mich auch noch öfter aufs Eis zu lotsen. Mit Schuhen drei Nummern zu klein hätte das aber leider keinen Sinn gemacht. Leider hatte ich bei der ganzen Aktion aber noch viel zu viel Spaß, so dass ich die anderen zu Hause innerlich verfluchte, als sie mich an unser Treffen erinnerten. So verabschiedete ich die Beiden und konnte nur hoffen, dass sie sich nicht noch etwas brechen. Wirklich sicher sahen sie zu dem Zeitpunkt noch nicht aus.

Also ging es weiter im Text und zurück nach Sanjo, wo ich eigentlich die übliche 5er Gruppe erwarte. Was ich fand, war dagegen überhaupt nicht nach meinem Geschmack, denn eine übergroße Schwedengruppe hatte sich zu uns gesellt. Soviel zu ruhigen Weihnachten, wäre ich doch bei den Mädels geblieben. Dieser Gedanke verflüchtigte sich zum Glück ziemlich schnell, so dass es doch noch ein guter Abend wurde. Es gab sehr zum Schock der anwesenden Japaner Milchreis, die wohl groteskeste Vergewaltigung von Reis, die sich ein Japaner vorstellen kann. Dazu gab es Weihnachtskuchen und relativ schnell lichteten sich auch die Reihen. Für jemanden, der nicht groß feiern will, sondern etwas Zeit mit Freunden verbringen wollte also genau das Richtige. Zusammen wurde ein japanisches Monopoly Spiel heraus geholt, ein wenig gezockt und viel geredet, was will man mehr. Passenderweise fiel dazu heute auch der erste Schnee, der auch liegen blieb. Man kann also von weißen Weihnachten sprechen.

Ich wünsche auf jeden Fall allen Lesern ein frohes, schönes und geselliges Weihnachtsfest. Genießt die Feiertage und die Weihnachtsessen!

Live at Concert

Wie konnte so etwas nur passieren? Die letzten vierundzwanzig Jahren habe ich es immer vermieden zu einem Weihnachtskonzert zu gehen, was kein ?Rock? im Namen hatte. Nicht zuletzt meine Musiklehrerin, die nur drei Weihnachtslieder kannte und uns diese jedes Jahr endlos hoch und runter singen lies, hatte mir die Lust auf derartige Konzerte gehörig verdorben. Heute konnte ich mich aber nicht weigern. Die Musikerin des Essens bei Frau Omori hatte heute ein Konzert in der Nähe von Yamagata. Als Bekannter von ihr wurde ich auch eingeladen. Zwei Karten hatte ich umsonst erhalten, das muss natürlich genutzt werden. Zu meinem Glück erklärte sich Sadia bereit, mich nicht alleine dort hin gehen zu lassen. Um die Sache noch angenehmer zu machen, stand auch gleich noch ein Mitglied von Group Mori für uns bereit, um uns mit dem Auto dort hin zu fahren. Was kann man sich sonst noch wünschen? So ging es also mit dem Auto zum Konzert. Über den Fahrstil der Japanerin lasse ich mich zwar jetzt mal lieber nicht aus. Rote Ampeln haben in Japan offensichtlich eine andere Bedeutung als in Europa, aber einem geschenkten Gaul schaut man natürlich nicht ins Maul und wir schafften es trotz einiger Panikschübe unbeschadet zum Konzert. Zu meiner Freude fand das Konzert in einem Planetarium statt. Bis dato habe ich einmal ein Konzert in einem Planetarium gesehen, ein Queen Best of mit einer Lichtspieluntermalung, die ziemlich gut war und auch heute sollte ich nicht enttäuscht werden. Das Klavierspiel der Japanerin war sehr beeindruckend und man merkte ihr an, dass dort auch die Erfahrung einiger Jahre Training in Europa mitspielte. Dazu wurde der Sternenhimmel mit verschiedenen Elementen zur Untermalung der Musik eingeblendet. Wieso einige der Japaner der Meinung waren, den Stuhl unbedingt deswegen auch in Liegeposition verstellen zu müssen, verstehe ich zwar nicht, schließlich handelte es sich ja trotzdem noch um ein Konzert, muss ich aber vermutlich auch nicht.

Zwei Stunden wurden wir auf alle Fälle super unterhalten und anschließend begann für sie der richtige Spießrutenlauf. Mir muss kein Japaner mehr erzählen, Japaner würden keine Fotos machen. Sie signierte noch einige CDs und alle Japaner wollten auch mit ihr ein Foto, soweit kein Problem. Aber anschließend ging es noch einmal richtig los. In jeder Kombination wurden noch einmal Fotos geschossen. In Paaren, Gruppen und dazwischen die arme Japanerin, die in ihrem dünnen Kleid den kalten Wind, der in den Raum gelangte, ertragen musste und so etwas an ihrem Geburtstag. Sie schlug sich aber tapfer und wir waren sowieso noch ganz hin und weg vom Konzert. Danach ging es dann wieder per Auto nach Hause, wobei das Group Mori Mitglied mich noch mit Fragen zu meinem Leben in Japan bombardierte.

Ansonsten war der Tag vor allem eines: nass. Kurzzeitig konnte man denken, die Wettersituation hätte sich verbessert, dem war aber bei weitem nicht so. Ein Grund mehr, den selbstmörderischen Fahrstil der Japanerin ganz schnell wieder auszublenden. Es gilt also weiterhin Land unter im schönen Sendai und wenn es so weiter geht, gilt es wohl auch für morgen, dass Weihnachten ins Wasser fällt. Mal schauen, wie sich das noch weiter entwickelt. Um eventuell noch eine Frage in diesem Zusammenhang zu beantworten: In Japan gilt der 24.12. nicht als Feiertag, sondern der heutige 23.12. Am 23.12. wird der Geburtstag des Tennos gefeiert, während der 24.12. ein normaler Arbeitstag ist. Da nicht groß gefeiert wird, fällt das aber auch nicht weiter auf. Höchstens die Bars der Städte werden etwas besser gefüllt sein, da fast jede Abteilung der verschiedenen Sendaier Firmen wohl morgen Abend noch einmal gemeinsam irgendwo trinken geht. Ich bin auf jeden Fall gespannt und werde mal schauen, was ich am besten mache. Die Entscheidung hängt aber auch maßgeblich vom Wetter ab, denn bei solchen Regengüssen wie an den letzten zwei Tagen, jagt man noch nicht mal seinen Hund unbedingt vor die Tür.

Land unter in Sendai oder wo waren noch einmal die Ruderboote verstaut?

Es lebe der Klimawandel! Deutschland geht momentan im Schnee unter und Japan hat momentan um die 10 Grad und mehr, was wünscht man sich mehr? Dieser Umstand war offensichtlich zu viel für die Natur und als Ausgleich entschied man sich heute für den Weltuntergang hierzulande. Sendai ist dadurch heute Opfer von sintflutartigen Regenfällen geworden. Ab 3 Uhr morgens schüttete es aus allen Wolken und es hatte den Anschein, also ob der Regen gar nicht mehr aufhören wollte. An sich hätte mich das vor kein größeres Problem gestellt. Regenfälle sieht man hierzulande ja besonders in der Regenzeit öfter, aber das heute hatte eine ganz andere Qualität. Es war kaum möglich, den Fuß vor die Tür zu setzen. Es regnete wie aus Eimern und der Fluss hatte zur Mittagszeit schon seine Breite verdoppelt. Das ist eindeutig ein schlechtes Zeichen, wenn man bedenkt, dass ich ihn noch nie so breit gesehen habe. Er erreichte sogar den Damm und zum Glück hielt dieser stand. Aber nicht nur der Fluss war vom Wetter betroffen. Die Straßen waren unter Wasser und die Kanalisation konnte mit den Wassermassen nicht mehr umgehen, so dass alle Gullys überquollen. Am schlimmsten traf es aber einige Teile der Innenstadt, wo laut Lauras Augenzeugenbericht das Wasser bis zum Knöchel reichte. Aber schon allein der Weg zur Uni war überflutet genug. Man kann sich das Chaos in der Stadt wohl bildlich vorstellen. Die Japaner waren aber wie immer auf alles vorbereitet und man nutzte diese Problematik gleich als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. An jedem überquellenden Gully hat die Stadt doch wirklich einen Wächter aufgestellt, der an dieser Stelle den Verkehr leiten musste. Im strömenden Regen einen Gullydeckel zu bewachen, stelle ich mir auch nicht gerade als Traumberuf vor. Trotzdem taten es die Japaner ohne auch nur eine Miene zu verziehen.

Was sollte man also machen? Zu Hause bleiben war keine Option, so sehr ich mir das angenehm vorgestellt habe. Schweren Herzens entschied ich, mich mit dem Rad auf den Weg zu begeben und ich sollte doch wirklich Glück haben. Ich schaffte es genau in dem Moment zu fahren, wo für 15 Minuten der Regen mal aufgehört hatte und fast trockenen Fußes erreichte ich die Uni. Dort kam es gerade zum großen Showdown für Shimizu, der seine Bewerbung vorlegen musste. Über eine Stunde wurde er dabei auseinander genommen und ich wünschte mir sehnlichst, auch im Raum zu sein, um etwas unternehmen zu können. Wirklich etwas vorzuwerfen habe ich mir aber auch nicht. Die Rechtschreibfehler waren zu 90 Prozent in einer neueren Version schon beseitigt und beinhalteten zum Großteil eh nur die Umschrift der Umlaute in eine japanische Tastatur. Einige Sätze wurden auch umgestellt, lustigerweise handelte es sich bis auf den Endsatz aber nur um Sätze, die wir so von Rieko übernommen hatten und mit denen sie letztes Jahr für den Aufenthalt angenommen wurde. Die Kritik am letzten Satz dagegen basierte nur auf unterschiedlichen Annahmen über die Schreibweise eines derartigen Motivationsschreibens, was zu einem kurzen Disput führte.

Nachdem dies alles geklärt war, saßen wir wieder alleine im Büro. Da das Paket vor ein paar Tagen neben viel Schokolade auch eine DVD beinhaltete entschieden wir, gemeinsam den Film ?Willkommen bei den Sch““tis“anzuschauen. Das Gesicht von Professor Morimoto, als er sah, dass seine Studenten freiwillig einen Film auf Deutsch schauten, war göttlich und zum ersten Mal verstanden sie wirklich die Bedeutung des Dialektes in Deutschland. In bester Studienmanier erklärte ich ihnen auch kulturelle Dinge des Films und sie verstanden auch einiges. Das einzige Problem, das nun vor mir aufgetaucht ist, stellt die Tatsache dar, dass Shimizu jetzt den Dialekt imitiert. Ein klarer Beweis, dass er in Deutschland in eine Region ohne viel Dialekt fahren sollte. Den Rückweg schaffte ich überraschenderweise ebenfalls wieder im trockenen Zustand bis nach Hause und ich kann nur hoffen, dass es morgen besser ist. Bei dem Wetter jagt man wirklich keinen Hund auf die Straße und den Campus würde ich gerne weiterhin ohne Boot erreichen.

Essen mit Frau Omori

Das war knapp heute. Man sollte Japaner wirklich nicht alleine ihre Sachen machen lassen. Ich bin heute entspannt ins Büro gegangen, ohne etwas Böses zu erwarten, als gerade die deutsche Professorin den Raum betrat. Gerade zu diesem Zeitpunkt ging aber auch im Büro alles schief. Shimizu schrieb gerade an seiner Google-Translator-Übersetzung herum und ein anderer Kumpel von mir wurde gerade wegen einer Trinkgeschichte am Wochenende geärgert. Am Sonntag um drei Uhr morgens hatte er Shimizu angerufen und ihn gebeten zu kommen. Shimizu, der schon geschlafen hat, ist also aufs Motorrad gesprungen und die 50 Kilometer zum Standort des zweiten Japaners gefahren. Dort konnte er nur heraus bekommen, dass dieser ziemlich angeheitert war und einfach den Fahrkünsten eines anderen Japaners in diesem Zustand nicht mehr getraut hat. Deshalb stieg er aus dem Auto aus und wollte Shimizu mit seinem Motorrad als Fahrer haben. Wie man sich vorstellen kann, war ihm diese Geschichte ziemlich peinlich, insbesondere wenn man bedenkt, dass er sich laut eigenen Aussagen gar nicht mehr an den Vorfall erinnern kann. Auf jeden Fall stand auf einmal die Professorin in der Tür und wollte unbedingt Shimizus ersten Entwurf lesen und hören, warum alle Okada ärgern. Die Geschichte war natürlich nicht für Professorenohren bestimmt und dementsprechend wollte ich das nicht erzählen und irgendwie galt es noch Shimizu aufzuhalten. Ich erzählte also die gesamte Geschichte ohne den Trinkpart und zeigte Shimizu per Handzeichen, dass er große Probleme bekommt, wenn er den Zettel so wie er ist abgibt. Zum Glück verstand er, machte aber einen dämlichen Fehler und zeigte meine Einleitung, die ich gestern schnell entworfen hatte – natürlich in meiner Handschrift. Zum Glück gab die Professorin sich damit zufrieden, auch wenn sie diese Woche noch Ergebnisse sehen will.

Wirklich Zeit für solche Rettungsaktionen hatte ich heute aber eigentlich gar nicht, schließlich war ich noch bei Frau Omori, Yuris Wachhund, eingeladen. Also schnell Schokolade gepackt und los ging es zur Wohnung. Einmal in meinem Leben will ich bei ihr schließlich mal ohne Verspätung erscheinen. Zweimal hatte ich mich dank meiner Begleitungen schließlich schon verspätet. Diesmal klappte es aber und ich stand überpünktlich auf der Matte. So konnte das Essen losgehen. Sechs Ausländer und sechs Japaner waren geladen. Ehrengast war dabei eine alte Bekannte – Rieko, mit der ich mich vor mehreren Monaten beim Tanabatafest noch gepflegt verlaufen hatte. Sie erkannte mich sogar noch und auch ansonsten waren einige bekannte Gesichter dabei. Neben den Studenten und einigen Group Mori-Mitgliedern war aber besonders eine Frau überraschend, sie holte auf einmal ein fast perfektes Deutsch heraus. Wieso nur fast perfekt? Das Deutsch hörte sich etwas komisch an, nicht so wie ein japanisches Deutsch, sondern fast wie ein sächsisches Deutsch. Ich sollte recht behalten. Sie hat in Dresden gelebt und dort die Sprache (inklusive Dialekt) gelernt. Was soll man aber zum restlichen Abend sagen? Frau Omori weiß, wie man Partys schmeißt. Das Essen war perfekt und auch die Gäste waren angenehm. Besonders witzig wurde die Aktion, als versucht wurde, ein Abschiedsgruppenfoto zu machen. Drei Fotoapparate wurden auf Selbstauslöser gestellt und dann ging das Gerenne zum Platz los. Eine ziemlich kuriose Situation. Begeistert waren die Japaner aber von etwas anderem. Es war wieder der Pole dabei, der einen Zentimeter kleiner ist als ich und wir versuchten, uns von der Größe her auszustechen. Ein Schauspiel, was die Japaner unbedingt fotografieren wollten. Das Konzert wird auf jeden Fall mit Rieko in der Hauptrolle sein und ich habe zwei Karten umsonst bekommen. Anstrengend war der Abend aber trotzdem, man wollte sich ja nicht unbeliebt machen und musste deshalb seine ganzen Japanischkenntnisse herausholen. Allgemein ist es interessant, mit wie wenig Platz die Japaner auskommen. Die beiden von Group Mori haben ein perfektes Schlafzimmer, nutzen es aber nur als Arbeitszimmer und räumen dafür täglich Betten wieder zusammen und verschieben alles im Wohnzimmer dafür.

Anschließend war der Abend aber noch nicht gelaufen. Da ich mittlerweile eh schon der halbe wissenschaftliche Mitarbeiter bin, kann ich auch mal eine Nachtschicht einlegen. Ich sollte wirklich einmal über die Bezahlung nachdenken. Kurzerhand ging es zu Shimizu und gemeinsam (und mit Riekos altem Bewerbungsschreiben in der Hinterhand) konnte die Arbeit losgehen. 2 Stunden später war endlich eine erste Textversion angefertigt. Zwar meinte die Professorin, es wäre besser, wenn der Student es komplett selbst erstellt. Aber die Bewerbung von Rieko war auch nicht nur von ihr geschrieben, dann darf ich auch etwas helfen. Mal schauen, ob es morgen akzeptiert wird.

Reik vs. Reisebüro

Wenn es etwas gibt, das man in einem fremden Land oft machen sollte, ist das Reisen. Leider gibt es zwei natürliche Begrenzungen für dieses Hobby, das Geld und die Zeit. Letztere hätte ich mir in den letzten Monaten wohl noch öfter nehmen können und ersteres investieren sollen, aber ohne anständige Begleitung sind die meisten Reisen leider ziemlich öde. Natürlich darf man die ganzen Reisen mit meinen Besuchern nicht außen vor lassen. Gerade mit denen habe ich viel gesehen und getan. Aber dank des begrenzten Zeitvolumens der Besucher haben sich Reisen, die die japanische Hauptinsel verlassen, nie ergeben. Unter meinen Mitstudenten gibt es aber auch nicht all zu viele Studenten, die den spontanen Reisen zugetan sind und dementsprechend musste ich mich auf die wenigen Male mit Melanie verlassen, wenn ich etwas sehen wollte. Umso mehr ärgerte mich die Tatsache, dass ich das Zelten in Hokkaido mit ihr im Sommer verpasst habe. Hokkaido ist eines der Ziele, das ich unbedingt noch erreichen will, bevor ich das Land verlasse.

Heute hat sich aber alles geändert. Im Februar ist in Sapporo auf Hokkaido ein großes Schneeskulpturenfest. Monate vorher ist das ausgebucht und stellt damit einen der kulturellen Höhepunkte in Sapporo dar. Eigentlich sollte man dafür schon 6 Monate vorher buchen, wenn man auch nur halbwegs billig dort hin kommen will. Nun ergab es sich, dass schon vor Wochen der Plan entstand, sich das Festival anzuschauen. Die Planer vergaßen das Ganze aber wieder, bis sie ein gewisser Deutscher daran erinnerte. Da Orsolya aber nun schon in die Heimat geflogen ist und David als Mitverantwortlicher keine Zeit hatte, mussten zwei gänzlich uninformierte heute den schweren Gang ins Reisebüro antreten, um noch ein Hotel zu finden. Da standen wir also – Victoria und ich – ohne nur die geringste Ahnung über den aktuellen Fortschritt der Planungen zu haben und nur mit der Information versehen, doch bitte 10 Tickets zu besorgen. Nichts leichter als das. Es ist ja zum Glück nicht so, als ob man im Internet noch all zu viele bezahlbare Doppelzimmer findet, geschweige denn 5 Doppelzimmer. Da eigentlich nur fünf Teilnehmer der Reise richtig feststehen und wir es nicht einsahen, wenn im Extremfall niemand sonst mitkommen will, unseren Kopf hin zu halten, kürzesten wir kurzerhand die Teilnehmerzahl auf 6. Und selbst diese geringe Anzahl sollte schwierig genug werden. Geschlagene 70 Minuten feilschten wir mit der anwesenden Angestellten über die Hotels. Eine unserer Anweisungen besagte zum Beispiel, einen 3-Tage-Aufenthalt zu buchen. Kein Problem, nur schlecht, dass die Fähre nur alle zwei Tage fährt, was die drei Tage verhinderte. Gleichzeitig war das einzige freie Hotel auch nur für drei Tage frei. Ein verzweifelter Kampf entstand, in dem Tage geschoben, die Reise gekürzt und verlängert wurde und im Endeffekt entschieden wurde, noch einen Tag dran zu hängen, da wir ansonsten einen Flug hätten nehmen müssen, um Sendai wieder zu erreichen. Mir war die Entscheidung auch sehr recht. 3 Tage auf Hokkaido wären mir auch zu wenig gewesen. Auf jeden Fall war es ein Kampf, da nichts wirklich so zusammen passte, wie wir uns das vorstellten. Dazu kam natürlich auch noch die Sprachbarriere, die alles noch ein wenig erschwerte. Victoria, die in Amerika schon Jahre Japanisch gelernt hatte, übersetzte und ich traf die meisten Entscheidungen. Öfter will ich solche Aktionen aber wirklich nicht machen. Was sollen wir für 4 andere entscheiden, die sich nie geäußert haben. Wir haben das ganze Projekt noch nicht mal angestoßen, aber egal, jetzt wird sich hoffentlich alles ergeben. Dementsprechend geht es in zwei Monaten nach Hokkaido. Endlich, dann fehlt jetzt nur noch Okinawa, wobei mich die Insel nicht so reizt, da es sich eigentlich nur um eine Entspannungsurlaubsinsel handelt. Man kann dort auch im Winter baden, aber dafür muss ich nicht unbedingt die teuren Reisekosten tragen. Aber im Endeffekt soll man niemals nie sagen und eventuell ergibt es sich ja doch noch.

Wenn ich nicht gerade Reisebüromitarbeiter zur Verzweiflung bringe, tue ich das Ganze natürlich noch bei einer anderen Gruppe von Menschen: meinen Mitstudenten im Büro. Ich dachte ja, jetzt wo Rieko fertig ist, wird mein Leben einfacher, aber weit gefehlt. Shimizu muss seine Bewerbung für Deutschland fertig stellen und saß heute den ganzen Tag daran. Dazu verwendete er einen japanischen Text, den er versuchte ins Deutsche zu übersetzen. Dazu ließ er ?Professor Google?, wie er es nannte, eine Vorübersetzung anfertigen, um dann im Anschluss selbst an die Übersetzung Hand anzulegen. Wirklich geholfen hat das aber bei weitem nicht. Mit dem Text, den er hatte, wäre er nicht mal in die erste Auswahl gekommen, aber wozu ist er Tutor von einem Deutschen? Kurzerhand überarbeitete ich erst einmal seine Einleitung, um ihn eine Idee zu geben, wie er den Text schreiben muss. Überarbeiten ist dabei aber eventuell das falsche Wort, neu schreiben trifft es besser. Als ich schon am ersten Satz meckern musste, wurde er gleich kreidebleich und fragte, was an seinem Namen falsch sei. Rein gar nichts, aber ein „werde ich am DAAD-Trainingssystem teilnehmen“, kann nur aus dem Übersetzungsprogramm kommen und kann einfach nicht verwendet werden. Jetzt hat er hoffentlich eine Idee, aber lange genug hat die Überarbeitung auch gedauert. Das wird mich wohl noch die nächsten Tage beschäftigen. Auf der anderen Seite war der Tag aber auch ziemlich erfolgreich für mich. Zum einen hat mein Ministollen den Wettkampf gegen einen Stollen, den die deutsche Professorin letzte Woche mitgebracht hat, klar gewonnen und auf der anderen Seite haben wir heute Bücher von einem verstorbenen Professor entsorgt und ich habe mir echte Schätze sichern können. Wie ich die nach Deutschland bekomme, ist mir zwar noch nicht ganz klar. Aber ich habe mich auch extra zurück gehalten und nicht zu viele genommen, soweit das bei perfekten Quellen um die Jahrhundertwende überhaupt möglich ist.

Telefonterror und ausgefallene Lichter

Puh, die letzte Woche hat ganz schön geschlaucht. Immer wieder viel zu lange im Büro herum hocken kostet schon etwas Kondition, aber für Rieko hab ich das ja gerne gemacht. Wenigstens konnte ich mich heute etwas entspannen und länger schlafen, dachte ich jedenfalls. Heute um 3 Uhr morgens bekam ich von Frau Omori, Yuris alter Anstandsdame, eine Mail auf Japanisch und weil ich nicht sofort geantwortet habe, musste natürlich heute früh um 6.30 Uhr erst mal nachgefragt werden, was los ist. Könnte jemand der Dame bitte sagen, dass normale Menschen auch mal vergessen, auf ihr Handy zu schauen, besonders wenn es nach Mitternacht ist. Und vor allem eine Frage beschäftigt mich sehr: Schläft die Frau überhaupt? Um 3 Uhr Mail schreiben und um 6 Uhr schon wieder Telefonterror machen, das geht doch unter normalen Umständen nicht so unbedingt. Auf jeden Fall durfte ich zu früher Stunde schon mal stramm stehen und ich schwor mir, mein Handy ist in der Nacht ab jetzt aus. Danach schmiss ich mich aber erst einmal gepflegt wieder ins Bett und döste noch etwas vor mich hin.

Lange ging das Dösen aber auch nicht gut, so entschied ich mich, Alex auf dessen Einkaufszug durch die Innenstadt zu folgen. Also trafen wir uns in der Innenstadt und ich durfte mein gesammeltes Fachwissen über japanische Geschäfte herausholen, damit wir in Windeseile noch einige Gastgeschenke für seine Heimfahrt morgen beschaffen konnten. Das Laufen in der Innenstadt ist momentan aber wirklich nicht mehr feierlich. Es ist total überfüllt und man kann gar nicht mehr sehen, wo man hintritt. Irgendwie überstanden wir es aber und dank meiner Unterstützung schaffte er es, alles zu besorgen, bevor er schnell los musste. So stand ich alleine in der Innenstadt. Was also machen? Nach Hause gehen, nein dazu war es wirklich zu früh, also ging es zum Eisring und damit zu Thomas. Es ist eh sehr empfehlenswert, wenn man mal etwas Zeit hat auf die ganzen Leute zu achten, die an einem so entlang laufen. Dieser Sonntag stand zum Beispiel unter dem Motto: kürzer – kürzer – Gürtel. So viele Miniröcke wie man heute in den Arkaden sehen konnte, sieht man in Deutschland noch nicht einmal im Hochsommer. Die japanische Abhärtung macht es vor. Allgemein lässt sich der Modestil der Japanerinnen in drei einfache Grundstile einsortieren. Die Fraktion der Schulmädchen, die ihre Uniform auch am Wochenende tragen, die Dienstkleidungstragenden und die Exzentrischen, ein wirkliches Mittel dazwischen gibt es nicht. Wenn 50jährige Japanerinnen babyrosa Kleider mit viel Bein und viel zu vielen Rüschen tragen weiß man, in welchem Land man ist. Alternativ ist natürlich der Mini-Minirock mit dicken Stulpen und am besten einer Kappe mit Tierohren sehr beliebt. All das und noch einiges mehr konnte man heute in der Stadt verfolgen.

Beim Eisring sah das Bild aber auch nicht wirklich anders aus. Wieso müssen Frauen, die noch nie Schlittschuh gefahren sind, mit Minirock aufs Eis? Wenn sie hinfallen, ist es dann natürlich immer gleich der noch viel größere Schock. Natürlich, die Herren der Schöpfung beschweren sich weniger darüber, manchmal zweifelt man aber schon an den Damen, wenn man solche Aktionen verfolgt. Für mich interessanter war aber eigentlich die Tatsache, dass mich beim Eisring kaum Lichter erwarteten. Wer wie die letzten Tage erwartete, das Peagant of Light Festival zu sehen, wurde wohl herbe enttäuscht. Es kam zu mehreren kleinen Feuern dank der Wärmeentwicklung der verwendeten Kerzen und bis morgen sind alle Lichter ausgestellt. Natürlich ein herber Verlust für die vorhandenen Stände, aber auch für die Stadt selbst. Es gab wohl einige enttäuschte Touristen, die nur deshalb hier nach Sendai gekommen sind. Zum Glück hatte ich das Ganze schon gesehen und kann es deshalb entspannter sehen.

Weihnachtsfeier in Sendai

Gestern schreibe ich es noch, heute wird es wirklich war, in Japan finden wirklich Weihnachtsfeiern statt. Natürlich sind es nur wenige Weihnachtsfeiern und nur mit Ausländerbeteiligung, aber das tut dem Fakt ja keinen Abbruch. Vor kurzem hatte ich von GO, einem der Chefs des MafuMafu eine E-Mail mit der Bitte bekommen, doch ein paar Ausländer für die nächste Konversationsparty zu gewinnen. Keine leichtere Sache als die. Kurzerhand wurde die Nachricht verteilt und es fanden sich einige Ausländer, die nur all zu bereit waren, auf eine kostenlose Party zu gehen. Das Wort kostenlos wirkt wirklich Wunder, man muss es einfach so sehen. Aus meinen ursprünglichen Plänen, mit Olga vorher noch in die Innenstadt zu gehen, wurde zwar leider nichts, aber das ist ein Grund und kein Hindernis. Kurzerhand ging es in einer Vierergruppe los Richtung Bahnhof, wo das Event stattfinden sollte. Leider waren wir aus verschiedenen Gründen schon ziemlich spät dran. Was meinen die anderen eigentlich damit, ich wäre selbstmörderisch und verrückt gefahren? Dabei bin ich doch sogar noch langsam unterwegs gewesen, da ihre Geschwindigkeit viel zu gering war. Wenn man schon viel zu spät losfährt, muss man auch jede Zeitersparnis nutzen, die man bekommt. So schafften wir es innerhalb von 15 Minuten zum Bahnhof und erreichten die Party rechtzeitig.

Vor Ort erwartete uns schon eine riesige Schlange von Ausländern, die nur auf den Einlass warteten. Leider war die ganze Party ziemlich semioptimal organisiert, was Thomas auch so bestätigte. So bildete sich am Einlass eine riesige Schlange und auch ansonsten mangelte es etwas an der Durchführung und auch an der Akustik. Man versuchte zwar, die Leute zu unterhalten, aufgrund der Größe des Raums und den knapp 300 Gästen war das aber leichter gesagt als getan. Meines Erachtens lag das Hauptproblem eindeutig in der Tatsache geschuldet, dass man versuchte, das Konzept der normalen Konversationspartys, die mit vielleicht 80 Leuten stattfinden, auf 300 zu vergrößern und deshalb einfach die normalen Sachen größer machte. Das konnte natürlich nicht so gut funktionieren. Das bedeutet nicht, dass es schlecht war. Vielmehr war das Problem, dass die Leute sich natürlich unterhalten wollten, was bei den ganzen Spielen nicht so leicht war. Auch verstand man nur die Hälfte beim allgemeinen Gemurmel und als es gerade interessant wurde, war es auch schon wieder zu Ende. Trotzdem war es schon lustig. Ich brauchte mich nur irgendwo hinstellen und x Personen kamen und grüßten mich. Am interessantesten war eine Japanerin, die der festen Überzeugung war, ich würde sie nicht mehr kennen und sie kannte noch meinen Namen. Das ist natürlich richtig, ich kannte ihren Namen nicht und konnte sie auch nicht wirklich zuordnen, gekannt vom Aussehen habe ich sie aber auf alle Fälle. Man könnte fast sagen, von den 300 Leuten, kannte ich in etwa die Hälfte, eine erschreckende Zahl. Aufgrund unserer Größe waren Thomas und ich auch gefragte Fotoobjekte.

Nachdem die Feier aber irgendwann zu Ende war, gab es die Frage, was ich noch tun möchte. Die einen gingen nach Hause und die anderen zum Nomihodai, zwei Dinge die ich nicht unbedingt brauchte. Nach langem hin und her konnte ich Victoria und Alex überzeugen, mit mir noch mal kurz in den Irish Pub zu gehen, wo ich wie ein Stammkunde behandelt wurde. Für bisher einen Auftritt dort, war das schon ziemlich beachtlich. Aus dem ?kurz? wurden im Endeffekt mal locker 4 Stunden, aber das passiert ja schon mal. Gut, ob Victoria je wieder mit uns spricht, ist mir noch nicht ganz klar, aber das wird sich zeigen. Irgendwie kam Alex immer wieder auf Politik und dabei natürlich auf amerikanische. Wie positiv die Aussagen immer wieder wurden, kann man sich ja sicherlich ausmalen. Trotzdem hatten wir auf jeden Fall unseren Spaß und werden das bestimmt demnächst mal wiederholen. Wenigstens kann ich jetzt auch sagen, welche Getränke ich im Irish Pub in Göttingen ohne Bedenken zu mir nehmen kann.

Nebenbei noch kurz etwas zu einem Nebenkriegsschauplatz: Heute erreichte mich doch tatsächlich ein Paket aus Deutschland. Dafür, dass mein Briefkasten seit 2 Monaten keine Post mehr gesehen hatte, war das ein sehr freudiges Ereignis. Auf diesem Weg danke an die Übermittler und ich werde die mehreren Kilo Süßigkeiten und anderen Dinge in den nächsten Wochen gut einzusetzen wissen. Das Erhalten erwies sich aber als schwerer, als ich dachte. Leider war ich gestern, als das Paket kam, nicht da. Deshalb musste ich heute 30 Minuten mit einem japanischen Wachmann verhandeln, um es trotzdem noch zu erhalten. Meine Beharrlichkeit und die Angst, dass ich vor seiner Tür stehen bleibe, hat ihn dann aber überzeugt, mir nachzugeben.