Japan scheint es immer noch zu gut zu gehen. In Göttingen ist es gang und gäbe, in der Zeit um Neujahr die Universität komplett für eine Woche zu schließen. Welches bessere Mittel könnte es geben, um Strom und vor allem Heizkosten zu sparen? Um Neujahr will ja bekanntlich niemand freiwillig die Universität besuchen. In Japan sieht das schon etwas anders aus. Mein zweiter Betreuer kam heute zu mir und entschuldigte sich förmlich bei mir, dass die Fakultät am 31. und 1. für die jährliche Grundreinigung geschlossen bleiben muss. Dass man für zwei Tage die Uni nicht betreten kann, noch dazu in einer Zeit, wo sowieso niemand wirklich die Uni betreten will, kann ja schon mal vorkommen. Dass man sich dafür noch bei mir entschuldigt, finde ich schon seltsam. Shimizu klärte mich aber gleich auf. So normal ist das Vorgehen eigentlich nicht. Normalerweise ist das Büro 356 Tage im Jahr offen und die letzten zwei Jahre hatte er den übergroßen Fernseher genutzt, um das Neujahrsprogramm zu sehen. Dieses Jahr wird er aber nach Hause fahren. Ein herber Schlag für mich nebenbei. Fast alle meine Freunde sind über Neujahr nicht da, ein ziemlich großer Einschnitt, der mich trotzdem nicht abhalten wird, Neujahr richtig zu begehen.
Meine Anwesenheit in der Universität war heute aber auch von größter Wichtigkeit. Es gab noch einen großen Stapel an unerledigten Aufgaben und Projekten und einige der Dinge, die mich die letzten Wochen am meisten beschäftigt haben, konnte ich heute endlich abschließen. Mit Shimizu schaffte ich es endlich, seine Bewerbung für den Austauschmonat im nächsten Sommer zu beenden und abzuschicken. Gar nicht so einfach, galt es doch noch einige Änderungswünsche der Professorin einzubauen beziehungsweise teilweise wegen Unpraktizierbarkeit zu verwerfen. Wenn alles nach Plan verläuft, dann hat er im Sommer die Wahl zwischen der HU Berlin oder einem Sommerkurs im schönen, aber ziemlich kleinen Göttingen. Ich bin gespannt, für was er sich am Ende entscheiden wird. Neben dem Abschluss des Textes von Shimizu schaffte ich es, auch mit Rieko ihren Text zur Vollendung zu bringen. Ich hätte nur nicht zu sehr aus meiner Sicht den Text umschreiben dürfen, so musste ich noch den halben Text erläutern und die Zusammenhänge zu ihrer Arbeit darlegen. Immerhin 4 Stunden brauchte diese Erklärung dann doch noch, aber jetzt ist alles erledigt. Damit sind alle meine Aufgaben für dieses Jahr endgültig vom Tisch und ich habe offiziell Urlaub oder so etwas in der Art auf jeden Fall. Meinetwegen kann die Universität jetzt abgeschlossen werden.
Zum Ausgleich für all die Zeit, die ich heute in der Uni verbracht habe, machte ich im Anschluss noch eine kleine Radtour durch Sendai. Der Umstand, dass kein Japaner freiwillig sein Rad mehr benutzt, hätte mich ja schon stutzig machen sollen, aber ich war mal wieder der festen Überzeugung, ich bilde mir das nur ein. Leider war es nicht so und ein Schneesturm fegte über mich hinweg. Schön, wenn man knapp eine Stunde von seinem Zuhause entfernt ist und auch nicht mehr weiter fahren kann, da man bei den normalen Radfahrgeschwindigkeiten dank der Schneeflocken keine zwei Meter mehr sehen kann. Kurzerhand suchte ich Unterschlupf in einem Laden, der genau neben mir war. Zu diesem Laden fällt mir nur ein: Japaner. Japaner haben ja einen Faible für diese Slotmaschinen, wo kleine Spielzeuge und Figuren heraus kommen. Die sind richtig beliebt und bei jedem großen Laden stehen Unmengen an ihnen herum. Der Laden, in dem ich gelandet war, hatte nur eine Aufgabe: die doppelten Spielzeuge und Figuren aus diesen Maschinen zu kaufen und an Sammler weiter zu verkaufen. Ich hoffe ja wirklich, dass der zum Bersten mit über 30-Jährigen gefüllte Laden nur aufgrund des Schnees so voll war, aber die Autos vor der Tür bewiesen wohl das Gegenteil. Wie sich so ein Laden halten kann, ist mir wirklich unverständlich und dazu wird man noch mit einer absolut lauten Musik bombardiert, die einen eigentlich nur auf Fluchtgedanken bringt. Trotzdem wurde wie wild gekauft. Man muss es sich so vorstellen, als ob in Deutschland ein Laden in der Größe einer normalen Drogerie anstelle von Drogerieartikeln Überraschungseifiguren verkaufen würde. Unmöglich? In Japan nicht und wieder einmal sah man, wie groß die sogenannte Nerdkultur hierzulande eigentlich ist. Zum Glück hörte der Schnee schnell wieder auf und ich konnte weiter. Ich sollte mit Radtouren aber wirklich vorsichtiger sein, wer weiß ob demnächst wieder ein Laden zum Verweilen in der Nähe ist!