Lasst die Bordkapelle spielen, einen Walzer mit Gefühl

Nein, ich werde nicht untergehen, wie das im oben genannten Lied von Silly der Fall ist, aber heute ging es ans Meer. O.k., das ist nicht ganz richtig, denn erst einmal ging es für mich in die Innenstadt, um noch einmal Daniel und seine Freundin zu treffen. Dazu galt es alle Vorbereitungen für die Schifffahrt vorher schon abzuschließen und auch das Gepäck mitzunehmen. Was ich nicht berechnet hatte war, dass solch ein Kram mit der Zeit doch immer schwerer wird und ich hätte lieber ein Schließfach nehmen sollen. Aber ich bin ja nicht ganz verweichlicht und trug halt mein Gepäck durch die Stadt spazieren. Es wurde ein sehr lustiger Tag, der uns shoppend durch die gesamte Stadt führte. Erst einmal hieß es aber, den allgemeinen Essensfavoriten Okonomiyaki zu verspeisen. Dabei geschah das Wunder, dass weder Daniel noch seine Freundin das bisher jemals getan hatten und wir bekamen eine Angestellte zur Seite gestellt, die die Beiden durch jeden Schritt führte. Sie schlugen sich aber beachtlich. Highlight des Shoppingtripps war dann aber ein Modeladen mit extravaganter japanischer Mode. Ich glaube, der Verkäufer hatte nicht die geringste Hoffnung, dass er auch nur das kleinste Teil bei den beiden seltsamen Ausländern an den Mann bringt. Diese Einstellung hielt Daniel aber nicht auf, der im Gegensatz zu mir auch wirklich in japanische Kleidung passt. Er probierte, sehr zu unserem Amüsement, einige Sachen an, was wir per Foto dokumentierten. Im Endeffekt fand er sogar etwas und der Verkäufer nutzte die Zeit, unsere japanische Begleitung über uns beide auszufragen. Zum Abschied bekamen wir Zuschauer noch irgendwelche Tüten geschenkt, wo ich wirklich keine Ahnung habe weshalb, aber sie waren groß und praktisch, warum also nicht.

So verging unser Tag und der Aufbruch rückte näher. Besonders ein T-Shirt Laden brachte uns noch in Versuchung, japanische T-Shirts mit der Aufschrift ?Bibliophiler Büchersammler? zu erstehen. Gerade diese Bezeichnung hätte wohl doch ein wenig auf mich gepasst, aber ein Preis jenseits der zwanzig Euro ist so etwas dann doch nicht wert. Zum Abschluss gab es dann noch eine Runde Purikura, also die briefmarkengroßen Fotos, als Andenken und schon musste ich mich auf dem Weg machen. Eigentlich schade, ich hätte gerne noch etwas Zeit mit den Beiden verbracht. Ich bin mir sicher, hätten wir gleichzeitig Japan erlebt, wäre der Aufenthalt bestimmt auch sehr interessant geworden. Wobei, ich habe auch so immer sehr nette Leute gefunden, die ich nicht missen möchte.

Um 1 Uhr war es dann so weit, wir schifften auf der Ishikari ein. Wir, dass sind die Finnin Laura, die Ungarin Orsolya, die Amerikanerin Victoria, Kanjayo (eine Japanerin), Alex und ich. Zusammen soll es einige Tage nach Sapporo zum Winterfestival gehen. Auf das, was kommen sollte, waren die meisten aber wirklich nicht vorbereitet. Eine ausgewachsene Autofähre hatten die meisten irgendwie nicht für die 11 Stunden Überfahrt erwartet. Das Schiff ist aber auch sehr gut ausgestattet. Es gab Livekonzerte, leider heute aber in Form von Kinderliedern – was nicht unbedingt unserem Geschmack traf, öffentliche Bäder und sogar eine Spielhölle, in der Orsolya erst einmal wieder lernen musste, dass ich (jedenfalls am Simulator) ein guter Fahrer bin. Man merkt, es gab genug Beschäftigung, mehr sogar als zum Beispiel auf der Fähre nach England. Alles wurde aber von uns auch aufs Genaueste per Foto dokumentiert und bestimmt fühlte sich der eine oder andere an das Verhalten der typischen japanischen Reisegruppen in Europa erinnert. Besonders als Männer in Offiziersuniformen zum posieren bereitstanden, warfen sich alle in Schale. Geschlafen wird in der Holzklasse in einer Acht-Mann-Kabine. Für eine Nacht ist das aber mehr als ausreichend und morgen geht das Abenteuer Hokkaido dann auch endlich richtig los.

Zwei Deutsche als Geschäftsantreiber oder warum bin ich eigentlich überall Stammkunde?

Gestern habe ich es noch angemahnt, heute hat es dann auch gleich geklappt. Shimizu hat heute noch einige zusätzliche Bände seiner Geschichte von meinem zweiten Betreuer übergeben bekommen. Formschön und mit einem Büro 001 versehen, prangt jetzt eine Ausgabe im Büro und wird für immer für die Nachwelt erhalten bleiben. Natürlich gab es noch mehr als die zwei ursprünglichen Versionen, so dass unter anderem Professor Morimoto ebenfalls eine abbekommen konnte. Ein weiterer Glücklicher war dann auch schon ich. Nur eine einfache Übergabe, nein das konnte ich nicht zulassen und so ließ ich die beiden Autoren eine Widmung auf die Anfangsseite schreiben. Jetzt muss nur noch Shimizu mal so wirklich erfolgreich werden und ich werde über eines der Unikate seines ersten Werkes verfügen. Den Umständen entsprechend feierlich ging es deshalb auch heute im Büro zu. Mein zweiter Betreuer nutzte jede Gelegenheit, die Autoren zu fotografieren und das Ereigniss des ersten Buches des Büros zu dokumentieren. Und die anderen Studenten mussten alle lesen und ihre Meinung sagen.

Unterbrochen wurde diese Ruhe eigentlich nur durch ein Hindernis. Nächste Woche finden die mündlichen Abschlussprüfungen statt und aus irgendwelchen Gründen sollten die Studenten mögliche Fragen und Antworten schon einmal vorbereiten und bei den Professoren einreichen. Keine Frage, dass die Freude der Studenten über derartige Beschäftigungen nicht all zu groß ist und zu allem Überfluss muss der Kram auch noch auf Deutsch angefertigt werden. Drei mal darf man raten, wer dabei fast immer seine Finger im Spiel hatte! So hieß es heute zum Beispiel Kaori, meiner ehemaligen Tutorin, aus der Patsche zu helfen, was ich natürlich nur all zu gerne tat. Es bleibt auf jeden Fall immer etwas zu tun im Büro.

Auf der anderen Seite hatte ich heute auch noch wirklich freudige Ereignisse. Daniel hat es endlich nach Japan geschafft, nachdem ich schon seit meiner Ankunft versucht habe, ihn zu überzeugen her zu kommen. Netterweise hat er auch gleich heute die Fahrt nach Sendai auf sich genommen, um mich noch zu treffen, ehe es morgen Abend für mich nach Sapporo geht. Dementsprechend ging es für mich heute zum abendlichen Treffen. Zusammen mit seiner Freundin zogen wir erst durch ein Geschäft, um uns im Anschluss daran dann in einem Udon Lokal nieder zu lassen. Nachdem wir das Essen hatten, kam Daniels Freundin dann auf mich zu und meinte, ich wäre wohl Stammkunde. Bei meiner großen Liebe zu Udon muss ich auf jeden Fall feststellen, dass dies nicht der Fall ist. Ich war in meiner Zeit in Sendai vielleicht öfter, aber maximal sieben oder acht Mal in diesem Laden. Offensichtlich hat der Koch mich aber sofort wiedererkannt und Daniels Freundin berichtet, dass das überraschend ist, da ich normalerweise doch immer mit anderen Leuten hin gehe. Man merkt wieder einmal, dass man als Ausländer hierzulande immer beobachtet wird und lieber nichts anstellen sollte, was den Ruf in irgend einer Art und Weise schädigen könnte. Vermutlich ist einfach Alex mit seinem Veganismus schuld daran, dass ich erkannt wurde. Überraschend war es aber auf alle Fälle. Nachdem Daniel nach Hause zu seiner Freundin gefahren war, was in seinem total übermüdeten Zustand auch eindeutig das beste Vorgehen darstellte, traf ich auch Alex noch. Gemeinsam ging es erst einmal zu meinem Lieblingskalligraphen, der mich auch schon von weitem grüßt. Bald ist ja bekanntlich Valentinstag und Alex benötigte noch ein adäquates Geschenk. Hier lernten wir aber auf jeden Fall das ein mal eins des japanischen Geschäftes. Bis zu unserem Erscheinen war der Stand für die Meisten kaum interessant. Wenn einmal ein Japaner schaute, dann auch nur kurz und nur, um dann gleich weiter zu gehen. Anders sah das nach unserem Erscheinen aus. Er konnte sich kaum noch von Anfragen retten. Viele Japaner blieben auch einfach mal kurz stehen um herauszufinden, was wir dort machen und einige versuchten uns sogar in Gespräche zu verwickeln. Merke: Möchte man in Japan Geschäfte machen, dann am besten einige große Ausländer hinstellen und schon wird das was.

Teufelsanbeter und Schriftsteller

Die Japaner haben offensichtlich immer noch Angst vor mir, anders kann ich mir nicht erklären, warum man mir nichts von dem heutigen Fest berichtet hat. Als ich heute die Supermärkte betrat, wurde mir ziemlich schnell klar, dass hier irgend etwas nicht stimmt. An den Sushi-Verkaufsständen bildeten sich lange Schlangen und überall waren Teufelsmasken angebracht. Was konnte das nur bedeuten? Nachdem Shimizu mich nicht aufgeklärt hatte, blieb die Frage an meiner zweiten Vertrauensperson hängen, Rieko. Aus ihr bekam ich es auch heraus. Heute fand in Japan ein Teufelsfestival statt. Zu Ehren dieses Anlasses werden Bohnen gekauft und gegessen sowie Teufelsbilder und im Falle von Kindern die als Teufel verkleideten Eltern mit diesen Bohnen beworfen. Immerhin, hier zeigen Eltern ihren Kindern, was diese in bestimmten Ausnahmefällen eh von ihren Eltern vermuten – ihr wirkliches Gesicht. Nein, Spaß bei Seite, dieses Vorgehen wird einzig und alleine durchgeführt, um die Dämonen zu verdrängen und ein erfolgreiches Jahr zu sichern. Die zweite Tradition beinhaltet das Sushi. Es werden besondere und extrem dicke Sushirollen zum Verkauf angeboten. Diese müssen beim Essen in eine bestimmte Himmelsrichtung gehalten werden, um die Gesundheit des Essenden für das nächste Jahr zu sichern. Dieses Essen kann extrem kuriose Ausmaße annehmen, wie zum Beispiel bei Okada, der sich von allen abwendete und zum Fernseher im Büro aß, bis wir heraus bekamen, dass dies wegen des Festivals geschah. Das mit den Bohnen hätte ich auch gerne gemacht, aber leider wurde mir das zu spät gesagt. Ein paar Dämonen wären mir garantiert zum bewerfen auch noch eingefallen. Vermutlich war das aber der Grund, warum man es mir erst gar nicht gesagt hat. Egal, es gibt ja immer noch nächstes Jahr. Falls ich also mit Bohnen bewaffnet durch die Uni Göttingen renne und Leute bewerfe, nichts dabei denken, ich versuche mir dann nur ein erfolgreiches Jahr zu verschaffen und ein paar Dämonen zu beseitigen.

Überrascht hat mich dagegen noch eine ganz andere Sache. In Sachen Kreativität sind uns die Japaner um Welten voraus, was nicht zuletzt an dem Büro liegt, über das wir verfügen. In den letzten Wochen hatte ich schon immer gesehen, wie Shimizu irgendwelche Texte auf Japanisch in den Pc tippt, hatte es aber immer auf irgendwelche Hausarbeiten geschoben. Weit gefehlt, Shimizu hat einen Roman geschrieben. Abe-San eine deutschlanderfahrene Japanerin, hat ihn bei dieser Tätigkeit noch stark unterstützt, indem sie für die zeichnerische Untermalung gesorgt hat. Für die wichtigsten Kapitel hat sie Zeichnungen angefertigt, die das Geschehene wiederspiegeln. Für das Korrekturlesen waren Hori-San und Okada zuständig, die den ganzen Text x-Mal kontrollieren mussten. Der letzte Schritt kam dann durch meinen zweiten Betreuer. Mit Professor Morimotos Unterstützung hat er Buchpapier besorgt und das Ganze in ein handliches A5 Format geschnitten. Heute war es dann so weit und er druckte nach einigen Feinjustierungen an unserem besten Drucker Shimizus Werk aus und mit Leim wurde das Ganze geklebt. Jetzt wird noch ein Cover entworfen und fertig ist Shimizus erster Roman. So ganz selbstverständlich ist solche Unterstützung durch die Professoren für ein derartiges Projekt ja nicht, von daher ist die gesamte Ausführung schon sehr beeindruckend. Jetzt gibt es nur noch ein kleines Problem. Bisher gibt es nur drei Ausführungen. Zwei für den Schreiber und die Illustratorin und eines für das Büro. Woran dabei das Problem liegt? Ich will natürlich auch meine handsignierte Version des großen Schriftstellers! Da kann er noch so viel behaupten, die Geschichte ist schlecht, ich will sie haben und sie in an einen Ehrenplatz neben meine Arbeiten stellen. Irgendwann schaffe ich es dann auch, die Geschichte durchzulesen, auch wenn ich mein Leben lang für die Übersetzung der Kanjis per Hand benötige, aber das ist es mir wert. Aus diesem Grund Shimizu, ran an die Druckerpresse und fertige meine Version an!

Rückspiel gegen die Verwaltung der Philsophischen Fakultät

Ah, o.k., das Beamtentum von Deutschland möchte also Beweise, dass ich auch die ganze Zeit an der Tohoku Universität war und auch studiert habe, kein Problem. Wobei, Amtssprache ist Deutsch? Das könnte sich doch als schwieriger herausstellen, als ich mir das vorgestellt habe, besonders da denen die Bestätigung der Uni Göttingen nicht ausreicht. Zum Glück haben wir an der Uni hier einen Dienst, der sich nur um die Belange von uns ausländischen Studenten kümmert, die habe ich gleich erst mal mit der Schilderung meiner Probleme belästigt. Passend, um zu beweisen, dass Japaner nie schlafen, bekam ich um 6 Uhr morgens auch gleich meine Antwort, ich soll mich doch bitte an meine Verwaltung der Philosophischen Fakultät wenden, die würden sich schon um das Problem kümmern. Meine Freude über diese Feststellung kannte natürlich keine Grenzen und vor meinem Auge entstanden gleich die dazu gehörigen Bilder?

Und willkommen zurück zu unserer Liveübertragung der Japan-Austauschliga – Live aus dem Stadion der Philosophischen Fakultät. Das Team um Reik steht vor seiner schwersten Begegnung. Das Rückspiel gegen die Verwaltung steht an. In der Hinrunde konnte Reik die Begegnung nach frühen Rückschlägen dank der geschickten Einwechslung von Professor Morimoto noch für sich entscheiden. Wie wird es diesmal ablaufen? Ist er wieder auf Wechsel in der letzten Minute angewiesen oder kann er das Spiel so für sich entscheiden? Und hier sind auch schon die beiden Teams?..

Ich meine, ich habe wirklich alles versucht, dieser Begegnung aus dem Weg zu gehen, frei nach dem Motto: solange ich sie nicht belästige, gehen sie mir auch nicht auf die Nerven. Die Begeisterung für das Treffen lag aber auf gegenseitigem Niveau, wie die Begrüßung mit einem lauten ?der Austauschstudent schon wieder!? eindeutig zeigte. Vor allem, was bedeutet schon wieder? Ich bin ihnen ja wohl lange genug aus dem Weg gegangen! Was darauf folgte, war eine Diskussion in vier Runden, wo immer neue Mitarbeiter ran zitiert wurden, die sich mein Problem anhörten und nicht wußten, was sie mit mir anfangen sollten. Shimizu und Rieko waren zu meinem Glück auch noch beschäftigt, so war ich zu allem Überfluss auch noch ohne meine Kavallerie. Im Endeffekt blieb das Problem wieder an einem alten Bekannten, der mich schon bei meiner Ankunft betreute, hängen. Er versuchte, mich auf ganz profane Art abzuwimmeln. Er wollte mir doch echt erklären, ich müsse zum Internationalen Büro, das mich ja schon zu ihm geschickt hatte. Nein, diese Art der Abwimmelung der Marke „Formular A38“ (Asterix Fans wissen, was gemeint ist), zieht bei mir nicht! Die hat das deutsche Beamtentum doch viel besser drauf. Entnervt entschied ich mich für die härteste Methode, die man als Ausländer hierzulande zur Verfügung hat, umgangssprachlich Gajin Smash (von einem ehemaligen amerikanischen Englischlehrer in Japan geprägt) genannt. Dieses Verfahren nutzt aus, dass man ab einer gewissen Körpergröße und eindeutig ausländischem Aussehen, einen Japaner einfach überstimmen kann, so dass dieser resigniert und den Wünschen des Ausländers folgt. Ich benutze dieses Verfahren nicht gerne, aber manchmal hat sich der Einsatz schon bewährt. Kurzerhand ignorierte ich seine Ausführungen auf Japanisch und schob ihm noch einmal die Mail vom Internationalen Büro und die Kanjis für die Bescheinigung rüber, einfach nur auf die Kanjis zeigend. Einsehend, dass er mit seinen nicht vorhandenen Englischkenntnissen bei mir keinen Stich sehen wird, resignierte er und tat wie geheißen. Er kam raus und füllte mit mir die Unterlagen für die Beantragung der Bestätigung aus. Warum auch nicht gleich so? Offensichtlich ist zwar nicht vorgesehen, dass ich dieses Formular in die Hände bekomme, aber gut, irgendwie habe ich es ja bekommen und das ganz ohne Hilfe meines japanischen Managements.

Japanerschreck Reik

Die Rückkehr von mir in das ferne Festland und der damit verbundene Stress wirft immer schneller seine Schatten voraus. Egal ob Wohnungssuche oder Behördenstress, das sind nervige Probleme, besonders wenn man sie nicht selber angehen kann. Da bevorzuge ich es doch, wenigstens noch ein wenig meinen Aufenthalt zu genießen. Wirkliches Genießen wird aber leider erst in drei Tagen möglich sein, denn da geht es nach Hokkaido und vorher steht genug anderes an. Bevor ich mich aber mit dem Ernst des Lebens beschäftige, bevorzugte ich es heute früh aufzustehen und einige Erledigungen mit dem Rad zu machen. Eigentlich ist das kein Problem, schließlich bin ich oft mit dem Rad unterwegs und mittlerweile komme ich auch gut mit dem eisigen Untergrund hier in Sendai zurecht. Anders als in Europa werden die Straßen hierzulande einfach nicht gestreut und jeder ist auf sich selber angewiesen. Das ist eine Tatsache, weshalb mich auch die Feststellung meines Betreuers später am heutigen Tag überraschte, dass der Winter und der Frühling in Deutschland im Vergleich zu Japan ja so hart wären. Für den diesjährigen Dezember mag so eine Einschätzung ja noch stimmen, aber doch nicht für die restlichen Monate. Immerhin hat Deutschland Zentralheizungen und dicke Wände zu bieten, ein Luxus der in Japan eindeutig fehlt. Viel schlimmer als diese Einstellung ist aber die Tatsache, dass die Kommilitonin, der diese Weisheit eingeimpft wurde, in zwei Monaten nach Deutschland fährt – aber leider wieder einmal in den Teil südlich des Weißwurstäquators. Offensichtlich hat meine gesamte Propaganda wieder einmal nicht gewirkt. Aber zurück zu meiner Fahrt auf den eisigen Pisten Sendais. Wie schnell man fallen kann, habe ich diesen Winter schon zweimal am eigenen Leib erlebt, weshalb ich ziemlich vorsichtig fahre, jedenfalls für meine Verhältnisse. Womit ich aber nicht gerechnet hatte, war mein Einfluss auf die japanische Jugend. Ich fahre also ganz gemütlich einen Berg hoch und überhole auf diesem Weg zwei japanische Schüler, die ihre Räder schoben und gerade auf dem Weg zur Schule waren. Die Anwesenheit eines Europäers, der den Berg trotz Eises hochfährt, inspirierte einen der beiden dann, mir auf seinem Rad zu folgen und den Versuch zu starten, schneller als ich oben zu sein. Da die Reifen der Räder hierzulande aber kein nennenswertes Profil besitzen, wurde das Eis dem Schüler zum Verhängnis und er fiel elegant – inklusive mehrerer Drehungen – vom Rad. Geschockt hielt ich natürlich auch an und leistete zusammen mit dem Schüler gleich erst einmal Hilfe. Zum Glück war nichts gebrochen, aber den Arm und die Schürfwunden wird der junge Herr wohl noch eine Weile spüren. Interessant war bei der Hilfe aber der Umstand, wie alle, sogar der zweite Schüler, erst einmal starrten, dass ich helfe. Dabei haben einige sogar das eigentliche Opfer vergessen.

Offensichtlich sollten japanische Schulen wirklich öfter den Kontakt mit Ausländern fördern. Wenn ich meinen Mitstudenten glauben darf, war ich für einige meiner Mitstudenten sogar der erste echte Ausländerkontakt. Die Betroffenen dürften aber auch froh sein, wenn ich weg bin. Heute hatte ich so zum Beispiel in meinen Vorräten noch ein Pack Brausepulver entdeckt und im Büro wurde es den Leuten serviert. Der Schock war einigen Leuten ins Gesicht geschrieben oder wie es mein Betreuer ausdrückte: er versucht ja immer etwas Positives zu sagen, diesmal ist es ihm aber unmöglich. Shimizu dagegen schmeckte es sehr gut, aber er mag schließlich auch Lakritze. So verbrachte ich heute den Tag zwischen verletzten Japanern und geschockten Japanern. Der Schock dürfte für diejenigen, die später Deutschland bereisen, aber noch viel größer werden. Wie es aussieht hat es einen guten Grund, warum Japaner nur Wasser ohne Kohlensäure trinken. Das Wasser mit schmeckt den meisten so ganz und gar nicht. Aus diesem Grund gibt es auch solche Spielereien wie Isodrinks mit normalem Wasser.

Einer in Deutschland, fehlen noch zwei!

Mission erfüllt. O.k., bevor ich nach Deutschland zurück muss, habe ich noch drei große Ziele, die es zu erfüllen gibt und eines ist ab dem heutigen Tag so gut wie abgeschlossen. Schon als ich das Büro heute früh betrat war klar, dass irgend etwas passiert war. Shimizu holte schon zur Begrüßung das Reik-sama raus. Sama, das bedeutet entweder die Welt geht unter und es gilt in minus drei Minuten einen Bericht über die komplette japanische Geschichte oder ähnliche Gemeinheiten anzufertigen. Alternativ ist irgend etwas Positives im Anmarsch, das stellt bei dieser Begrüßung zu meinem Leidwesen aber die absolute Seltenheit dar. Ich war also schon auf das Schlimmste gefasst, sollte aber zur Abwechslung unrecht behalten, denn es handelte sich um eine wirklich positive Nachricht. Shimizu hat die erste Stufe des Bewerbungsverfahrens für seinen Sommerkurs in Deutschland erfolgreich überstanden. Offensichtlich haben sich die Nachtschichten zur Kontrolle gelohnt und im Sommer kann ich die Früchte davon ernten. Shimizu schwebte natürlich auf Wolke sieben oder noch höher, was in Angesicht eines 1.500 Euro Stipendiums auch nicht so verkehrt ist. Als er den Brief bekommen hat, sah das Ganze aber wohl noch leicht anders aus. Shimizu war vor Angst kaum in der Lage, den Brief zu öffnen, er erschien ihm viel zu dünn für eine so wichtige Urkunde. Zu allem Überfluss war der Brief dann auch noch in Deutsch geschrieben und er entdeckte natürlich erst mal das Wort Mühe, was meistens in einer Absage zu erwarten ist. Erst als er die japanische Übersetzung fand war ihm klar, was er in der Hand hielt. Ziel Nummer eins ist damit erreicht, Shimizu nach Deutschland bekommen, bleiben nur noch zwei ungleich schwerere Aufgaben: Nobu zu überzeugen nach Deutschland zu kommen, ist noch irgendwie lösbar, aber Rieko stellt mich vor viel größere Probleme. Wie soll ich bitte gegen eine Propagandawelle von unserer deutschen Professorin und den Deutschlehrbüchern bestehen und sie davon überzeugen, dass München die genau falsche Stadt für sie ist und der Norden der Republik viel angenehmer. Zu meinem Glück höhlt steter Tropfen den Stein und ich werde meine Versuche schon noch einmal verstärken. Sie will schließlich Deutsch und nicht Bayrisch lernen.

Auf der anderen Seite wurde mir von meinem zweiten Betreuer noch einmal gesagt, wie gut es ist, dass ich momentan da bin. Normalerweise laufen die Studenten zu dieser Jahreszeit amok, da ihre Resümees in der deutschen Sprache nicht so klappen, wie es sollte und ihr Lehrer zu viel anstreicht. Seit meiner Ankunft hat sich das Bild stark verbessert, auch wenn sie sich meist nicht trauen, mich vorher zu fragen. Wenn ich dann aber noch mal persönlich meine Hilfe anbiete, kommen sie meistens sofort zur Sache und sind dann überglücklich, wenn sie das Professorengespräch halbwegs überstehen. Ein besonderes Problem ist aber offensichtlich die Form des Textes. Sehr zu meiner Überraschung kennen die Japaner keine Vorgaben für ihre Texte und jeder Student gestaltet seine Arbeit anders. Total undenkbar in Deutschland aber hier gang und gäbe. Den Professoren sagt das aber nun überraschenderweise überhaupt nicht zu, wenn zum Beispiel jeder Satz als Absatz behandelt wird, wirkliche Vorgaben machen sie aber trotzdem nicht. Verwirrt saßen deshalb heute schon wieder x Studenten im Büro rum und haben philosophiert, was die Professoren wohl gerne hätten. Nichts leichter als das und kurzerhand nahmen wir die deutschen Regeln und ich gestaltete das Design, was im Anschluss auch bei den Professoren ankam und erst mal kurzerhand von allen anderen kopiert wurde. Kein Wunder, das die Professoren froh sind, mit mir einen unbezahlten wissenschaftlichen Mitarbeiter gewonnen zu haben, aber ich mache es ja zum Glück auch gerne.

Yamadera die 4.

Alle guten Dinge sind vier! O.k., eigentlich drei, aber wieso sollte man nicht mal ein wenig weiter schauen. In den Bergen in der Umgebung von Sendai liegt ein Ort, den ich besonders schätze und wo ich jeden Aufenthalt genieße. Yamadera, auf meiner Liste der schönsten Orte Japans eindeutig ganz oben zu finden, habe ich mittlerweile schon dreimal besucht. Der Frühlingsbesuch fand in der Golden Week statt. Im Sommer ging es mit Dennis die Treppen hinauf und im Herbst mussten meine Eltern mit mir die Treppen nehmen. In jeder Jahreszeit sieht der Tempel aber auch anders aus, so dass sich die wiederholten Anreisen eindeutig lohnen. Aber man merkt schon, eine Jahreszeit fehlt in der Aufzählung und für diese habe ich nicht mehr viel Zeit. Als ich den heutigen Schnee in Sendai sah, wusste ich deshalb sofort, was zu tun ist. Kurzerhand wurde Alex rekrutiert, der nur zehn Minuten Zeit hatte, um sich vorzubereiten und schon ging es zum Zug und nach Yamadera. Er war zwar etwas überrascht von dem spontanen Aufbruch, aber er hatte zum Glück auch nichts zu tun und kannte Yamadera noch nicht. Das musste geändert werden. Schon die Anfahrt alleine lohnte sich. Der Zug schlängelte sich durch weiße Täler und die Natur sah einfach überragend aus. Noch überragender war Yamadera aber selber. Alles war mit Schnee bedeckt und der Himmel deutete erneuten Schneefall an. Letzteres war aber für uns extrem ungünstig, da die Sonne aus diesem Grund bedeckt war. Trotzdem machten wir uns an den Aufstieg.

Der Aufstieg verlief dabei auch ziemlich ruhig. O.k., der Kartenverkäufer sah etwas überrascht aus, dass zwei Ausländer heute den Weg nach Yamadera gefunden hatten, aber derartige Reaktionen kennen wir ja nun zur Genüge. Viel mehr hätten uns die Glückwünsche der paar japanischen Rentner zu denken geben sollen. Diese quälten sich den Berg runter und jeder meinte nur „viel Glück“. Aber gut, diese Rentner waren nur schlecht zu Fuß, der Aufstieg ist doch schließlich einfach, oder? Oben angekommen erwartete uns ein Schauspiel der Natur. Der eigentliche Tempel war aufgrund der Schneemassen gar nicht erst richtig begehbar, aber das schneebedeckte Land war ein wahrer Genuss. So langsam beschlich uns aber doch ein düsterer Verdacht. Die Schneemassen wurden immer höher und das Vorankommen wurde schwieriger. Gleichzeitig bemerkten wir das erste Mal richtiges Eis unter dem Schnee. Konnte das das Problem sein, vor dem die Japaner uns warnen wollten? Ja, so war es auch, der Weg herab entwickelte sich zur Qual. Nicht nur, dass es immer kälter und dunkler wurde, nein die Stufen waren auch viel zu glatt. Einige Treppen nahmen wir so nur per runter schlittern, während wir das Geländer zum Abfangen nutzten. Im Endeffekt brauchten wir im Vergleich zum Aufstieg die doppelte Zeit, um herunter zu kommen. Aber zum Glück stimmt ja das alte Sprichwort: runter kommt man immer. Durchkühlt und erschöpft erreichten wir den Bahnhof, aber auch zufrieden, denn der spontane Aufbruch hat sich eindeutig gelohnt. Yamadera ist wirklich ein Ort, den ich allen Japanreisenden nur wärmstens ans Herz legen kann. Auch im Winter ist es wunderschön und man hat keine anderen Touristen, die einem die Sicht klauen. Das wird zwar mit ein wenig Glätte erkauft, mit dem richtigen Schuhwerk und ein wenig Geschick ist das aber immer ausgleichbar. Mit diesen Gedanken machten wir uns auf den Rückweg nach Sendai, wo wir den Abend mit einem indischen Essen abrundeten.

Die Früchte des Geizes

Manchmal ist es schlecht, wenn man der Meinung ist, dass man Abschiedsgeschenke an andere Leute verteilen muss. So geschah es, dass ich vor zwei Monaten, als Carmen Japan nach ihren drei Monaten Aufenthalt verließ, ihr zum Abschied eine DVD überließ. An sich kein Problem, die meisten DVDs, die ich mir hierzulande gekauft habe, waren eh nur dazu gedacht, um langweilige Abende zu überbrücken. Aber in diesem Fall handelte es sich um einen Film, den ich wirklich gut fand und der unbedingt mit nach Deutschland soll. Da ich ihn aber für 2 Euro gekauft hatte, dachte ich nicht, dass eine Neubeschaffung mich auch nur vor die geringsten Probleme stellt, aber da hatte ich wohl falsch gedacht. Im Durchschnitt fünfzehn bis zwanzig Euro wollten die Läden für eine gebrauchte Version des Films haben, keine Frage, dass ich bei dieser Preisgestaltung nicht mit spiele. Doch woher den Film dann nehmen, wenn nicht stehlen? Kurzerhand meldete sich mein Geiz zu Wort und erklärte mir, dass dort, wo es einen gab, bestimmt noch mehr Versionen vorhanden sind. Kurzerhand überlegte ich mir, wo ich den Film gekauft hatte und die Erinnerung an die Fahrt zum schwimmen am Flughafen keimte in mir auf. Genau, irgendwo auf der Strecke hatte ich mir zur Belohnung die DVD geleistet, der Laden sollte doch zu finden sein. Kurzerhand wurde das Fahrrad bestiegen und die Stadt unsicher gemacht.

Was soll ich sagen? Ich sollte wirklich aufhören, mich von meinem Geiz umstimmen zu lassen, denn die Strecke wurde länger und länger. Der besagte Laden war doch tatsächlich fast am Flughafen, obwohl ich ihn gar nicht mehr als so weit entfernt in Erinnerung hatte. Na, wenigstens wurde es eine interessante Fahrt und der Laden hatte den Film wirklich noch einmal und rund 35 Kilometer für eine 10 Euro Ersparnis zurück zu legen, ist ja wohl vertretbar. Viel überraschender war aber die Reaktion des Personals des Ladens. Japaner haben eine Angewohnheit, die dem gemeinen Ausländer wirklich zu Gute kommt, sie gehen standardmäßig davon aus, dass der Ausländer kein Japanisch kann. Egal wie böse die Aussage ist, sie sprechen es im Beisein des Ausländers aus. Dieses Verhalten konnte ich schon oft genug feststellen. Egal, ob Rieko und der Hankoladenbesitzer gegenseitig die Details meines Hankos aushandeln, als ob ich gar nicht im Raum bin, oder Shimizu und Professor Morimoto in meiner Gegenwart über meine Freundschaft mit Kaori philosophieren, hier in Japan glaubt keiner, dass ich ihn verstehen kann. Genau so war es auch in diesem Book Off. Kaum hatte ich den Laden betreten, wurde ich auch ausgiebig vom Personal in Form von zwei jungen Damen gemustert. Plötzlich ging aber die Diskussion los, die wohl eigentlich nicht für meine Ohren bestimmt war. Die jüngere der beiden verfluchte, dass ihr Englisch doch so schlecht ist und gegenseitig überlegte man, wie man sich mit mir verständigen könnte. Der Grund war dann auch relativ klar. Während ich noch die DVDs begutachtete wurde meine Größe ausgewertet und dass ich blondes Haar habe – zwei Dinge, die hierzulande sehr viel Eindruck hinterlassen. Quintessenz der Diskussion der beiden Damen war, wie man mich am besten von einem Treffen überzeugen könnte. Als ich am bezahlen war, ging die Operation Gajin dann auch in vollen Zügen los. Da die ältere der beiden Mitarbeiterinnen gerade am Tresen stand, wurde schnell die jüngere geholt, die mich bedienen musste. In total atypischen Handlungen, besonders da der Einkauf in Book Off nach einem genau festgelegtem Schema abläuft, wurde mir meine Ware vorbereitet und auch ein Flirtversuch auf Japanisch gestartet. Aber alleine aufgrund meiner immer näheren Abreise, wäre ich eh nicht auf die Versuche eingegangen. Solch offensichtliches Verhalten habe ich bei Japanern aber noch nie erlebt, besonders da wenn ich es bemerke, sowieso schon die Welt untergeht. Normalerweise bemerke ich Flirtversuche immer sofort? drei Jahre später. Dass unsere Südamerikaner und Skandinavier jedes Wochenende mit einer anderen Dame auf der Piste sind, überrascht mich auf jeden Fall nicht mehr.

Die gesamte Reise war trotz des Erfolgs eines Einkaufs und des interessanten Erlebnisses, die sonst so verschlossenen Japaner bei Flirtversuchen zu erleben, trotzdem eine Schapsidee. Kaum hatte ich mich wieder auf den Sattel geschwungen, wandelte das bis dato relativ warme und leicht bedeckte Wetter sich in einen ausartenden Schneesturm. Teilweise konnte ich kaum noch mehrere Meter vor mir den Weg sehen. Auf diese Weise die 35 km zurück zu fahren, war nicht gerade angenehm. Kurzerhand, da sich eigentlich Orsolya und Victoria im MafuMafu angemeldet hatten, machte ich einem Abstecher in mein Stammcafe. Die Reaktionen sind schon lustig. Der Großteil der Kundschaft kennt mich und grüßte schon von draußen. Ein älterer Japaner nahm sich auch gleich erst mal die Zeit, mir meine Jacke vom Schnee zu befreien. Eine kurze Gesprächsrunde später bevorzugte ich aber die Heimfahrt, da der Schneesturm immer schlimmer wurde und ich doch irgendwann auch mal meine Beine hochlegen wollte. Trotzdem bleiben Erkundungsfahrten durch Sendai weiterhin eine sehr sinnvolle Sache, besonders da die meisten Ausländer leider nur die Innenstadt und sonst nichts kennen.

Einer Verschwörung auf der Spur!

So langsam nähert sich das Auswärtsspiel hier in Japan der Verlängerung. Zu meinem Schreck habe ich festgestellt, dass wir mittlerweile schon den 300 Tag schreiben. Es wird eindeutig Zeit für letzte Einwechslungen, um noch einmal Druck auf den Gegner auszuüben. Diese Auswechslung wird nächste Woche kommen, wenn Daniel sich für ein paar Tage in Sendai sehen lässt. Aber bis dahin ist ja noch ein wenig Zeit und fließt noch einiges Wasser die Elbe hinunter.

Die Elbe selber war heute ein großes Thema im Büro. Es wird Zeit, den Herren und Damen im Büro noch einmal die schönen Orte Deutschlands zu zeigen. Wie sich herausstellt, kennen die Japaner wirklich nur den Süden der Republik. Viel schlimmer, teilweise musste ich schon die Frage hören, ob der Norden überhaupt Kultur besitzt. Was für eine ketzerische Frage, die natürlich immer mit Ausführungen über die subjektiv schönste Stadt Deutschlands und den Rest des Nordens beantwortet wird. Die Frage ist aber, wieso kennt der normale Japaner nur Süddeutschland? O.k., dass man München und Frankfurt kennt, damit kann ich leben. Aber Orte wie Regensburg, Bayreuth oder Heidelberg sind nun nicht die Orte, die man unbedingt kennen muss, wenn man noch nicht einmal etwas von Magdeburg, Weimar oder Potsdam gehört hat. So langsam komme ich aber einer Verschwörung auf den Grund. Ich hatte die Gelegenheit, in Shimizus Sprachlehrbuch zu lesen und plötzlich wurden mir die Augen geöffnet. Der Staat Bayern scheint Schleichwerbung zu betreiben, um den Ausländern ein falsches Deutschlandbild zu vermitteln. Anders ist es kaum zu erklären, dass in einem Sprachbuch über Deutschland nur über München und Bayern, inklusive kleinerer Orte wie Bamberg, berichtet wird. Der einzige namentlich kurz erwähnte Ort in einem anderen Bundesland, der zu Gunsten Münchens aber im Endeffekt dann doch wieder fallen gelassen wird, ist Erfurt. Kein Wunder also, dass ich es so schwer habe Rieko davon zu überzeugen, in den Norden zu ziehen und München fern zu bleiben. So etwas schreit nach psychologischer Kriegsführung und das beherrsche ich auch. Egal ob Audio, Film oder Bilder, alles verwende ich, um den Norden näher darzustellen. Mal schauen, ob ich damit Erfolg habe. Dass Bayern etwas anderes als der Rest Deutschlands ist, haben sie dafür wohl schon verstanden.

Dafür kommt aber auch in anderen Bereichen in nächster Zeit Arbeit auf mich zu. Wie es aussieht, haben die Professoren die Studenten angewiesen, vor den mündlichen Prüfungen doch noch mal die möglichen Themen mit mir abzusprechen, so dass sie schon mal den guten Ausdruck üben können. Guter Ausdruck und ich sind zwar eigentlich zwei große Feinde, aber ich kann ihnen trotzdem ein wenig zur Hand gehen. Aus diesem Grund hatte ich heute auch meine ersten Coachingstunden, vermutlich hätte ich doch Lehrer werden sollen. Die deutschen Resümees für die Bachelorarbeiten sind dabei auch noch nicht alle fertig, so dass ich da auch noch Beschäftigung habe. Zum Ausgleich hat Rieko mich am Abend dann zum Essen in die Innenstadt ausgeführt. Okonomiyaki ist wirklich das beste Essen, das Japan zu bieten hat und billig dazu auch noch.

Viel erschreckender war dafür im Anschluss noch die Drogerie. Ich bin ja viel gewöhnt durch Japaner aller Art, aber dass man als Mann hierzulande schon mal Lidschatten benutzt, hat selbst mich überrascht. Zum Glück hat selbst Rieko die Augen verdreht, denn ein wenig überraschend war solch ein Gegenstand ja schon und das offensichtlich auch für Japaner. Trotzdem bin ich mal gespannt, ob solch seltsamer Trend auch mal ins Ausland überschwappt. Bis dahin verbleibe ich a la Obelix: Die spinnen, die Japaner!

DVD-Kauf in Japan? Nein, danke!

Irgend etwas hat das MafuMafu gegen mich. Jedes Mal wenn ich jemanden groß einlade, um mit mir dort hinzugehen, ist der Laden geschlossen oder dort ist eine Veranstaltung. Das hat mittlerweile schon System. Egal ob mit Shimizu oder zum Beispiel mit Felix, immer standen wir vor verschlossenen Türen. Ich sollte wirklich ab jetzt immer vorher bei Thomas anfragen, ob ich kommen kann. Heute traf mich das Unglück bei einem Treffen mit Melanie, aber von so etwas lassen wir uns ja nicht die Laune verderben und gingen dafür eine Kleinigkeit essen. Dank dieses Treffens kann ich endlich auch meinen Aufstieg auf den Fuji-San belegen. Als ich diesen im August bestieg, kulminerte sich ja bekanntlich meine Technikpechserie. Mein Laptop funktionierte nicht und noch viel schlimmer war, dass während des Aufstiegs zu allem Unglück auch meine Kamera versagte. Zu meinem großen Glück hatte Melanie aber eine dabei und die überstand den Aufstieg, so dass ich jetzt über ihre Bilder verfüge.

Der eigentliche Tag fing aber ziemlich konventionell an. Wie normal, ging es per Rad zur Universität und auf diesem Weg zeigte sich, dass ich vermutlich schon zu lange in Japan lebe. An der Kreuzung stand ein Herr in Anzug, vermutlich Politiker. Auch wenn die Wahlen eigentlich schon Vergangenheit sind, verbeugte er sich bei jedem vorbeikommenden Radfahrer oder Auto tief und flüsterte irgendwelche Wahlversprechen vor sich her. Man stelle sich das Bild in Deutschland vor, wenn ein Politiker sich an eine Hauptverkehrskreuzung stellen würde und sich bei jedem verbeugen würde. Ich will gar nicht wissen, wie schnell die Polizei nachfragen würde, was da los ist. Hierzulande nahm dagegen kaum einer Notiz, nicht einmal das Tempo wurde von den Autofahrern verlangsamt, um zu sehen was da los ist. Ich bezweifle so wirklich den Nutzen dieser Aktion, aber der Herr wird schon gewusst haben, was er tut.

Nach Japanisch im Büro angekommen galt es erst einmal, den normalen Wahnsinn über sich ergehen zu lassen. Im April findet offensichtlich ein wichtiger Spracheinstufungstest in Tokyo statt, der für unsere Studenten, die nächstes Jahr in Deutschland studieren möchten, sehr wichtig ist. Dementsprechend ist die logischste Methode, Tipps für diesen Test einzuholen, natürlich nicht etwa die Professoren zu befragen, nein – da fragt man lieber den Deutschen. Gut, ich kann ihnen Tipps geben. Ob die aber in der Praxis unbedingt sinnvoll sind, mag ich bezweifeln, aber vielleicht hilft es ja trotzdem. Am Abend war dann das Treffen mit Melanie angesetzt, aber vorher ging es noch in die Innenstadt zum DVD suchen. Ich kenne ja doch ein paar japanische Kinofilme und es würde mich in gewissen Fällen schon reizen, meine Lieblingsfilme auf DVD zu besitzen. Vor allem sinnvoll ist in diesem Zusammenhang, dass der Regionalcode in Deutschland und Japan der selbe ist. Trotzdem ist der Einkauf nicht so leicht, wie gedacht.

Die Meisten kennen bestimmt die DVD Preisgestaltung in Deutschland. 10 Euro für etwas ältere Filme und für neue um die 20. Meistens kaufen die Leute aber eh nur die Filme für unter 10 Euro, da man dafür kaum warten muss. In Japan sind die Preise da doch etwas interessanter gesetzt. 50 Euro für eine DVD ist hier an der Tagesordnung und heruntergesetzt wird nur in den seltensten Fällen. Viel schlimmer noch, meistens werden die Filme nur in Collectors Editions verkauft, mit irgend welchen Extras, die kein Mensch braucht, aber den Preis dann mal auf 100 Euro verdoppeln. Man merkt schon, Filmfan sein ist in Japan ein teureres Vergnügen. Schlimmer ist es dann bei Serien, wo eventuell zwei bis drei Folgen auf der DVD sind und der Preis trotzdem bei 50 Euro liegt. Die Frage ist, wer ist bereit, so viel für einen 90 Minuten Film zu bezahlen? Besonders, wer benötigt zum Beispiel eine Mundharmonika, die so aussieht, wie im Film, nur um dafür 50 Euro mehr für den Film zu bezahlen? Andere Extras der Collectorseditionen umfassen so zum überleben notwendige Extras wie Feuerzeuge, riesige bemalte Roboter oder Hausmodellbausätze. Also genau das, was aus Prinzip bei den meisten Leuten im Schrank verstaubt und nur gekauft wird, weil es keine andere Editionen gibt. Trotzdem ist es erschreckend, mit wie wenig Skrupel die Japaner trotzdem zuschlagen. Gut, sie kennen es aber auch nicht anders. Trotzdem ist für mich der Filmkauf damit gestorben, es sei denn, der Plan B tritt in Kraft. Book Off, mein Lieblingsgebrauchtbuchmarkt bietet auch DVDs an und die Gebrauchten kosten dann teilweise nur 5 Euro. Die Wahrscheinlichkeit, dort etwas zu finden, ist deshalb auch meist gleich null. Entsetzt über diese Preisgestaltung ließ ich den Einkauf dann doch lieber und traf mich mit Melanie. Nach unserem Abendbrot ging es dann noch mal alleine kurz ins MafuMafu, man muss ja noch ausnutzen, dass es geöffnet ist.