Raumkontrolle oder Fußball?

Mit dem Alter kommt die Erfahrung heißt es. Offensichtlich scheint sich diese alte Binsenweisheit zu bestätigen. Nach der berühmten Staubschlacht von Göttingen galt es heute, die Vorkontrolle meines Zimmers zu bestehen. Schon der erste Schock stellte sich ein, als der ältere Japaner zu meinem Unfreude nur Japanisch sprach. Aber mein koreanischer Mitbewohner war schnell zur Hand, auch wenn ich ihn im Endeffekt kaum benötigte. Mein Zimmer ist sauber und sogar so extrem sauber, dass er es mit den Mädchenzimmern verglich, da Jungenzimmer doch viel dreckiger sind, besonders bei Vorkontrollen. Wenigstens scheint sich die Reinigung des Zimmers gelohnt zu haben, wobei ich die Kontrolle auch sehr schnell von ihrem eigentlichen Ziel ablenken konnte. Bekanntlich hängt in meinem Zimmer eine große Fahne des besten Teams der Welt und so etwas erregt natürlich Aufmerksamkeit. Geschlagene 10 Minuten philosophierten wir aus diesem Grund über deutschen und auch japanischen Fußball, nachdem ich mich als Vegalta Fan outete. Offensichtlich hatte er so viel Spaß an der Unterhaltung, dass er die Kontrolle als abgeschlossen bewertete und das Zimmer verlies. Mir soll es recht sein, er sollte eh alles Wichtige gesehen haben.

Der heutige Tag dagegen stand unter zwei Vorzeichen. Das erste Ziel hieß Shimizu, der heute Geburtstag hatte. Da das Büro eh aufgrund der Aufnahmeprüfungen geschlossen war, hatten wir den Nachmittag verplant. Shimizu hat noch nie einen Döner gegessen, aus diesem Grund machten wir uns auf den Weg zum einzigen Döner Kebab der Stadt. Leider geschah das Übliche und es war mal wieder geschlossen. So langsam verzweifle ich an diesem Geschäft. Jedes Mal wenn ich vorbei komme, haben sie zu. Langsam lege ich das als feindselige Handlung aus. Kein Problem für uns, bei Kaffee und etwas Essbarem brachten wir den Nachmittag trotzdem gut über die Runden. Als Geschenk hatte ich ihm auch etwas Besonderes gekauft. Shimizu kommt ja nun im Sommer nach Deutschland und in einem Buchladen hatte ich einen deutschen Bierführer gesehen. Nachdem dort sogar die wichtigsten Phrasen zum Biertrinken im Fußballstadion erklärt waren, musste ich einfach zugreifen. Für den Magdeburger Fußball sollte er so sehr gut gewappnet sein. Einziger Schwachpunkt des Werkes ist eigentlich nur die Fixierung auf Süddeutsche Biersorten. Nur wenige nördliche Vertreter werden erwähnt und wenn nicht mal Köstritzer bei den schwarzen Biersorten oder für die Bremer Freunde das Becks, außerhalb der Mixgetränke, erwähnt werden, ist das schon eine schwache Leistung. Dementsprechend gab ich noch eine Einführung in Nord- und Ostdeutsche Bierkunde, er soll ja richtig gewappnet sein.

Das zweite Ziel des Tages lautet Kazaoka. Das ist ein Bekannter aus dem Büro, der mit mir eine Abschiedsfeier machen wollte. Aus diesem Grund hatte er zwei Plätze in einem Odenrestaurant bestellt. Eine sehr gute Wahl, hatte ich doch Oden bis heute nur einmal und da eher skeptisch gegessen. Das Restaurant war sogar so beliebt, dass wir reservieren mussten, dafür war das Essen auch genial. Oden sind in Fischbrühe gedünstetes Gemüse und Fleisch, die einen ganz eigenen Geschmack entwickeln. Ausländer sind in diesem Restaurant, trotz der hohen Frequentierung, aber offensichtlich trotz allem Mangelware, so dass uns das Personal immer wieder in Gespräche verwickelte. Der perfekte Aufhänger hing auch an der Wand, ein Foto der Hauptköche mit einem Vegaltaspieler. Einer der Köche war großer Fußballfan und wir unterhielten uns deshalb besonders über das Thema, aber auch ansonsten wurden wir gut ausgefragt. Ein Ausländer muss natürlich auch bei Laune gehalten werden, also erhielt ich noch einen auf besondere Weise und extra für mich hergestellten Eisrettich, den in der Weise noch nicht mal mein japanischer Kumpel gegessen hatte. Zur Verabschiedung kam sogar der Koch dann noch einmal aus seiner Kochecke heraus, unterhielt sich mit uns an der Tür und verabschiedete uns per Handschlag und das alles trotz übervollen Ladens. Der Besuch hatte sich also sehr gelohnt und beim anschließenden Kaffee wurde klar, dass es wirklich schade ist, dass Kazaoka das erste halbe Jahr meines Aufenthaltes in Deutschland war. Es wäre mit ihm wohl sehr lustig geworden. Trotzdem bin ich froh, dass er wenigstens immer mal ein wenig Zeit hatte.

Der Kunde ist König

Wir sind jung, energisch und ein Mal weniger Schlaf wird uns nicht umbringen. Davon waren um 3 Uhr morgens noch alle Anwesenden, exklusive des deutschen Austauschstudenten, im Büro überzeugt. Den Deutschen fragte keiner und er bekam auch nur die Hälfte mit, wozu ließ man aber einen seiner Manager mitsprechen? Von der Überzeugung sah man drei Stunden später dann aber auf einmal nicht mehr viel. Bis auf den besagten Deutschen, der sich mit der Ermangelung seines Bettes mittlerweile abgefunden hatte und dadurch wieder fit geworden ist, hingen die anderen auf einmal stark in den Seilen, die Nacht war aber überstanden. Was sollte es da besseres geben, als sich erst einmal in einen gesunden Zustand zu dopen. Zu diesem Zweck verwendet man hierzulande nicht etwa Kaffee, nein, es wurde die Misosuppe herausgeholt, die Suppe gegessen und sich dann verabschiedet. Anschließend zogen die müden Krieger erschöpft von dannen, einige in dem Zustand, dass sie keinen Verabschiedungsformel mehr verlauten lassen konnten. Wir schrieben die Uhrzeit 7 Uhr morgens, wie gehe ich nun am besten vor? O.k., schlafen ist immer verlockend, aber will ich wirklich den gesamten Tag verschlafen? Mein Entschluss fiel eindeutig aus: nein, wer braucht schon Schlaf? Schlafen ist bekanntermaßen eh überbewertet und kurzerhand blieb ich wach und verbrachte die Zeit lieber damit, mein Zimmer auf Vordermann zu bringen.

Ewig kann man aber nicht zuhause sitzen, auch wenn das bei Schlaf wohl der Fall gewesen wäre. Kurzerhand fuhr ich auf den Hauptcampus, wo Rieko schon bereit stand. Japanische Unis haben als Zugangsvoraussetzungen einen großen Aufnahmetest, der über den gesamten Tag läuft. Wo könnte man nun diesen Test besser machen, als in meiner Fakultät? Aus diesem Grund war die Anspannung allen Gästen heute anzumerken und morgen ist die Fakultät für uns auf jeden Fall nicht betretbar. Offensichtlich brauche ich für morgen also einen guten Plan, um mich anderweitig zu beschäftigen.

Für heute stellte das aber kein Problem dar. Olga ist bald im Urlaub im Ausland und kommt erst nach meiner Abfahrt wieder, ein guter Grund um sich noch einmal zu treffen. Aus diesem Grund ging es für uns heute gemeinsam in ein Yakiniku, ein Fleischrestaurant. Um genau zu sein, handelte es sich um ein Fleischrestaurant, das ich schon einmal mit meinen Eltern besucht hatte. Schon dass Ausländer alleine in das Restaurant gehen, sorgte für Aufsehen und wir mussten viele Fragen, wie über unser Verhältnis zueinander und unsere Herkunft, beantworten. Endgültig hatten wir den Laden aber auf unserer Seite, als wir uns das Braten von Tintenfisch erklären ließen. Dessen wabblige Haut stellte einen Gegenstand dar, wo wir partout nicht wussten, wie wir es zubereiten sollten. Zu diesem Zweck rekrutierten wir kurzerhand den Besitzer des Restaurants und schon war der Tintenfisch perfekt. Zu diesem Zeitpunkt erkannte mich aber eine jüngere Mitarbeiterin und wir waren absolutes Thema Nummer eins. In einem Atlas (inklusive DDR eingezeichnet) mussten wir unsere Herkunftsorte zeigen und wir bekamen einiges an Fragen zu hören. Gleichzeitig half diese spontane Berühmtheit aber extrem, den Magen von Olga und mir zu füllen. Kurz vor Ende des Essens wurde uns auf einmal auf Kosten des Hauses ein Teller mit besonders hochwertigem Sendaifleisch, gleichzusetzen mit Koberind der hohen Preisklasse, gereicht. Diese Überraschung wurde mit einem Grünen-Tee-Eis am Ende des Essens abgeschlossen und nach dem Bezahlen bekamen wir beide noch eine komplette Kaugummipackung geschenkt. Eine langwierige Verabschiedung später hatten wir den Laden endlich überstanden. Leckeres Essen, viele Zusatzgaben und eine 5-Minuten-Verabschiedung durch die Mitarbeiter, mit so etwas hatte Olga vor dem Besuch des Restaurants nicht gerechnet. Wenigstens hat es aber jetzt mal ein anderer Ausländer aus der Nähe gesehen. Meine Mitstudenten glauben mir nie die absolute Hilfsbereitschaft, die manche Japaner an den Tag legen können. Bei mir dagegen klappt es regelmäßig. Vermutlich sehe ich hilfesuchend und verzweifelt genug für die Japaner aus, so dass sie sich alle fühlen, als ob sie helfen müssen. Offensichtlich funktioniert es und ich werde mich über Hilfe bestimmt nicht beschweren, die kann ich immer gebrauchen.

Abschied von Okada

Japaner sind komisch. O.k., diese Feststellung ist nicht neu und in den letzten Monaten hat es sich immer wieder bestätigt. Aber trotzdem schaffen sie es immer wieder, mich zu überraschen und das soll etwas bedeuten, schließlich bin ich mittlerweile schon etwas abgehärtet, was japanische Seltsamkeiten betrifft. Der heutige Tag begann ziemlich ruhig und eigentlich nicht besonders. Den Vormittag nutzte ich zu einer Grundreinigung meiner WOhnung, da in wenigen Tagen eine Kontrolle ansteht und im Anschluss machte ich mich auf den Weg ins Buro. Nur weil die meisten Studenten nicht mehr kommen, heißt das ja noch lange nicht, dass ich nicht auftauche.

Nachdem der Anfang des Aufenthaltes ziemlich ruhig verlief, meldete sich auf einmal Shimizu zu Wort, dass am Abend wohl eine Feier anstehen würde und ich gefalligst auch kommen soll. Gut, ich kann mich ja nicht immer ausklinken und die letzte Feier hatte ich aufgrund meines Aufenthalts beim Schneefestival in Sapporo verpasst. Da kann ich mir auch den Abend heute freischaufeln und zu der Feier gehen. Zu meiner Überraschung erwarteten mich keine Professoren, sondern es wurde nur das Buro genutzt. Ansonsten handelte es sich um eine pure Feier von Studenten. Zu meinem Leidwesen bedeutete das verstärkten Japanischeinsatz. Da ich es aber verstehe und notfalls mit Shimizu ein Übersetzer anwesend ist, stellt das ein vernachlässigbares Problem dar. Viel mehr verwunderte mich schon die erste Handlung einer Studentin. Ehe er überhaupt die Chance hatte, sich anständig zu betrinken, um eine Ausrede für sein Handeln zu haben, ließ sich Okada bereitwillig von einer Mitstudentin schminken. Mit schminken meine ich übrigens das gesamte Programm, vom Lidschatten, über Maskara und den farbigen Erdbeerlippenbalsam wurde alles aufgefahren, was die weibliche Schminktasche hergab. Okada ist mir zwar früher schon aufgefallen als jemand, der bereitwillig bei Karaokeauftritten den weiblichen Gesang imitieren kann und das auch ausnutzt, aber das Verhalten ging doch weit über den Karaokeauftritt hinaus. Dafür hat er eindeutig einige Punkte in der Männlichkeitsskala verloren! Später, als der Alkohol dazu noch seine Wirkung zeigte, wurde es dann ganz schlimm mit ihm und er klammerte sich an Shimizu, der das missbillig über sich ergehen ließ. Die Frauen dagegen hatten eindeutig ihren Spaß, machten viele Fotos und freuten sich über den „Bishonen“. Mit seinem Auftritt war Okada nämlich gar nicht so weit von einigen japanischen Idealen entfernt. Japanische Glamrocker treten genau so wie er heute auf und bei Japanerinnen existiert das Ideal des Bishonen, des schönen Jungen, der notfalls auch als Frau durchgeht. Nicht ohne Grund werden besonders viele Filme in diesem Genre gedreht. Nachdem sie ihn fertig geschminkt hatten, waren die Frauen aber noch nicht beruhigt, nächstes Ziel sollte Yokojama werden, der aber die richtige Antwort mit einem bösen Blick gab und uns dadurch vor den Frauen bewahrte. Wobei, vermutlich hätte man mich dank meines Bartes (das Abrasieren hatte ich heute früh noch auf morgen verschoben) eh verschont, aber man muss es ja nicht heraufbeschwören.

Allgemein sind japanische Feiern aber aufgrund der Regeln sehr interessant. So ist es zum Beispiel verpöhnt, sich selbst Getränke einzuschenken. Vielmehr sollte man immer seinem Nachbarn etwas anbieten. So geschieht es, dass man mehr auf den Gegenüber als auf sich selbst achtet. Am wörtlichsten nahm eine der Japanerinnen diese Regel, die mich förmlich mit Blicken tötete, als ich ihren Plaumenwein das erste Mal ablehnte. Auch ansonsten waren die Gespräche sehr interessant, wobei ich manchmal nicht alles hundert prozentig verstehen konnte. Modische Akzente wurden neben Okada übrigens auch gesetzt. Eine junge Dame kam im Gothic Lolita Outfit, komplett in schwarz mit Tütenärmeln und viel zu vielen Rüschen. Hierzulande findet solch ein AUftreten nicht mal Beachtung. In Deutschland, da bin ich mir sicher, würde jeder starren, so seltsam ist das Outfit.

Das Essen, teilweise von unseren Damen selber gemacht, war aber sehr lustig und auch ansonsten machte es sehr viel Spaß. Lieber wäre mir zwar gewesen, wenn ich noch mehr hätte sprechen können, aber Japanisch ist nun einmal eine ziemlich schwere Sprache, die man in einem Jahr nicht mal eben so nebenbei perfektioniert. Trotzdem hat sich das Bleiben aber auf jeden Fall gelohnt und wenn es nur für die Beweisfotos von Shimizus „neuer“ Freundin war. Problematisch ist eigentlich nur eine Kleingkeit: Keiner erwähnte, dass es die Nacht wohl durchgeht. Solch ein Vorgehen war überhaupt nicht in der Planung und eigentlich wurde auch immer wieder das nach Hause gehen erwähnt eh sie bemerkten, dass sie doch durchmachen wollen und teilweise aufgrund der nicht mehr nach Hause fahrenden Busse auch müssen. Da ich mitten in der Nacht nur noch die Hälfte mitbekam, stellte das auf einmal doch eine kleine Überraschung dar. Da aber alles für die Feier von Okada und den anderen Studenten übernommen wurde, wollte ich auch nicht einfach verschwinden, so wurde halt eine Nachtschicht eingelegt. Wie sich um 4 Uhr dann auch mal herausstellte, war die ganze Feier die Abschiedsfeier von Okada, der um 6 Uhr morgens mit dem Bus in die Stadt, in der er seinen Master machen wird, fahren wollte und zum Abschied wurde er auf diesem Weg auf die richtige Art verabschiedet. Das hätte ich gerne alles etwas früher gehört, dann hätte ich mich besser auf die Feier vorbereitet. Aber so habe ich wenigstens eine Ausrede und ich bin jung und überlebe so einen Abend auch schon mal. Und wie gesagt, gelohnt hat es sich auf alle Fälle.

Bei der Arbeit

Irgend etwas scheint das Beamtentum gegen mich zu haben! Egal, ob in Deutschland oder in Japan, überall versuchen sie, mir das Leben so schwer wie möglich zu machen. Heute ging es für mich als erste Amtshandlung raus zur Stadtverwaltung, meine Krankenversicherung wollte gekündigt werden. Ansich ist dies eine kleine Sache von wenigen Minuten, wäre da nicht das lästige Problem mit der Sprache. Japan wäre aber nicht Japan, wären die Mitarbeiter nicht vorbereitet und so lag ein Zettel mit vorgefertigten Phrasen, um darauf zeigen zu können, für die Beamten bereit. So weit so gut, aber auf einmal entschied meine Sachbearbeiterin, die Englischsprachige vom Dienst zu rufen. Das war eine ältere Dame, deren einzige Aufgabe darin besteht, die ganze Zeit zwischen den Etagen zu springen und alle etwaigen englischen Fragen zu beantworten. So erschien diese Dame, auch wenn ich sie nicht wirklich benötigte. Ich verriet ihr das Geheimnis, dass ich Japanisch verstehe. Keine zwei Minuten später saß ich wieder vor der Bearbeiterin und wir mussten warten. Da fing die Dame auf einmal an, sich über die gesamten Ausländer aufzuregen, die alle zur gleichen Zeit das Land verlassen und ja alle kein Japanisch können. In diesem Moment konnte man ein Erröten im Gesicht der Übersetzerin sehen. Sie baute dann schnell in das Gespräch ein, dass ich alles verstehe und schon hatten wir eine peinliche Ruhe am Tisch. Wenigstens klappte es alles und es war erfrischend, einmal einen Japaner zu erleben, der auch wirklich seine echte Meinung vertritt. So etwas gibt es hierzulande nicht häufig.

Als ich das Gebäude nach dieser Erfahrung verließ, konnte ich gleich noch einmal das japanische Verhältnis zu Ausländern erleben. Die Nationalisten Japans fuhren mit mehreren Kleinbussen und lauten Durchsagen durch die Stadt und propagierten ein freies und reines Japan. Zu diesem Zweck fuhr man in Dreiergespannen, wo der erste Fahrer etwas ins Mikro rief und die anderen Fahrzeuge sprachen es nach. Die Polizei war zum Glück auf das Vorgehen vorbereitet, konnte aufgrund der Gesetzgebung aber nicht viel machen. Die einzige Handhabe war, die Lautstärke der Durchsagen zu überprüfen. Das wurde auch mit Testmikros getan, wobei das bloße Ohr schon sagte, dass es viel zu laut war und in den Ohren dröhnte. Im Endeffekt wurden die zu lauten Busse angehalten, die verringerten die Lautstärke für eine Minute, nur um daraufhin weiterzumachen. Bin ich froh, dass diese Art des Umzuges in Deutschland verboten wäre.

Um nur einmal mehr zu beweisen, dass japanische Beamte mich nicht mögen, kam es im Büro heute gleich noch zu einem zweiten Fall von Beamtenwillkür. Vor Tagen hatte ich eine Studienbescheinigung bestellt und heute wollte ich sie abholen. Wie immer wurde ich ignoriert, aber diesmal stand Shimizu in der Nähe bereit, um einzugreifen. Trotzdem dauerte es sehr lange, bis wir sie überzeugt hatten, dass ich eine Bescheinigung geordert hatte. Doch was für ein Schreck war es später, als ich mein Geburtsdatum gesehen habe: 1967 ist eventuell doch etwas zu früh oder ich habe mich gut gehalten. Rieko scherzt schon immer mit mir, was das Prüfungsamt gegen mich hat, aber langsam glaube ich wirklich, dass die absichtlich gegen mich arbeiten.

Am Abend ging es dann noch einmal ins MafuMafu. Thomas letzter Tag war angebrochen. Leider war die Hauptattraktion zu allem Überfluss zu spät, so dass die beiden Köche alleine bei knapp 30 Gästen leicht am rotieren waren. Das ist eine Tatsache, die ein Stammgast, der mit allen Mitarbeitern befreundet ist, nicht zulassen darf. Kurzerhand schnappte ich mir die Getränke, schenkte aus, wusch mit ab und unterstützte sie so gut ich konnte. Mein Freibier war dadurch gleich mit gesichert. So wurde es ein sehr anstrengender Abend, aber auch ein sehr lustiger. Besonders nachdem Thomas da war, wurden die Japaner sehr aktiv. Viele sprachen mich als neuen Mitarbeiter an. Einige waren sogar sehr interessiert. Das Einzige was nicht klappte, war mein Studium zu erklären. Trotz Versuche auf Japanisch hat das wohl keiner verstanden. Trotz allem blieb Thomas Star des Abends. Er bekam Geschenke, Küsse von Japanerinnen, mehr als ein Stammgast weinte beim Abschied und alle waren sich einig, dass das MafuMafu ohne ihn anders sein wird. Wobei, bald haben sie einen neuen Starkellner, dann wird alles anders. Orsolya hat heute einen Posten zugesagt bekommen und mich wollte man eh am liebesten behalten und das, obwohl ich ein Glas auf dem Gewissen hatte. Dank Facebook wird der Abschied aber garantiert auch nicht für immer sein und Thomas will unbedingt mal nach Magdeburg kommen. Ich bin gespannt, ob es einmal dazu kommt.

Schule in Japan

Irgend etwas muss im deutschen Schulsystem schiefgehen, wenn ich mir die Stadt Sendai bei Nacht so betrachte. Zu gerne erinnere ich mich an meine Schule zurück. Ein viel zu altes Gebäude, schlechte Ausstattung, bis auf Naturwissenschaftszirkel kaum außerschulische Betätigungsmöglichkeiten und zu allem Überfluss auch noch niemals Geld, um daran etwas zu ändern. Nein, viel mehr wurden noch ?unnötige? Orte der Beschäftigung wie das Computermuseum und die Bibliothek kaum einmal geöffnet, um Geld einzusparen. Wenn man dagegen nachts in Japan an einer Schule vorbei kommt, merkt man den Unterschied deutlich und schon aus der Ferne. Das erste klare Zeichen, dass man sich in der Nähe einer Schule befindet, ist unwiderlegbar das Flutlicht. Aus unerfindlichen Gründen haben alle Schulen Japans für ihren Sportplatz vor der Schule ein Flutlicht, um nächtliche Aktivitäten zu unterstützen. Auch ansonsten sieht man einiges, wenn man an diesen Gebäuden vorbei kommt. Neben Sportplatz und Sporthalle verfügen viele Schulen noch über Tennisplätze und Schwimmbäder. Von so einer Ausstattung konnten wir damals nur träumen.

Allgemein ist das Schulleben hierzulande ziemlich interessant und es ist wirklich bedauerlich, dass ich es nie geschafft habe, eine Schule von innen zu sehen. Das auffälligste Merkmal japanischer Schulen ist eindeutig die Schuluniform, Albtraum aller deutschen Schüler und Traum vieler erwachsener Japaner, wenn man die Menge an Schuluniformkostümen in den Kostümladen sieht. Dabei unterscheiden sich die Schuluniformen gravierend von ihren Gegenstücken in England. Vielmehr sind sie preußischen Marineuniformen nachempfunden, sehr dünn und bei den weiblichen Varianten sehr weiblich geschnitten. Jede Schule besitzt dabei einen eigenen Typ, der einmal im Jahr, je nach Schule zum Frühling- oder Sommer- beziehungsweise Herbstanfang, gewechselt wird. In drei Wochen gibt es also an den ersten Schulen schon wieder die Sommeruniformen. Das alte Vorurteil der deutschen Kinder, dass niemand freiwillig die Uniformen tragen würde, widerlegen gleichzeitig die Bilder nachts und am Wochenende auf der Straße. Überall und täglich sind die Uniformen anzutreffen und werden auch in der Freizeit getragen. Um Kanayo zu diesem Thema zu erwähnen, eines der Dinge, das sie aus ihrer Jugend vermisst, ist das Tragen von Uniformen. Man gewöhnt sich wohl daran.

Schule bildet auf jeden Fall bei Japanern den perfekten Gesprächsanfang, wie ich bei Gesprächen mit meinen Mitstudenten erfahren durfte. Besonders bei der Frage nach Clubs leuchteten die Augen der Anwesenden. Schulen bieten für eine gute Ausbildung ihrer Schüler auch eine Vielzahl an Clubs an, die in der Freizeit besucht werden können und ziemlich intensiv genutzt werden. Aus diesem Grund gibt es das echte Jugendprogamm mit Comicserien hierzulande ab 22 Uhr, weil das Zielpublikum um diese Uhrzeit am wahrscheinlichsten zuhause ist. Die wichtigsten Clubs wie Baseball und Fußball tragen dazu auch noch Turniere aus, wo die Teilnehmer wie Popstars gefeiert werden. Heute erst habe ich ein dickes Heft mit Hochglanzbildern aller Spieler des letzten Interhighs der Fußballmannschaften im Zeitungsladen entdeckt, dass wegging, wie warme Semmeln. Trotz des jungen Alters der Teilnehmer von vielleicht 15 Jahren waren die Stadien dabei auch bis oben hin gefüllt. Man stelle sich vor, wie viele Zuschauer zum Beispiel bei der C-Jugend irgend eines Vereins in Deutschland kommen! Schade, dass ich schon viel zu alt für so etwas bin, aber für ein paar Tage würde ich zu gerne mal den Alltag einer dieser Schulen sehen.

Ganz interessant war aber nicht nur der Bericht über die Schulen durch meine Mitstudenen, sondern auch meine Zeitplanung für die nächsten Wochen. Bekanntlich habe ich noch einige Pläne in der nächsten Zeit, was die anderen offensichtlich nicht stört. So bekam ich eine Nachricht von einem Kumpel mit der Frage, was ich gerne esse? Nach meiner Antwort kam eine Nachricht zurück, dass wir uns dann am 25.02. treffen und er das Restaurant schon gebucht hat. Gut, dass ich durch Zufall gerade noch Zeit freischaufeln kann. Kurz danach ging es dann mit der Planung weiter. Am 28.02. ist offensichtlich eine Party für mich. Nur gut, dass ich da jetzt zumindest inoffiziell informiert bin. Mal sehen, wann jemand mal offiziell mit mir spricht. Mal schauen, was das noch so wird und gut, dass ich nicht so oft feiere.

Der Dritte im Bunde

Sendai hat im Sport drei große Vertreter. Zum einen wäre da Vegalta Sendai zu nennen. Über das Fußballteam der Stadt muss ich wohl kein Wort mehr verlieren, das habe ich nun mittlerweile wohl oft genug gemacht. Der zweite Vertreter sind die Tohoku Rakuten Golden Eagles, das Baseballteam der Stadt. Erst vor wenigen Jahren gegründet, stellt der Verein einen der wichtigsten Vertreter der Pacific Liga dar. Zu diesen beiden großen Vertretern gesellt sich noch eine Sportart hinzu. Die Sendai 89ers halten die Ehre der Stadt im Basketball hoch. Baseball habe ich mit Yuri und Andre im Sommer besucht, beim Fußball unzählige Stadionbesuche absolviert, aber Basketball fehlte noch – ein unhaltbarer Zustand. Kurzerhand rief ich Antti, den Finnen und Tobias, den Schweden zusammen und fragte an, ob sie Interesse an einem Besuch hatten. Keine Frage, beide waren dabei, hatte ihnen der Besuch von Vegalta doch schon Spaß gemacht.

Die Halle der 89er liegt am äußeren Rand der Stadt, was uns veranlasste, die U-Bahn zu nutzen. Für alle die sich wundern, ja Sendai verfügt über eine U-Bahn, aber nur mit einer Strecke, die dazu noch so ungünstig liegt, dass ich lieber mit dem Fahrrad fahre. Für die Tour war es aber sehr günstig, da die Halle direkt an der Station liegt und der Weg perfekt mittels Flaggen gekennzeichnet ist. Wer sich da verläuft, muss schon seine Brille vergessen haben. Schon beim Einlass standen wir aber vor dem ersten Problem. Es gab zwar einen Schüler- und Studentenrabatt, der war aber eigentlich nur bis zur Mittelschule gültig. Wieso dann das Wort „Student“ erwähnt wird, war uns auch nicht klar. Aber wozu sind wir Ausländer? Kurzerhand fragten wir nach den billigeren Karten und bekamen sie auch prompt und ohne Diskussion oder Studentenausweis vorzeigen. So sollte es immer sein. Nun galt es beim schönsten Sonnenschein, auf den Anpfiff zu warten. Kurzerhand schauten wir einer Grundschülermannschaft beim Baseballtraining zu, die sich aus diesem Grund weniger konzentrieren konnten, als das üblich ist. Was nebenbei aber besonders auffiel, war der übernatürlich große Frauenanteil unter den Menschen, die die Halle betraten. Aber gut, wo sonst können die schon mal große Ausländer sehen? Wie wahr diese Aussage war, sollte uns in der Halle auffallen. Es gab lebensgroße Bilder der Basketballspieler und Tobias war größer als der kleinste. Dazu muss man wissen, dass Tobias gerade mal 1.68 m misst und der kleinste Spieler der Mannschaft ist tatsächlich 1.60 m groß.

Nach einigem Suchen hatten wir auch einen Platz, sehr zur Unfreude einer Familie neben uns, die tierische Angst hatte, dass wir es dank ihnen zu unbequem haben könnten. Eine Bestechung mit Schokolade später war aber alles vergessen und sie opferten eine Gegenschokolade und erzählten uns während des Spiels auch öfter mal interessante Fakten. Vor dem Spiel waren auf alle Fälle drei Dinge auffällig: Dass die Cheerleader den Fans die Fangesänge vormachen müssen, habe ich bis heute auch noch nie in einer Sportart für voll genommen. Das mag es geben, aber bewusst habe ich das heute das erste Mal gesehen. Weiterhin können Japaner kein Englisch, wobei ich das auch schon früher wusste. Traditionell wird beim Basketball viel Englisch verwendet, das ist in Deutschland auch nicht anders. Aber das Englisch war so undeutlich, dass wir gerade mal die Hälfte verstanden. Zu guter Letzt waren wir noch sehr stolz auf die japanische Jugend. Da es Fahnen von den 89ers sehr günstig gab, hatten fast alle Hallengäste diese als Schalersatz. Vor dem Spiel versuchten nun alle Kinder, Unterschriften zu sammeln. Aber dabei ging es nicht um die Spieler, die meistens außen vor blieben, sondern die Kinder stürzten sich auf die Cheerleader – ein Bild für die Götter. Umringt von vielen Kindern kamen die aus dem Autogramm schreiben gar nicht wirklich raus.

Das Spiel selbst verlief unterirdisch. Wenn die 89ers wirklich den zweiten Platz der Liga inne haben, möchte ich nicht wissen, wie schlecht die anderen Teams sind. Einfachste Korbwürfe gingen andauernd daneben und es wurden viel zu viele Fehler gemacht. In der zweiten Hälfte des Spiels schaffte es Sendai sogar noch fast, einen 19 Punkte Vorsprung komplett zu verlieren. Trotzdem war das Spiel sehr lustig, manchmal wollten wir uns aber am liebsten selber einwechseln, viel schlimmer hätte es auch nicht werden können. Sendai ging früh in Führung und die ersten zehn Minuten konnte der Gegner Toyama keinen einzigen Punkt holen. Ab der Halbzeit änderte Toyama aber die Taktik und kam immer näher an die 89ers heran. Diese Aufholjagt kostete aber zu viel Kraft, so dass die 89ers mit fünf Punkten Vorsprung gewinnen konnten.

Nach dem Spiel wurde es aber noch einmal interessant. Eine ältere Dame hatte Interesse an den großen Ausländern vor ihnen gewonnen. Über die Familie ließ sie ausrichten, dass eine der Cheerleaderinnen (Zitat eines namentlich bekannten Skandinaviers: „Die Timeouts mit den Cheerleadern sind viel besser als das Spiel.“) ihre Tochter ist. Da sie es nicht auf sich beruhen ließ, holte sie richtig aus. An unserem Finnen hatte sie einen Narren gefressen und fragte ihn sogar, ob er Mails auch auf Japanisch schreiben kann. Wäre er nicht so erschöpft noch von zu wenig Schlaf gewesen, wäre er eindeutig der Tochter vorgestellt worden. Aber nicht einmal der Wunsch unsererseits auf ein Fotoshooting mit den Cheerleadern konnte ihn bewegen, auf die Versuche einzugehen.

So ging es also nach Hause, wo wir noch einen Abstecher in eine Sushibar machten. Verdammt, Sushi in Japan ist wirklich nicht mit Deutschem vergleichbar. Was soll das wieder in Deutschland werden, wie soll ich nur überleben? Auf jeden Fall war der Männertag eine klasse Aktion und wir hätten so etwas noch viel häufiger machen sollen. Leider haben wir zu spät von unserem gegenseitigen Sportinteresse gehört.

Spieleabend in der Japanisch-Deutschen Gesellschaft

Und hier eine Übertragung unseres Sponsors:
*Werbung* Planen sie eine Party? Brauchen sie viele Besucher, die mit ihren Gästen sprechen? Dann sind sie hier genau richtig!
Reik-Gästeorganisation, von Invasion bis zum ruhigen Zusammensein, wir haben alles! *Werbung Ende*

Heute stand eine Feier der Japanisch-Deutschen Gesellschaft Sendai an und ich kann nur sagen, so etwas ist viel zu viel Stress. Bekannterweise hatte ich auf der Rückreise aus Sapporo einen Deutschen kennen gelernt, der mich darum gebeten hatte, doch ein paar Deutsche für einen Spieleabend der Gesellschaft aufzutreiben. Nichts leichter als das, irgendwie kenne ich ja doch ein paar Leute. Mein Rekrutierungsverfahren sah dementsprechend einfach aus. Alex und Orsolya bot ich eine Abendbeschäftigung an, so dass Orsolya sogar noch ihre sächsische Kommilitonin, die seit kurzem in ihrem Labor ist, mitnahm. Alex war sowieso dabei. Zusätzlich fragte ich Olga, die sich auch schnell bereit erklärte, bei der Suche nach den letzten Opfern behilflich zu sein. Um ehrlich zu sein: Mein einziger Satz, den ich sagen musste, um sieben Ausländer zu finden, die bereit waren ihren Samstag für ein paar Japaner zu opfern, lautete einfach nur: „Es gibt kostenloses Essen.“ Welcher Student würde sich bei dieser Aussicht nicht sofort bereit erklären alles zu tun, was notwendig ist?

Was mir an der Sache aber gar nicht passte, war die Tatsache, dass ich alles koordinieren durfte. Ab cirka einer Stunde vor dem Treffen stand mein Telefon nicht mehr still und ich musste Wege erklären und Treffpunkte organisieren. Besonders Alex, der von Sendai noch immer keinen brauchbaren Plan im Kopf hat, stellte mich vor arge Probleme. Irgendwie klappte aber alles und der Abend konnte starten. Die Verantwortliche hatte auch anständig aufgetischt. Anstelle des angekündigten Grünkohls wurden noch Käsespätzle (auch wenn ich die Zubereitung nicht optimal fand), Torten, Schwarzbrot, Crêpes, Bratkartoffeln und andere Köstlichkeiten aufgetischt. Man merkte eindeutig, dass die Japanerinnen älter sind und zu viel Zeit haben. Umso besser, nach diesem Essen beschwert sich garantiert niemand, dass ich ihn unter falschen Versprechen irgendwo hin gelotst habe! Es wurde eine sehr interessante Runde und vor allem war einer der Japaner, die zu Gast waren, besonders interessant. Diesen Herrn hätte ich schon eher finden sollen: ein Japaner, perfekt in Deutsch, Historiker und dann auch noch Fußballfan (wenn auch vom VFB Stuttgart) – die perfekte Mischung. Kurzerhand wurde er mein Ansprechpartner Nummer eins für diesen Abend, aber auch die anderen Gäste waren ziemlich nett.

Gespielt wurde aber natürlich auch noch. Scrabble mit Japanern in einem Team ist ziemlich anstrengend, wenigstens verstanden die Deutschen an meinem Spielbrett es, das Spiel interessant und offen zu gestalten. Am anderen Tisch wurde die gesamte Zeit nur per Datenbank gesucht und unrealistische und unverlängerbare Wörter genutzt, so dass kaum Spaß aufkommen wollte, wir hatten ihn dafür umso mehr. So ging der auf zwei Stunden ausgelegte Abend auch mal locker vier Stunden länger und alle hatten noch ihren Spaß, so soll es sein. Umso mehr bedauert es der Deutsche aus der Japanisch-Deutschen Gesellschaft, dass ich wieder nach Deutschland gehe, war er doch froh, jetzt so eine Verbindung an die Uni gefunden zu haben. Mal schauen, ob Orsolya das so übernehmen kann.

Das Alumni-Prinzip

Es ist morgens und das Büro ruft. Also das Fahrrad gesattelt und auf zum Campus. Ein ganz normaler Morgen also, dachte ich jedenfalls. Als ich das Büro betrat, sah die Welt aber schon ganz anders aus. Anstelle der üblichen Gesichter von zum Beispiel Shimizu oder Rieko, starten mich auf einmal drei andere Personen an. Was war da schief gegangen? Falsches Büro konnte es nicht sein, denn deutsche Bücher stehen mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit nur in der deutschen Literatur herum. Die drei Damen wussten auch nicht wirklich, was sie mit mir tun sollen. Wir einigten uns also stumm auf einen Waffenstillstand. Ich setzte mich ruhig in eine Ecke und harrte der Dinge, die da kommen sollten und sprach sie nicht an und im Gegenzug ließen sie mich zufrieden. Dieser Waffenstillstand hielt auch so lange an, bis sie nicht in der Lage waren, den PC zu bedienen. Kurzerhand sprang ich ein und die Damen schickten jemanden vor, um etwas über mich heraus zu bekommen. Bist du ein Austauschstudent und Ausländer? Kommt, mittlerweile kenne ich diese Frage in- und auswendig und jedes mal wieder muss ich mir eine blöde Antwort verkneifen. Ich sehe ja nun wirklich nicht so stark Japanisch aus, oder? Wenigstens ein klein wenig Kreativität erwarte ich bei diesen Aktionen schon. Meine Antworten reichten den Damen aber und sie starteten, lauthals in meiner Gegenwart über mich zu reden. Irgendwann kapieren schon noch alle Seiten, dass ich sie verstehe, bis dahin habe ich halt meinen Spaß. Wie sich herausstellte, handelte es sich um Alumni des Büros, die nun darüber philosophierten, wie ungerecht es ist, dass sie zu ihrer Zeit keinen Deutschen, sondern nur einen deutschen Professor hatten.

Alumni zu sein, hat in Japan auf jeden Fall eine viel größere Bedeutung, als das in Deutschland der Fall ist. In Deutschland besucht man eventuell die Treffen der Alumni und geht mal in die Sprechstunde seines Hauptprofessors, das war es aber schon. Hierzulande ist man seinem Professor ein Leben lang zu Dank verpflichtet, was dazu führt, dass die Studenten fast jährlich den weiten Weg von ihren Arbeitsplätzen zu ihren Unis zurücklegen, sich bei ihren Professoren melden, Süßigkeiten ihrer Region den neuen Studenten mitbringen und für den Professor erreichbar bleiben. Zurückzuführen ist das ganze Phänomen auf das Sempai-Kohai-Prinzip. Ältere Studenten (Sempais) sind weisungsberechtigt gegenüber den jüngeren Studenten (Kohais), haben viel mehr Rechte und sind im Gegensatz dazu verpflichtet, den jüngeren bei Problemen zur Hand zu gehen. In einigen Universitäten wie in Osaka, soll es sogar noch manchmal der Fall sein, dass der Sempai den jüngeren Studenten bei Verfehlungen schlagen darf. Das Prinzip hört aber noch nicht nach Schulende auf. Ein Vorgehen, wie ich es an den Tag gelegt habe, dass nach der Schule alle Kontakte zur Schule abgebrochen werden, ist hierzulande undenkbar. Man ist der Schule, die einem die Ausbildung ermöglichte, verpflichtet und schaut bei Festen sowie anderen Dingen immer wieder vorbei. Und wenn ein Jüngerer Probleme hat, sollte man ihm auch helfen. In der Uni wird das System so weiter geführt. Auf diese Weise bildet sich ein richtiges Netzwerk, das gleichzeitig (wenn Not an Mann ist) in der Lage ist, aktuellen Studenten aus der Patsche zu helfen oder Informationen, die benötigt werden, zu besorgen. Ein Student findet keinen Arbeitsplatz nach Ende des Studiums? Undenkbar! Nach dem ersten Versuch wird kurzerhand noch ein Jahr an das Studium drangehängt, so dass ein Student gar nicht erst anfängt, arbeitslos zu sein. Klappt es beim zweiten Anlauf dann immer noch nicht, wird meistens das Alumni-System angeworfen. Es wird sich bei diesen ehemaligen Studenten umgehört, ob sie keinen Vorschlag für den Betroffenen hätten, wo es eine Stelle gibt.

Schlecht wird das Ganze nur, wenn man zwischendurch die Uni wechselt. Rieko ist so ein Fall, die deshalb ein Mal im Jahr nach Niigata fahren darf und ab nächstem Jahr dazu auch noch einen Abstecher nach Sendai vollziehen muss. Und natürlich erwartet ihre alte Schule eigentlich auch Besuche. Insgesamt ist das ganze System aber als sehr positiv anzusehen. Dank seiner Alumni, die sich auch weiterhin kümmern, bekommt man Kontakt zu Firmen oder allgemeine Ratschläge, ohne dass man lange suchen muss. In Deutschland muss man dagegen froh sein, wenn man Kontakt mit einem herstellen kann.

Gleichzeitig kam aber heute im Büro wieder die kreative Seite zum tragen. Der treue Leser erinnert sich eventuell noch an die Kurznovelle, die Shimizu vor kurzem angefertigt hat. Heute wurde dazu ein Schutzumschlag geschaffen. Mein zweiter Betreuer hat zu diesem Zweck extra das benötigte Papier auf seine Kosten besorgt und eine Studentin das Cover entworfen. Womit aber keiner gerechnet hatte war, dass man den Kram auch knicken muss. Fünf verschiedene Personen traten zu diesem Zweck an und alle versagten. Wer kommt bitte auf die Idee, solche Dinge Freihand zu versuchen? Kurzerhand schnappte ich mir ein Lineal und einige andere Hilfsmittel und zeigte deutsche Genauigkeit. Kann doch nicht sein, dass sich alle so dämlich anstellen! Die Sprüche, dass die deutschen Tugenden zum Vorschein kommen, hatte ich mir damit auf jeden Fall zu Recht verdient.

Noch einmal Glück gehabt

Ich muss wirklich zugeben, als Fußballverrückten hätte es mich in Japan eindeutig schlimmer treffen können, als es gekommen ist. Mit Sendai habe ich offensichtlich einen anständigen Fußballverein abbekommen, jedenfalls auf alle Fälle, was die Trikots angeht. Eines meiner langfristigen Ziele hier in Sendai war es, mir noch ein Fußballtrikot der Mannschaft zu besorgen, die ich doch häufiger live gesehen habe, als ich das im Vorhinein geplant hatte. Als ich Shimizu heute davon erzählte, holte er erst einmal eine Hall of Fame seiner Lieblingstrikots heraus und was ich da sah, gefiel mir gar nicht. Pink in Hülle und Fülle. O.k., dass Osaka, Kagawas alter Verein, Rosa im Trikot hat und die Fans dies als Hauptfarbe der Fanartikel akzeptieren, wusste ich schon eine ganze Weile. Aber dass wirklich vier Vereine solche Modeverbrechen begehen, hat mich dann doch schon überrascht. Wobei, die Farbwahl der Teams ist das Eine, dass aber der gesamte Fanstamm dann auch wirklich in dieser Farbe ins Stadion kommt, das gibt es nur in Japan. Man stelle sich ein Fußballstadion in Deutschland in Pink vor, der Hohn und Spott der Gegner wäre ihnen sicher. Da bin ich doch mit Sendais Blau-Gelb sehr zufrieden.

Aus eben jenem Grund setzte ich meinen Plan auch in die Tat um. Gemeinsam mit Mayumi ging es in den Fanshop, um ein Trikot beflocken zu lassen. Mayumi nahm sich für diesen Zweck sogar trotz der Tatsache Zeit, dass sie drei Stunden später den Nachtbus nach Tokyo für ihren Urlaubsflug besteigen musste. Ihre Anwesenheit war aber auch dringend erforderlich. Nachdem geklärt war, dass ich das alte Trikot will, gingen die Probleme nämlich erst richtig los. Die Hälfte der Spielernummern, o.k. hauptsächlich die der 10, ließ sich nicht anfertigen. Gut, die 10 wollte ich eh nicht, wer will schon auf einem japanischen Trikot einen Nordkoreaner stehen haben. Dies ließ sogar das sonst so steife Ladenpersonal lachen. Trotzdem musste mein Spielerwunsch umgestellt werden und auch die zusätzliche Werbebeflockung sollte noch einmal extra kosten. Nein, auf so etwas konnte ich dann verzichten, worauf hin der Kampf losging, wie lange man für ein Trikot mit Nummern brauchen darf. Der Laden setzte zwei bis drei Wochen an, wobei ich das Trikot in ein und einer halben Woche dringend benötige. Mayumi setzte den Verkäufer kurzerhand unter Druck und handelte einen viel früheren Termin aus. Hoffentlich ist es bis dahin auch fertig. Als Dank gab es für Mayumi noch meinen FCM-Schal, unter der Voraussetzung, dass sie mal in Magdeburg zum Fußball vorbei schaut. Jetzt kann ich mich aber bei Wolfsburg-Spielen sehen lassen, immerhin zwei Leute im Stadion würden das Trikot erkennen. Hassabe, da er schon gegen Sendai spielen musste und Littbarski, der selber schon bei Sendai angestellt war.

Nachdem das Trikot endlich gesichert war, hatten wir noch ein wenig Zeit, um uns über andere Sachen auszutauschen und das wurde sehr lustig. Sie zeigte mir Bilder von einem ihren letzten Urlaube. Hat sich eigentlich schon jemals jemand gefragt, warum die Aliens in den Filmen immer nur die Amerikaner angreifen? Keine Frage, gegen Japan hätten sie einfach keine Chance. Das japanische Fernsehen hat verschiedene Themen, die immer wieder in TV-Serien verbaut werden. Riesige Monster wie Godzilla ist das eine Thema, das zweite Thema sind riesige Kampfroboter. Eine der berühmtesten Serien ist Gundam, die seit über dreißig Jahren immer wieder Ableger schafft. In dieser Serie werden die Kriege der Menschheit nur noch mit riesigen Kampfrobotern ausgetragen. Bei dreißig Jahren war es jetzt an der Zeit, einmal auf diese Serie zurück zu schauen und ihr die Anerkennung zukommen zu lassen, die sie laut den Japanern verdient. Aus diesem Grund wurde letztes Jahr in Tokyo und mittlerweile in Shizuoka eine 18 Meter Statue des ersten Roboters der Serie aufgestellt, die über der Stadt thront, inklusive Licht und Soundeffekte. Man stelle sich in Deutschland eine riesige Statue für Raumpatrouille Orion oder den Tatort vor – undenkbar. Hierzulande ist es aber eine der Touristenattraktionen Nummer eins geworden, wobei manche Menschen schon scherzen, ob es sich wirklich nur um eine Statue handelt. Da Mayumis Mann die Serie ebenfalls mag, musste sie gute Miene zum bösen Spiel machen und mit ihm dort hinfahren. Ein zwei Tage Urlaub nur für eine TV-Serien-Statue. Fernsehen hat hierzulande eindeutig eine größere Bedeutung als in Deutschland. Passend dazu haben die Chinesen ebenfalls Wind von der Statue bekommen und konnten das nicht auf sich sitzen lassen. Kurzerhand wurde in einem Park in China ebenfalls eine derartige Statue errichtet, die eine Eins-zu-Eins-Kopie des Originals, nur in anderer Farbe, ist. Seitdem ist zwischen den Ländern der Roboterkrieg ausgebrochen und benide Seite streiten sich, wie nun mit der Kopie, so sie denn eine ist, laut den Chinesen, verfahren werden soll. Andere Nationen streiten sich über Atommüll oder ähnliches, Japan streitet sich über Roboter – typisch. Wer übrigens glaubt, bei Robotern und Monstern hört es in Japan auf, der hat falsch gedacht. Aktuell häuft sich die Werbung für einen Film über das Raumschiff Yamato. Eine Realverfilmung einer alten Zeichentrickserie, in der die Menschheit einen Krieg verliert und das letzte Metall auf der Erde in ein Raumschiff umwandelt. Das Metall stammt natürlich von dem alten Kriegsschiff der Japanaer und Gegenstück zur deutschen Bismark, die Yamato. Dementsprechend versuchen die letzten Menschen, mit dem Raumschiff Yamato eine neue Heimat zu finden. Wundert sich da wirklich noch einer, dass die Nachbarländer Japan Kriegsverherrlichung des Zweiten Weltkrieges vorwerfen?

Ich hebe den Altersschnitt an der Uni

Welcher anständige Student kennt nicht das grausamste aller Gefühle im September eines jeden Jahres? Die Uni füllt sich wieder, die Ruhe ist dahin, die frei verteilbare Zeit wird wieder durch Vorlesungen blockiert und das Schlimmste von allem, die Erstsemester zerstören die Ruhe und die natürliche Uniordnung. Besonders die Erstsemester sind dabei ein konstantes Thema unter den höheren Studenten. Von Jahr zu Jahr werden sie jünger und als notwendige Folge wird der Abstand zwischen einem selber und den Neulingen immer größer. Auf gut Deutsch, man fühlt sich alt. Stellt dieser Zustand in Europa kein größeres Problem dar, schließlich gibt es genug Studienwechsler, Spätstarter und andere Gründe, wodurch die Leute im höheren Alter an die Uni kommen. In Japan sieht das Ganze aber extremer aus. Japanische Studenten fangen auf jeden Fall mit 18 ihre Uni an und nach dem Bachelor ist meistens Schluss. Endergebnis ist dementsprechend ein noch viel extremerer Altersunterschied zwischen dem normalen Studenten und mir. Heute hatte ich die Gelegenheit, das Alter meiner Mitstudenten herauszubekommen und kaum einer ist älter als maximal zweiundzwanzig. Es ist schon ein wirklich komisches Gefühl festzustellen, dass selbst Studenten im gleichen Studienjahr wie ich einige Jahre jünger sind als ich. Wenigstens erklärt sich für mich dank des Alters ein Thema, dass mich schon seit einer Weile wurmte. Immer wenn ich mich mit Japanern unterhielt, kam die Frage nach meinem Alter. Stellte ich dann 24 fest, so kam sofort die Frage auf, wieso ich so langsam bin und ob ich etwas wiederholt hätte. Die einfache Feststellung, dass ich einfach in Deutschland nicht schneller fertig werden kann, gilt in den meisten Fällen bei den Japanern nicht.

Nachdem ich den Schock mit dem Alter endlich überwunden hatte galt es heute, Shimizu so langsam auf seinem Deutschlandaufenthalt vorzubereiten. Shimizu konnte sich bis heute nicht wirklich für eine Stadt entscheiden. Bisher hat er mit Göttingen und Berlin zwei Städte auf der Liste, die beide ihre Vor- und Nachteile haben. Nach meiner Vorbereitung für ihn liegt es jetzt an ihm, für welchen Ort er sich entscheidet. Um seine Entscheidung zu beschleunigen, entschieden wir uns für das MafuMafu und schleppten Shimizu gleich mit. Der Abend sollte ziemlich gut werden, wie eigentlich fast jeden Tag im Cafe. Die wichtigste Entwicklung betraf wohl Orsolya. Nachdem ich leider viel zu früh wieder nach Deutschland gehe, sucht das Cafe mittlerweile händeringend einen ?Kellner?. Da ich wegfalle, wurde nun kurzerhand Orsolya befragt und ich bin sehr gespannt, ob sie den Posten bekommt.

Für Shimizu war der Abend aber genau das Richtige. Ein Geschäftsmann betrat ohne Vorbereitung das Cafe und war von der großen Anzahl von Ausländern total überrumpelt. Einige Nachbartische wollten sich unbedingt mit uns unterhalten und uns mit Essen versorgen, so dass es sehr gesprächig wurde und Shimizu komplett auf seine Kosten gekommen ist. Deutsches Essen konnte er auch probieren und nach Leberkäse will er nun noch dringender nach Deutschland, als er es sowieso schon wollte. Das Cafe ist halt wirklich der perfekte Anlaufpunkt für gepflegte Gespräche. Erschreckend waren aber die weiblichen Gäste. O.k., ich verstehe Miniröcke im Sommer, kein Problem. Aber jetzt in Sendai, bei schmelzendem Schnee strumpfhosenfreie Röcke zu tragen, das widerspricht all meinen Temperaturvorstellungen. Das Schlimme war, dass dieser Fall nicht nur einmal auftrat, sondern gleich fünf Frauen so rumliefen, während Shimizu zum Beispiel mit der Zwiebelvariante versuchte, sich warmzuhalten. Japanische Frauen sind offensichtlich härter als ihre europäischen Gegenstücke. Besonders auffällig ist dies bei Gymnasiastinnen. Die Winterschuluniformen Japans sind nicht wirklich auf Schneefall eingestellt und zeichnen sich durch besonders kurze Röcke aus. In zehn Monaten in Japan habe ich heute wirklich das erste Mal eine Schülerin mit Hose gesehen. Normalerweise tragen alle die Röcke, selbst bei extremstem Schnee. Man stelle sich das Bild mal in Deutschland vor. Schon alleine die Tatsache, Schuluniformen tragen zu müssen, würde einen Aufschrei geben. Bei der freiwilligen Auswahl, ob man Rock oder Hose tragen möchte, würde sich fast jede Deutsche für die Hose entscheiden. Nicht so in Japan, einem der prüdesten Länder der Welt. Die Röcke müssen so kurz wie möglich sein, schließlich wollen die Herren ja ebenfalls etwas sehen.