Welcher anständige Student kennt nicht das grausamste aller Gefühle im September eines jeden Jahres? Die Uni füllt sich wieder, die Ruhe ist dahin, die frei verteilbare Zeit wird wieder durch Vorlesungen blockiert und das Schlimmste von allem, die Erstsemester zerstören die Ruhe und die natürliche Uniordnung. Besonders die Erstsemester sind dabei ein konstantes Thema unter den höheren Studenten. Von Jahr zu Jahr werden sie jünger und als notwendige Folge wird der Abstand zwischen einem selber und den Neulingen immer größer. Auf gut Deutsch, man fühlt sich alt. Stellt dieser Zustand in Europa kein größeres Problem dar, schließlich gibt es genug Studienwechsler, Spätstarter und andere Gründe, wodurch die Leute im höheren Alter an die Uni kommen. In Japan sieht das Ganze aber extremer aus. Japanische Studenten fangen auf jeden Fall mit 18 ihre Uni an und nach dem Bachelor ist meistens Schluss. Endergebnis ist dementsprechend ein noch viel extremerer Altersunterschied zwischen dem normalen Studenten und mir. Heute hatte ich die Gelegenheit, das Alter meiner Mitstudenten herauszubekommen und kaum einer ist älter als maximal zweiundzwanzig. Es ist schon ein wirklich komisches Gefühl festzustellen, dass selbst Studenten im gleichen Studienjahr wie ich einige Jahre jünger sind als ich. Wenigstens erklärt sich für mich dank des Alters ein Thema, dass mich schon seit einer Weile wurmte. Immer wenn ich mich mit Japanern unterhielt, kam die Frage nach meinem Alter. Stellte ich dann 24 fest, so kam sofort die Frage auf, wieso ich so langsam bin und ob ich etwas wiederholt hätte. Die einfache Feststellung, dass ich einfach in Deutschland nicht schneller fertig werden kann, gilt in den meisten Fällen bei den Japanern nicht.
Nachdem ich den Schock mit dem Alter endlich überwunden hatte galt es heute, Shimizu so langsam auf seinem Deutschlandaufenthalt vorzubereiten. Shimizu konnte sich bis heute nicht wirklich für eine Stadt entscheiden. Bisher hat er mit Göttingen und Berlin zwei Städte auf der Liste, die beide ihre Vor- und Nachteile haben. Nach meiner Vorbereitung für ihn liegt es jetzt an ihm, für welchen Ort er sich entscheidet. Um seine Entscheidung zu beschleunigen, entschieden wir uns für das MafuMafu und schleppten Shimizu gleich mit. Der Abend sollte ziemlich gut werden, wie eigentlich fast jeden Tag im Cafe. Die wichtigste Entwicklung betraf wohl Orsolya. Nachdem ich leider viel zu früh wieder nach Deutschland gehe, sucht das Cafe mittlerweile händeringend einen ?Kellner?. Da ich wegfalle, wurde nun kurzerhand Orsolya befragt und ich bin sehr gespannt, ob sie den Posten bekommt.
Für Shimizu war der Abend aber genau das Richtige. Ein Geschäftsmann betrat ohne Vorbereitung das Cafe und war von der großen Anzahl von Ausländern total überrumpelt. Einige Nachbartische wollten sich unbedingt mit uns unterhalten und uns mit Essen versorgen, so dass es sehr gesprächig wurde und Shimizu komplett auf seine Kosten gekommen ist. Deutsches Essen konnte er auch probieren und nach Leberkäse will er nun noch dringender nach Deutschland, als er es sowieso schon wollte. Das Cafe ist halt wirklich der perfekte Anlaufpunkt für gepflegte Gespräche. Erschreckend waren aber die weiblichen Gäste. O.k., ich verstehe Miniröcke im Sommer, kein Problem. Aber jetzt in Sendai, bei schmelzendem Schnee strumpfhosenfreie Röcke zu tragen, das widerspricht all meinen Temperaturvorstellungen. Das Schlimme war, dass dieser Fall nicht nur einmal auftrat, sondern gleich fünf Frauen so rumliefen, während Shimizu zum Beispiel mit der Zwiebelvariante versuchte, sich warmzuhalten. Japanische Frauen sind offensichtlich härter als ihre europäischen Gegenstücke. Besonders auffällig ist dies bei Gymnasiastinnen. Die Winterschuluniformen Japans sind nicht wirklich auf Schneefall eingestellt und zeichnen sich durch besonders kurze Röcke aus. In zehn Monaten in Japan habe ich heute wirklich das erste Mal eine Schülerin mit Hose gesehen. Normalerweise tragen alle die Röcke, selbst bei extremstem Schnee. Man stelle sich das Bild mal in Deutschland vor. Schon alleine die Tatsache, Schuluniformen tragen zu müssen, würde einen Aufschrei geben. Bei der freiwilligen Auswahl, ob man Rock oder Hose tragen möchte, würde sich fast jede Deutsche für die Hose entscheiden. Nicht so in Japan, einem der prüdesten Länder der Welt. Die Röcke müssen so kurz wie möglich sein, schließlich wollen die Herren ja ebenfalls etwas sehen.