Es ist morgens und das Büro ruft. Also das Fahrrad gesattelt und auf zum Campus. Ein ganz normaler Morgen also, dachte ich jedenfalls. Als ich das Büro betrat, sah die Welt aber schon ganz anders aus. Anstelle der üblichen Gesichter von zum Beispiel Shimizu oder Rieko, starten mich auf einmal drei andere Personen an. Was war da schief gegangen? Falsches Büro konnte es nicht sein, denn deutsche Bücher stehen mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit nur in der deutschen Literatur herum. Die drei Damen wussten auch nicht wirklich, was sie mit mir tun sollen. Wir einigten uns also stumm auf einen Waffenstillstand. Ich setzte mich ruhig in eine Ecke und harrte der Dinge, die da kommen sollten und sprach sie nicht an und im Gegenzug ließen sie mich zufrieden. Dieser Waffenstillstand hielt auch so lange an, bis sie nicht in der Lage waren, den PC zu bedienen. Kurzerhand sprang ich ein und die Damen schickten jemanden vor, um etwas über mich heraus zu bekommen. Bist du ein Austauschstudent und Ausländer? Kommt, mittlerweile kenne ich diese Frage in- und auswendig und jedes mal wieder muss ich mir eine blöde Antwort verkneifen. Ich sehe ja nun wirklich nicht so stark Japanisch aus, oder? Wenigstens ein klein wenig Kreativität erwarte ich bei diesen Aktionen schon. Meine Antworten reichten den Damen aber und sie starteten, lauthals in meiner Gegenwart über mich zu reden. Irgendwann kapieren schon noch alle Seiten, dass ich sie verstehe, bis dahin habe ich halt meinen Spaß. Wie sich herausstellte, handelte es sich um Alumni des Büros, die nun darüber philosophierten, wie ungerecht es ist, dass sie zu ihrer Zeit keinen Deutschen, sondern nur einen deutschen Professor hatten.
Alumni zu sein, hat in Japan auf jeden Fall eine viel größere Bedeutung, als das in Deutschland der Fall ist. In Deutschland besucht man eventuell die Treffen der Alumni und geht mal in die Sprechstunde seines Hauptprofessors, das war es aber schon. Hierzulande ist man seinem Professor ein Leben lang zu Dank verpflichtet, was dazu führt, dass die Studenten fast jährlich den weiten Weg von ihren Arbeitsplätzen zu ihren Unis zurücklegen, sich bei ihren Professoren melden, Süßigkeiten ihrer Region den neuen Studenten mitbringen und für den Professor erreichbar bleiben. Zurückzuführen ist das ganze Phänomen auf das Sempai-Kohai-Prinzip. Ältere Studenten (Sempais) sind weisungsberechtigt gegenüber den jüngeren Studenten (Kohais), haben viel mehr Rechte und sind im Gegensatz dazu verpflichtet, den jüngeren bei Problemen zur Hand zu gehen. In einigen Universitäten wie in Osaka, soll es sogar noch manchmal der Fall sein, dass der Sempai den jüngeren Studenten bei Verfehlungen schlagen darf. Das Prinzip hört aber noch nicht nach Schulende auf. Ein Vorgehen, wie ich es an den Tag gelegt habe, dass nach der Schule alle Kontakte zur Schule abgebrochen werden, ist hierzulande undenkbar. Man ist der Schule, die einem die Ausbildung ermöglichte, verpflichtet und schaut bei Festen sowie anderen Dingen immer wieder vorbei. Und wenn ein Jüngerer Probleme hat, sollte man ihm auch helfen. In der Uni wird das System so weiter geführt. Auf diese Weise bildet sich ein richtiges Netzwerk, das gleichzeitig (wenn Not an Mann ist) in der Lage ist, aktuellen Studenten aus der Patsche zu helfen oder Informationen, die benötigt werden, zu besorgen. Ein Student findet keinen Arbeitsplatz nach Ende des Studiums? Undenkbar! Nach dem ersten Versuch wird kurzerhand noch ein Jahr an das Studium drangehängt, so dass ein Student gar nicht erst anfängt, arbeitslos zu sein. Klappt es beim zweiten Anlauf dann immer noch nicht, wird meistens das Alumni-System angeworfen. Es wird sich bei diesen ehemaligen Studenten umgehört, ob sie keinen Vorschlag für den Betroffenen hätten, wo es eine Stelle gibt.
Schlecht wird das Ganze nur, wenn man zwischendurch die Uni wechselt. Rieko ist so ein Fall, die deshalb ein Mal im Jahr nach Niigata fahren darf und ab nächstem Jahr dazu auch noch einen Abstecher nach Sendai vollziehen muss. Und natürlich erwartet ihre alte Schule eigentlich auch Besuche. Insgesamt ist das ganze System aber als sehr positiv anzusehen. Dank seiner Alumni, die sich auch weiterhin kümmern, bekommt man Kontakt zu Firmen oder allgemeine Ratschläge, ohne dass man lange suchen muss. In Deutschland muss man dagegen froh sein, wenn man Kontakt mit einem herstellen kann.
Gleichzeitig kam aber heute im Büro wieder die kreative Seite zum tragen. Der treue Leser erinnert sich eventuell noch an die Kurznovelle, die Shimizu vor kurzem angefertigt hat. Heute wurde dazu ein Schutzumschlag geschaffen. Mein zweiter Betreuer hat zu diesem Zweck extra das benötigte Papier auf seine Kosten besorgt und eine Studentin das Cover entworfen. Womit aber keiner gerechnet hatte war, dass man den Kram auch knicken muss. Fünf verschiedene Personen traten zu diesem Zweck an und alle versagten. Wer kommt bitte auf die Idee, solche Dinge Freihand zu versuchen? Kurzerhand schnappte ich mir ein Lineal und einige andere Hilfsmittel und zeigte deutsche Genauigkeit. Kann doch nicht sein, dass sich alle so dämlich anstellen! Die Sprüche, dass die deutschen Tugenden zum Vorschein kommen, hatte ich mir damit auf jeden Fall zu Recht verdient.
- Stimmung im Büro
- Rieko
- Sempais
- Cover
- fertig gebastelt
- Shimizu mit Buch