Japaner sind komisch. O.k., diese Feststellung ist nicht neu und in den letzten Monaten hat es sich immer wieder bestätigt. Aber trotzdem schaffen sie es immer wieder, mich zu überraschen und das soll etwas bedeuten, schließlich bin ich mittlerweile schon etwas abgehärtet, was japanische Seltsamkeiten betrifft. Der heutige Tag begann ziemlich ruhig und eigentlich nicht besonders. Den Vormittag nutzte ich zu einer Grundreinigung meiner WOhnung, da in wenigen Tagen eine Kontrolle ansteht und im Anschluss machte ich mich auf den Weg ins Buro. Nur weil die meisten Studenten nicht mehr kommen, heißt das ja noch lange nicht, dass ich nicht auftauche.
Nachdem der Anfang des Aufenthaltes ziemlich ruhig verlief, meldete sich auf einmal Shimizu zu Wort, dass am Abend wohl eine Feier anstehen würde und ich gefalligst auch kommen soll. Gut, ich kann mich ja nicht immer ausklinken und die letzte Feier hatte ich aufgrund meines Aufenthalts beim Schneefestival in Sapporo verpasst. Da kann ich mir auch den Abend heute freischaufeln und zu der Feier gehen. Zu meiner Überraschung erwarteten mich keine Professoren, sondern es wurde nur das Buro genutzt. Ansonsten handelte es sich um eine pure Feier von Studenten. Zu meinem Leidwesen bedeutete das verstärkten Japanischeinsatz. Da ich es aber verstehe und notfalls mit Shimizu ein Übersetzer anwesend ist, stellt das ein vernachlässigbares Problem dar. Viel mehr verwunderte mich schon die erste Handlung einer Studentin. Ehe er überhaupt die Chance hatte, sich anständig zu betrinken, um eine Ausrede für sein Handeln zu haben, ließ sich Okada bereitwillig von einer Mitstudentin schminken. Mit schminken meine ich übrigens das gesamte Programm, vom Lidschatten, über Maskara und den farbigen Erdbeerlippenbalsam wurde alles aufgefahren, was die weibliche Schminktasche hergab. Okada ist mir zwar früher schon aufgefallen als jemand, der bereitwillig bei Karaokeauftritten den weiblichen Gesang imitieren kann und das auch ausnutzt, aber das Verhalten ging doch weit über den Karaokeauftritt hinaus. Dafür hat er eindeutig einige Punkte in der Männlichkeitsskala verloren! Später, als der Alkohol dazu noch seine Wirkung zeigte, wurde es dann ganz schlimm mit ihm und er klammerte sich an Shimizu, der das missbillig über sich ergehen ließ. Die Frauen dagegen hatten eindeutig ihren Spaß, machten viele Fotos und freuten sich über den „Bishonen“. Mit seinem Auftritt war Okada nämlich gar nicht so weit von einigen japanischen Idealen entfernt. Japanische Glamrocker treten genau so wie er heute auf und bei Japanerinnen existiert das Ideal des Bishonen, des schönen Jungen, der notfalls auch als Frau durchgeht. Nicht ohne Grund werden besonders viele Filme in diesem Genre gedreht. Nachdem sie ihn fertig geschminkt hatten, waren die Frauen aber noch nicht beruhigt, nächstes Ziel sollte Yokojama werden, der aber die richtige Antwort mit einem bösen Blick gab und uns dadurch vor den Frauen bewahrte. Wobei, vermutlich hätte man mich dank meines Bartes (das Abrasieren hatte ich heute früh noch auf morgen verschoben) eh verschont, aber man muss es ja nicht heraufbeschwören.
Allgemein sind japanische Feiern aber aufgrund der Regeln sehr interessant. So ist es zum Beispiel verpöhnt, sich selbst Getränke einzuschenken. Vielmehr sollte man immer seinem Nachbarn etwas anbieten. So geschieht es, dass man mehr auf den Gegenüber als auf sich selbst achtet. Am wörtlichsten nahm eine der Japanerinnen diese Regel, die mich förmlich mit Blicken tötete, als ich ihren Plaumenwein das erste Mal ablehnte. Auch ansonsten waren die Gespräche sehr interessant, wobei ich manchmal nicht alles hundert prozentig verstehen konnte. Modische Akzente wurden neben Okada übrigens auch gesetzt. Eine junge Dame kam im Gothic Lolita Outfit, komplett in schwarz mit Tütenärmeln und viel zu vielen Rüschen. Hierzulande findet solch ein AUftreten nicht mal Beachtung. In Deutschland, da bin ich mir sicher, würde jeder starren, so seltsam ist das Outfit.
Das Essen, teilweise von unseren Damen selber gemacht, war aber sehr lustig und auch ansonsten machte es sehr viel Spaß. Lieber wäre mir zwar gewesen, wenn ich noch mehr hätte sprechen können, aber Japanisch ist nun einmal eine ziemlich schwere Sprache, die man in einem Jahr nicht mal eben so nebenbei perfektioniert. Trotzdem hat sich das Bleiben aber auf jeden Fall gelohnt und wenn es nur für die Beweisfotos von Shimizus „neuer“ Freundin war. Problematisch ist eigentlich nur eine Kleingkeit: Keiner erwähnte, dass es die Nacht wohl durchgeht. Solch ein Vorgehen war überhaupt nicht in der Planung und eigentlich wurde auch immer wieder das nach Hause gehen erwähnt eh sie bemerkten, dass sie doch durchmachen wollen und teilweise aufgrund der nicht mehr nach Hause fahrenden Busse auch müssen. Da ich mitten in der Nacht nur noch die Hälfte mitbekam, stellte das auf einmal doch eine kleine Überraschung dar. Da aber alles für die Feier von Okada und den anderen Studenten übernommen wurde, wollte ich auch nicht einfach verschwinden, so wurde halt eine Nachtschicht eingelegt. Wie sich um 4 Uhr dann auch mal herausstellte, war die ganze Feier die Abschiedsfeier von Okada, der um 6 Uhr morgens mit dem Bus in die Stadt, in der er seinen Master machen wird, fahren wollte und zum Abschied wurde er auf diesem Weg auf die richtige Art verabschiedet. Das hätte ich gerne alles etwas früher gehört, dann hätte ich mich besser auf die Feier vorbereitet. Aber so habe ich wenigstens eine Ausrede und ich bin jung und überlebe so einen Abend auch schon mal. Und wie gesagt, gelohnt hat es sich auf alle Fälle.