Die Rückkehr von mir in das ferne Festland und der damit verbundene Stress wirft immer schneller seine Schatten voraus. Egal ob Wohnungssuche oder Behördenstress, das sind nervige Probleme, besonders wenn man sie nicht selber angehen kann. Da bevorzuge ich es doch, wenigstens noch ein wenig meinen Aufenthalt zu genießen. Wirkliches Genießen wird aber leider erst in drei Tagen möglich sein, denn da geht es nach Hokkaido und vorher steht genug anderes an. Bevor ich mich aber mit dem Ernst des Lebens beschäftige, bevorzugte ich es heute früh aufzustehen und einige Erledigungen mit dem Rad zu machen. Eigentlich ist das kein Problem, schließlich bin ich oft mit dem Rad unterwegs und mittlerweile komme ich auch gut mit dem eisigen Untergrund hier in Sendai zurecht. Anders als in Europa werden die Straßen hierzulande einfach nicht gestreut und jeder ist auf sich selber angewiesen. Das ist eine Tatsache, weshalb mich auch die Feststellung meines Betreuers später am heutigen Tag überraschte, dass der Winter und der Frühling in Deutschland im Vergleich zu Japan ja so hart wären. Für den diesjährigen Dezember mag so eine Einschätzung ja noch stimmen, aber doch nicht für die restlichen Monate. Immerhin hat Deutschland Zentralheizungen und dicke Wände zu bieten, ein Luxus der in Japan eindeutig fehlt. Viel schlimmer als diese Einstellung ist aber die Tatsache, dass die Kommilitonin, der diese Weisheit eingeimpft wurde, in zwei Monaten nach Deutschland fährt – aber leider wieder einmal in den Teil südlich des Weißwurstäquators. Offensichtlich hat meine gesamte Propaganda wieder einmal nicht gewirkt. Aber zurück zu meiner Fahrt auf den eisigen Pisten Sendais. Wie schnell man fallen kann, habe ich diesen Winter schon zweimal am eigenen Leib erlebt, weshalb ich ziemlich vorsichtig fahre, jedenfalls für meine Verhältnisse. Womit ich aber nicht gerechnet hatte, war mein Einfluss auf die japanische Jugend. Ich fahre also ganz gemütlich einen Berg hoch und überhole auf diesem Weg zwei japanische Schüler, die ihre Räder schoben und gerade auf dem Weg zur Schule waren. Die Anwesenheit eines Europäers, der den Berg trotz Eises hochfährt, inspirierte einen der beiden dann, mir auf seinem Rad zu folgen und den Versuch zu starten, schneller als ich oben zu sein. Da die Reifen der Räder hierzulande aber kein nennenswertes Profil besitzen, wurde das Eis dem Schüler zum Verhängnis und er fiel elegant – inklusive mehrerer Drehungen – vom Rad. Geschockt hielt ich natürlich auch an und leistete zusammen mit dem Schüler gleich erst einmal Hilfe. Zum Glück war nichts gebrochen, aber den Arm und die Schürfwunden wird der junge Herr wohl noch eine Weile spüren. Interessant war bei der Hilfe aber der Umstand, wie alle, sogar der zweite Schüler, erst einmal starrten, dass ich helfe. Dabei haben einige sogar das eigentliche Opfer vergessen.
Offensichtlich sollten japanische Schulen wirklich öfter den Kontakt mit Ausländern fördern. Wenn ich meinen Mitstudenten glauben darf, war ich für einige meiner Mitstudenten sogar der erste echte Ausländerkontakt. Die Betroffenen dürften aber auch froh sein, wenn ich weg bin. Heute hatte ich so zum Beispiel in meinen Vorräten noch ein Pack Brausepulver entdeckt und im Büro wurde es den Leuten serviert. Der Schock war einigen Leuten ins Gesicht geschrieben oder wie es mein Betreuer ausdrückte: er versucht ja immer etwas Positives zu sagen, diesmal ist es ihm aber unmöglich. Shimizu dagegen schmeckte es sehr gut, aber er mag schließlich auch Lakritze. So verbrachte ich heute den Tag zwischen verletzten Japanern und geschockten Japanern. Der Schock dürfte für diejenigen, die später Deutschland bereisen, aber noch viel größer werden. Wie es aussieht hat es einen guten Grund, warum Japaner nur Wasser ohne Kohlensäure trinken. Das Wasser mit schmeckt den meisten so ganz und gar nicht. Aus diesem Grund gibt es auch solche Spielereien wie Isodrinks mit normalem Wasser.