Wer kennt die Situation in Deutschland nicht? Die Temperaturen gehen das erste Mal unter die magische Grenze von zwanzig Grad und die ersten nicht kälteresistenten Menschen holen die Winterausrüstung hervor und alle fluchen auf die Kälte und wünschen sich den Sommer zurück. Ein internationales Phänomen? Offensichtlich nicht, wie mir Japan heute eindrucksvoll bewiesen hat. Ich bin einfach nur ein wenig durch die Stadt gegangen und an jeder Ecke waren kurze Röcke zu sehen. An sich bei der japanischen Mode kein so unbekanntes Bild, sind Röcke bei Frauen hierzulande ja das Bekleidungsstück Nummer eins und die Schuluniformen der japanischen Schülerinnen schreiben sogar Röcke vor, wäre da nicht ein winziges Detail. Heute handelte es sich um den kältesten Tag des Jahres bisher. Aufhalten kann das die modeverrückten Japanerinnen trotzdem nicht. Bei den Modedamen verstehe ich das Phänomen ja noch. Denen geht es ums Auffallen und aufreizend Aussehen und da muss man schon einmal leiden. Bei den Schülerinnen finde ich die Entscheidung für Beinfreiheit dann schon fragwürdiger. Ich meine, wenigstens Strumpfhosen wären da schon drin, aber es gab wirklich kaum jemanden, der dies für notwendig hielt. Zwar hatten alle dicke Schals um und zum Großteil noch riesige Ohrenwärmer, aber die Beine können ruhig kalt werden. Natürlich gibt es eine Gruppe von Menschen, die diese Entscheidung überhaupt nicht stört: die Männer. Egal ob Japaner oder Ausländer, andauernd konnte man die auf die Röcke fixierten Blicke und anzüglichen Kommentare über die Modeerscheinung vernehmen. Da gab es wohl kaum einen, der sich darüber beschwert hätte, aber man muss schon Anerkennung zollen. Ich bin bekanntlich niemand, der schnell friert, aber selbst ich fand das grenzwertig.
Dafür kann man feststellen, dass die Japaner für das Weihnachtsfest ziemlich aufgerüstet haben, obwohl sie das Fest angeblich nicht feiern. Die Läden bersten vor Weihnachtsdekoration und Adventsausrüstung. Besonders die Mode ist davon betroffen. Wer all die Weihnachtsmann-, Rentier- und Engelskostüme kaufen soll, ist mir echt schleierhaft. Es muss aber offensichtlich einen Markt dafür geben, sonst würde nicht jeder Laden auf die Schiene aufspringen. Auch die Menschen sind offensichtlich in Kauflaune geraten und die Innenstadt ist momentan überfüllt. Es macht schon gar keinen Spaß mehr durch die Stadt zu laufen, weil man nur noch aufpassen muss, wohin man läuft. Besonders deutlich wird das, wenn der Japaner wieder mal extremst langsam läuft, um noch ein wenig auf den Minirock der jungen Japanerin vor sich zu schauen. Dafür ist das Beleuchtungsfest in Sendai fast fertig. Immer mehr Straßen erleuchten in den hellsten Farben und in ein paar Tagen gibt es auf dem Markt ein großes Fest. das dauert dann bis zum 28.12.. Zum Glück muss ich aber nicht so häufig durch die Innenstadt und der heutige Besuch war eigentlich auch mehr eine Flucht aus dem Büro, als eine gewollte Shoppingaktion.
Eigentlich wollte ich mit Shimizu, der immer süchtiger nach dem Internet-Adventskalender wird, die heutige Kalenderfrage nur kurz erörtern. Wie sich herausgestellt hat, ist das das perfekte Mittel, um ihm deutsche Grammatik beizubringen. Normalerweise ist es ziemlich schwierig, ihn zum Lesen von Büchern zu motivieren. Das ist aber auch nicht wirklich verwunderlich bei dem Kinderbuchkram, der den Studenten so vorgelegt wird. Der Kalender reizt ihn aber so, dass er sich bereitwillig durch die Grammatik der wirklich schwer gestellten Fragen quält. Wir waren aber gerade fertig und ich wollte mich wieder meinen Studien widmen, als plötzlich der Raum verdunkelt wurde. Was ist das schon wieder für ein schlechter Scherz, war mein erster Gedanke, bis ich Professor Morimoto sah. Wie sich herausstellte, hatte er einen neuen Film gekauft und wollte ihn jetzt ausprobieren. Da ihm für den Samuraifilm ein normaler Fernseher nicht gut genug vorkam, beschloss er anders zu verfahren. Was also lag näher, als das Büro der Studenten mit dessen Beamer und Audiosystem zu nutzen? Kurzerhand zog er also mit einer Tüte Chips bei uns im Büro ein und schaute mit uns seine neueste Anschaffung. Wer hat so etwas bitte schon mal in Deutschland erlebt? Man stelle sich das Bild vor, wenn ein oberster Professor, wie Herr Willroth, auf einmal zu den Studenten mit einer Tüte Chips gehen würde und einen Film schauen will und das noch an einem normalen Unitag. Das Ganze passt aber in das japanische Arbeitssystem. Die Firma ist der Familienersatz. Alle sind eine große Familie. Der Boss zeigt sich von Zeit zu Zeit mal gönnerhaft und die Arbeitnehmer vergöttern ihn dann dafür. Unter Ausnutzung dieser Gemeinschaftsgefühle versucht man hierzulande, noch ein paar Prozent Leistungssteigerung aus den Arbeitnehmern heraus zu kitzeln und schon an der Uni fängt dieses Verfahren an.