Die Mitte des Monats Dezember nähert sich unweigerlich, für den armen Studenten bedeutet dies gleich einen mehrfachen Einschnitt. Der offensichtlichste ist natürlich, dass das Wetter unweigerlich schlechter wird. 5 Grad Celsius und Dauerregen sind unschöne Bedingungen, um zur Uni zu fahren. Bei näherer Betrachtung ist aber im Endeffekt alles besser, als das Wetter in Deutschland momentan. Der andere Punkt, liegt in der Tatsache versteckt, dass Weihnachten vor der Tür steht und damit viele der Studenten aus Sendai verschwinden. Schon jetzt, mehr als eine Woche vorher, hat sich die Anzahl der Studenten schon merklich gelichtet und es wird immer schlimmer. Prominentestes Opfer ist Orsolya, die heute den Heimweg angetreten hat. Natürlich gibt es einen Ort, den man vor einer Heimfahrt unbedingt besuchen muss: das MafuMafu. Thomas hätte es ihr nicht verziehen, wenn sie vergessen hätte, auf Wiedersehen zu sagen. Aber auch ansonsten war der Besuch sehr lohnend. Nicht nur, dass es kostenloses Essen gab, da uns einige uns unbekannte Japanerinnen einluden, ich erfuhr auch einige Neuigkeiten. Die für mich interessanteste war zweifellos die Information, die Thomas über mein gewonnenes Fleisch eingeholt hat. Wie es aussieht, handelt es sich um eine Art Rindfleisch mit viel Fett durchzogen, was beim Kochen absolut weich wird. Europäern soll es wohl überhaupt nicht schmecken. An den leuchtenden Augen der sich an unserem Tisch befindlichen Japanerinnen konnte man etwas anderes ablesen. Um es mit Thomas Worten auszudrücken: Wenn ich das Fleisch einer Japanerin schenke, sollte es eine sein, an der ich Interesse habe, denn sie wird mich dafür heiraten oder wenigstens mit mir dafür ins Bett springen. Also ist es keine gute Idee, es Mayumi zu überlassen, aber vielleicht hat ja ihre jüngere Schwester Interesse?. Nein, aber ich bin auf jeden Fall froh, dass er mich gewarnt hat. Seinen Aussagen zufolge soll das Fleisch wohl einen Gegenwert von etwa 300 bis 400 Euro haben. Nichts also, was ich meinen Mitstudenten auftischen würde und sollte, geschweige denn, dass ich es eh nicht zubereiten könnte, wie es das verdient. Aber auch ansonsten war es ein sehr lustiger Abend. Nur Laura hat mich enttäuscht. Thomas versucht in letzter Zeit alles, um mich zu verkuppeln. Ich hätte ihn vermutlich nicht mit meinem Vater zu lange allein lassen sollen. Sein heutiger Versuch betraf Laura. Sie wollte ein Glas Wasser und wollte wissen, wie teuer es ist. Thomas Aussage, ein Kuss für Reik, war ihr dann leider zu teuer. Egal, einen Versuch war es wert.
Ansonsten verbrachte ich heute meine Zeit hauptsächlich mit im Regen baden gehen und mit Japanern über Forschungsregeln diskutieren. Ich helfe ihnen ja gerne beim Berichtigen ihrer Arbeiten, aber wissenschaftliches Arbeiten ist ihnen wohl wirklich ein Graus und macht die Sache für mich sehr anstrengend. Man sollte meinen, ein Magisterstudent ist in der Lage, Fußnoten anständig zu setzen, aber weit gefehlt. Niemand im Büro hat auch nur die geringste Ahnung, wie Fußnoten nun nach Standard der Tohoku-Universität auszusehen haben. Um ein Beispiel dafür anzugeben, hatten Rieko und ich eine längere Diskussion über die Angabe von Internetquellen. Dass eine einfache Angabe der Internetseite nicht reicht, war ihr vollkommen unbekannt und eine Endliteraturangabe hatte sie auch nicht vor zu schreiben. Gut, mein Problem ist es nicht, aber ich weiß nicht, wie die deutsche Professorin darüber denkt. Leider konnte uns nicht mal mein zweiter Betreuer in dieser Frage weiterhelfen und ihr Hauptprofessor befindet sich gerade nicht in der Uni. Perfekt also, um in drei Tagen die Arbeit abzugeben. Ich mag mich zwar gerne über die vielen Hausarbeiten in Göttingen aufregen, aber gelernt haben wir dafür wenigstens was. Ich glaube, selbst die schlechteste Bachelorarbeit bei uns in Göttingen, die eine Note erhalten hat, könnte sich mit den meisten hier erstellten Arbeiten messen. Kein Wunder also, dass Göttingen im Times-Ranking weit vor der Tohoku liegt. Wir sind zwar in allen Belangen schlechter als die Tohoku, aber Göttingen hat weit mehr Publikationen. Vermutlich bräuchte man eine Mischung aus beiden Universitätssystemen, um die perfekte Universität zu erzeugen.