Es gibt Dinge im Leben, die können einem das Leben absolut erleichtern. So zum Beispiel: die richtigen Freunde für die richtigen Probleme zu haben. Diese Weisheit wurde mir heute gleich mehrmals bestätigt. Der Tag fing mit einem kleinen Arztbesuch an. Eigentlich nichts besonderes, müsste man in Japan nicht bei den Arztbesuchen dreißig Prozent der Gebühren selber tragen. Ein sehr effektives Problem, überlegt man sich bei kleineren Gebrechen doch einmal mehr, ob man zum Arzt geht oder nicht. Für mich selber trifft das Problem aber eh nicht zu, ich muss schon ziemlich genervt sein, um überhaupt einen Arzt aufzusuchen. Aus diesem Grund hatte ich eigentlich auch gar nicht vor, eine kleine Stelle an der Zunge, die seit ein paar Tagen brennt, einem Arzt vorzustellen. Aber wozu hat man Freunde. Mohamed hörte davon und fühlte sich berufen, mir zu helfen. Nicht umsonst ist er Mediziner, der hier in Sendai nur seine Postdoc-Zeit über die Runden bringt. Bei der Zunge konnte er mir zwar nicht wirklich helfen, aber er hat da noch einige Freunde und schon befand ich mich auf dem Krankenhausgelände und wurde einem Zahnarzt vorgestellt. Für Zungenprobleme sind die wohl auch Ansprechpartner. Wobei, von vorstellen kann gar keine Rede sein. Wie es sich gehört, kannte ich den Arzt, der mir gegenüberstand natürlich schon. Die Gerüchte, dass ich jeden kenne, scheinen sich langsam wirklich zu bewahrheiten. Nassal, so sein Name, war mein Kumpano beim Überstehen des letztjährigen Kanjikurses. Zwei Minuten später hatte ich ein Mittel auf dem Zettel, was mein Problem in zwei Tagen beseitigen wird und die Absicherung, dass es sich wirklich um nichts Tragisches handelt. Gut, ich wollte es eh nicht überprüfen lassen, aber wenn man schon eine Absicherung bekommt, warum nicht. Besser als ein japanischer Arzt war Nassal auf jeden Fall.
Aber nicht nur ich nehme die Hilfe anderer in Anspruch. Kaum hatte ich mich von den beiden verabschiedet, rief Kaori an und brauchte Hilfe für eine Freundin von ihr. Diese schreibt gerade ihre Abschlussarbeit und brauchte unbedingt native Englischsprecher. Kein Problem für mich, einen Hilferuf später hatte die junge Dame mehr Sprecher an der Hand, als sie brauchen konnte. Keine fünf Minuten später fühlte ich mich schon wie im Callcenter. Thomas rief an und erfragte meine Hilfe. Am Sonntag trifft sich mal wieder der Lions Club. Da wir dort so beliebt waren wollte er anfragen, ob ich nicht wieder fünf Ausländer auftreiben kann, die dort erscheinen. Dieses Mal sind wir auch vorgewarnt und müssen nicht eine Stunde vorher angerufen werden. Schlecht an der Sache war eigentlich nur, dass Thomas innerhalb von einer Stunde diese fünf Leute brauchte, also ging die Herumtelefoniererei los. Jemanden mit Freiessen zu ködern ist zum Glück sehr einfach, die Problematik fängt eigentlich erst an, wenn man dann auf die Kleiderordnung verweist. Sich anständig kleiden verschreckt dann doch einige Leute. Trotzdem kann man sich auf meine Freunde verlassen und in kürzester Zeit konnte ich Erfolg vermelden. Kostenloses Essen – wir kommen!
Nach all der Telefoniererei konnte ich mich endlich dem Büro widmen. Dort blieb es auch ziemlich ruhig und Shimizu kam wirklich mit dem von mir geschriebenen Text durch sein Seminar. Ein wenig dreist ist er aber schon, las er doch seinen Tagebucheintrag einfach nur von meinem Vorgeschriebenen ab. Hätte sich die Professorin mal seine Handschrift angeschaut, hätte sie sich ganz schön gewundert. Zum Glück ist es nicht mein Problem, wenn er so etwas anstellt. Nachdem ich ein wenig der Arbeit nachgegangen war, hieß es in die Innenstadt fahren und das von Nassal vorgeschlagene Mittel besorgen, das es angeblich überall geben soll. Leider gab es dabei nur ein Problem: keiner der Japaner wusste etwas davon. Es wurden Läden verrückt gemacht, Spezialisten befragt, aber kein Ergebnis. Anfänglich scheiterten die Läden schon am einfachsten Problem – der Ärztehandschrift. Ich glaube, ich sollte den Beruf wechseln, von der Handschrift würde Arzt sehr zu mir passen. Nach einigen Entzifferungsversuchen wusste ich endlich, wonach ich frage, aber auch das half nichts. Das beste Ergebnis hatte ich aber in einem Supermarkt. Ich hatte nur schnell einen älteren Verkäufer gefragt, der es auch nicht so genau wusste. Kurzerhand ging er Richtung Kasse und beorderte einen jungen Verkäufer zu sich, der wohl im normalen Leben Medizin studiert. Dieser war aber gerade an einer überfüllten Kasse und wollte noch schnell die Kundin fertig bedienen. Nicht mit meinem älteren Verkäufer. Kurz entschlossen brüllte er noch mal durch den Laden, nur um zwei Minuten später entnervt hin zu stapfen und den Verkäufer am Arm zu mir zu ziehen. Der arme ausländische Student darf doch nicht warten! Helfen konnte er mir zwar auch nicht, aber immerhin hatte er die meiste Fachahnung von allen. Eine Tatsache, die sonst leider fehlt, da wir hierzulande kaum Apotheken haben sondern diese in den Drogerien mit enthalten sind. Leider befindet sich das Drogeriepersonal aber nicht auf einem Level mit normalen Apothekern. Morgen bekomme ich das Mittel dann zwar auch, aber bis dahin ist es dann eh nicht mehr wichtig laut meinen Arztfreunden. Trotzdem schön, dass sie sich Sorgen gemacht haben und es mal schnell gecheckt haben, auch wenn ich es eigentlich nicht wollte.