Straßenkämpfe im Büro? Wo bin ich jetzt schon wieder gelandet?

Manchmal meine ich, ich sollte meinen Blog auf unsichtbar stellen, es scheinen zu viele Japaner mitzulesen. Gestern hatte ich noch das Thema über das Unterrichten von japanischen Studenten, da machen sie heute ernst. Erst durfte ich ein Referat eines Studenten überarbeiten. An sich handelte es sich um gutes Deutsch, aber ich muss sagen, ich finde den Studenten beachtlich. Er schafft es wirklich, in jedes seiner Referate sein Lieblingsthema hineinzubringen: Autos. Ich habe ihn bisher noch nie über etwas anderes reden hören. Da er eigentlich auch „Deutsche Literatur“ studiert, entzieht es sich meiner Kenntnis, wie er das Thema immer wieder durch bekommt. Aber er scheint die richtigen Kniffe zu kennen. Vermutlich erklärt er, dass es sich bei Blaupausen ebenfalls um Literatur handelt. Naja, mir solls egal sein, nur würde ich gerne mal anständige Dinge durchlesen und nicht die Geschichte des Mercedes S 600. Der Zweite, der mich gleich in Beschlag genommen hat, war Shimizu. Laut meinem zweiten Betreuer hat er offensichtlich das Tutor und Student-System noch nicht verstanden, denn irgendwie half er nicht mir, sondern er diktierte mir seinen Tagebucheintrag für die nächste Stunde des Tagebuchseminars. Gut, diktieren ist eventuell etwas zu viel des Guten, eher verwandelte ich seine Gedankensplitter in halbwegs normale deutsche Sätze. Die anderen Anwesenden schlugen schon vor, ein Copyright unter den Text zu setzen. Copyright Reik nach einer Idee von Shimizu, aber so etwas würden wir ja nie machen und solange sich die Professorin nicht beschwert, sehe ich auch keinen Grund, damit aufzuhören – schließlich erarbeiteten wir den Text gemeinsam.

Viel interessanter für mich war dagegen die Lektüre eines chinesischen Buches über die Kriegsverbrechen der Japaner im zweiten Weltkrieg. Wir erinnern uns: Die Japaner waren nicht wirklich besser als die Deutschen, sondern hatten zum Beispiel die Angewohnheit, möglichst keine Gefangenen zu nehmen, da ein Aufgeben unehrenhaft war und deshalb das Leben der gefangenen Soldaten verwirkt war. Natürlich regt ein derartiges Buch zu Diskussionen an und einige der Japaner nahmen sich doch ein Herz und befragten mich zum Titel. Dadurch erhielt ich einen Einblick in das Wissen der Studenten über den zweiten Weltkrieg und was soll ich sagen, es ist nicht viel. Wo in Deutschland jedem das Schuldbewusstsein der Deutschen für die Gräueltaten des 2. Weltkriegs vermittelt wird, gibt es in Japan wirklich keine derartige Aufklärung. Eigentlich ist es verwunderlich. Amerika wollte Japan nicht als Bündnispartner gegen die sowjetische Gefahr verlieren und ließ der japanischen Regierung aus diesem Grund alle Freiheiten bei dem Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg. Westdeutschland war in diesem Sinne auch ein Puffer zu den Ostzonen, hier wurde aber ein komplett anderes Programm aufgefahren, obwohl sich die Taten der beiden Länder kaum unterscheiden. Ergebnis dieser freien Hand ist das ungläubige Kopfschütteln, als ich von einigen Verbrechen der Japaner berichtet. Man wusste zwar, dass einige Großväter nach dem zweiten Weltkrieg aus den ehemals besetzten Gebieten fliehen mussten und gerade so mit dem Leben davon kamen, aber die Ursachen sahen die Studenten nur in der Besatzung, nicht in der Handlungsweise der Besatzer. Kein Wunder also, wenn die Nachbarländer sich – zum Teil offensichtlich mit Recht – über die Vergangenheitsbewältigung der Japaner aufregen. Dass man nicht so viel wie in Deutschland über die Thematik weiß, hätte ich mir zwar schon gedacht. Dass die Politik es aber so gut versteht, die Erinnerungen an ein ungeliebtes Thema zu verdrängen, überrascht mich dann schon. Man kann also schon davon ausgehen, dass ein Vergleich zwischen den geschichtlichen Entwicklungen der beiden Ländern zwar viel zu umfassend für Arbeiten wäre, wie ich sie zu Unizeiten noch schreiben werde, von den Ergebnissen aber absolut interessant sein muss.

Wie beschäftigt man sich ansonsten als Student, wenn man nicht gerade von einem komischen Gajin mit Geschichte genervt wird? Man schaut sich Fernsehen an. So standen heute auf einmal mehrere Studenten um einen PC herum und schauten sich Grundlagentraining für Judo an. Das wäre an sich nicht so schlimm, wenn die Betroffenen nicht auf einmal angefangenen hätten, die Schritte nachzustellen. So verwandelte sich das Büro auf einmal in eine Kampfarena. Es fehlte eigentlich nur noch der Schrei ?Mortal Kombaaaaaaaaaaaaaaaaaaat!? und man hätte sich wie in einem der vielen japanischen Kampfspiele gefühlt. Kurzzeitig kann bei solchen Bildern schon mal die Frage durch den Kopf geistern, welches Alter die umstehenden Menschen gerade haben. Normale, über zwanzigjährige Japaner, können sich recht schnell wieder zu Kindern zurück entwickeln. Das Bild der total steifen Japaner trifft erst ab dem Alter um die dreißig zu. Es ist so, als ob dann bei den Leuten ein Schalter im Kopf umgekippt wird. Bis dahin kann man aber sehr viel Spaß mit ihnen haben.

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