Tandempartner oder Sprachschüler?

Woran wird man erkennen, dass mein Ein-Jahres-Aufenthalt in Sendai rum ist? Die Leistungen der Studenten der deutschen Literatur werden merklich abnehmen. ? O.k., das ist eventuell etwas übertrieben, aber in gewissen Kreisen kann das schon zutreffen. Nicht umsonst unterhalten sich Leute wie Shimizu gerne mit mir und lassen sich auch nur all zu gerne bei ihren Hausaufgaben helfen. Heutiges Ziel war Rieko. Nicht, dass sie nicht schon genug mit ihrer Magisterarbeit beschäftigt wäre. Nein, irgendwie ist sie auch noch in einem Kurs über die Leiden des jungen Werther gelandet. Der zuständige Professor lässt die Studenten dabei zu jeder Stunde einige längere Passagen lesen und dazu Problemfragen entwickeln. Wenn man die ganze Zeit an der Magisterarbeit herumdoktort, hat man für so etwas natürlich relativ wenig Zeit. Kein Problem, Rettung ist natürlich zur Stelle und zusammen arbeiteten wir die Texte durch. Wieder einmal wurde mir dabei bewusst, warum ich mich damals für die Ur- und Frühgeschichte und nicht für die Germanistik entschieden habe. Ohne gewissen Einblick in das Ständesystem der damaligen Zeit ist es fast unmöglich, anständige Problemfragen zu den Ausschnitten zu entwickeln. Was blieb mir also übrig, außer in einem Japanisch-Deutschen Mix einen Geschichtsabriss über die Zeit zu vermitteln und dann die möglichen Problemfragen, inklusive ihrer Antworten, dabei herauszuarbeiten. Mittlerweile bin ich in diesem Punkt aber wirklich gut geworden. Und wenn ich etwas in den letzten Monaten hier gelernt habe ist es, wie ich anderen Menschen, die keine Ahnung von der Materie oder auch nur von der Sprache haben, etwas näher bringen kann, so dass sie es verstehen. Trotzdem führt das des Öfteren doch mal zu witzigen Situationen. So bekam mein zweiter Betreuer sich heute kaum noch vor Lachen ein, als er eine Lehrstunde zwischen Shimizu und mir verfolgte. Shimizu, der ein ausgesprochen audiovisueller Typ ist, und ich gingen nur kurz für eine seiner Hausaufgaben die Bedeutung einiger Gemütszustände durch. Wie könnte man das besser machen, als die Gemütszustände vorzumachen und nachdem er damit angefangen hatte, machte ich mit. Mein Betreuer wollte uns beide schon ans Fernsehen weiter vermitteln, so begeistert war er von unseren Erklärmethoden. Aber ich bin in dem Fall der Meinung, so lange es hilft, sind alle Mittel erlaubt.

Dass man seine Sprachkenntnisse auch anders verwenden könnte, zeigt ein anderes Beispiel heute. Beim alltäglichen Sichten des Schwarzen Brettes meiner Fakultät, blieb mein Auge sofort auf einem Flyer hängen, der dort nicht hingehörte. Im nicht hundertprozentig perfekten Englisch pries ein Deutscher seine Fähigkeiten als ruhiger und geduldiger Mensch an, der für einen kleinen Unkostenbeitrag von 15 Euro pro Stunde bereit wäre, den willigen Studenten die deutsche Sprache zu vermitteln. Zwar beherrsche er kein Japanisch, aber mit Englisch ginge das schon. Bei dem Werber handelt es sich um einen mir bekannten Deutschen, der erst vor zwei Monaten hier in Sendai angekommen ist. Auf der einen Seite muss ich seinen Geschäftssinn loben, Interessenten für ein derartiges Angebot wird er auf jeden Fall genug finden. Negative Punkte sehe ich dabei aber auch, die man aber meist erst schmerzhaft selber bemerken muss. Es ist natürlich schön, wenn man Englisch beherrscht, auch wenn es nicht bei 100 Prozent liegt. Aber hier in Japan bringt das einen beim Vermitteln von Sprache auch nicht viel weiter. Das fängt schon damit an, dass viele, die Deutsch lernen, im Englischen auch nicht so firm sind. In diesem Fall bleiben nur drei Optionen übrig: Entweder man erklärt die Problematik im einfachsten Deutsch, man holt das Japanisch hervor oder man bemüht einen Japanisch-Deutsch-Mix. Aber selbst dann kommt es immer noch zu einem ganz grundlegenden Problem: Japaner tendieren dazu, eine Sprache ganz anders zu lernen als wir. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie häufig ich nach Gründen für den Einsatz von verschiedenen Fällen oder anderen grammatischen Regeln gefragt wurde, wo ich einfach sagen würde, ich mache es nach Gefühl. Selbst Thomas, der nun seit mehreren Jahren Deutsch unterrichtet, steht des Öfteren vor der Problematik, dass er nach besonderen Grammatikstrukturen gefragt wird, die selbst ein Deutscher kaum wirklich erklären kann. Die Japaner versuchen halt eine Sprache erst von der Grammatik komplett zu durchschauen und dann die eigentlichen Worte zu lernen. Ob der deutsche Informatiker das nun unbedingt beherrscht, wage ich persönlich nicht zu beurteilen. Für mich war es aber der Grund zu sagen, dass ich nie Geld für Unterricht nehmen würde. Für 15 Euro pro Stunde, was in Japan für Unterricht schon verdammt viel ist (normalerweise sind es maximal 10 Euro), erwarte ich von einem Lehrer das er 100prozentig weiß, was er tut. Ich könnte das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren und deshalb habe ich auch ein Angebot von Thomas ausgeschlagen, einen seiner Sprachschulkurse zu übernehmen. Auf der anderen Seite ist es natürlich ein gutes Mittel, um Geld zu verdienen. Vorher sollte für einen Ausländer aber vermutlich erst einmal der andere Weg stehen, die einheimische Sprache zu meistern und dann mit deren Hilfe die eigene Sprache als Lehrer zu vermitteln. Auf der anderen Seite war Riekos Reaktion auf das Plakat göttlich. Ihre einzige Frage war, wie man für eine Sache, die normalerweise einfach Tandempartner kostenlos machen, so viel Geld verlangen kann? Bis auf die Professoren könnte doch niemand so etwas bezahlen. Ganz unrecht hat sie mit dieser Aussage vermutlich nicht.

Trotzdem muss ich sagen, besonders die Fähigkeit Deutsch zu beherrschen, ist eine sehr wertvolle in Japan. Die Sprache ist äußerst beliebt und aufgrund eines eklatanten Mangels an Deutschen findet man sehr leicht Sprachpartner. Diese Tandempartner, für die es hierzulande auch gute Vermittlungsstellen gibt, sind gleichzeitig das beste Mittel, das echte Japan kennen zu lernen. Mit ihnen was zu unternehmen, sich austauschen und einfach nur Spaß gemeinsam zu haben, ist mit das Beste, was man machen kann. Würde man nur unter den ausländischen Studenten hocken, würde man viel zu viel verpassen. Gerade da Japaner ziemlich scheu sind und normalerweise niemanden an sich heran lassen, sollte man diese Möglichkeit wirklich niemals ungenutzt lassen.

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