Sushi und Bier, die perfekte Kombination für einen Fußballsamstag

Morgens halb zwölf in Sendai, Japan: Während der Freundeskreis noch laut eigenem Bekunden selig in den Betten liegt, befindet sich ein wackerer Deutscher schon auf seinem Fahrrad, um der schönsten und wichtigsten Nebensache der Welt nachzugehen, dem Fußball. Wir schreiben den letzten Spieltag der J-League und für Vegalta Sendai geht es um den Verbleib in der ersten Liga. Verständlich also, dass ich dort nicht fehlen möchte, auch wenn es beinahe so gekommen wäre. Obwohl ich mich rechtzeitig um Karten bemüht hatte, bekam ich nur unter absoluter Mühe und im komplett falschen Block eine Karte. Aber kein Problem: Wofür hat man Vitamin B? Mayumi, meine Konversationspartnerin, ist Fanclub-Mitglied und bekommt rechtzeitig Karten für den richtigen Block und mittels eines Tricks will sie einige andere und mich in eben diesen Block hinein bekommen.

Schlecht an dieser Sache ist nur die Tatsache, dass Mayumi nicht mit der Idiotie des deutschen Gesprächspartners gerechnet hat. Ich war zwar mehr als rechtzeitig am Stadion, aber ein kleines Detail fehlte: Das Handy lag 45 Minuten Radweg entfernt in meiner Wohnung und damit war das einzige Kontaktmittel zu Mayumi außer Betrieb. Was soll ich also machen? Zurückfahren ist keine Option und mich darauf verlassen, dass Mayumi mich im Stadionumlauf findet, ist nicht gerade meine Art. Kurzerhand entschied ich mich für einen Frontalangriff. Mit gezückter Karte und Finger über dem Block schob ich mich hinter einer Gruppe von Japanern in den Block und niemand konnte mich aufhalten. Jetzt konnte die Suche nach Mayumi oder Megumi, der Schwester von Mayumi, beginnen. Praktischerweise kann ich aber nirgends unbeobachtet herum laufen und schon nach kurzer Zeit hatte mich die Familie von den letzten Spielen entdeckt und Yosuke kam sogar runter gerannt, um mich zu einem Platz zu geleiten. So viel Mühe muss mit etwas Süßem belohnt werden und so spendierte ich den Kindern eine Packung Smarties. Ohne Tasche läuft die Suche nach Mayumi eh viel einfacher und wirklich, kurze Zeit später stand ich ihr gegenüber. Sie versorgte mich auch gleich erst einmal mit ein paar selbst gemachten Sushis (vergorener Reis mit Gemüse wird auch als Sushi bezeichnet, auch wenn er eine andere Form hat) und nach kurzer Beratung entschieden wir, dass ich das Spiel mit der Familie sehen werde. So oft trifft man die ja ab jetzt doch nicht mehr.

Das Spiel selber fand gegen Kawasaki Frontale statt. Das ist ein ziemlich spät aufgestiegenes Team, was überraschend letztes Jahr den 2. Platz in der 1. Liga erreicht hat. Dieses Jahr spielt die Mannschaft um den Spielmacher der japanischen Nationalmannschaft, Kengo Nakamura, ebenfalls wieder sehr gut mit und steht deshalb abgesichert auf dem 5. Platz der Tabelle. Für Vegalta ist das Spiel dagegen von höchster Wichtigkeit. Zwar stehen Vissel Kobe und der FC Tokyo noch hinter ihnen in der Tabelle, verliert man heute aber hoch und die beiden anderen gewinnen, besteht noch eine Abstiegsgefahr. Die Gegner der beiden anderen Mannschaften stellen unter normalen Umständen kein unüberwindliches Risiko dar. So konnte es im so ziemlich ausverkauften Yurtec Stadion endlich zur Sache gehen. Vegalta begann offensiv und bekam in der ersten Minute gleich erst einmal einen klaren Elfer versagt. Dass japanische Schiedsrichter wirklich nichts pfeifen, setzt sich fort und sollte heute noch zwei eigentliche Elfer kosten. Nach einer stürmischen Anfangsphase kam es plötzlich zu einem Konter und aus dem Nichts stand es 1:0 für Kawasaki. Die 27 von Vegalta sah da auch ziemlich schlecht aus, da sie wie immer nur versuchte, den Gegner abzudrängen, anstelle einfach dazwischen zu grätschen. Bis auf tausende 100prozentige für Vegalta sah es nun lange nach einer Niederlage aus, aber man stemmte sich dagegen und in der 95. Spielminute gelang der Ausgleich nach einer Ecke. Das Stadion stand Kopf! Damit war der Abstieg auch rechnerisch keine Gefahr mehr und es konnte gefeiert werden. Gleichzeitig erreichten uns auch Nachrichten von Kobe, die Urawa mit 4:0 nach Hause geschickt haben und so eine wirkliche Gefahr hätten darstellen können. Tokyo dagegen verlor desolat gegen Kyoto und steht damit als dritter Absteiger fest. Damit haben sich alle Teams, die ich hier gesehen habe, in der ersten Liga halten können.

Während des Spiels kümmerte sich die Familie wieder sehr um mich. Man brachte mir sogar ein Bier mit, da ich als Deutscher ja wohl Bier trinken werde. Sie werden mir auf jeden Fall alle fehlen. Ich muss auch sagen, besonders der ganz Kleine der Familie ist mittlerweile schon perfekt erzogen. Sobald er in einem Lied Nummer 1 hört, reckt er den Finger in die Höhe und ist dabei sogar schneller, als das restliche Stadion. Die Mutter hatte offensichtlich viel Erfolg damit, einen kleinen Nachwuchshooligan heran zu züchten. Als Überraschung bekam ich auch noch einen A2 großen Vegaltakalender in die Hand gedrückt. Normalerweise sollte man den beim Einlass bekommen, aber irgendwie hatte ich das wohl verpasst. Glücklicherweise dachte die Familie aber gleich an mich und besorgte mir einen mit. Zu schade, dass die Saison hier jetzt schon aufhört, aber was will man machen? Zum Abschied gaben sie mir noch eine Kontakt-E-Mail-Adresse, so dass ich wohl die Tage einen Japaner für mich eine Nachricht auf Japanisch verfassen lassen werde. Wenn ich das selber mache, werden die Sätze vermutlich etwas zu simpel.

Nach der großen Verabschiedung ging es dann runter zu Mayumi. Gemeinsam warteten wir auf die Verabschiedung der Mannschaft. Anstelle einer Feier des Klassenerhaltes, kamen die Spieler dreißig Minuten nach Spielende wieder auf den Platz und stellten sich in einer Reihe auf. Erst hielt die Bürgermeisterin im Vegalta-Trikot eine lange Rede, der Manager und der Trainer folgten. Anschließend wurden noch zwei Spieler verabschiedet, die bei ihren jeweils 10 Minuten langen Abschiedsreden bittere Tränen vergossen. Erst dann konnte es zur Ehrenrunde gehen. Die ganze Zeremonie dauerte noch einmal über zwei Stunden und die Blöcke blieben voll dabei. Zum Abschied gab es für einen der Spieler, der sein bisheriges Leben bei Vegalta verbracht hat, noch einmal eine gesonderte Choreo und dann konnte es endlich nach Hause gehen.

Zu Hause hatte mir Orsolya eigentlich versprochen, mir einen Pfannkuchen, von der Party die man gemacht hat, aufzuheben. Doch als ich ankam, waren alle schon aufgegessen und nur der harte Kern war noch da. Eigentlich schade, aber die Zeremonie war es wert. Wir unterhielten uns noch eine Weile über Gott und die Welt und schlechte Kinofilme, eh es dann nach Hause ging. Der Plan, einen ruhigen Abend zu verbringen, musste von mir dann aber doch noch verworfen werden. Rieko hatte von mir vor ein paar Tagen ein Rezept für Mangocreme bekommen und kam damit nicht zurecht. Also durfte ich um 1:30 Uhr noch mit dem Zubereiten anfangen. Das fiel ihr mal wieder früh ein, aber egal, Schlaf ist eh überbewertet! Wenigstens hat Vegalta nicht verloren, das hebt die Stimmung ein wenig, auch wenn mir ein Spiel und Sieg der größten der Welt immer noch viel lieber gewesen wäre.

Um noch kurz zu beweisen, dass Sendai mit ihren Anhängern auch Stimmung machen kann, hier noch drei Videos zum Thema. Die Fans gelten hierzulande als eine der besten Anhängerschaften.
Bitte hier anklicken:
Video 1: We“re not gonna take it
Video 2: Forza SENDAI
Video 3: Cobra

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