Sendai, das große Dorf

Einer der Vorteile, wenn man eine Weile auf dem Dorf gelebt hat ist, dass man eine Erscheinung des Dorflebens ganz genau kennt – die Gerüchteküche. Göttingen, zwar eine Stadt, aber trotzdem nicht weit vom Dorfstatus entfernt, ist in diesem Zusammenhang nie wirklich besser gewesen. Egal, wo man hinging und was man machte, immer gab es jemanden, der einen beobachtete oder es mitbekam. Nun sollte man natürlich meinen, die Situation würde sich in einer Großstadt, wie es Sendai mit ihren über 1 Millionen Einwohnern ist, schlagartig ändern, aber ich muss der Wahrheit wohl ins Gesicht sehen, Sendai ist auch nur ein größeres Dorf. Eine alte Bekannte hatte sich für heute bei mir angemeldet – Mayumi, meine Konversationspartnerin. Aufgrund einiger technischer Probleme, wie zwei defekte PCs auf meiner Seite und dem damit verbundenen Verlust ihrer E-Mail Adresse und einer von Überstunden geprägten Arbeitszeit ihrerseits, haben wir uns schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen und es erst kürzlich geschafft, uns wieder regelmäßig E-Mails zu schreiben. Heute war es dann aber mal wieder so weit und wir beschlossen, uns zu treffen.

Trotz einiger Abspracheprobleme gelang es uns, uns gegen Mittag am Bahnhof zu treffen und uns eine ruhige Ecke zum Deutsch lernen zu suchen. Leider kann man so etwas in dieser Stadt nie in Ruhe machen. Schon nach einer halben Stunde hatten uns Orsolya und Victoria gefunden und erst einmal angesprochen. Aber auch später sah uns eine größere Gruppe von Ausländern und Japanern und gegen Abend durfte ich einen Spießrutenlauf über mich ergehen lassen, ob ich eine heimliche Freundin hätte. Besonders für die Japanerinnen in meinem Bekanntenkreis war die Tatsache, dass ich einfach nur eine Konversationspartnerin haben könnte, absolut abwegig. Auf jeden Fall hat die Klatschwelt Sendais wieder einmal neues Futter gefunden und selbst Leute, die nicht in der Gruppe unterwegs waren, haben mittlerweile schon das Gerücht über meine Freundin gehört. Ein Glück, dass Mayumi seit zwei Jahren verheiratet ist. Trotzdem war das Treffen mit Mayumi sehr lustig. Wir tauschten uns über Gott und die Welt aus und ich bemühte mich, ihr möglichst langsam alles notwendige der deutschen Sprache näher zu bringen. Leider ist bei Gesprächen mit Japanern immer das Problem zu bemerken, dass sie, wenn sie mal wieder nichts verstehen, einfach nur nicken und erst später zugeben, dass sie kein Wort verstanden haben. Das macht das Gespräch mit ihnen um einiges schwieriger, stellt aber einen normalen Umstand des japanischen Wesens dar. So gilt es auch in der Universität als unhöflich, dem Professor Fragen zu stellen. Japanische Professoren in Europa tendieren deshalb auch gerüchteweise dazu, ihren Unterricht immer so zu überziehen, dass der Student ja keine Frage mehr stellen kann. Diesmal gelang es mir aber scheinbar gut, ihr die Fakten zu vermitteln und wir hatten so ein sehr lustiges Gespräch. Gleichzeitig hat sie angeboten, mir eine besondere Sushiart beim Spiel von Vegalta nächste Woche mitzubringen. Selbst gemachtes Sushi – perfekt! Anschließend unternahmen wir den 3. Versuch, gemeinsam im MafuMafu einige deutsche Tayaki zu erstehen, aber irgendwie haben wir wirklich kein Glück. Diesmal hatte der Laden zwar einmal offen, aber das Tayaki war schon ausverkauft.

Auffällig war aber auch eine andere Sache. Mayumi ist momentan extrem erkältet und wenn in Japan jemand erkältet ist, trägt er aus Prinzip eine Gesichtsmaske. Diese ermöglicht das schadstoffärmere Atmen und verhindert gleichzeitig das Verteilen der eigenen Bazillen. Das Bild in den Straßen sieht dementsprechend kurios aus, wenn die Hälfte der Menschen mit Masken über dem Mund rumlaufen und keiner das auch nur in der geringsten Weise kurios findet. Auch im Sommer werden die Masken aufgesetzt, da sie wohl einen sehr guten Pollenschutz darstellen. Aufgrund ihrer Erkältung trägt Mayumi nun auch schon seit einer Woche eine derartige Maske. Aber weil sie Angst hatte, ich könnte ein Gespräch mit ihr mit Maske als unhöflich erachten, ließ sie heute die Maske weg. Es ist natürlich nett, dass sie an mich denkt, aber wer wäre ich denn bitte, wenn ich einen Gegenstand verurteile, den sie selber als angenehm bei ihrer Erkältung empfindet. Leider gibt es aber den Fall viel zu häufig, dass Japaner zu viel darüber nachdenken, was die Ausländer als Gast so denken.

Ein anderes aktuelles Beispiel für diesen Fall ist mein Büro. Seit jeher wird mir Kaffee angeboten, wenn mal wieder eine Kanne gekocht wird und da ich kein Kaffeefan bin, lehne ich immer ab. Laut Rieko führte dieses Verhalten, trotz meines Hinweises, dass ich Kaffee nicht mag, zu Spekulationen unter den Studenten und meinem zweiten Betreuer, dass ich aus Höflichkeit ablehne, da ich nicht in die Kaffeekasse investiert habe. Seit kurzem wird deshalb gar nicht mehr gefragt, ob ich etwas trinken möchte, sondern der Becher mit Kaffee landet einfach vor mir auf dem Tisch. Wie gesagt, diese Beispiele sind nur zwei von vielen, denn die Geschichte könnte man noch lange fortsetzen. Auf der einen Seite ist es natürlich sehr nett, wie man sich um uns Ausländer bemüht. Nur manchmal ist es wirklich seltsam, da einem immer das Gefühl gegeben wird, man ist jemand besonderes, um den man sich auch besonders Sorgen machen muss. Man wird halt nie so wirklich Teil der Gemeinschaft und ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass sich dieser Umstand mit den Jahren bessert. Thomas bestätigt eigentlich auch des öfteren, dass dies nicht der Fall ist. Es gilt halt, einmal Gajin (Ausländer), immer Gajin.

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