Ein leises Lied stört mich in meiner Nachtruhe. Noch kann ich es ignorieren, aber es wird immer lauter. Lange kann ich es wohl nicht mehr ignorieren. Wer weckt mich da zu nachtschlafender Stunde und dann noch an einem Samstag? Leicht verschlafen setze ich mich zum Handy in Bewegung, immer darauf bedacht, die aus dem Fenster ins Zimmer gelangenden Sonnenstrahlen zu umschiffen. Ein Blick aufs Hand verrät es, der störende ist mein Wecker. Wieso brauche ich bitte Samstags einen Wecker? Ach ja, da war ja was und verdammt, ich bin spät dran? . In Sekunden bin ich hell wach und springe unter die Dusche, ich bin ja heute verabredet. Schnell noch frisch machen und dann schlägt auch schon bald die Stunde für das Treffen. Ich bin heute mit zwei Ausländern verabredet, Antti – der Finne und Tobias – der Schwede und tatsächlich, Tobias wartet schon. Aber wo ist der andere und wieso ist Tobias so blass? Wie sich herausstellt, ist Tobias noch viel später als ich aufgewacht und hat es gerade noch geschafft, etwas Curry von gestern zum Frühstück zu essen. Dementsprechend hängt er auch noch etwas in den Seilen und schläft fast auf dem Rad. Antti dagegen wurde erst von Tobias nach dessen aufstehen geweckt und braucht deshalb noch ein paar Minuten bis zum erscheinen. Ein Hoch darauf, dass es den Menschen wie den Leuten geht, auch wenn ein derartiger Zustand um 12 Uhr mittags doch etwas peinlich ist, aber wir sind ja schließlich Studenten.
Endlich sind wir komplett und können uns auf den Weg machen. Meine neuen Freunde vom Fußballspiel letzten Sonntag hatten mich schließlich gebeten, doch dieses Wochenende wieder ins Stadion zu kommen. Und diesmal hatten sich wirklich Menschen gefunden, die mich zum Spiel begleiten wollten. Also setzten wir uns zum Stadion in Bewegung. Auf dem Weg noch schnell ein Zwischenstopp im 105 Yen Supermarkt, Frühstück, ein Sixpack und andere Getränke besorgen und eine halbe Stunde später haben wir das Stadion erreicht. Jetzt kam endlich die Stunde der Wahrheit. Meine Bemühungen im Fanshop für einen Studentenrabatt waren nicht wirklich von Erfolg geprägt und so wirklich hatte noch nie jemand von einem derartigen Rabatt gehört. Am Stadion gelang es aber auf Anhieb. Wieso es zu dieser Diskrepanz kommt und auf unserer Karte auch nur Schüler stand, will ich lieber gar nicht wissen. Aber eventuell mag die Verkäuferin mich ja auch einfach nur. Endlich konnte es losgehen. Alle meine Sorgen waren wie weg geblasen. Wir hatten Karten, waren rechtzeitig da und dazu war auch noch das Wetter perfekt. Was will man mehr? Meine Mitstreiter benötigten aber eindeutig noch ein Frühstück, also noch schnell zu einem KFC und die beiden mit Hühnerschenkeln versorgt. So verpassten wir zwar die Vorstellung der Spieler, aber immerhin waren alle satt und zum Spiel waren wir wieder locker am Stadion.
Das heutige Spiel lautete: Vegalta Sendai gegen Shimizu S-Puls. Die S-Puls kommen aus der Fußballhochburg Japans, Shizuoka. Besonders in den Jugendbereichen ist diese Region äußerst erfolgreich und Fußball begeisterte schon früh die Fans. Zur Gründung der J-League wurde dieser Verein neu aus der Taufe gehoben. Die Gründung hatte das Ziel, die Region und besonders die Stadt Shimizu zu vertreten und zu vermarkten. Die Herkunft aus einer Fußballhochburg bringt aber auch ihre Nachteile mit sich. In der gleichen Region existierte schon ein Fußballverein, der sich wegen der Gründung der S-Puls erst im zweiten Jahr in der J-League einfinden konnte. Der betreffende Verein, die Gegner Vegaltas letzte Woche, lautet Jubilo Iwata. Eines der wichtigsten japanischen Derbys entstand. Gegenseitig entwendete man sich die Jugendspieler und die Fans und verringerte dadurch seine Chancen in der Liga. Während Jubilo es wenigstens Anfang des Jahrtausends schaffte, Erfolge in die Heimat zu bringen, haftete den S-Puls lange der Titel des ewigen Zweiten an. Zwar spielte man in der Liga regelmäßig eine wichtige Rolle, doch erreichte man in bester Leverkusen-Manier immer nur zweite Plätze. Am bittersten muss dieser Umstand wohl im Jahr 1999 gewesen sein, wo man im Ligafinale gegen Jubilo um die Meisterschaft spielte und verlor. Ironischerweise gelang mit diesem zweiten Platz auch der größte Erfolg der Vereinsgeschichte. 1998 gingen die Yokohama Flügels als amtierende Pokalsieger insolvent und der Zweitplazierte S-Puls übernahm den Startplatz im Pokal der Pokalsieger Asiens und gewann diesen im Endeffekt auch. Damit ist S-Puls der einzige Sieger des Pokals der Pokalsieger Cups in Asien, der nie einen Pokal im Heimatland gewann. Seit 2006 geht es für den Verein aber mittlerweile leicht bergauf, indem man es erstmals schaffte, regelmäßig vor dem Lokalrivalen aus Iwata zu stehen und auch 2008 erstmals mehr Zuschauer ins Stadion zu locken. Neben dem normalen Stadion verfügt man in Shimizu übrigens ebenfalls über ein WM-Stadion, was für wichtige Spiele verwendet wird. Dieses Stadion muss man sich aber natürlich zu allem Überfluss mit Jubilo teilen. Diese Saison steht man auf einem 6. Platz in der Liga. Das einzige Ziel ist es, den Einzug in das internationale Geschäft fest zu machen, auch wenn man sich kurzzeitig während der Saison Hoffnungen auf den Meistertitel gemacht hatte.
Also auf ins Vergnügen und voller Vorfreude betraten wir das Stadion. Gegen unser Sixpack sagte niemand etwas, also konnte es los gehen. Auf dem Weg zu den Plätzen fiel uns noch ein Stand auf, der Schals (Handtücher) von Vegalta als Restposten von dieser Saison billig verkaufte. Da konnten wir nicht vorbei gehen und statteten uns noch kurzfristig aus. Schlecht nur, dass auf den Schals Nummern von Spielern stehen und natürlich keiner der wenigen Spieler dabei waren, die wir kennen. Also wurden kurzerhand die jungen Verkäuferinnen die unser Alter hatten ausgefragt, welchen Spieler sie denn mögen. Man wollte uns ein Heft mit den Bildern der Spieler geben, damit wir uns anhand der Gesichter entscheiden können. Aber wir ließen nicht locker und so gab man uns, peinlich berührt lachend, dass sich jemand für ihre Meinungen interessiert, den Tipp, die Nummer 24 zu nehmen. Gesagt, getan und ins Stadion und da standen sie schon, die Leute vom Fanclub von letzter Woche. Sie winkten ausgiebig und warteten auf mich. Also schnell hoch, Tasche abgestellt und die anderen nachgeholt. Bevor ich wieder da war, hatte man meine Tasche schon auf einen freigeräumten Platz gehievt und schaffte auch noch schnell für die anderen beiden Platz. Als ob die 12-jährigen Jungs auch mehrere Sitze bräuchten. Die sollen anfeuern und nicht sitzen! Wir waren im ganzen Block Mode und besonders die Neuankömmlinge wurden absolut ausgequetscht. So konnte das Spiel losgehen.
Es entwickelte sich ein gutes Spiel, was bei einem ausgeglichenen offensiven Anfang von beiden Teams zu nach einem Gestochere vor dem Tor zu einer überraschenden Führung Sendais führte. Es herrschte eine unbeschreibliche Freude im Block, hatte man das Hinspiel doch 1:5 verloren. Alle wollten dazu mit uns abklatschen, sogar die alte aber rüstige Dame hinter mir, die vermutlich älter als beide meiner Großmütter war und trotzdem in kompletter Sendai-Ausrüstung im Stadion stand. Anstelle von Altensport machte sie jeden Fangesang mit. Vermutlich ist das der Grund, warum Japaner so alt werden. Die Freude währte aber nicht lange. In ca. der 25 Minute kam es zu einem Ball aufs Tor von Vegalta, den der Torwart mit Mühe und Not auf den linken Pfosten klärte, wo es einen Zweikampf zwischen einem Sendaier und einem S-Puls Spieler um den Ball gab. Aus meiner Sicht war das ein absolut fairer Zweikampf, der zu einem misslungenen Kopfball des S-Puls Spielers führte. Der Schiri entschied aber fälschlicherweise auf Foul und Rot für Sendai. Der fällige Elfmeter wurde verwandelt und Sendai musste 70 Minuten zu Zehnt spielen. Das führte auch zur Halbzeit zum 2:1, als keiner der Spieler in der Lage war, den ballführenden Spieler einfach mal umzuhauen. In der zweiten Halbzeit wurde Sendai wieder stärker und war kurz vor dem 2:2, was nur von der eklatanten Abschlussschwäche der Stürmer verhindert wurde. Kurz vor Schluss sah es dann sehr gut aus, als sich auch noch der Torwart zu einer Ecke nach vorne begab. Als die Chance vertan war, rannte dieser aber nicht zurück, sondern versuchte dem S-Puls Spieler lieber den Ball abzunehmen. Das scheiterte und führte für S-Puls zu einem einfachen Tor. Das Spiel war entschieden durch eine Fehlentscheidung des Schiris und absolut schwache Flanken und Schüsse Sendais. S-Puls zeigte nicht viel und man wundert sich, dass sie auf den internationalen Plätzen stehen. Aber die Vereine in Japan nehmen sich stärkemäßig eh alle nicht viel, so dass dies nicht verwunderlich ist. Das große Problem was ich weiterhin sehe ist, dass man sich immer noch zu sehr auf den 10er als Spielmacher verlässt und alles über ihn läuft. Zusammen mit Stürmern, die bei allen japanischen Teams Schwächen im Abschluss zeigen, sind Tore so meist Zufallswerk. Eigentlich werden sie meist nur verursacht, weil alle japanischen Spieler denken, sie wären Messi oder Maradona und könnten alles mit Technik lösen. Kein Wunder, dass japanische Mannschaften gegen europäische, die etwas Körpereinsatz zeigen, meist ziemlich schlecht aussehen. Trotz der durch die Niederlage wieder akut gewordenen Abstiegsgefahr unterstützten die Fans ihr Team aber von ganzem Herzen und auch nach dem Spiel gab es kein böses Wort. So muss Fußball sein und so macht auch eine Niederlage irgendwie nicht ein ganz so schlechtes Gefühl.
Nach dem Spiel wurde mir noch eine Auswärtsfahrt angeboten, die ich leider wegen der Uni ablehnen musste und wir gaben allen anwesenden Kindern unseres Fanclubs eine Tüte Haribo. Da die kleine, die letztes Mal ein Bild malte, nicht da war, gaben wir ihre Tüte ihrem Vater mit. Der war absolut überrascht, aber erfreut über unsere Freundlichkeit und versprach, sie von uns zu grüßen. Falls ich es irgendwie schaffe, soll ich doch nächstes Mal unbedingt wieder kommen. So konnte es in Ruhe nach Hause gehen, dachten wir jedenfalls. Beim Ausgang durften wir uns aber noch eine kurze Standpauke anhören, dass Dosenbier im Stadion verboten ist. Aber wenn keiner uns etwas sagt, wie sollen wir denn dann bitte auf die Idee kommen, das umzufüllen? Zum Glück waren wir aber auch nicht die einzigen, die wir mit Dosenbier sahen. Den anderen beiden hat es auf jeden Fall auch sehr gefallen und beide sangen lautstark mit, nachdem ihnen das am Anfang noch etwas komisch vorkam. Wenn sie könnten, würden sie gerne nächstes Spiel wieder mitkommen, leider ist das aber mittlerweile ausverkauft. Aber ratet mal, wer eine Karte hat!