Mhhh, wieder so eine Mail in Kanji vom Büro: Was wollen die denn dieses Mal? Vermutlich wieder eine Einladung für irgend einem Vortrag, wo mir später wieder erklärt wird, ich brauche nicht erscheinen und das Ganze wäre total langweilig. Aber Moment, was ist das? Da stehen Zahlen drin, das sollte ich eventuell doch mal übersetzen. O.k.: ?Wer hat am 23.11. Zeit, bei dem allsemestrigen Test zu helfen? Deutschkenntnisse werden vorausgesetzt.? Also irgend ein Test und am 23.11. arbeiten? Will ich mir das wirklich antun? Aber egal, was steht da noch so? ?Für Leib und Seele ist natürlich auch gesorgt?.?. Halt, Essen wird gestellt? Wo muss ich unterschreiben?
Bei so einem Angebot kann man natürlich nicht nein sagen. Deutschkenntnisse habe ich und einen Lohn soll es wohl auch noch geben, Studentenherz was willst du mehr? Nur eine Frage blieb natürlich bestehen: Nehmen die mich überhaupt? Die E-Mail war eigentlich eher an den normalen Mailverteiler des Departments gerichtet, aber egal, Versuch macht klug heißt es ja so schön. Also schickte ich kurzerhand eine Mail zurück an den anfragenden Professor und erklärte, dass ich über die Deutschkenntnisse verfüge, aber das Japanisch ein Problem darstellen könnte. Außerdem wäre es sowieso ganz sinnvoll zu erfahren, was eigentlich zu machen ist. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und klang nicht gerade aufbauend. Shimizu kann mir genau erklären, was zu machen ist, aber Japanisch sollte ich schon beherrschen. Damit war die Geschichte für mich gestorben, jedenfalls bis vor ein paar Tagen. In meinem Mailpostfach fand sich doch wirklich die Anfrage, welches Essen ich denn gerne zur Mittagspause hätte. Es gibt a) Fleisch, b) Fleisch und c) oh Überraschung, natürlich auch Fleisch. Diese Auswahl ist natürlich nicht schön, aber immerhin schien ich immer noch in dem Helferteam angemeldet zu sein. Vermutlich sollte ich also doch einmal heraus bekommen, was eigentlich für ein Job ansteht. Nach Shimizus sehr hilfreicher Antwort, ? Ist einfach, mach es!? erklärte mir mein Betreuer doch endlich einmal, worum es sich eigentlich handelt: Da die Tohoku Region über kein Goetheinstitut verfügt, ist die Tohoku Universität einmal im Semester für den großen Deutsch-Einstufungstest der nördlichen Hauptinsel zuständig. Dementsprechend strömen aus allen Teilen der Region die Japaner nach Sendai, um diesen Test abzulegen. Da die Fakultät alleine mit Professoren diesen Heerscharen nicht habhaft wird, werden halt die Studenten mit einbezogen. Da sich keiner so wirklich traute, mir abzusagen (man wollte mich schließlich nicht beleidigen) bin ich halt auch Teil des Teams geworden. Als letzten Ratschlag gab er mir noch den weisen Rat, doch einfach Shimizu zu folgen, dann wird das schon.
Heute war es dann endlich so weit. Der Tag der Arbeit wird in Japan gefeiert und viele Menschen haben frei bekommen, der perfekte Tag für einen derartigen Test also. Wenn ich schon um 8 in der Uni sein soll sollte ich mir zukünftig aber angewöhnen, wenigstens etwas eher ins Bett zu gehen und nicht noch ewig mit anderen im MafuMafu rumzuhängen. Zum Glück ist Schlaf sowieso absolut überbewertet und ich kam rechtzeitig an der Uni an. Als erste Amtshandlung hieß es, dort erst einmal Tetsu anzurufen, der mich gestern bei der Verabschiedung aus dem MafuMafu gebeten hatte, ihn doch bitte irgendwie zu wecken. Dann konnte es endlich losgehen. Leider bewahrheitete sich, dass ich eigentlich nur einen Notnagel im Hilfsplan darstellte, da wir viel zu viel Personal hatten. Kein Wunder, dass in Japan die Arbeitslosigkeit so gering ist, wenn man jeden Job mit zwei zusätzlichen Angestellten absichert! So sind in Japan normale Baustellen die in Deutschland durch ein paar Absperrbändern gesichert sind, hierzulande schließlich auch mit 4 Arbeitern gesichert, die den Leuten den Weg um die Baustelle zeigen. Genau so sah es auch für uns aus. Für eine Arbeit, wie die Klassenräume vorzubereiten, für die man vielleicht 2 Leute gebraucht hätte, wurden sechs Leute in die Klassenräume geschickt. Auch später blieben Shimizu, noch ein Japaner und ich übrig und hatten die meiste Zeit eigentlich kaum etwas zu tun, bis aufs Essen. Sie hatten uns halt eigentlich wirklich nur als Reserve hin beordert, falls irgendwer kurzfristig ausfällt. Wenn der Veranstalter schon keinen Job für uns hat, suchten wir uns halt selber einen. Die meisten Aushilfen wurden in die Klassenräume abgestellt, um die Tests zu überwachen. Im Endeffekt waren sie also da, um vor dem Betrügen abzuschrecken und um Fragen beantworten zu können. Zwei andere hatten in der zugigen Luft am Eingang der Fakultät dagegen Stellung beziehen müssen, um dort die Anmeldung zu betreuen. Da es dort teilweise wirklich sehr kalt wurde, lösten wir die Betroffenen einfach kurzerhand ab und betreuten die Anmeldung. Wirklich zu tun gab es da zwar auch meistens nicht, aber immerhin konnten wir so einige Stunden in Ruhe Bücher lesen. So schlugen wir irgendwie die Zeit bis 18 Uhr tot, bis es endlich Feierabend war. Zum Glück berichteten uns die in den Klassenräumen anwesenden Studenten, dass sie auch nichts anderes als Bücher lesen veranstaltet hätten und sie dementsprechend auch etwas gelangweilt waren.
Trotzdem war die Veranstaltung ziemlich interessant anzuschauen. Die Organisation war, wie in Japan üblich, komplett durchgeplant und alles in wenigen Minuten ausgeführt, da der verantwortliche Professor zuvor einen auf die Sekunde genauen Einsatzplan erstellt hatte. Aufgrund dieses perfekten Plans gab es aber nun für das Hilfsteam um meine Wenigkeit kaum etwas zu tun, denn sogar das Befestigen von irgendwelchen Schildern dauerte kaum, da alles schon klebebereit vorlag und unser Professor uns sogar haargenau auf einer Karte markiert hatte, wo er denn gerne die Schilder hin hätte. Trotzdem blieb es ziemlich lustig, da ich mich ein wenig mit den Japanern austauschen konnte, in Ruhe ein Buch für meine Forschungen bearbeitete und die Versprechen von vorher auch alle eingehalten wurden. Es gab die verschiedensten Süßigkeiten und auch ein Mittagessen. Das war zwar notgedrungen mit Fleisch, aber wozu habe ich den Shimizu. Der war sichtlich erfreut, es essen zu dürfen und dazu haben wir noch eine kleine finanzielle Aufwandsentschädigung bekommen. Also im Endeffekt war es die perfekte Veranstaltung: Kostenloses Essen, Kontakte pflegen, kaum etwas zu tun, Einblick in das japanische Unisystem und das Ganze auch noch bezahlt – so sollten alle Veranstaltungen sein.