Was für ein Tag! Ein Kampf gegen die Hände, japanische Küchenspionage und dann mit dem Rad auf der Schnellstraße unterwegs, aber der Reihe nach:
Bekannterweise haben die Sprachkurse ja wieder angefangen und ich bin wieder im Kurs von Frau Abe gelandet. Heute konnte ich diesem auch endlich mal beiwohnen und fragte mich gleich, ob ich nicht doch im falschen Raum gelandet bin. Eine der ersten Aufgaben des Tages bestand daraus, ein Origami, eine Papierfalterei, herzustellen. Schon das Wort Origami lässt mich erzittern. Mit Schaudern denke ich daran zurück, wie mir bei chinesischer Kalligrafie in Göttingen versucht wurde, das kunstvolle Falten näher zu bringen. Schlecht nur, dass es in einer Geschwindigkeit stattfand, dass keiner der Anwesenden folgen konnte und ich so schon wieder alles verdrängt habe. Was Origami mit einem Japanisch-Kurs zu tun hat, nur um der Frage schon mal entgegen zu treten, ich habe keine Ahnung. Vermutlich versteht man durch das Falten die Sprache besser. Bei mir hat es, wenn auch aus anderen Gründen, ganz gut geklappt.
Unsere Klasse besteht aus fünfzehn Leuten, die kurzerhand in drei Gruppen aufgeteilt wurden. Da Asiaten bekanntlicherweise in der Kunst des Origamis doch etwas geschulter sind als Europäer, wurden die Asiaten auf die einzelnen Gruppen aufgeteilt und sollten das Vorgehen erklären. Ich landete in einer reinen Männergruppe, wo der einzige Asiat, ein Koreaner, natürlich keine Ahnung hatte, was zu tun ist. Also hielten wir Kriegsrat. Zwei Nordafrikaner holten die I-Phones heraus und kurzerhand wurde im Internet eine bebilderte Bauanleitung gesucht. Die anderen hatten derweil schon angefangen. Aber sollen die anderen sich doch mit Kunstwerken wie Schnecken oder Blumen abmühen, wir sind froh, wenn wir einen Kranich hinbekommen. Gleichzeitiges Bauen kam für uns eh nicht in Frage und ein Türke und ich interpretierten die Bauanleitung, während ein Libyer unsere Beschreibungen in die Tat umsetzte. O.k., wir bekamen zwar nur drei Kraniche und das unter vielen Flüchen (auf japanisch natürlich, so viel Zeit muss sein, wir waren ja schließlich im Japanisch-Kurs) fertig, aber die anderen werden uns schon nicht so weit voraus sein. Dachten wir jedenfalls. Natürlich hatten die anderen in der Zeit allesamt irgendwelche Kunstwerke fertig und die einzigen, die nichts vorzuweisen hatten, waren der Türke und ich, die einzigen Europäer des Kurses. Wo ist bitte der Gleichstellungsbeauftragte, ich fühle mich benachteiligt. Um der Schande zu entgehen beschlossen wir, unsere halb fertigen Ansätze als moderne Kunst zu verkaufen und der Türke bastelte kurzerhand Papierschiffe aus ihnen. In Europa ist das schließlich das einzige bekannte Origami und wir wollten uns doch vor den Asiaten nicht mit unseren wirklichen Fähigkeiten blamieren???.
Nach dieser Peinlichkeit wurde der Kurs aber auch nicht besser. Der nächste Plan von Frau Abe war es, uns Kochrezepte aufschreiben zu lassen. Normalerweise wäre das ein klassischer Fall von Nudeln in Topf schmeißen, passierte Tomaten in anderen Topf und am Ende nach dem Kochen alles mixen. Im Lichte der Tatsache, dass die ganzen Asiaten im Kurs auf einmal aber anfingen, die großen Rezepte herauszuholen und die Herstellung von chinesischen Spezialitäten oder Kimuchi erklärten, wollte ich diesen Versuchen aber in nichts nachstehen. Was gäbe es auch besseres, als einen Bulgurauflauf zu beschreiben? Vieles, wo die Zutaten in Japan bekannt sind, aber das wurde mir erst später klar. Es wurde eine Heidenarbeit und ich brauchte natürlich am längsten. Dafür nahm meine Lehrerin es persönlich an und ließ sich alles erklären, machte Anmerkungen über die Anzahl von einigen Zutaten und wann es zu pfeffern und salzen ist auf das Blatt und nahm es mit nach Hause unter der Bemerkung, hört sich lecker an. So kann man auch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die Studenten sind beschäftigt, üben die Sprache und als Lehrer hat man einmal im Semester ca. zwanzig neue Rezepte zu Hause rumfliegen.
Abends galt es für mich dann noch einmal kurz zum Fanshop von Vegalta zu fahren, schließlich fehlten mir noch die Karten für die nächsten Spiele. Ich kann nur sagen, japanischer Straßenverkehr ist wirklich interessant. Ich folge in Seelenruhe einem Fahrradweg, der auf einmal auf die Straße mündet. Kein Problem, also geht es halt auf der Straße weiter, die überraschenderweise für den Stadtteil in einem wunderbaren Zustand ist. Warum das so ist, wird mir 200 Meter weiter klar. Auf dem Straßenschild, das die nächste Gabelung erklärte, wurde meine Straße doch wirklich als Schnellstraße 35 angegeben. So ein Warnschild am Ende des Fahrradweges wäre doch mal nett gewesen, aber zum Glück waren die Autofahrer eh vorsichtig, wenn sie mich gesehen haben. Mich würde ja mal interessieren, ob es schon eine Radiomeldung gab: ?Gefahr auf der Schnellstraße 35, verrückter Gajin auf dem Fahrrad unterwegs!?? So unverhofft die Straße auch angefangen hatte, hörte sie dann aber auch wieder auf und ich befand mich auf einmal wieder auf einer normalen Stadtstraße. Viel besser wurde es mit dem Straßenverkehr dort aber auch nicht. Ich musste an einer Ampel an dieser viel befahrenen Straße die Straße überqueren. Normalerweise wartet man, flucht etwas, dass die Ampel zu lange rot ist und überquert dann die Straße. Was macht man aber, wenn die Autofahrer anhalten und einen rüber lassen wollen? Beim ersten Mal konnte ich den Fahrer ja noch weiter winken und auf die Ampel aufmerksam machen, der vierte Fahrer wartete dann aber auf einmal stur und es entwickelte sich schon ein kleiner Stau. Entnervt gab ich auf und überquerte die Ampel halt bei rot, was macht man nicht alles für die Japaner. Man merke sich also, japanischer Verkehr ist immer für eine Überraschung gut. Man stelle sich mal so ein Anhalten in Deutschland vor. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist wohl ziemlich gering.