Heimspiel und Fanclubmitglied – Ausländer im Stadion

Es gibt Tage, da kann einem schon die Lust vergehen. Heute war der Besuch des Fußballspiels Vegalta Sendai gegen Jubilo Iwata angesetzt. Jubilo ist der erste Verein, den ich aus Japan je spielen gesehen habe und aus diesem Grund wollte ich das Spiel unbedingt sehen. Eigentlich hatten drei Leute zugesagt, mit mir ins Stadion zu gehen, aber wer kennt nicht den Spruch, es kommt immer anders als man denkt. Um 15 Uhr sollte es losgehen und zwei der betreffenden Personen erschienen gar nicht und der dritte entschuldigte sich nach einem Anruf meinerseits, dass er es heute doch nicht schaffen könnte. Solch eine Zuverlässigkeit kann schon leicht auf die Nerven gehen. Dazu war das Wetter auch noch nah am Regen, was also tun? Ich entschied mich, trotzdem erst einmal zum Stadion zu fahren und im Notfall halt nicht rein zu gehen, falls ich doch keine Lust hatte. Nachdem ich die Strecke zum Stadion endlich hinter mich gebracht hatte, kam gleich der nächste Schock. Vegalta, ein Aufsteiger, der um den Klassenerhalt kämpft, will tatsächlich 30 Euro für eine Karte haben. Das ist mehr, als Yokohama oder Kobe für bessere Sitzplätze wollten. Damit war meine Motivation endgültig flöten gegangen, aber jetzt war ich einmal hier. Also Augen zu und durch, das Geld kann man ja Andernorts einsparen, beim Essen oder Trinken zum Beispiel. Es sollte sich um die beste Entscheidung des Tages handeln.

An der Kasse, ich hatte schon das Geld bereitliegen, kam auf einmal die zaghafte Frage: Bist du zufällig Student? Natürlich keine Frage und schnell den Ausweis gezuckt. Tatsächlich, es gibt in Sendai als einer der wenigen japanischen Vereine Studentenrabatt und die Karte kostet schlappe 9 Euro im Kindertarif. Was will man mehr? Nicht mal Mayumi, meine Konversationspartnerin, wusste von solchen Nachlässen und hatte mir im August eine Vollpreiskarte besorgt. Also rein ins Vergnügen und Sitzplatz suchen. Kontrollen gab es natürlich auch wieder nicht, aber so etwas erwarte ich schon gar nicht mehr. Gar nicht so leicht, bei freier Platzwahl noch einen Platz zu ergattern und alles sah schon nach einer Stehparty aus. Plötzlich entdeckte ich einen freien Platz und nach einigem Verhandlungsgeschick konnte ich ihn mein eigen nennen.

Was folgte, war eines der besten Fußballerlebnisse seit langem. Meine Nachbarn waren mehrere befreundete Familien, die zusammen zum Fußball gehen. Drei Mütter und zwei ihrer Ehemänner hatten dabei die Aufsicht über eine ganze Rasselbande. Zwei Söhne um die 12 Jahre, zwei Töchter um die 10 Jahre und ein Baby wollten beaufsichtigt werden. Am schlechtesten hatte es wohl das Baby erwischt. Angeschnallt an den Körper der Mutter, musste es das intensive Mitsingen, Mitspringen und Schimpfen seiner Mutter ertragen. Immerhin wird man so frühzeitig an die wichtigste Nebensache der Welt herangeführt. Ein 1,94 Meter großer Gajin sorgt aber natürlich für Neugier bei jungen Kindern. So dauerte es nicht lange, bis die Jungen mich ansprachen. Ein „mein Japanisch ist beschissen“ später war das Eis endgültig gebrochen und die ganze Belegschaft horchte mich aus und bemühte die winzigen Reste Englisch und Deutsch, die sie noch aus Schulzeiten kannten. Die Tatsache, dass ich das letzte Spiel von Vegalta in Kobe gesehen habe, sorgte dann endgültig zur Aufnahme in die Gemeinschaft und das Fußballspiel wurde um so lustiger. In diesem Moment verfluchte ich wirklich die Tatsache, keine FCM ? Anstecknadeln oder ähnliches zur Hand gehabt zu haben, denn ich hätte sie gut gebrauchen können. Meine Bestechungen mit Schokoladennüssen wurden mit japanischen Süßigkeiten zurückgezahlt und die kleinen Mädchen hatten besonders Gefallen an dem großen Ausländer gefunden. Die Mutigere der beiden fragte mich erst auf Japanisch und Englisch (für eine ca. Zehnjährige super beeindruckend) aus und malte später aus Langeweile ein Bild, das sie mir schenkte. Aber nicht nur die Familie versuchte alles, um mich einzubinden. Genau bei meiner Ankunft wurde gerade die Aufstellung verkündet und in Sendai wird für den koreanischen Superstar mit der 10 ein extra Tanz mit Hüpfen veranstaltet. Da ich geistig noch nicht darauf eingestellt war und etwas verdattert schaute, griff mich ein Japaner, hakte sich ein und zeigte mir, wie ich hüpfen muss. Später machte er mir auch noch die Handbewegungen für einige Schlachtrufe vor. Man merkt, ich war das Highlight in diesem Block und es war eine perfekte Möglichkeit, mein Japanisch zu polieren und mit Menschen in Kontakt zu kommen.

Aber nicht nur das Drumherum begeisterte, nein auch das Fußballspiel sah fast aus wie echter Fußball. Zu Zeiten, wo die größten der Welt und die Stadtmusikanten nur unentschieden spielen, war das eine Genugtuung. Aber erst einmal zum äußeren. Mit Jubilo Iwata hat sich das Team des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts in Sendai die Ehre gegeben. Um das Jahr zweitausend gewann Iwata so ziemlich alles, was man nur gewinnen konnte. Asienchampionsliga, Meisterschaften, Pokale – alles wurde, mit einer Mannschaft nur aus Japanern bestehend und dazu meist aus der eigenen Region, gewonnen. Das alles änderte sich um das Jahr 2003, als die Mannschaft merklich überalterte und es nicht gelang, die Positionen entsprechend gleichwertig neu zu besetzen. Mit dem gleichzeitigen Erstärken des Lokalrivalen Shimizu S Puls, der immer erfolgreicher wird und die Fans von Jubilo übernimmt, folgte der tiefe Fall Iwatas, der 2008 beinahe zum Abstieg in die J-League 2 führte. Das konnte nur dank eines Sieges in der Relegation gegen Vegalta Sendai verhindert werden. Heutzutage spricht man bei Jubilo auch gerne mal von einem schlafenden Riesen, der aber weit hinter den Erwartungen bleibt. Wo haben wir das nur schon mal gehört? Dieses Jahr lief es auch nicht besonders für den Verein und man befindet sich gerade auf dem 11. Platz der Liga. Trotzdem gelang der Mannschaft um den 35jährigen Torhüter und Kapitän der japanischen Nationalmannschaft Yoshikatsu Kawaguchi ein Achtungserfolg, indem man vor zwei Wochen den Ligapokal erringen konnte. Auf der anderen Seite bei Vegalta geht immer noch das Abstiegsgespenst rum. Die bittere und völlig verdiente Niederlage gegen Vissel Kobe letzte Woche hat wichtige Punkte gekostet. Zusätzlich erscheint das Spiel, das komplett um den nordkoreanischen Spielmacher Yong-Gi Ryang aufgebaut ist, zu langsam und uninspiriert.

Von den Problemen Vegaltas am letzten Wochenende war dieses Mal auf jeden Fall nichts zu sehen. Man begann mit einem Offensivfeuerwerk, das man gegen Vissel schmerzlich vermisst hat. Nach zwanzig Minuten konnte man sich bei Kawaguchi, der eindrucksvoll bewies, warum er Nationaltorwart ist, bedanken, dass es immer noch keine Führung für Vegalta gab. Dann geschah es endlich und der Ball gelangte ins Tor. Der Erste, der schrie, war ein komischer Ausländer. Er fing schon an Tor zu rufen, als der Ball unhaltbar aufs Tor zurollte, während der Rest im Stadion noch ungläubig die Augen rieb. Was folgte, war eine Abklatschorgie mit der gesamten Nachbarschaft, denn jeder wollte sich einmal mit mir abklatschen. Es sollte aber nicht beim 1:0 bleiben, sondern es gelang noch eine Erhöhung auf 2:0 vor der Pause, wobei sich Jubilos Abwehr nicht mit Ruhm bekleckerte und ihr Torwart einem leid tun konnte. Er war der einzige Grund, warum es noch nicht 4:0 stand. In der zweiten Halbzeit versuchte Jubilo dann mehr, gelangte aber maximal nur durch Unaufmerksamkeiten vors Tor von Sendai und vergab dann kläglich. Vegalta machte es besser und erhöhte zum 3:0 Endstand. Das Ergebnis darf aber nicht über die Schwächen des Spiels hinwegtäuschen. Es gab nur hohe Bälle auf die Stürmer und manchmal hat sich mein Gefühl verstärkt, dass Japan wirklich jeden stürmen lässt, der das Aussehen eines Tores beschreiben kann. Was die vergeben haben, war nicht mehr feierlich. Dafür pfeifen die Schiedsrichter hierzulande kaum mal etwas, was bei den Gelben-Karten-Orgien in Deutschland schon etwas seltsam anmutet. Wirklich umgeholzt wird aber sowieso kaum einmal. Lieber lässt man den Gegner flanken, als dass man eine Grätsche ansetzt. Gut, bei den Flanken der Japaner auch kein Wunder, etwas Ungefährlicheres gibt es kaum.

Zum Abschluss nahmen mir meine Nachbarn noch das Versprechen ab, nächste Woche wieder am selben Platz zu erscheinen und die Kinder machten alle mit ihren Handys Bilder von mir. Ich muss sagen, es war ein perfekter Spieltag. Obwohl Vegalta in den ersten zwanzig Minuten viel Mist baute und es gegen den Abstieg ging und Jubilo eine 3:0 Klatsche ohne große Torchancen bekam, nie wurde es unsachlich im Stadion. Die Jubilo-Fans supporteten wie die Vegalta-Fans 90 Minuten durch. Natürlich gab es auch mal Flüche, besonders von einem Deutschen, der froh war, dass keiner ihn verstand und von den Jungen hinter ihm und der Mutter mit Kind neben ihm, die ihrem Sohn einiges an bösen Wörtern beibrachte. Aber es waren eher Anfeuerungsrufe, als dass es gegen die Spieler ging. Es war ein wirkliches Familien- und Fußballfest, wo niemand der Meinung war, 90 Minuten pfeifen zu müssen, Regionen meinte verunglimpfen zu müssen oder das gesamte Personal zum Teufel schicken wollte. Halt Fußball, wie es sein muss und ich habe es genossen. Jetzt müssen sie nur noch beim Niveau des Spiels etwas zulegen und ich bin restlos glücklich.

Nach einer langen Heimfahrt hatte ich dann endlich mein Wohnheim erreicht, als Kato Anti und mich, die gerade zur Tür rein kamen, erst einmal noch zu einer Party schleifte. Dort unterhielten wir uns ein wenig. Und Yuka, eine alte Bekannte und die am besten Deutsch sprechende Japanerin die ich kenne, hat sich angekündigt, mit mir demnächst mal ein Spiel sehen zu wollen. Sie ist zwar kein Fußballfan, aber man muss ja mal sehen, was Sendai so zu bieten hat, wenn man hier schon lebt. Auch ansonsten war es eine lustige Runde und dadurch der perfekte Abschluss des Abends. Ich muss wohl den Leuten dankbar sein, die abgesagt haben (oder auch nicht), denn mit ihnen wäre das Spiel wohl nicht so lustig geworden. Dadurch, dass ich alleine unterwegs war, haben sich die Japaner viel eher bereit erklärt, sich mit mir zu beschäftigen. Ansonsten wäre ich wohl auch nicht noch zu der Party gekommen. Nächste Woche werde ich wohl wieder da sein, auch wenn leider in 5 Spieltagen die Saison schon zu Ende ist.

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