Gajin Invasion

Die Idee klang gut, früh ins Bett gehen und morgens in aller Ruhe nach Tokyo fahren. Leider kam es, wie es kommen musste und das früh ins Bett gehen wurde von meiner Seite aus unerfindlichen Gründen nicht eingehalten. Wobei, so unerfindlich waren die gar nicht. Die Verabschiedung von Carmen und die letzten organisatorischen Planungen für die Reise haben doch Priorität gehabt. So kam es, wie es kommen musste und beim Aufstehen um fünf Uhr morgens war es um meine Fitness nicht all zu weit bestellt. Egal, mit schnellen Schritten wurde der Bus erreicht und zur Abwechslung sogar mal nicht drei Minuten vor der Abfahrt. Wieso planen aber die Japaner diese Busse so bescheiden? Man sieht einen nicht japanischen Namen, wieso bekommt der dann als einziger einen Nachbarn zugeordnet? Wirklich, in jeder Reihe des Busses saß jeweils nur eine Person, nur ich hatte einen japanischen Geschäftspartner als Nachbarn. Dementsprechend litt meine Meinung über die Fahrt etwas. Auf der anderen Seite scheine ich mich mittlerweile besser an diese Bustouren zu gewöhnen. Woran ich mich dagegen nicht so schnell gewöhnen werde, ist der plötzliche Kälteeinbruch. Gestern bei Carmen ging es schon fast gar nicht mehr ohne heiße Getränke. Tokyo liegt ja nun etwas südlicher und ich hatte die leise Hoffnung, dass es besser wird, aber dem war natürlich nicht so. Man kann nur hoffen, dass meine Eltern warme Sachen dabei haben.

16 Uhr war es dann aber soweit. Ich hatte es rechtzeitig nach Narita geschafft und meine Eltern erschienen. Sie haben es wirklich irgendwie durch die Zollformalitäten geschafft und das erste Mal einen Schritt ins nicht europäische Ausland gemacht. Die Japaner ließen es sich auch nicht nehmen, ihnen einen herzlichen Empfang zu bereiten. Sie waren noch keine 5 Minuten da, schon fanden wir uns von grimmig schauenden Polizisten bedrängt, die doch mal unsere Ausweise sehen wollten. Eine ziemliche Diskriminierung, betrachtet man, dass nur klar erkennbare Ausländer kontrolliert wurden. Wenigstens wissen meine Eltern jetzt gleich mal, wie es mir immer geht. Nachdem dies überstanden war, konnte es in einem total überfüllten Zug Richtung Hotel gehen. Ich weiß ja nicht, was die Erbauer sich bei diesem gedacht haben, aber mich erinnert es irgendwie an ein Gefängnis. Nichts gegen die Räume und den Service, aber der Flur ist nur ein schmaler Streifen und in der Mitte ist eine große freie Fläche, die noch nicht einmal mit einem anständigen Dach versehen ist, dementsprechend regnete es heute da lautstark runter. Der Architekt wird aber ein guten Sümmchen dafür erhalten haben. Da der Tag aber schon ziemlich abgelaufen war, ging es nur noch zusammen zum Okonomiyaki essen. Arbeiten beim Essen ist das eine, aber dann nicht mal anständig sitzen können, da es sich um die typischen 20 cm hohen japanische Tische handelt, war eine interessante Erfahrung, auch für meine Eltern. Wenigstens haben sie drei Sachen schon mal erleben dürfen: hoffnungslos überfüllte Züge, für Europäer ungeeignete Inneneinrichtung und willkürliche Polizisten. Vor allem letztes ist aus meiner Sicht ein großes Problem. Wenn von einem alle Daten aufgenommen werden, ohne dass man irgend etwas gemacht hat, ist das schon ein komisches Gefühl. Trotzdem ist dieses Vorgehen hierzulande gegenüber Ausländern normal. Zum Glück gab es aber nicht nur diese negativen Ersteindrücke für meine Eltern, sondern auch positive, wie ein ziemlich leckeres Essen. Und morgen zeige ich ihnen dann das echte Japan.

Vegan in Japan?

Vegan in Japan, Gott Alex ist wirklich hart im Nehmen. Ich habe ja schon den Nachfolger von Moritz hier in Japan vorgestellt. Heute war ich mit ihm essen und ich kann nur noch einmal bestätigen, seine Lebensweise ist wirklich ein Kampf. Hier in Japan ist Essen alles, außer vegetarisch. Ich kann nur von Glück sprechen, dass ich kein Vegetarier aus Überzeugung, sondern wegen des Geschmacks bin, sonst hätte ich wirklich ein Problem. Die Frage ist, wieso ist es so schwer, sich vegetarisch zu ernähren? Ganz einfach, das Problem nennt sich Dashi. Dashi ist eine Fischbrühe. Wieso kann eine Fischbrühe ein Problem für Vegetarier darstellen? Ganz einfach, sie ist überall. Ein einfaches Tamago, japanisches Omelett, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Dashi versetzt. Nudeln werden so ziemlich immer mit Dashi gereicht und selbst Misosuppen, die eigentlich nur Miso beinhalten, werden vor der Zugabe des Misos oftmals noch mit Dashi versehen. Aber Dashi ist nicht das einzige Problem. Es gibt fast kein Gericht, das nicht schon einmal Fisch gesehen hat. Selbst auf normale Sobanudeln werden gerne ein paar Bonitoflocken, getrocknete Fischreste, gestreut. Man merkt also, Alex hat es schwer. Selbst an der Tohoku ist man auf Vegetarier nur suboptimal eingestellt. Zwar sind einige Speisen in der Mensa mit Zeichen versehen, wenn Fleisch oder Fisch beinhaltet ist, doch trifft das nicht auf alle Gerichte zu. Aus diesem Grund habe ich momentan auch angefangen, wenigstens ein wenig Fisch zu essen. Fleisch bleibt natürlich außen vor, aber wenigstens um Fisch komme ich nicht wirklich herum. Wobei ich sagen muss, dass gebratener Fisch überhaupt nicht mein Fall ist und ich maximal rohen Fisch auf Sushis verspeisen kann. Aber immerhin ist es ein Anfang und erleichtert die Ernährung hierzulande sehr. Trotzdem ist es irgendwie traurig. Gerade Japaner sollten das Problem des Vegetarismus kennen. Buddhisten ernähren sich auch vegetarisch und sollten so genug vegetarische Nahrung in Japan erfunden haben, nur leider merkt man davon nicht wirklich etwas. Es gibt zwar Ausnahmen, wie zum Beispiel Algendashi, nur werden diese leider kaum verwendet.

Wenn man diese ganze Problematik betrachtet und dann die Reaktionen der Japaner auf Vegetarismus betrachtet, wundert einen aber auch gar nichts mehr. Wirklich keiner kann es verstehen und kaum ein Restaurant ist in der Lage, ein vegetarisches Gericht bereitzustellen. Shimizu war sogar soweit, dass er allen im Büro vom Veganer-Dasein Alexs erzählen musste. Wie ein Mensch so überleben kann, war ihm wirklich unbegreiflich. Ansonsten habe ich heute Lehrer für meine Damen und Herren spielen dürfen. Rieko hatte in einem Film, den ich ihr gegeben habe, deutsche Schimpfwörter aufgeschnappt und ich musste ihr erklären, wann und wie sie die benutzen darf und gegenüber wem nicht. So langsam macht sie mir aber Sorgen. Sie kennt schon zu viel, wenn sie nicht aufpasst, verwendet sie sie mal gegenüber einem Lehrer und der sucht garantiert die Schuld bei mir. Trotzdem war es sehr lustig, Japaner fluchen zu hören. Das kommt schon auf Japanisch selten genug vor. Am Abend wurde dann noch Carmen von mir verabschiedet. Sie war zwar nur kurz hier, wird mir aber wirklich fehlen. Trotzdem war es ein cooler, wenn auch sehr kalter Abend, der nur viel zu kurz ausfiel, weil ich noch die Tasche für morgen packen musste. Dann geht es endlich auf, mit dem Bus nach Tokyo. Ich bin gespannt, ob es meine Eltern durch den Zoll schaffen. Die Erklärungen sind für Menschen, die kaum Englisch sprechen, schon ziemlich hart. Ich hoffe nur, Oliver hat sie ein wenig vorbereitet.

Sprachkurse

Nach den doch etwas stressigen letzten Tagen hat der Alltag Sendai wieder. Wobei, eigentlich ist Alltag das falsche Wort, da in zwei Tagen eine Fahrt nach Tokyo ansteht und meine Eltern im Land der aufgehenden Sonne aufschlagen. Bevor es aber soweit ist, gilt es noch einiges zu klären. Das Wichtigste, die Sprachkurse, waren mein heutiges Ziel. Man sollte meinen, Sprachkurse sind durchlässig. Wie sich herausstellte, ist es aber gar nicht so einfach, mit einem Sprachlevel 3 die Level 2 Kurse zu besuchen. Die 1. Person, die ich deshalb befragte, gab mir auch gleich eine klipp und klare Absage. Derartige Sprünge sind nicht vorgesehen, auch wenn man meine Beweggründe nachvollziehen könne. Es ist ja auch nicht so weit hergeholt. Meine Fähigkeiten mögen zwar für Level 3 reichen, doch fehlen mir für dieses Level noch einige Worte, die ich vermutlich im auf Level 1 aufbauenden Kurs lernen würde. Aus diesem Grund gab ich auch nicht auf und holte mein nächstes Ass aus dem Ärmel. Frau Abe, meine Lehrerin im letzten Semester, war einigermaßen überrascht mich zu sehen und dann auch noch mit einem Level 3 Zertifikat. Nach kurzer Beratung erklärte sie sich aber bereit, mich in ihren Kurs aufzunehmen. Jetzt muss ich nur noch ihre Unterschrift auf einen Zettel bekommen, den ich bei unserem Gespräch noch nicht hatte. Shimizu hat sich aber bereit erklärt, das Ganze zu besorgen, falls ich es bis zu meinem Tokyotripp nicht mehr schaffe. Es muss aber jetzt erledigt werden, da die Anmeldung nur noch bis nächste Woche läuft. Frau Abe ist aber leider immer nur einmal die Woche in der Uni, was das Auffinden und Unterschrift besorgen erschwert. Ich finde es sowieso interessant, wie das Verfahren abläuft. Anstelle von einer Internetanmeldung muss man zu seinem Betreuer rennen und von ihm eine Unterschrift zur Bestätigung des Stundenplans besorgen. Mit einem anderen Zettel rennt man zum Professor, der die Vorlesung hält und bekommt einen dritten Zettel mit Unterschrift. Mit allen Zetteln geht man dann ins Prüfungsamt und lässt sich einschreiben. Diese unnötig komplizierte Prozedur passt so gar nicht in das ansonsten doch so moderne Japan.

Nachdem dieses Problem erledigt war, schnappte mich Katoh und entführte mich erst einmal in sein Büro. Dort wartete ein Chinese darauf, endlich mal seine Deutschkenntnisse heraus zu holen. Gar nicht so einfach, einem Chinesen, der sich vor Freude in Rage gesprochen hat zu erklären, dass man keine Zeit hat und eigentlich das eigene Büro ruft. Immerhin hat er mir einen guten Einblick über die Professoren gegeben, die für meine weiteren Forschungen von Interesse sein könnten. Nachdem ich es aber endlich geschafft hatte, mich zu verabschieden und mein eigenes Büro betrat, wurde es auch nicht störungsfreier. Shimizu hatte Hausaufgaben und brauchte einen Übersetzer. Kein Problem, Tagebuch schreiben ist ja meine zweite Berufung. Zusammen entwarfen wir einen Text, der die deutsche Professorin wieder in Verzückung versetzen sollte. Es kann ja auch nicht sein, dass seine Leistungen im Vergleich zum letzten Semester abfallen, schließlich will ich Shimizu nächsten Sommer in Deutschland begrüßen können. Gleichzeitig musste ich mal wieder Aufklärungsunterricht betreiben. Shimizu hatte am Wochenende am deutschen Stand Currywurst probiert und war begeistert. An sich eine gute Sache, hätte er mal echte Currywurst gegessen. Dass die mit Bockwurst gemacht wird, war mir jedenfalls neu und das erklärte ich ihm heute auch zum wiederholten Male und belegte es auch mit Internet-Bildern. Dass die Wurst trotzdem o.k. war, bezweifle ich aber nicht. Immerhin handelte es sich um eine echte Wurst und nicht um die dünnen japanischen Wurstverschnitte. Es wird aber Zeit, dass er so etwas mal in echt in dem Land probiert, über das er studiert.

Die Ruhe nach dem Sturm

Ich lebe noch. O.k., Fleisch kann ich nicht mehr sehen, aber das konnte ich ja noch nie. Wenigstens ist das Fest überstanden und im Rückblick war es ganz lustig, auch wenn der Aufwand mit dem Nutzen in keinem Verhältnis stand. Eigentlich sollte es heute mit Olga als Ausgleich an den Strand gehen, aus mehreren Gründen mussten wir das aber leider verschieben. Kein Problem, dann geht es halt ins Büro. Dort erlebte ich eine große Überraschung. Die Resultate des Placement-Tests für die japanische Sprache waren da. Ich sollte wirklich Lotto spielen. Ich habe es irgendwie geschafft, das zweite Level zu überspringen und bin in Grammatik 3 von 5 gelandet. Das entspricht dem Level einiger unserer besten japanisch Sprecher. Ob ich den Kurs mache oder doch lieber Level zwei in Anspruch nehme, muss ich mal entscheiden. Beides hat Vorteile. Bei Japanisch 3 lerne ich mehr und bei 2 gehe ich systematischer vor. Dafür, dass ich Olga nicht gleich treffen konnte, überraschte mich Rieko. Sie war am Wochenende in Tokyo und brachte Omiyage mit. Zwei Baumkuchen fürs Büro, einer persönlich für mich. Zusammen mit David und Olga genoss ich ihn.

Abends gelang es uns dann aber doch noch, ein Treffen zu organisieren. Zusammen stellten wir Sushi her. Endlich mal wieder selbstgemachtes Sushi. Die Reiskocher hierzulande sind einfach genial. Ohne echten Sushireis war der Reis perfekt und gleichzeitig auch noch glänzend. Das ist ein Zustand, der mir in Deutschland kaum gelingt. Nur an den Zutaten musste ich etwas variieren. Die Hälfte der Zutaten, die ich in Deutschland verwende, konnte ich einfach nicht finden. Die Gemüseauswahl ist wirklich bescheiden. Wenigstens hat es meinem Gast geschmeckt. Abends ging es dann noch in einer großen Gruppe zum MafuMafu, was einfach geschlossen hatte. Dafür gibt es noch eine Beschwerde bei Thomas. Dafür ging es in eine andere Bar, wo es doch noch sehr lustig wurde. Vor allem Shimizu war dabei, ein sehr freudiger Umstand. Besonders mit ihm und Tetsu hatte ich sehr nette Gespräche, wobei Yukka die beiden im Bereich Deutsch locker in die Tasche gesteckt hat. Da beide aber meiner persönlichen Einladung folgten, kümmerte ich mich besonders um sie. Auf dem Rückweg verloren wir dann Orsolya und Shimizu aus den Augen, so hatten Alex und ich wenigstens ein wenig Zeit, um uns auszutauschen. Ich glaube, er hat jetzt einen sehr guten Eindruck von Sendai und es macht sehr viel Spaß, sich mit ihm zu unterhalten.

Bist du wirklich Ungar?

Acht Uhr, etwas klingelt. Habe ich mal wieder vergessen, den Wecker auszuschalten? Nein, und sowieso, es ist Sonntag, warum sollte mich jemand aus meinen drei Stunden Schlaf reißen wollen? Egal, es hört nicht auf, also greife ich das Telefon und schnelle hoch. David ist dran. Er hatte sich als Freiwilliger für das Festival heute gemeldet und musste deshalb schon um 8 Uhr bei den Vorbereitungen helfen. Jemand muss sich um unsere Bude kümmern und Orsolya geht nichts ans Telefon, also bin ich der nächste Verdächtige. Klasse, so viel zum Thema ein wenig Schlafen. Also in die Sachen und raus in die Schlacht. Schnell Katoh noch in die Sache einspannen und los können die Kochvorbereitungen gehen. Im Gegensatz zu anderen Ständen stehen uns nur zwei Tische zur Verfügung, da wurde wohl vorher etwas geschlampt, aber egal. Da David noch eingespannt ist und Katoh den Tisch bewachen muss, mache ich mich daran, die vierzig Liter Töpfe runter zu hieven. Dankbarerweise bekommt ein Japaner Mitleid mit mir und macht sich ans Mittragen. Alleine waren beide ohne zu schwappen schon ziemlich schwer zu tragen. Kaum sind die Töpfe unten und die beiden Gasherdplatten angeschlossen, erscheint auch der Boss in Form von Orsolya und auch die anderen Helfer tauchen auf. Ein Tisch wird zur Seite genommen und zum gesonderten Ungarntisch dekoriert. Mit Ländern wie Jamaika oder der Mongolei können wir zwar nicht konkurrieren, aber immerhin haben wir etwas zu bieten. Nur dass wir es nicht schafften, einfach zwei Schilder mit der Aufschrift Gulasch und Gulasch vegetarisch aufzuhängen, sollte sich später arg rächen. Andere Länder waren uns aber weit voraus. Musik, Trachten, kostenlose Henna-Malerei und bei einem Stand sogar ein volkstümliches Zelt, damit kann man wahrlich nicht konkurrieren. Für uns stellte das aber auch kein Hindernis dar, schließlich haben wir etwas anderes zu bieten, gutes Essen.

Schade eigentlich, dass das Essen aber eigentlich genau am japanischen Festivalgeschmack vorbei ging. Japaner nehmen ihr Essen gerne mit und entscheiden sich später, wo sie es essen wollen. Das ist bei Suppe natürlich etwas schwerer und sollte sich negativ auf die Verkaufszahlen auswirken. Endlich konnte aber das Fest anfangen. Die Damen versuchten sich als Verkäuferinnen und Laura, David und ich stellten die zweite Portion Gulasch fertig. Dazu galt es, Pasta herzustellen. Der Teig war fertig, um aber kleine Kugeln herzustellen, wurde viel Zeit gebraucht, gleichzeitig lief der Verkauf schleppend an. Die angesprochenen Probleme wie uninteressanter Stand, Suppe und mangelnde Werbung rächten sich genauso wie die rote Farbe der Suppe, da alle Angst hatten, die Suppe könnte scharf sein. Das Ganze änderte sich erst langsam, als Laura und ich die Ausschenkaktionen übernahmen. Ein 1.94 m großer Deutscher mit langen blonden Haaren erregt schon einmal von Natur aus Aufmerksamkeit. Gleichzeitig erinnerte ich mich an einige Tipps von Thomas. Wenn man die Leute grüßt, die kurz einen mustern, kommen viele zurück, um einfach kurz zu sehen, wer der komische Typ war und was er anzubieten hat. Endlich konnten wir unsere Stärke ausspielen und präsentierten die Inhalte. Eine Japanerin aus unserer Gruppe übersetzte während dessen für uns. Wenn mein Japanisch nur noch etwas besser wäre, ich hätte noch viel mehr Kunden gewinnen können, aber das reglementierte leider meine Erfolge.

Laura und ich hielten so aber als einzige die gesamte Zeit am Stand aus. Während die anderen andauernd das Weite suchten und die Konkurrenz beehrten, verteidigten wir die Ehre Ungarns und mussten regelmäßig erklären, dass wir keinen Plan haben, da wir keine Ungarn sind. Richtig erfolgreich wurde das Geschäft aber erst durch unsere Geheimwaffe, Alex. Dieser ist gerade aus Karlsruhe angekommen und der Nachfolger von Moritz. Als Veganer war er erster Tester unserer vegetarischen Gulaschsuppe und machte andere Kunden darauf aufmerksam. Endlich gewannen wir auch die Vegetarier durch Mundpropaganda als Kunden hinzu. Leider aber zu spät, da viele schon alle ihre Essensgutscheine vergeben hatten und die meisten nur drei zur Verfügung hatten. Gleichzeitig sorgte ein zweiter Deutscher, dazu noch mit Dreadlocks und blondem Haar, natürlich für die Aufmerksamkeit der Japaner. Endlich rollte der Rubel. Alex erklärte sich gegen Gulasch auch zum Helfen bereit und zu dritt schmissen wir den Laden.

Genau in diesem Zustand, wir drei in Aktion, die anderen mal wieder auf Reisen, ebbte gerade das Geschäft etwas ab und ich machte mit einer anderen Aktion auf uns aufmerksam. Ein Kunde wollte die vegetarische Suppe und ich reichte ihm seine Portion. Mangels Tisch kam ich so nahe an den Gulaschtopf mit Fleisch heran. Ich konnte aber nicht weg, da ich noch Fragen beantworten musste, als Alex gerade meinte, ich würde brennen. Ich wusste gar nicht, was gerade los ist, bis ich auf einmal Flammen an meinem Körper sah. Alle Anwesenden waren in einem Schockzustand und konnten mir nicht helfen, während ich verzweifelt die Flamme ausschlug. Zum Glück war das Hemd lang und die Jeans ziemlich robust, so dass ich mich nicht noch selber verbrannte. Wie es passiert ist, weiß ich zwar nicht, aber es ist ein riesiger Schock gewesen. Rückblickend tut es mir unendlich um das Hemd leid, wobei ich eindeutig eine Chance vertan habe. Ein Spruch hätte die Situation wenigstens souveräner über die Runden gebracht. Zum Beispiel hätte ich in Ermangelung anderer Damen in der Nähe, Laura mit brennendem Hemd erklären können, ich wäre halt Feuer und Flamme für sie. Das hätte sie wenigstens so geschockt, dass ich von ihrem bissigen Spott im Anschluss verschont geblieben wäre. Immerhin nach der Pyroshow war das Interesse an unserem Stand auf einmal wieder voll da und wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Wenigstens kann ich jetzt behaupten, ich habe alles fürs Team gegeben und dass wir nicht beim Burning Man Festival waren, hätte man mir auch mal eher sagen können.

In der zweiten Hälfte kam dann auch noch Shimizu, blieb und half mir als Übersetzer aus. Wir schafften es irgendwie, zwei 40 Liter Töpfe Gulasch zu veräußern und einen zehn Liter Topf vegetarisches Gulasch. Insgesamt haben wir am Ende nur eventuell zehn Ladungen Gulasch umsonst an Helfer und Freunde verteilt, um den Rest loszuwerden. Wie viel insgesamt dabei über den Ladentisch ging, müssen aber erst einmal die Auszählungen die nächsten Tage ergeben. Ich bleibe aber der festen Überzeugung, ohne Shimizus und Alexs Hilfe wäre das Ganze doch um einiges schwerer geworden, danke für den Einsatz. Ärgerlicher war eventuell noch der Faktor, dass kurz vor Ende an dem einen Gulasch etwas Salz fehlte, sich aber niemand fand, der schnell neues besorgen wollte und ich nicht weg konnte. Deshalb mussten wir das Gulasch mit dem vegetarischen mixen, um einen halbwegs vernünftigen Geschmack zu erreichen, aber diese Krise haben wir auch souverän gelöst. Der Verkauf an sich war auf jeden Fall ein großer Spaß und die Kunden waren auch von unseren Bemühungen sehr angetan. Natürlich haben die anderen auch einiges getan, besonders David. Beim Verkauf haben sich aber wirklich Laura, Alex und Shimizu hervorgetan, während Orsolya mit der Zeit eigentlich als Hauptaufgabe das Vorstellen des Landes übernahm und da wohl auch sehr erfolgreich mit war. Die Hauptfrage war aber immer, ob Alex und ich Ungarn wären und beim Verneinen, warum wir denn dann beim ungarischen Stand helfen. Auf Fotos sind wir deshalb aber auf jeden Fall oft genug drauf. Aber eigentlich bleibt nur, allen Helfern einen großen Dank zu sagen. Aus dem, was wir hatten, haben wir viel gemacht.

16 Uhr war es dann endlich überstanden. Mit Alex ging es dann erst einmal vegan einkaufen in Sendai. Eine Herausforderung in Japan, wie man sich vorstellen kann. So habe ich noch nie die Lebensmittel untersucht. Vermutlich sollte man die ganzen Beschreibungen auch nicht so genau lesen. Nach dem Einkauf erreichten wir das Wohnheim dann auch rechtzeitig zum Tanzfestival. Die Musik war zwar gar nicht mein Geschmack, aber die Anwesenden gingen sehr eifrig zur Sache. Katoh spielte während dessen Pförtner und verwickelte alle Ankommenden in Gespräche, um sein Englisch aufzubessern und die meisten meiner Freunde erschienen gar nicht zum Tanzfest. Für mich selber lohnte sich das Treffen eigentlich besonders aus einem Grund. Bei Yuris Abschiedsfeier vor einigen Monaten war noch eine zweite Musikerin, mit der Frau Omori Andre und mich verkuppeln wollte. Heute stand Frau Omori auf einmal mit selbiger vor mir und meinte, kümmere dich um sie und passe auf sie auf. Zum Glück sah die junge Dame das Ganze komplett anders und eroberte alleine die Tanzfläche. Trotzdem ergab sich daraus aber eine interessante Konversation.

Insgesamt war der Tag ein voller Erfolg, auch wenn ich heute Abend wohl einfach nur tot ins Bett fallen werde. Beim nächsten Mal sollten wir das Ganze aber besser planen und was mit den schon geschnittenen Zutaten des dritten Gulasch wird, bin ich auch mal gespannt. Bis jetzt hat Orsolya sich noch nicht gemeldet und es steht draußen auf dem Balkon zum Abholen bereit. Im Kühlschrank ist nicht genug Platz, zum wegschmeißen wäre es aber eindeutig zu schade. Als Nebenbemerkung tat mir übrigens David als offizieller Freiwilliger leid, wurde er doch in ein knall pinkes T-Shirt gesteckt, wobei, das hätte ich lieber als mein Hemd angefackelt.

Küchenritter

Wo ist das japanische Rangsystem, wenn man es wirklich mal braucht? Fünf Kilo Fleisch, mir hätte ja gleich klar sein können, dass das eine Heidenarbeit wird. Genau so sah es aus, aber vorher stand erst einmal ein anderer Tagungspunkt an. Natürlich fehlte uns noch einiges an Gemüse und Töpfe, um Gulasch für 160 Personen herzustellen, hatten wir überraschenderweise auch keine zur Verfügung. Also erst mal die wichtigen Dinge lösen. Einen kleinen Topf konnte ich schon mal den Veranstaltern aus den Rippen leiern. Diese waren zwar nicht glücklich, dass Orsolya keinen Topf bestellt hat, aber jetzt einen wollte. Ich war aber unschuldig, also wurde mir als unbeteiligtes Exekutivorgan schnell ein Topf besorgt. Ein Topf mit vielleicht 10 Litern Fassungsvermögen reicht aber nie und nimmer aus, dementsprechend ging es in die Innenstadt. In einer abenteuerlichen Fahrt, in dem ein Transporter einfach mal probieren wollte, ob ich gegen einen Bodycheck gefeit bin, erreichte ich mit leichtem Schock den Markt, wo erst einmal 6 Kilo Kartoffeln und einiges an Gemüse nachgekauft wurde. Im Anschluss ging es ins Mafumafu. Thomas hatte uns Töpfe in Aussicht gestellt. Natürlich war er nicht da, aber Yosuke. Der wusste zwar nichts davon, aber Stammkunden hilft man ja gerne. Kurze Zeit später standen wir mit zwei vierzig Liter Töpfen und der großen Frage da, wie transportieren? Da Orsolya noch einen Nebenjob erreichten musste, wurde ein Topf kurzerhand über meinen Sattel gestülpt, der zweite irgendwie am Lenker befestigt und der Deckel wie ein Schild getragen. Diese Ausrüstung ließ mich zwar wie ein Küchenritter aussehen und erweckte verstärkt die Aufmerksamkeit der Polizei, trotzdem schaffte ich es so zu Fuß sicher nach Hause.

Dort waren schon Laura, David, Kanajo und Victoria, eine neue Amerikanerin, voll von Orsolya eingespannt und schnitten die Zutaten. Orsolya erwartete mich auch schon sehnsüchtig, übergab mir das Fleischmesser und die Verantwortung und verschwand zu ihrem Job. Da stand ich nun und durfte die Arbeiten koordinieren und gleich auch noch fünf Kilo Fleisch schneiden. Mein Vegetarierdasein erwähnte ich schon? Egal, irgendwie habe ich jetzt Lust auf Horror- oder Splasherfilme mit viel Blut. Weshalb nur? Das Schneiden entwickelte sich zum Mammutprojekt und wir benötigten mehr als zwei Stunden, bis es endlich ruhiger wurde und Orsolya gleichzeitig wieder kam. Endlich konnte das Kochen losgehen und wir mussten nur noch die letzten Schneidearbeiten fertig bekommen. Gleichzeitig hatte der Boss auch noch ein wenig Brot zum Essen mitgebracht. „Orsolyas Kochsklaven“ konnten wirklich Pause machen. Moment, wer hatte da beim letzten Gulaschtestkochen auf die Frage, „Wer kann Pasta selber herstellen?“ wieder mal sein Maul nicht halten können? Anstelle einer wohlverdienten Pause stand ich auf einmal da und stellte Pasta selber her. Ich muss echt lernen, mein vorschnelles Mundwerk besser zu kontrollieren! Danach gab es aber wirklich endlich die verdiente Pause und im Anschluss wurden zwei Ladungen Gulasch und sogar eine kleine Ladung Vegetarisches für die religiösen Gäste (und mich) hergestellt. Morgen müssen wir dann nur noch einen dritten Topf zubereiten, dafür fehlte heute aber vollkommen der Stauraum. Leider verabschiedeten sich alle Helfer nun auch mit der Zeit und auf einmal standen Orsolya und ich alleine für den Rest in der Küche. Noch einmal hieß es, Kartoffeln schnippeln und andere Zutaten vorzubereiten, die wir vorher nicht genug zurecht geschnitten hatten. Wieso wurde auch aus unerfindlichen Gründen meine Küche für die Kochaktion ausgesucht? Aber ich mache es ja gerne und so standen wir noch bis um zwei in der Küche und bereiteten den zweiten Topf zu. Die Nudeln waren nebenbei unsere schlechteste Idee. Das Zerkleinern und in die Gulaschsuppe schmeißen dauert eindeutig am längsten. Morgen dürfen das die anderen Herrschaften machen, die heute rechtzeitig die Flucht ergriffen haben. Wie heißt es so schön: Erst die Arbeit und dann das Vergnügen. Ich hoffe wirklich, an dem Spruch ist etwas dran, weil noch so einen Tag mit über 12 Stunden Kücheneinsatz überlebe ich nicht. Gleichzeitig hoffe ich, dass das Gulasch essbar ist, auch wenn wir immer behaupten werden, es muss so sein. Egal, lassen wir uns überraschen und auf in die große Verkaufsschlacht! Hoffentlich reicht das Zubereitete für 160 Portionen.

Feierfreitag

Es lebe das japanische Rangsystem! Heute stand ein Imoni-Kai mit dem Büro an. An sich ist das nichts besonderes. Die Studenten und einige Professoren gehen zum Fluss und essen gemeinsam selbst gemachte Suppe. Diese Tradition ist komplett auf Miyagi beschränkt und hierzulande der normale Weg, ein Wintersemester anzufangen. Genau an diesem Punkt springt aber das japanische Rangsystem ein. Erstsemester haben in Japan nicht wirklich ein Büro, sondern sind in der Lage, sich alle Teile der Philosophischen Fakultät anzuschauen und ihre Studienwünsche im zweiten Semester zu vertiefen. Genau um diese Zweitsemester geht es mir. Normalerweise würde man davon ausgehen, dass das Büro froh ist, das sich Zweitsemester für das Büro entschieden haben. Man denke nur an die UFG in Göttingen und wie verzweifelt sie versuchen, überhaupt Studenten anzulocken, in Japan sieht das Bild aber anders aus. Für die Organisation und vor allem das Kochen wurden die Zweitsemester verpflichtet. Sie stehen im Rangsystem ganz unten und müssen sich im Büro ihre Rolle erst einmal verdienen, dementsprechend sind sie traditionell für die Veranstaltung dieses Imoni-Kai verantwortlich. So geschah es auch heute. Normalerweise ist das auch der Grund, warum, laut Aussagen der deutschen Professorin, die letzten Imoni-Kais nicht so berauschend waren. Immer ging irgend etwas schief und die nächsten Zweitsemester wussten es dann auch nicht besser. Dieses Mal galt es, das zu verhindern und wir höheren Studenten sind eh zu hilfsbereit. Sofort übernahmen wir, angeführt von (wie sollte es auch anders sein) Shimizu, die Töpfe und halfen bei der Zubereitung aus. Unsere Hilfe überraschte zwar die Professoren, aber ihnen war dies lieber, als das es wie die letzten Jahre schief geht. Insgesamt war es aber ein sehr lustiger Tag. Wir trafen uns alle am Fluss, stellten zwei Lagerfeuer her und es wurde ein Nabe-Eintopf nach Sendaier und nach Yamagata-Art gemacht. Inhaltlich beschränkt sich der Unterschied der beiden Sorten auf die Suppenart. In Sendai verwendet man als Grundlage Miso, während in Yamagata eine Sojasoßensuppe hergestellt wird. Für den Geschmack war unser oberster Boss zuständig. Professor Morimoto ging von Suppe zu Suppe und ließ sich Proben geben, um dann zu entscheiden, welche Zutaten noch fehlen. An dem eigentlichen Kochvorgang dagegen waren wir alle beteiligt. Keiner wollte sich sagen lassen, dass wir ein paar Zweitsemester bei so etwas alleine gelassen haben, wobei wir noch zwei Studenten abstellten, die sich um die 3-jährige Tochter eines Professors kümmerten. Es wurde ein sehr lustiger Tag mit vielen Gesprächen und die Suppen schmeckten auch noch gut, was will man mehr? Anschließend ging es noch ins Büro, wo noch einmal die heimlichen Alkoholreserven der Studenten ans Tageslicht kamen. Aber zu dem Zeitpunkt musste ich mich dann doch verabschieden, für morgen musste schließlich das Fleisch noch besorgt werden.

5 Kilo Fleisch sollten es für das Gulasch am Sonntag sein und da ich beim Gemüseeinkauf wegen des Imoni-Kais schon nicht dabei sein konnte, stand ich auf einmal beim Fleischer mit in vorderster Front. Nur für alle, die es nicht glauben, wie teuer Sendai und Japan sein kann: Für die 5 Kilo bezahlten wir locker erst einmal knapp 230 Euro und dabei hatten wir schon einige Rabatte. Wir hätten das Ganze eventuell noch zwanzig Euro billiger im Supermarkt kaufen können, das Fleisch hätte darunter aber stark gelitten. Der Händler war aber auch wirklich gut. Das Fleisch ist top, soweit ich das als Vegetarier beurteilen kann und zu dem schon gegebenen Rabatt von einem Euro auf alle 100 Gramm hat er uns noch einmal 5 Euro erlassen, weil wir das Kleingeld nicht schnell genug auf den Tisch gelegt haben. Morgen geht es dann mit dem großen Kochen los. Vorher musste aber mal wieder gefeiert werden, hatte ich ja heute noch nicht. In meiner Wohneinheit stand eine Semesteranfangsfeier an.

Mit Nobu und Abe ging es zum Einkaufen und insgesamt beehrten uns zwölf Leute. Unter anderem wurde Orsolya noch eingeladen und einige Koreaner. Diesen Koreanern war auch der Großteil der Unterhaltung des Abends zu verdanken. Kim, mein koreanischer Mitbewohner, hat sich in den letzten Tagen als Playboy und wie die Japaner sagen, Hentai (Perverser) herausgestellt. Also rechtfertigte er seine Liebesgeschichten und gab seine besten Aufreißtricks zum Besten. Zwar auf Japanisch, aber man verstand genug, es war zum brüllen. Manchmal hatte man das Gefühl, an ihm wäre ein Stand-Up-Comedian verloren gegangen. Einziger Wermutstropfen war eigentlich, dass am Dienstag überraschend einer unserer Mitbewohner ausgezogen ist, weil er familiäre Probleme hatte, ansonsten war der Abend genial. Es wurde viel gelacht, getrunken und Süßkram verdrückt. Wir sollten eindeutig mehr zusammen feiern. Gleichzeitig war es ein gutes Zeichen, wie viel ich doch von den Konversationen auf Japanisch verstand. Wenn jetzt noch das Sprechen besser wird, wäre ich auf einem wirklich guten Weg.

Das Gajin-Ungeheuer

Endlich schaffen wir es, das Weltbild der Japaner über Deutsche zu erschüttern! Heute habe ich das erste Mal den neuen Vertreter Göttingens und den Nachfolger von Moritz aus Karlsruhe kennengelernt. Zusammen zogen wir los und einige Kollegen sahen uns. Die erste, natürlich absolut berechtigte Frage lautete, haben alle Deutschen lange Haare? Nur weil der Karlsruher Alex Dreadlocks hat und mein Nachfolger ebenso lange Haare hat wie ich. Offensichtlich waren wir auf jeden Fall etwas auffälliger. Interessanterweise entsprechen wir damit eigentlich eher dem japanischen Bild des Bösewichtes. Helden haben nur im Ausnahmefall lange Haare, deren Farbe dann aber auch immer schwarz ist. Die Bösewichte besonders haben dagegen in 90 Prozent der Fälle lange blonde oder teilweise auch schwarze Haare. Dabei ist das ziemlich unrealistisch. Japaner haben zwar längeres Haar als die Durchschnittsdeutschen, aber meist doch nur schulterlang. Aus diesem Grund fiel unsere Dreiergruppe auch so ins Auge.

Wobei, die anderen benötige ich zum auffällig sein gar nicht. Nach einem Japanisch-Test und einigen Stunden in der Uni ging es für mich mit dem Rad etwas hinaus zum Stressabbau. Im Endeffekt landete ich im Norden der Stadt und wenn ich schon mal da bin, kann man ja den Tageseinkauf gleich erledigen. Also ging es in einen Supermarkt, wo gerade besonders gehäuft Mütter mit Kindern ihr Unwesen trieben. Etwas schlimmeres als ich hätte ihnen nicht passieren können, fast alle Kinder starten mich erst mal mit groß aufgerissenen Augen an. Besonderen Gefallen hatte ein kleines Mädchen genommen, das einfach still stand und sich nicht bewegte. Die Mutter hatte offensichtlich Angst davor, dass ich die Fähigkeiten einer Basilisk hätte und auf den ersten Blick versteinern könnte. Dementsprechend kam sie auf ihr Kind zugerannt, hob es hoch und drehte es schnell weg von dem im Gang stehenden Ungeheuer. Man merkte wieder, dass Japaner gerne Personen anstarren. Soweit es aber zu offensichtlich und auffällig ist, ist es ihnen doch peinlich.

Egal, kleine Rückschläge treffen mich nicht und es ist eh ein Abendessen mit Olga angesetzt. Also ging es mit dem Rad zurück und das Kochen konnte beginnen, fast jedenfalls. Meine Küche war von einer koreanischen Party besetzt, nicht gut fürs Kochen. Besonders seltsam mutete es an, als ich die Küche betrat. Vier Damenaugenpaare starten mich an, was ich denn bitte in der Küche mache. Hätten nicht meine Sachen im Schrank gestanden, ich hätte wirklich an der Etage gezweifelt. Unter solchen Umständen kann ich nicht kochen, also ging es zu Olga. Keine gute Idee. Gerade hatte ich den Gedanken an das Ungeheuerdasein erfolgreich verdrängt, schon erinnerten mich Olgas Mitbewohner unsanft daran. Wie kann es sein, dass alle Mitbewohner nach meinem Erscheinen die Küche verlassen? Nur um eine Minute nach meinem Verlassen erschienen sie wieder, als ob nichts geschehen ist. Da lobe ich mir Nobu und die anderen, das sind wenigstens richtige Mitbewohner. Bis auf eventuell Kim, wobei ich dem einfach nur nicht den heutigen Abend vergesse. Erst wurde ich dreißig Minuten von einer Koreanerin interviewt, ohne das Interviewthema zu kennen. Dann versuchte er, mich doch wahrhaftig mit einer von zwei Japanerinnen oder einer von zwei Koreanerinnen zu verkuppeln. Nett gemeint, aber doch nicht ganz mein Vorgehen. Mit der Zeit wurde es mir zu viel und ich floh erfolgreich aus der Wohnung. Etwas Ruhe schadet auch manchmal nicht, trotzdem war es eine sehr lustige Feier der Koreaner, auch wenn fast alle Anwesenden schon ziemlich angeheitert waren. Auf jeden Fall war es lustig die Koreaner zu belauschten, weil sie nicht dachten, ich könne sie wahrhaftig verstehen. Man erfährt einiges über sich. Ich kann es allen Reisenden nur ans Herz legen, belauscht einfach mal Japaner, es lohnt sich.

Neues aus dem japanischen Hörsaal

Unter Studenten entwickeln sich immer gewisse Legenden – Geschichten, die von Student zu Student weitergereicht werden und von fast von allen gekannt werden. Eine dieser Legenden dürfte die Explosion in der UFG Göttingen sein. Ein Professor verliert den Kopf und faltet seinen Studenten vor der gesamten Studentenschaft zusammen. Aber nicht nur in der UFG sind solche Fälle bekannt, auch in der Geschichte. Besonders bei gewissen Mittelalterprofessoren kam es schon vor, dass nach einem besonders schlechten Referat ein Professor den Kopf verlor und den selbigen des referierenden Studenten wusch. In Deutschland stellt dies einen normalen Vorgang dar, der schon einmal bei gewissen Professorentypen geschehen kann. In Japan sieht die Welt schon ganz anders aus. Eine meiner Professorinnen versuchte heute zum wiederholten Male, mich für die Teilnahme an dem institutsinternen Literatenzirkel zu gewinnen. An sich bin ich ja immer dafür, mich bei allen Sachen zu zeigen. Aber ein Literatentreff? So verzweifelt bin ich dann doch nicht. Noch bin ich Historiker und nicht unter die Germanisten gegangen und ob ich mich mehrere Stunden über Kafka und Thomas Mann unterhalten möchte, wage ich dann doch einmal zu bezweifeln. Unter diesen Literaten befindet sich nun aber ein besonderer Fall. Ein mittlerweile 90-jähriger ehemaliger Professor, der eigentlich nur noch für diese Treffen die Uni betritt. Ihn zeichnet eine besondere Gabe aus, die besonders meine deutsche Professorin anspricht, er darf offen kritisieren. Richtig gelesen, kritisieren ist an einer japanischen Uni von Professorenseite nicht gerne gesehen und wird nur in den schlimmsten Fällen angewandt. Dementsprechend werden sogar bei Referaten nur die guten Stellen herausgestellt und die schlechten positiv umschrieben. Wie dadurch ein Lerneffekt auftreten soll, kann ich zwar nicht wirklich sagen, aber die Japaner werden schon ihre Gründe haben. Natürlich soll Kritik nicht in Geschrei enden, wie es in oben genannten Göttinger Beispielen schon einmal vorkommen konnte. Aber konstruktive Kritik muss erlaubt sein. Wie will man sonst aus Fehlern lernen? Besagter Professor hat aber seit seiner Niederlegung des Lehrstuhls seine europäische Ader entdeckt und kritisiert nun offen, wobei er mittlerweile schon ruhiger geworden sein soll. Trotzdem war das Bild göttlich, wie er das Büro betrat und erst einmal zwei Kommilitonen eine Predigt hielt, warum sie Mangas lesen und nicht sinnvolleren Beschäftigungen nachgehen. So stramm sitzen habe ich die Kollegen noch nie gesehen! Sein Auftreten und seine ganz Art hätten mich aber auch in Alarmbereitschaft versetzt, hätte er sich für den Ausländer in der Ecke überhaupt interessiert. Ich kann mir aber danach bildlich vorstellen, wieso es meiner Professorin so einen Spaß macht, diesen Mann durch die Uni zu führen und auch in die Seminare mit hinein nehmen zu müssen. Trotzdem verstehe ich einfach nicht, wie diese Lernmethode Erfolg haben soll, auch wenn man nach Lob natürlich motiviert ist. So ganz passt es auch nicht in mein Bild des japanischen Unterrichtes. Alle Seminare, die ich bisher gesehen habe, entsprachen eher der Methode: der Professor erzählt und und die Studenten haben anerkennend mit dem Kopf zu nicken. Das Bildnis des nicht kritisierenden Professors passt da wahrlich nicht dazu. Auf der anderen Seite ergibt es schon Sinn. Betrachtet man das japanische Ehrsystem, so verliert man bei zu viel Kritik schnell sein Gesicht und auf der anderen Seite wird die Universität hierzulande eher als Dienstleister gesehen. Kein Wunder bei rund 5.000 Euro Studiengebühren pro Semester, da sollte man den Studenten nicht zu sehr drangsalieren, schließlich braucht man ihn ja noch! Man möchte ja nicht, dass seine Endbewertung des Kurses vernichtend ausfällt und man sich vor den anderen Professoren rechtfertigen muss. Ob dieses System nun sinnvoll ist oder nicht, muss jeder für sich selber entscheiden. Der Ansatz ist auf jeden Fall interessant und mich würden einmal Vergleichsstudien interessieren, ob das europäische oder das japanische System zu mehr Erfolg führt.

Natürlich nicht negativ aufgefallen ist Shimizu. imgp2670s O.k., er hat auch verdächtige Sachen schnell genug unter dem Tisch verschwinden lassen, aber das ist ja nur ein Nebeneffekt. Er stöhnte dafür über die Leseaufgaben. Für einen seiner Kurse muss er nachweisen, dass er 10.000 Worte in der Woche gelesen hat. Wie groß aber die Motivation ist, Bücher der Marke „Mein erster Schultag“ zu lesen, sei mal dahin gestellt. Viel interessanter war aber die Neuigkeit, dass unser Büro am Freitag zusammen ein Imoni-Kai veranstaltet. Endlich wird mal wieder etwas zusammen unternommen und ich sehe auch mal wieder die Leute, die es nie ins Büro schaffen. Kaori, meine Tutorin, habe ich zum Beispiel schon seit fast einem Monat nicht mehr gesehen. Zum Glück übernehmen Shimizu und Rieko mittlerweile ihre Aufgaben freiwillig mit!

Katzenmusik? Vom Deutschen in der japanischen Sprache.

Wer kennt es nicht, alles in Deutschland wird mit Kanji – japanischen Schriftzeichen – gestaltet. Egal ob T-Shirts, Zeitungen oder auch Körper, überall findet man sie neuerdings. Nicht anders sieht das Bild in Japan aus. T-Shirts mit deutscher Aufschrift oder Taschen, Läden oder teilweise auch Filme, Deutsch ist eine beliebte Sprache hierzulande. Problematisch wird dieser Zustand aber erst, wenn man nicht weiß, was man eigentlich schreibt. Aus dem Grund sollte man in Deutschland nicht unbedingt einem Tattoostudio vertrauen, wenn man irgendwelche Schriftzeichen auf dem Körper haben möchte. Wenn es schon sein muss, sollte man doch wenigstens mit dem Wörterbuch oder besser noch mit einem Sprachkundigen die Umgestaltung vornehmen, sonst hat man schnell mal eine Beleidigung auf dem Körper zu stehen. Vor dem gleichen Problem stellte mich heute Shimizu. In letzter Zeit hat er es sich zur Aufgabe gemacht, mich über einige deutsche Wörter und ihre Bedeutung auszufragen. Wieso Spiegelei nun Spiegelei heißt und warum Meerschweine, in Japan nebenbei der Name für Delphine, nicht im Meer leben, einige seiner Fragen sind ziemlich kniffelig zu beantworten. Seine heutige Frage betraf einen speziellen Fall. Bekannterweise ist Shimizu Hobbymusiker und in meinen Augen ein ziemlich guter noch dazu. Aus diesem Grund steht er aber mit den Mitgliedern des örtlichen Musikclubs etwas im Clinch, deren Musik er teilweise ziemlich grenzwertig findet. Gleichzeitig tritt der Musikclub aber ziemlich arrogant auf und versucht alle Hobbymusiker, die nicht Teil des Clubs sind, etwas in ihren Freiheiten einzuschränken. So wurde wohl auch bei öffentlichen Musikausschreibungen der Uni versucht, die Teilnahme von Nicht-Clubmitgliedern zu beschränken. Egal, diese Streitigkeiten betreffen mich zum Glück nicht und ich kenne nur die Geschichte von einer Seite, was nie ausreichen kann. Der Club hat aber auch ein Clubmagazin, das sogenannte K-Musik oder Katzenmusik. Wie sie auf den Namen gekommen sind, konnte mir Shimizu nicht berichten, aber interessant ist die Auswahl des Namens schon. Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ihnen klar ist, womit sie eine Zeitung über ihre eigene Musik betiteln. Gut, eine ironische Bedeutung ist schon möglich, den einfachen Mitgliedern ist die Bedeutung aber gar nicht klar. Um so größer war die Schadenfreude von Shimizu, als ich ihm erklärte, dass es sich bei Katzenmusik um besonders unmelodische Musik handelt, die früher zum Maßregeln von Personen genutzt wurde, durch besonders obszöne Spottgesänge und lärmen. Seiner Meinung nach trifft das ziemlich gut auf Teile der Musik des Clubs zu. In diesem Fall ist das Ganze aber wenigstens noch verwendbar und hat etwas mit dem Laden zu tun. Wenn dann aber zum Beispiel auf einem T-Shirt Möbel-Nordüropäisch, gefolgt von Möbelsorten steht, fragt man sich schon, was der Träger damit aussagen will. Ein Grund mehr mir keine T-Shirts mit Aufschriften zu kaufen, die ich nicht lesen kann.

Ansonsten habe ich heute die offizielle Erlaubnis bekommen, meinen Kollegen etwas über Musik beizubringen. Vor mehreren Wochen hatten wir im Büro das Thema deutschsprachige Musik und eine Professorin vertrat die Meinung, dass diese grenzwertig ist. Dem kann ich in den meisten Fällen beipflichten, verwies aber auf Ausnahmen. Auf City, Silly oder die Prinzen lasse ich nichts kommen, dazu höre ich sie zu gerne. Damals konnte ich sie leider nicht überzeugen, einer der letzten Spiegel nahm mir aber die Arbeit ab. Da sich der Todestag von Tamara Danz, Frontfrau von Silly, mal wieder näherte, berichtete dieser über ihre Bedeutung. Im Endeffekt ähnelte dieser Bericht meinen Erzählungen, was die Professorin doch etwas überraschte und zum Umdenken animierte. Von daher wurde ich beauftragt, den anderen doch diese Musik etwas näher zu bringen. Nichts leichter als das, wurde von mir schon vor Ewigkeiten erledigt. Die anderen sind dafür umso überraschter, dass sich jemand mit der Professorin so unterhält. Unter den Studenten gilt sie als unnahbar und es existiert eine gewisse Angst, dementsprechend überrascht waren sie, dass man sich ganz normal mit ihr unterhalten kann.