Acht Uhr, etwas klingelt. Habe ich mal wieder vergessen, den Wecker auszuschalten? Nein, und sowieso, es ist Sonntag, warum sollte mich jemand aus meinen drei Stunden Schlaf reißen wollen? Egal, es hört nicht auf, also greife ich das Telefon und schnelle hoch. David ist dran. Er hatte sich als Freiwilliger für das Festival heute gemeldet und musste deshalb schon um 8 Uhr bei den Vorbereitungen helfen. Jemand muss sich um unsere Bude kümmern und Orsolya geht nichts ans Telefon, also bin ich der nächste Verdächtige. Klasse, so viel zum Thema ein wenig Schlafen. Also in die Sachen und raus in die Schlacht. Schnell Katoh noch in die Sache einspannen und los können die Kochvorbereitungen gehen. Im Gegensatz zu anderen Ständen stehen uns nur zwei Tische zur Verfügung, da wurde wohl vorher etwas geschlampt, aber egal. Da David noch eingespannt ist und Katoh den Tisch bewachen muss, mache ich mich daran, die vierzig Liter Töpfe runter zu hieven. Dankbarerweise bekommt ein Japaner Mitleid mit mir und macht sich ans Mittragen. Alleine waren beide ohne zu schwappen schon ziemlich schwer zu tragen. Kaum sind die Töpfe unten und die beiden Gasherdplatten angeschlossen, erscheint auch der Boss in Form von Orsolya und auch die anderen Helfer tauchen auf. Ein Tisch wird zur Seite genommen und zum gesonderten Ungarntisch dekoriert. Mit Ländern wie Jamaika oder der Mongolei können wir zwar nicht konkurrieren, aber immerhin haben wir etwas zu bieten. Nur dass wir es nicht schafften, einfach zwei Schilder mit der Aufschrift Gulasch und Gulasch vegetarisch aufzuhängen, sollte sich später arg rächen. Andere Länder waren uns aber weit voraus. Musik, Trachten, kostenlose Henna-Malerei und bei einem Stand sogar ein volkstümliches Zelt, damit kann man wahrlich nicht konkurrieren. Für uns stellte das aber auch kein Hindernis dar, schließlich haben wir etwas anderes zu bieten, gutes Essen.
Schade eigentlich, dass das Essen aber eigentlich genau am japanischen Festivalgeschmack vorbei ging. Japaner nehmen ihr Essen gerne mit und entscheiden sich später, wo sie es essen wollen. Das ist bei Suppe natürlich etwas schwerer und sollte sich negativ auf die Verkaufszahlen auswirken. Endlich konnte aber das Fest anfangen. Die Damen versuchten sich als Verkäuferinnen und Laura, David und ich stellten die zweite Portion Gulasch fertig. Dazu galt es, Pasta herzustellen. Der Teig war fertig, um aber kleine Kugeln herzustellen, wurde viel Zeit gebraucht, gleichzeitig lief der Verkauf schleppend an. Die angesprochenen Probleme wie uninteressanter Stand, Suppe und mangelnde Werbung rächten sich genauso wie die rote Farbe der Suppe, da alle Angst hatten, die Suppe könnte scharf sein. Das Ganze änderte sich erst langsam, als Laura und ich die Ausschenkaktionen übernahmen. Ein 1.94 m großer Deutscher mit langen blonden Haaren erregt schon einmal von Natur aus Aufmerksamkeit. Gleichzeitig erinnerte ich mich an einige Tipps von Thomas. Wenn man die Leute grüßt, die kurz einen mustern, kommen viele zurück, um einfach kurz zu sehen, wer der komische Typ war und was er anzubieten hat. Endlich konnten wir unsere Stärke ausspielen und präsentierten die Inhalte. Eine Japanerin aus unserer Gruppe übersetzte während dessen für uns. Wenn mein Japanisch nur noch etwas besser wäre, ich hätte noch viel mehr Kunden gewinnen können, aber das reglementierte leider meine Erfolge.
Laura und ich hielten so aber als einzige die gesamte Zeit am Stand aus. Während die anderen andauernd das Weite suchten und die Konkurrenz beehrten, verteidigten wir die Ehre Ungarns und mussten regelmäßig erklären, dass wir keinen Plan haben, da wir keine Ungarn sind. Richtig erfolgreich wurde das Geschäft aber erst durch unsere Geheimwaffe, Alex. Dieser ist gerade aus Karlsruhe angekommen und der Nachfolger von Moritz. Als Veganer war er erster Tester unserer vegetarischen Gulaschsuppe und machte andere Kunden darauf aufmerksam. Endlich gewannen wir auch die Vegetarier durch Mundpropaganda als Kunden hinzu. Leider aber zu spät, da viele schon alle ihre Essensgutscheine vergeben hatten und die meisten nur drei zur Verfügung hatten. Gleichzeitig sorgte ein zweiter Deutscher, dazu noch mit Dreadlocks und blondem Haar, natürlich für die Aufmerksamkeit der Japaner. Endlich rollte der Rubel. Alex erklärte sich gegen Gulasch auch zum Helfen bereit und zu dritt schmissen wir den Laden.
Genau in diesem Zustand, wir drei in Aktion, die anderen mal wieder auf Reisen, ebbte gerade das Geschäft etwas ab und ich machte mit einer anderen Aktion auf uns aufmerksam. Ein Kunde wollte die vegetarische Suppe und ich reichte ihm seine Portion. Mangels Tisch kam ich so nahe an den Gulaschtopf mit Fleisch heran. Ich konnte aber nicht weg, da ich noch Fragen beantworten musste, als Alex gerade meinte, ich würde brennen. Ich wusste gar nicht, was gerade los ist, bis ich auf einmal Flammen an meinem Körper sah. Alle Anwesenden waren in einem Schockzustand und konnten mir nicht helfen, während ich verzweifelt die Flamme ausschlug. Zum Glück war das Hemd lang und die Jeans ziemlich robust, so dass ich mich nicht noch selber verbrannte. Wie es passiert ist, weiß ich zwar nicht, aber es ist ein riesiger Schock gewesen. Rückblickend tut es mir unendlich um das Hemd leid, wobei ich eindeutig eine Chance vertan habe. Ein Spruch hätte die Situation wenigstens souveräner über die Runden gebracht. Zum Beispiel hätte ich in Ermangelung anderer Damen in der Nähe, Laura mit brennendem Hemd erklären können, ich wäre halt Feuer und Flamme für sie. Das hätte sie wenigstens so geschockt, dass ich von ihrem bissigen Spott im Anschluss verschont geblieben wäre. Immerhin nach der Pyroshow war das Interesse an unserem Stand auf einmal wieder voll da und wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Wenigstens kann ich jetzt behaupten, ich habe alles fürs Team gegeben und dass wir nicht beim Burning Man Festival waren, hätte man mir auch mal eher sagen können.
In der zweiten Hälfte kam dann auch noch Shimizu, blieb und half mir als Übersetzer aus. Wir schafften es irgendwie, zwei 40 Liter Töpfe Gulasch zu veräußern und einen zehn Liter Topf vegetarisches Gulasch. Insgesamt haben wir am Ende nur eventuell zehn Ladungen Gulasch umsonst an Helfer und Freunde verteilt, um den Rest loszuwerden. Wie viel insgesamt dabei über den Ladentisch ging, müssen aber erst einmal die Auszählungen die nächsten Tage ergeben. Ich bleibe aber der festen Überzeugung, ohne Shimizus und Alexs Hilfe wäre das Ganze doch um einiges schwerer geworden, danke für den Einsatz. Ärgerlicher war eventuell noch der Faktor, dass kurz vor Ende an dem einen Gulasch etwas Salz fehlte, sich aber niemand fand, der schnell neues besorgen wollte und ich nicht weg konnte. Deshalb mussten wir das Gulasch mit dem vegetarischen mixen, um einen halbwegs vernünftigen Geschmack zu erreichen, aber diese Krise haben wir auch souverän gelöst. Der Verkauf an sich war auf jeden Fall ein großer Spaß und die Kunden waren auch von unseren Bemühungen sehr angetan. Natürlich haben die anderen auch einiges getan, besonders David. Beim Verkauf haben sich aber wirklich Laura, Alex und Shimizu hervorgetan, während Orsolya mit der Zeit eigentlich als Hauptaufgabe das Vorstellen des Landes übernahm und da wohl auch sehr erfolgreich mit war. Die Hauptfrage war aber immer, ob Alex und ich Ungarn wären und beim Verneinen, warum wir denn dann beim ungarischen Stand helfen. Auf Fotos sind wir deshalb aber auf jeden Fall oft genug drauf. Aber eigentlich bleibt nur, allen Helfern einen großen Dank zu sagen. Aus dem, was wir hatten, haben wir viel gemacht.
16 Uhr war es dann endlich überstanden. Mit Alex ging es dann erst einmal vegan einkaufen in Sendai. Eine Herausforderung in Japan, wie man sich vorstellen kann. So habe ich noch nie die Lebensmittel untersucht. Vermutlich sollte man die ganzen Beschreibungen auch nicht so genau lesen. Nach dem Einkauf erreichten wir das Wohnheim dann auch rechtzeitig zum Tanzfestival. Die Musik war zwar gar nicht mein Geschmack, aber die Anwesenden gingen sehr eifrig zur Sache. Katoh spielte während dessen Pförtner und verwickelte alle Ankommenden in Gespräche, um sein Englisch aufzubessern und die meisten meiner Freunde erschienen gar nicht zum Tanzfest. Für mich selber lohnte sich das Treffen eigentlich besonders aus einem Grund. Bei Yuris Abschiedsfeier vor einigen Monaten war noch eine zweite Musikerin, mit der Frau Omori Andre und mich verkuppeln wollte. Heute stand Frau Omori auf einmal mit selbiger vor mir und meinte, kümmere dich um sie und passe auf sie auf. Zum Glück sah die junge Dame das Ganze komplett anders und eroberte alleine die Tanzfläche. Trotzdem ergab sich daraus aber eine interessante Konversation.
Insgesamt war der Tag ein voller Erfolg, auch wenn ich heute Abend wohl einfach nur tot ins Bett fallen werde. Beim nächsten Mal sollten wir das Ganze aber besser planen und was mit den schon geschnittenen Zutaten des dritten Gulasch wird, bin ich auch mal gespannt. Bis jetzt hat Orsolya sich noch nicht gemeldet und es steht draußen auf dem Balkon zum Abholen bereit. Im Kühlschrank ist nicht genug Platz, zum wegschmeißen wäre es aber eindeutig zu schade. Als Nebenbemerkung tat mir übrigens David als offizieller Freiwilliger leid, wurde er doch in ein knall pinkes T-Shirt gesteckt, wobei, das hätte ich lieber als mein Hemd angefackelt.