Die japanischen Bäckereien und der japanische Geschmack

Wie kann man so etwas nur essen? Diese Frage bekomme ich regelmäßig von Japanern gestellt, besonders wenn die von mir mitgebrachten Süßigkeiten mal wieder Lakritze enthalten. Gerade letztere kann ich mit Ausnahme von Shimizu niemandem vorsetzen. Aber auch andere deutsche Dinge sind laut Aussage meiner Freunde und Kommilitonen in Deutschland anders. Besonders behaupteten mittlerweile schon drei japanische Deutschlandreisende, darunter auch Rieko heute wieder, die Schokolade in Deutschland sei süßer als in Japan. Damit haben sie einen wunden Punkt bei mir getroffen. Ich gebe zu, ich habe eine gewisse Neigung zur japanischen Küche. Die Tatsache, das alle Zutaten ihren Eigengeschmack behalten sollen, spricht mich genau so an, wie das Bevorzugen des ursprünglichen, also rohen Geschmackes der Nahrungsmittel. Natürlich ist der geringe Fettanteil japanischer Kost und der hohe Reisverbrauch für mich perfekt geeignet. Aber es gibt auch Dinge, die mich stören und mit der Schokoladenbehauptung wurde ein extrem wunder Punkt bei mir angesprochen – die Süße. In Deutschland nehme ich meist nur schwarze Schokolade zu mir und auch ansonsten verzichte ich gerne auf zu süße Lebensmittel. Hier in Japan ist das leider nicht möglich. Etwas zu essen ist dann erst gut, wenn es in einen Topf Zucker gefallen ist. Das mag drastisch klingen, entspricht aber meinen Erfahrungen und natürlich auch den Erfahrungen der neuen Studenten.

So geschah es heute, dass ich in eine Bäckerei ging. Dazu muss man sagen, japanische Bäckereien sind kaum mit Bäckereien europäischer Natur zu vergleichen. Das Hauptaugenmerk liegt eindeutig auf Kuchen und Sonderarten wie mit Fleisch gefüllte Brötchen oder Nudelbaguette. Echte Brötchen oder gar Brote findet man gar nicht oder nur in ganz seltenen Fällen. Trotzdem versuche ich in wechselnden Abständen, wenigstens mal ein bisschen Brot zu mir zu nehmen. Um so überraschter war mein Gesichtsausdruck, als ich heute einen meiner Stammbäcker betrat. Diesen besuche ich schon fast regelmäßig und die Mitarbeiter haben mittlerweile sogar kapiert, dass sie, wenn ich komme das Gekaufte nicht vier mal einpacken müssen, ich esse es eh meist gleich. Als ich auf jeden Fall den Laden betrat dachte ich, ich phantasiere. Vor mir lag ein wirklicher Brotkanten.

echtes Brot?

Eine Fatamorgana, eindeutig! Nein, ich konnte es berühren und es war wirklich da. Das kann nicht stimmen, also zur Sicherheit schnell den Namen der Fatamorgana überprüft. Ein französisches Brot, nach echt französischem Rezept. Gut, kein deutsches Brot, aber unsere Nachbarn haben ja nicht so einen anderen Geschmack, das wird schon passen. Die Farbe des Brotes ist dunkel, die Kruste hart, es könnte wirklich ein echtes Brot sein. Schnell noch den Preis überprüfen und dann los. Halt, diese exorbitanten Preise können doch nicht war sein? Über 6 Euro für ein ganzes Laib Brot von im Idealfall 1 kg Gewicht, das ist happig. Zum Glück bietet man auch halbe und viertel Leibe an, das kann man ja mal machen. Ob ich die Yen nun vertrinke oder in so etwas investiere fällt ja auch nicht auf. Gleichzeitig beweist der hohe Preis, dass es sich um etwas besonderes handeln muss. Also wurde ein viertel Leib gekauft und nach einem sehr langen Tag im Büro ging es nach Hause. Schnell das Messer heraus und gekostet. Der Geruch und die Konsistenz scheint auch zu passen, also „Itadakimasu!“ (japanischer Ausruf für „Danke fürs Essen“, wird als Äquivalent für „Guten Appetit“ verwendet.). Die Freude hielt nicht lange, denn der erste Biss bewies, das Brot mag zwar nach einem französischen Rezept sein, an einer besonderen Stelle wurde das Rezept aber dem japanischen Geschmack angepasst. Das ansonsten wirklich nahezu perfekte Brot war total süß. Also nicht nur ein wenig süß, man könnte meinen, es befindet sich eine Zuckerschicht als Aufstrichersatz auf dem Brot. Das Brot war extremst überzuckert und für jemanden, der durch das Äußere andere Vermutungen hatte, fast ungenießbar. Egal, der Versuch war es mir wert, doch irgendwie verstehe ich die Japaner doch nicht. Dass man alles extremst süß essen muss sehe ich ja noch mit etwas Fantasie ein, aber wie kann man bitte noch behaupten, in Deutschland wären Sachen süßer? Mir würde momentan kein einziges Lebensmittel einfallen, was in Deutschland süßer ist als in Japan. Hierzulande sind selbst Naturjogurts extremst gezuckert und bei der normalerweise wirklich großen Auswahl befindet sich meist genau einer, der normal ist. Aber immerhin gibt es einen, deshalb werde ich meine Versuche bei dem Brot auch nicht aufgeben. Irgendwie finde ich schon eins, was dann hoffentlich auch bezahlbar ist. Bis dahin werde ich im Büro wohl noch ein wenig Überzeugungsarbeit leisten müssen. Mal schauen, was die Leute zu etwas Herrenschokolade sagen. Wenn da auch noch über die Süße gemeckert wird, verliere ich den Glauben an meine Kollegen, besonders da dunkle Schokolade hierzulande noch genauso süß ist, wie Milchschokolade in Deutschland.

Ansonsten als Randnotiz muss ich feststellen, dass ich meine Kollegen einfach liebe. Nachdem ich letzte Woche zu der Veranstaltung meines Büros nicht eingeladen war und aus Zeitgründen deshalb auch nicht erschienen bin, hat Shimizu sich dafür eingesetzt, dass ich zur nächsten Veranstaltung eingeladen werde. Deshalb habe ich heute von meinem zweiten Betreuer eine offizielle Einladung zu diesen Seminaren, die wohl Kolloquien in Deutschland ähneln, erhalten. Natürlich, wenn man eine Einladung erhält, geht man auch hin dachte ich mir und sagte zu. Die Reaktion ließ mich dann aber doch etwas zweifeln. Ob ich mir das denn gut überlegt hätte? Das geht immer mehrere Stunden und ist meist extremst langweilig, im Vertrauen würde er mir dringendst davon abraten. Was macht man in solchen Fällen? Ich habe mir mit Verweis auf meine anderen Verpflichtungen erst einmal eine Bedenkzeit erbeten und werde mir bis zum Ende der Woche eine Antwort überlegen. Eventuell kann ich mich immer, wenn ich mich danach fühle, auch einfach so hinein setzen, ohne dass ich offiziell eingeladen bin. Dann hätte die Möglichkeit, das Seminar einmal auszutesten und wenn es gar nichts ist, könnte ich es dann ohne Probleme abbrechen. Ich werde mal mit meinem Betreuer sprechen.

Unisport

Japan ist ein Land, in dem man sein Zeitgefühl sehr einfach verlieren kann. Schon alleine, dass am Sonntag die Geschäfte offen haben, nimmt dem Europäer einen Fixpunkt. Auch ansonsten gibt es kaum Anzeichen für bestimmte Tage. Freitags wird komplett durchgearbeitet, die Straßen sind am Wochenende kaum voller als in der Woche und meine Nachbarn sind weder in der Woche noch am Wochenende jemals anzutreffen. Wie bitte soll man so noch die Übersicht behalten? Da ich meinen Fuß am Montag beim Gewaltmarsch zum Bus unglücklich verdreht hatte und er immer noch ein wenig weh tat, entschied ich den Tag heute gemütlich angehen zu lassen, lernen schadet ja auch nie. Auch wenn meine Freunde wie Orsolya es wunderbar beherrschen, ganz in der Umgebung von meinem Wohnheim zu bleiben, konnte und wollte ich das dann aber auch nicht den ganzen Tag. Die Entscheidung fiel auf eine Ausfahrt mit dem Rad. Passenderweise traf ich auf eine Deutsche, die ebenso wie ich vom Glück verfolgt wird. Nach nur zwei Wochen in Japan ist ihr PC kaputt gegangen und japanische PCs sind kein anständiger Ersatz. Ganz ohne elektronisches Gerät ist es aber in den Zimmern der Wohnheime doch etwas langweilig. Bücher sind zwar angenehme Möglichkeiten, aber bei nicht 100-prozentigen Japanisch-Kenntnissen leider keine Alternative. Zugegeben, ich würde sie liebend gerne entziffern können, für ein Buch benötigt man aber gut 1000 bis 1500 Kanjis. Das ist eine schier unmögliche Anzahl, die Japaner normalerweise erst in etwa der siebten Klasse halbwegs lesen können. Maximal absolute Kinderbücher sind überhaupt ohne entsprechende Kenntnisse zu entziffern. Bücher in anderen Sprachen bekommt man dagegen wirklich selten. Dementsprechend fallen alle Beschäftigungsmöglichkeiten weg und einen CD-Player hat sie auch nicht. Aufgrund von akutem Geldmangel möchte sie aber maximal einen gebrauchten CD-Player kaufen. Kein Problem für mich, Gebrauchtläden kenne ich in dieser Stadt genug und so zogen wir mit dem Rad gemeinsam los, einen CD-Player günstig zu bekommen. Das war gar kein so leichtes Unterfangen. In Zeiten von MP3-Playern und PCs gibt es kaum noch CD-Player und so gestaltete sich die Suche komplizierter als gedacht, wollte man nicht gleich eine vollständige Stereoanlage kaufen.

Aber zurück zur Einleitung. Unser Weg zu den Gebrauchtläden kreuzte die örtliche Frauenuniversität. Schon der Fakt einer reinen Frauenuniversität ist ziemlich kurios. Wie unterscheidet sich diese von normalen Universitäten und warum sollte man sein Studium dort absolvieren? Bei Schulen mag ich ja noch bis zu einem gewissen Grad den Sinn der Einrichtung erahnen können, bei einer Universität sieht das Ganze aber schon anders aus. Zu meiner Überraschung war die Universität auch noch sehr gut besucht. Am Anfang dachte ich noch, ich habe mich im Tag vertan, aber meine Uhr zeigte tatsächlich Sonntag an und die Uni war komplett mit Studenten wie an einem Wochentag überfüllt. Bei der Tohoku Universität würde ich das ja noch verstehen, schließlich liegen wir noch fast in der Stadt. Diese Universität liegt aber auswärts auf einem Berg. Wer würde da freiwillig am Wochenende erscheinen und dazu noch in diesen Massen? Des Rätsels Lösung liegt einfacher als gedacht, aber erst meine Nachbarn konnten mich der Lösung näher bringen. Die einfache Lösung lautet, es ist Herbst! O.k., was ist das für eine Antwort, wird man jetzt fragen. Aber wenn man die Fakten auf den Tisch legt, macht das sogar Sinn und gilt laut meinen Nachbarn auch für die Tohoku. Im Winter ist es zu kalt und im Sommer zu warm für körperliche Anstrengungen. Nun hat jede Universität aber die verschiedensten Sportclubs unter sich, die täglich mehrere Stunden trainieren, um an Wettbewerben teilzunehmen. Diese Wettbewerbe sind nicht so wie in Deutschland irgendwelche Jugendligen, sondern zwei im Frühling und Herbst stattfindende Großturniere, an denen Studenten aus allen Präfekturen Japans teilnehmen. Gleichzeitig bedeutet der Verzicht auf ein Ligensystem aber auch, dass die japanischen Studenten im schlimmsten Fall zwei Spiele pro Jahr unter Wettbewerbsbedingungen absolvieren und die restliche Zeit nur trainieren. Im Idealfall hat die Mannschaft noch ein paar Testspiele, das war es dann aber auch schon. Ein normaler Student, der wie in Japan üblich nur seinen Bachelor macht, hat also eventuell nur 8 Wettbewerbsspiele in vier Jahren Studium, dafür trainiert er aber täglich mehrere Stunden mit der Mannschaft. Gleichzeitig sind die Einsatzchancen eines Spielers im ersten und vierten Jahr äußerst gering. Im ersten Jahr fungiert man nach dem japanischen Rangsystem meist nur als Lakai und erst ab dem zweiten Jahr hat man Chancen auf die Bank eines Clubs. Und als Student im vierten Jahr gibt es wohl eine große Austrittsbewegung, weil man sich auf den Abschluss konzentrieren muss. Natürlich ist es nicht in jedem Sport so extrem, aber meine Mitbewohner haben mir von mehreren Fällen berichtet, wo es exakt so ablief. Die effektive Anzahl von Turnierspielen reduziert sich im Normalfall also auf zwei bis vier Spiele. Um für diese raren Events also fit zu sein, wird das Training der Sportler für diese Zeit des Jahres noch einmal intensiviert. Das ist auch der Grund, warum sich die Studenten am Wochenende an der Uni befanden. Berichten zufolge wird am Wochenende im Herbst bei guten Teams dann schon einmal 10 Stunden am Tag trainiert. Vergleicht man den Wert dann mit dem normalen Training von Profis in Deutschland, erscheinen die Japaner schon leicht verrückt, auch wenn ihre Motivation verständlich ist. In Ermangelung eines derartigen Clubsystems in Deutschland wirkte das Bild aber wirklich imposant, wie überall trainiert wird und Sonntags die Uni gestürmt wird.

Insgesamt wurde es auf jeden Fall ein interessanter Trip, auch wenn der Einkauf etwas anstrengend war. Männer schauen sich meist eine Sache an und sind fertig. Frauen schaffen es dagegen gerne mal, solche Shoppingtouren in die Länge zu ziehen. Genau so sah es heute auch aus und so brauchten wir für die für maximal eine Stunde eingeplante Strecke am Ende 3, aber zum Glück hatte ich ja eh Zeit und irgendwie hat es ja auch Spaß gemacht.

Imoni-Kai und andere Feste

Wer hat eigentlich behauptet, das es Herbst ist? Gut, die Bäume behaupten dasselbe, aber die Temperaturen sprechen wirklich dagegen. Eigentlich gibt es in ganz Sendai nur zwei Anzeichen für den Herbst. Auf der einen Seite werden überall Halloweenartikel verkauft und auf der anderen Seite vollziehen alle Menschen sogenannte Imoni-Kais am Fluss. So war es auch heute. Das stark ersatzgeschwächte @home-Team lud zum Imoni-Kai ein. Imoni-Kai ist das Herstellen traditioneller japanischer Suppen mit unterschiedlichen Zutaten am Lagerfeuer. Schon bei der Ankunft an der Brücke zeigte sich, dass nicht nur @home die Idee hatte. Das ganze Ufer war voll mit Japanern und wir waren dazwischen. Leider war die Aktion nicht mit vorigen Festen zu vergleichen. Auf der einen Seite lag das an @home selber. Nach dem letzten Semester hat die Gruppe ihre ganzen älteren und aktiven Mitglieder verloren. Viele der Hauptorganisatoren sind mittlerweile zum Auslandsjahr in Amerika und Lukas, die gute Seele der Gruppe, ist auch mittlerweile wieder in Amerika. Dadurch bleiben eigentlich nur Eri und Kaji, wobei erstgenannte auch nur ein Semester an der Uni ist und noch nicht so erfahren ist. Wie es bei neu zusammengestellten Gruppen nun mal so ist, fehlen noch die wirklichen Führungsmitglieder und dementsprechend chaotisch ging das Ganze heute zu. Ansagen waren nicht verständlich, die ganze Veranstaltung etwas ungeordnet und beim Essen gab es auch ein Durcheinander. Trotz allem ein großes Lob für die Mühe, die in die Veranstaltung geflossen ist und an den Problemen wird @home auch als Gruppe weiterentwickelt. Das zweite Problem betraf eigentlich eher mich. Von den Aprilankömmlingen waren kaum Leute da, was die Veranstaltung doch arg uninteressanter machte. Bei den Neuankömmlingen sind zwar auch einige sehr nette Studenten dabei, aber man merkt ihnen noch an, dass sie gerade erst zwei Wochen da sind. Viele bleiben in ihren neuen Gruppen und sobald sie feststellen, dass man mittlerweile sechs Monate hier verbringt, ebben viele Gespräche schon merklich ab. Trotzdem entwickelten sich einige interessante Gespräche. Mein Sprachpartner Tetsu tauchte so zum Beispiel kurzzeitig auf, einige neue Deutsche unterhielten sich kurz mit mir und Laura war zum Beispiel auch anwesend. Selbst wenn es keine interessanten Gespräche gegeben hätte, das Imoni-Kai hätte sich schon alleine für das Essen gelohnt. Man hat sogar meine Kritik von den letzten Malen beherzigt und diesmal auch vegetarisches Essen angeboten. Die Veranstaltung hat auf jeden Fall Lust gemacht auf das Imoni-Kai demnächst mit meinem Büro.

Nachdem das Essen abgeschlossen war, hatte ich die Qual der Wahl. Was sollte ich tun? In die Innenstadt fahren und mir das allwöchentliche Fest anschauen oder doch lieber zur im internationalen Haus stattfindenden Willkommensparty gehen? Ich entschied mich für die Stadt. Ein Erntefest mit besonderem Schwerpunkt auf Milch stand an. Das war eindeutig ein unfaires Fest. Es ist ja schön, wenn sie Werbung für Milch machen, solange aber die Preise so unverschämt teuer bleiben, werde ich trotzdem nicht wirklich der Milch hierzulande frönen können. Zu meiner Freude war das Fest aber mal anders aufgebaut und besonders viele Bauern boten ihre Waren feil. Zusätzlich zu mir hatten aber auch David, Orsolya und Laura die Idee, zu diesem Fest zu gehen und so trafen wir uns und machten Sendai zusammen unsicher. Das Fest war zwar schnell durchquert, aber Sendai hat ja noch viel mehr zu bieten. In einer Einkaufsstraße traten Künstler mit menschlicher Beatboxunterstützung auf und in einer anderen Einkaufsstraße wurde Werbung für Reisen ins Ausland gemacht, genug zu sehen also. Zusätzlich versuchten wir uns auf Wunsch einzelner an Purikura und ich besiegte die anderen bei einer Runde Kartfahren. Nebenbei bleibe ich dabei, diese Minifotos bei Purikura sind absolut hässlich und ich als Europäer passe da definitiv nicht drunter, aber was will man machen. So vergingen die Stunden und abschließend besuchten wir noch kurz Thomas, um die Sachen von gestern abzuholen. Verpasst haben wir dabei aber auch nichts. Als wir mit Verspätung bei der Willkommensparty aufschlugen, waren die meisten schon gegangen. Einige nutzten die Musik zwar zum Tanzen, die hatten aber auch schon genug Alkohol im Blut. Also alles richtig gemacht und diese Vierergruppe ist mit das Beste, was wir als Gruppe hier in Sendai bis dato gebildet haben. Mit den anderen drei durch Sendai zu ziehen, ist immer wieder ein Erlebnis und da bin ich heil froh, dass sie auch alle mindestens ein Jahr hier geblieben sind. Ohne sie wäre es hier sehr langweilig in der Freizeit. Im Endeffekt brauche ich mir darüber aber auch keine Gedanken machen, sie bleiben ja hier.

Ungarisches Gulasch

Am 24. diesen Monats ist das internationale Essensfest, wo Orsolya mich zum Kochen am ungarischen Stand verdonnert hat. Leider existiert immer noch das kleine Problem, dass wir noch keine Ahnung haben, wie wir 160 Portionen herstellen sollen und wie diese am Ende auch noch im Preisgefüge bleiben. Für die Anschaffung der Zutaten für 160 Portionen wird uns von dem Veranstalter Geld zur Verfügung gestellt. Teilt man das Geld durch die anvisierten 160 Portionen, erreicht man einen Grundwert von 250 Yen pro Portion. Die 250 Yen sind schon ein sehr kurioser Wert, bedenkt man, dass der Veranstalter uns erklärte, dass wir Essen im Wert von 300 Yen pro Portion ausgeben sollen. Auf jeden Fall hatten wir keine Ahnung, wie das Ganze nun am Ende aussehen soll. Dementsprechend ging es erst mal gemeinsam in die Innenstadt, um Zutaten zu organisieren. Gulasch ist gar nicht so leicht herzustellen, da Fleisch und Gemüse hier im Land unsagbar überteuert ist. Deshalb kommt uns der Markt in der Innenstadt da sehr gelegen. Wir verhandelten und kauften große Mengen an Gemüse und langsam kristallisierten sich die möglichen Gerichte heraus. Das Fleisch bekamen wir direkt beim Fleischer. Dieser holte für uns ein halbes Schwein raus und schnitt nur die besten Stücke ab. Natürlich hat dieser Luxus auch seinen Preis gehabt und ein Kilo Schweinefleisch kostete über vierzig Euro. Da das Fleisch im Supermark aber weder in den von uns gebrauchten Mengen, noch in einer ansprechenden Qualität vorhanden war, blieb uns eigentlich nur der Weg zu einem Fleischer.

In Sanjo angekommen, ging es ans Kochen. Orsolya verteilte Aufgaben und ich durfte sie erfüllen. Thomas fragt mittlerweile, seitdem Orsolya diese Begebenheit erzählt hat, wann die Hochzeit ansteht. Laut seiner Ansicht entspricht diese Arbeitsverteilung ganz einer Ehe. Davon wissen aber weder Orsolya noch ich etwas und unser erster Sohn würde auch nicht Thomas heißen, sorry Thomas. Im Endeffekt entstanden zwei Gerichte. Ein Gulasch, fast nur aus Fleisch bestehend und eine halbe Gulaschsuppe, die aufgrund von Platzproblemen aber ziemlich dickflüssig war. Das Abrechnen ergab auf jeden Fall, dass wir uns für die Suppenvariante entscheiden werden. Diese Variation kostet insgesamt nur 240 Yen pro Portion und kann auch noch relativ großzügige Portionen ermöglichen. Um aber den Geschmack zu testen, waren wir wahrlich die Falschen. Ein Vegetarier und der Koch, etwas objektiveres gibt es nicht. Um das Problem zu lösen, wurden kurzerhand Olga und Nobu eingeladen und wir machten einen großen Essabend. In Ermangelung anderer Zutaten gab es dazu als Beilage selbst gemachte Nudeln, günstig und lecker. Den beiden schmeckte es auch sehr, aber Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Gemäß dieser alten Weisheit packten wir das überschüssige Gulasch ein und brachten es Thomas ins Mafumafu. Ihm schmecke es auch sehr gut und alle 12 anwesenden Gäste konnten auch einmal probieren. Die Suppe kam sehr gut an und sie liegt im unseren Geldbereich. Man kann also davon ausgehen, dass wir diese nächstes Wochenende kochen werden.

Anschließend an den Kochstress ging es heute noch ins Kino. „Männer, die auf Ziegen starren“ hieß der Film und es war eines der ersten Male, dass ich das Schauen eines Filmes absolut bedauerte. Weder witzig noch sinnig war er, aber immerhin, mit Freunden schauen macht auch viel mehr Spaß als alleine einen Film zu schauen.

Immerhin haben wir das Problem mit der Party heute lösen können. Jetzt fehlt uns nur noch ein passender Name für unseren Stand. David und ich tendieren momentan ja noch zu dem Namen „Orsolyas Helden“ oder „Die Sklaven Orsolyas“. Immerhin kennen wir ihren Befehlston, dass auch der zweite Name sehr gut passen sollte. Begeistert ist Orsolya von unseren Namensvorschlägen aber leider noch nicht. Solange wir aber nur solche Probleme haben, ist doch alles in Ordnung.

Endlich wieder Kaffeestunden

Endlich, es hat auch eindeutig viel zu lange gedauert, aber das Semester hat wieder angefangen. Woran man das fest machen kann? Nicht etwa an der Anwesenheit einiger Studenten oder dem Anfang der Kurse, nein Group Mori hat endlich wieder seine Pforten geöffnet. Dieser Umstand muss gefeiert werden und aus diesem Grund wurde heute die Kaffeestunde unsicher gemacht. Gut, nicht nur aus diesem Grund, aber es war ein Teilgrund. Carmens Forschungsgruppen konnten gut eine Untermalung durch japanische Rentnerauskünfte gebrauchen. Aus diesem Grund brachte ich sie heute mit Group Mori in Verbindung, welche bessere Möglichkeit könne es sonst dazu geben? Aber nicht nur Carmen brachte ich das Ganze näher, auch die neuen Deutschen erschienen nach meiner Aufforderung. Beide Seiten waren begeistert. Die Deutschen wollen ab jetzt regelmäßig vorbei schauen und Carmen bereut es, kaum noch Zeit dafür zu haben, bis sie wieder zurückkehrt. Die Damen waren auch gut drauf. Neben sehr gutem Essen waren sie sehr neugierig und fragten die Leute ziemlich aus. Besonders Carmen, die sich mit Sozialdiensten gut auskannte, war ein gefragter Gesprächspartner. Ein wenig neidisch konnte man aber schon werden. Immer wenn ich sie über Geschichte befragen möchte, ist es ein wirklicher Kampf. Japaner geben ungern Fakten aus ihrer Vergangenheit preis. Wenn es aber um den Wertewandel der Jugend und das Selbstbild der Rentner Japans heutzutage geht, sprudelt es nur so heraus aus den Damen. Natürlich war das für Carmen eine gefundene Informationsquelle. Aber es ist ja auch in Deutschland bekannt, dass ein gewisses Meckern über die Werteverluste der heutigen Jugend gegenüber dem Alter, bei Rentnern ein beliebtes Gesprächsthema ist. Es gibt halt Dinge, die sich auch über tausende Kilometer nicht ändern. Auf jeden Fall kann man sagen, was will man mehr? Gutes Essen mit viel Gemüse und dazu noch interessante Gesprächsthemen, meine Gäste waren begeistert. Es ist auf jeden Fall schön, wieder die Chance zu haben, die alten Damen zu treffen. Irgendwie hat das die letzten Monate gefehlt.

Ansonsten muss ich unbedingt die nächsten Tage auf meine Gesundheit achten, immer mehr Leute hier bekommen eine Grippe. Shimizu hatte die letzten Tage erhöhte Temperatur und Olga, Nobu und Kim sind mittlerweile auch erkältet. Da Nobu sich besonders schlimm anhörte, als ich heute gerade am Kochen war, bekam er schnell noch eine Misosuppe vorgesetzt. Er war zwar ziemlich überrascht, dass jemand sich um seine Krankheiten kümmert. Das war er nicht so unbedingt gewöhnt, aber ich kann ihn ja nicht wirklich umkippen lassen. Das wechselhafte und regnerische Wetter der letzten Tage scheint auf jeden Fall seinen Tribut zu fordern. Sichtbar ist das auch insbesondere auf dem Campus. Niesen ist bekanntermaßen eine sehr unsaubere Sache und dadurch ziemlich verpönt in Japan. So etwas wie Gesundheit wünschen wird dementsprechend hierzulande auch nicht vollzogen. Um diesen Umstand zu honorieren, trägt die halbe Bevölkerung mittlerweile wieder Mundschutz. Der Vorteil liegt auf der Hand, die Ansteckungsgefahr von anderen und sich selber ist durch die Masken natürlich stark gesenkt. Gleichzeitig fühlt man sich aber meiner Meinung nach ziemlich unwohl, wenn einem fast alle Gesprächspartner mit diesen Masken gegenüber sitzen. Man fühlt sich unrein und ausgegrenzt. Aber gut, japanische Traditionen sind japanische Traditionen, es ist nicht so, als ob man daran etwas ändern könnte.

Das Problem mit der Ausgrenzung habe ich auch morgen. Morgen ist das große Treffen aller Mitglieder meines Büros. Normalerweise habe ich bei dem letzten Treffen teilgenommen. Dieses Mal hat mir aber keiner wirklich Bescheid gesagt und nur Shimizu hat die Veranstaltung erwähnt. Morgen muss ich wirklich dringend herausfinden, ob ich auch eingeplant bin. Normalerweise würde ich sagen ja, aber falls doch nicht, wäre es unhöflich, trotzdem zu erscheinen. Weiterhin ist eine Selbstvorstellung der eigenen Person ein Teil der Veranstaltung, falls ich das wirklich ebenfalls auf Japanisch machen muss, hätte ich eigentlich gerne vorher davon gewusst. Hoffentlich finde ich morgen noch rechtzeitig einen Verantwortlichen, um diese Frage zu klären.

Kampfroboter oder Gulasch?

Das internationale Essensfest in zwei Wochen wirft seine Schatten voraus und ich bin mitten drin. In zwei Wochen müssen wir für 160 Personen kochen und momentan haben wir noch keinen Plan, wie es ablaufen soll. Nach einer Abstimmungsrunde mit Orsolya habe ich mich heute mal auf die Suche nach günstigem Fleisch gemacht, aber die Chance, in Japan günstiges Fleisch zu bekommen, ist wohl ziemlich gering. Nun kann man bei dem geplanten Gulasch wohl auch Kartoffeln nutzen, um das Gericht ein wenig zu strecken, nur haben meine Recherchen ergeben, dass Kartoffeln auch nicht viel billiger werden als das Fleisch. Am Freitag müssen wir wohl auf jeden Fall probekochen, sonst wird das Fest ein großer Reinfall und das muss ja nicht sein. Persönlich vertrete ich zwar eigentlich die Meinung, wir sollten schon am besten morgen den Versuch starten, da der Stand aber unter ungarischer Flagge läuft, halte ich mich dabei lieber heraus. Trotzdem wird das ganze Fest wohl noch einiges an Kraft kosten. Die Preisgestaltung, besonders auch von Kartoffeln, hat mich aber schon sehr überrascht.

Ansonsten galt es heute wieder einmal das Büro unsicher zu machen und was soll ich sagen, Japaner haben Langeweile. Anstelle zu arbeiten, bauten Shimizu und einige andere lieber eine Gundamfigur. Gundamfigur? Japaner stehen ja bekanntlich auf Roboter. Vor dreißig Jahren wurde eine Serie unter dem Namen Gundam geschaffen, die bis heute noch Ableger im japanischen TV findet. Der Hauptumsatzpunkt der Serie ist aber der Modellmarkt. Anstelle von Flugzeugen oder Schiffen baut der Japaner lieber Robotermodelle zusammen und besorgt den Produzenten dadurch Rekordumsätze. Zum dreißigjährigen Jubiläum wurde nun in Shizuoka eine lebensgroße Statue eines dieser Roboter aufgebaut und einer meiner Kollegen besichtigte den Standort in den Ferien. Als Andenken brachte er nun eine Figur mit und Shimizu und einige andere fühlten sich heute dazu genötigt, diese Figur zusammen zu bauen. Zum Glück betrat der deutsche Professor nicht gerade zufällig das Büro, die Reaktion wäre interessant geworden. 21- bis 28-Jährige lernen nicht, sondern bauen einen Roboter. Japanische Professoren dagegen betraten auch den Raum, äußerten zu der Bastelaktion aber kein Wort. Den restlichen Tag verbrachte ich dann mit einer der neuen Deutschen – es ging zum Shoppen. Es ist echt aufbauend, dass sie die gleichen Erfahrungen mit Japanern vor ihrer Abreise gemacht hat wie ich. Alles war sehr abweisend und nicht gerade hilfreich. Nur hatte sie den Nachteil, dass sie keine Freunde hatte, die sie wieder aufbauen konnten. Dementsprechend ist ihr Kulturschock aus der ersten Woche hier auch sehr gut nachvollziehbar, mittlerweile sieht das Bild aber wieder besser aus.

Nachwehen

Das war knapp, aber irgendwie konnte ich den Bergen entkommen und heute um 6.30 Uhr wieder Sendaier Boden unter meinen Füßen spüren. So einfach, wie es geplant war, wurde es dann doch nicht. Nachdem ich trotz widriger Umstände doch noch den Bus erreicht hatte, wurden Melanie und ich auf zwei Busse verteilt. Eigentlich sollten wir um 21.30 Uhr in Tokyo, Shinjuku sein und ganz gemütlich zwei Stunden später in den Nachtbus steigen, leider machte uns der japanische Straßenverkehr einen Strich durch die Rechnung. Erst standen wir in einem Stau, der unsere Ankunft verzögerte und dann waren die Fahrer noch gezwungen, aufgrund der Verzögerung ihre gesetzlich vorgeschriebene 20-Minuten-Pause zu nehmen. In Japan ist es Busfahrern vorgeschrieben, nach exakt zwei Stunden Fahrt eine Raststätte anzufahren. Dank dieser Verzögerungen verlegte sich natürlich unsere Ankunft in Shinjuku auch immer weiter nach hinten. Zu meinem Glück erreichte Melanies Bus die Stadt schon um 23 Uhr und sie konnte mit dem Bus schon die wichtigsten Formalitäten klären. Bei meiner Ankunft um 23.25 Uhr brauchte ich nur noch durch halb Shinjuku sprinten, um im letzten Moment in den Bus zu steigen. Wenigstens hatte dort der Fahrer ein Einsehen und besorgte mir einen Platz auf der Rückbank, ohne Vordermann, was die Fahrt etwas angenehmer machte. Auf den Stress und das damit verbundene Ausfallen des Abendbrotes hätte ich aber gerne verzichten können. Wenigstens erreichten wir Sendai nun ohne Probleme.

Was macht man nun am frühen Morgen, wenn man eigentlich aufgrund Schlafmangels völlig erschöpft ist? Natürlich nicht die Uni schleifen lassen! So ging es für mich kurz nach Hause, duschen und die Sachen abstellen und von da aus gleich ins Büro. Wie man freiwillig Berge erklettern kann, konnte dort zwar niemand verstehen, braucht ja auch keiner. Meine Produktivität hielt sich zwar heute den Umständen entsprechend in Grenzen, trotzdem schaffte ich ein wenig. Die besten Neuigkeiten gab es aber heute mal wieder von Shimizu: Bis Januar 2011 gibt es für japanische Studenten die Möglichkeit, sich für ein sechswöchiges Sprachstudium in Deutschland mit Stipendium vom DAAD zu bewerben. Letztes Jahr hatte Rieko dieses Stipendium erhalten und da nicht all zu viele Japaner sich darum bewerben, stehen die Chancen für Bewerber ziemlich gut. Für den Sommer 2011 will sich jetzt wohl Shimizu bewerben. Momentan arbeite ich mit Hochdruck daran, ihm die Vorteile von Göttingen als Studentenstadt im Herzen von Deutschland schmackhaft zu machen. Er scheint auch sehr begeistert von der Idee zu sein. Wir haben schon ausgemacht, dass er dann in Berlin ankommt und wir über Magdeburg nach Göttingen fahren, um dort den besten, wenn auch nicht erfolgreichsten Fußballverein Deutschlands zu schauen und dann Deutschland unsicher zu machen. Hoffentlich klappt alles, aber ich werde mich bei der Bewerbung etwas einbringen und dann wird das schon klappen. Immerhin erleichtert das mein Problem im April. Am liebsten würde ich Nobu und Shimizu einfach mit nach Deutschland nehmen. Einen habe ich dann schon mal als Besucher feststehen und mit Nobu bekomme ich garantiert auch noch etwas organisiert.

Ansonsten bin ich froh, mittlerweile wieder zu Hause zu sein. Ich habe dank des Gewaltmarsches zum Bus gestern Muskeln an meinen Beinen entdeckt, von denen ich nicht mal wusste, das die existieren. Um es mit den Worten der Hauptcharakter aus Lethal Weapon zu sagen: ich werde zu alt für den Scheiß. Nebenbei werde ich es genießen, heute das erste Mal seit vier Tagen wieder richtig schlafen zu können. Die Japaner meinten auch alle, nach so einer Tour wären sie nur zu Hause ins Bett gefallen. Das hätte ich aber nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können.

Ach ja: Ich habe noch einige Bilder von den letzten 3 Tagen hochgeladen!

Deutschland erobert das Gebirge

Rentner sind schrecklich – namentlich bekannte natürlich ausgenommen! So schlecht habe ich schon lange nicht mehr geschlafen. Die Berghütte hatte Gruppenfutons. Natürlich nicht eins pro Person, sondern eins für uns beide und Teile des Nachbarfutons. Meine Nachbarin schaffte es aber, ihr Futon so wegzuziehen, dass ich auf dem Boden lag. Zu allem Überfluss redeten meine Nachbarn bis spät abends und morgens um 4 Uhr konnten sie nicht leise zum Essen gehen, sondern mussten sich lautstark den neuesten Tratsch berichten und natürlich Festbeleuchtung aktivieren. Zum Glück wollten wir eh um 4.30 Uhr raus und überraschend traute sich eh kaum einer auf unsere Strecke. Nicht mal Melanie war überzeugt (wegen meiner Schuhe). Das hält mich nicht auf und es entwickelte sich eine harte und gefährliche Klettertour. Von Stein zu Stein und an Ketten entlang hangeln – kein Wunder, dass kein Rentner es versuchte, dort hoch zu kommen. Belohnt wurden wir mit einem genialen Sonnenaufgang. Weiter ging es auf bis zu 3.100 Meter. Traditionell ist dort ein kleiner Schrein aufgebaut. Aber mal ehrlich, wer betet für gute Heimkehr, wenn der Club ohne Hilfe von oben versagt? Mein Wunsch wurde deshalb etwas angepasst – die verbotene Stadt soll nur kommen!

So blieb nur noch ein Problem für uns beide zu lösen: Wer hoch kommt, muss auch wieder runter. Zu diesem Zweck durften wir uns an dem gesamten Gebirge entlang hangeln. Das war ein lustiges Unterfangen, was mir genau wie das Abseilen später viel Spaß bereitete. Problematischer wurde es, als es auf einmal 5 km steil den Berg herunter ging. Am Anfang war es sehr leicht, bis mir meine 3 Liter Wasser ausgingen. Da es knapp 20 Grad bei berstender Sonne waren, war ich hoffnungslos zu warm angezogen und Melanie wurde aus Zeitdruck immer schneller, so dass ich nicht an ihr Wasser herankam. Dank ihres großen Rucksacks hatte sie mehr als ich dabei. Völlig dehydriert und unter japanischer Aufsicht erreichte ich die Zielhütte. Noch 2 Stunden waren Zeit, um den Bus zu erreichen. Melanie war der Meinung, in meinem Zustand schaffen wir das nicht und sie musste den Bus erreichen – also zog sie alleine los. Vorher beging sie aber den größten Fehler, der möglich ist: Sie sagte die vier Worte, die schon Generationen von Lehrern, Professoren, Freunden und Eltern zum verzweifeln brachten: du schaffst das nicht. Ein sehr schwerer Fehler! Dazu wurde auch noch mein Geiz angesprochen: wenn ich den Bus nicht bekomme, verliere ich 100 Euro plus neue Kosten. Das reichte beides als Information. In Japan haben im TV alle Leute Modi – Superpolizist Hypermode und so weiter – das selbe aktivierte ich auch. Eine Flasche Wasser gekauft, dem Gehirn das Erhalten der Schmerzen verboten, böser Blick mit Eurozeichen und die 4 bösen Worte als Mantra – so rannte ich los. Stock und Stein interessierten nicht, 6 mal legte ich mich lang und die Füße schmerzten. Aber mein Kopf schaltete auf blank und in Rekordzeit überbrückte ich die Strecke. Die nach dem Weg gefragten Japaner waren richtig erschrocken über mein Tempo und ich erreichte das Ziel 30 Minuten zu früh und noch vor Melanie. Ihr konnte man den Schrecken förmlich ansehen, dass ich da vor ihr am Bus stand. Sie konnte die Wirkung ihrer Worte ja nicht kennen und auch nicht das Zittern meines Körpers, das mich im Bus nicht mehr rühren lies und die Schmerzen dreifach zurück brachte – das war es mir aber wert. Den Bus hätte ich aber beinahe noch verpasst, da ich mit Erlaubnis des Buspersonals wegen einer Busverspätung zum Umziehen verschwand. Bei meiner Rückkehr stand er schon abfahrbereit da, aber ich schaffte es noch. Jetzt noch den Magen in Shinjuku füllen (auf den Schreck) und per Nachtbus nach Hause. Viele Bilder warten auf ihre Auswertung. Das lange Wochenende habe ich auf jeden Fall sinnvoll genutzt. Und ja: mit Halbschuhen kann man 3000er Berge leicht besteigen!

Das Wandern ist des Reikes Lust

Das ist schon mehr nach meinem Geschmack! Kein Regen – anstelle dessen Sonnenschein. So kann der Tag um 5.30 Uhr losgehen. Schon auf dem Weg ins Gebirge fallen uns der blaue Fluss und die von Nebel umgebenen Berge auf – ein traumhafter Anblick. Das lassen wir uns nicht entgehen. Trotz Zeitproblemen geht es früher aus dem Bus und wir wandern am Fluss entlang. Wieder einmal zeigt sich, wenn Matsushima einer der 3 schönsten Orte Japans ist, dann muss es noch eine Skala darüber geben. Insgesamt ging es so knapp 20 km am Fluss entlang, bis der Ernst des Lebens startete.

Es ging in das Gebirge. Wieso hatten wir nur vergessen, die Versicherung am Startort abzuschließen? Bei Unfall würde sie die Kosten für den Hubschrauber für die Rettung übernehmen. Egal, wir sind gut und es wird nichts passieren! So ging es über Stock und Stein. Meine längeren Beine brachten schon einen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber Melanie und eigentlich hatten wir es sehr eilig. Trotzdem hielten wir regelmäßig inne, um die Schönheit des Ortes zu genießen und Fotos zu machen. Noch nie habe ich mir so wie heute eine Profiausrüstung gewünscht. Praktisch wäre ich aber eh zu faul, sie zu schleppen. Die Natur hätte sie aber verdient gehabt. Trotz aller Versuche verloren Melanie und ich uns aus den Augen – ein gefundenes Fressen für japanische Wanderer. Besonders Rentner fragten mich aus und eine schenkte mir sogar Süßes, nachdem sie für mich ein Foto gemacht hatte. An der Berghütte dann der Schreck: es gibt zwei. Wir entschieden uns für die falsche und mussten noch mal los. Zu allem Überfluss fing auch noch der Regen an. Die Zelter vor den Hütten hatten es aber viel schlechter getroffen. Auf Steinboden bei Regen und trotzdem hohe Kosten, stelle ich mir nervig vor. In der Hütte ist zwar für hohe Kosten gar kein Luxus, dafür haben wir es warm. Die Japaner an den Hütten begrüßten mich zu Melanies Überraschung fast alle – man ist halt auffällig. Eine Rentnerin wollte mir sogar ein Bett organisieren, weil ich so hilflos erschien. Dabei wartete ich nur auf Melanie. Nett sind sie auf jeden Fall fast alle. Morgen kommt dann der gefährlichste Teil, mal schauen, ob meine Halbschuhe das auch mitmachen. Immerhin habe ich mit ihnen den Fuji geschafft, dann schaffen sie das jetzt auch. Falls ich jemals in Deutschland wandere, muss ich unbedingt was an meiner Ausrüstung ändern, hier reicht sie aber locker. Hoffentlich regnet es morgen nicht, das wäre das einzige, das den Tag versauen könnte. Das heute war auf jeden Fall alle Mühe wert.

Nebenbei: Falls je ein japanischer Rentner beim Wandern komische Lieder über Magdeburger Krieger singt, habe ich meine Mission erfüllt. In Ermangelung von textsicheren Wanderliedern summte ich mir mehr bekannte Lieder vor mich hin. Auf einmal tauchten einige Rentner auf und wollten den Text wissen – ihnen gefiel es. Auf die Frage, ob es Volkslieder sind, antwortete ich einfach mal ja – stimmt im weitesten Sinne ja. Vielleicht können sie es sich ja merken, dann kennen sie endlich mal gute Musik.

Von den blauen Bergen kommen wir

Warum tue ich mir das nochmal an? Egal, wandern kann lustig sein – also rein in den Nachtbus. Der Bus war wenigstens purer Luxus und unter normalen Umständen war sogar genug Beinfreiheit vorhanden. Die Reise fing also wenigstens gut an, bis ein 160-Kilogramm-Japaner entschied, er will in seinem Sitz liegen. Ade Beinfreiheit! Aber da er meine Beschwerden ignorierte, ade Nacht für ihn. Die ganze Zeit hatte er mein Knie im Rücken. Das muss so unbequem für ihn gewesen sein, dass er später im Zug vor mir floh, als er feststellte, dass ich alleine mit ihm im Abteil war. Ich hätte mich ja rächen können.

Da ich durch Planungsschwierigkeiten wo anders als Melanie ankam, vollzog ich den ersten Teil der Reise alleine. Das und der Dauerregen vermiesten meine Stimmung. Aber nicht lange und ich hatte die Städte hinter mir gelassen. Das Rot des Herbstes verfärbte die Natur und Kilometer um Kilometer wurde es schöner und meine Laune stieg. Wen kann da schon Regen stören? Der meiste Weg heute wurde eh per Gefährt zurückgelegt. Und bis auf die Kamera, die aufgrund des Windes und der dadurch resultierenden Unverwendbarkeit des Regenschirms einiges abbekam, blieb ich trocken. Im Gegensatz zum Fuji bin ich besser vorbereitet. Da Melanie aufgrund ihres Zeitvorsprunges die Spitze des 3000ers von 2400 m aus erklomm, entschied ich spontan bei 1400 m, den Bus zu verlassen und stieg bis 2400 m auf. Es lohnte sich! Die Seen und die Natur waren atemberaubend. Ich wohl auch – so oft, wie mich Japaner nach meiner
Nationalität fragten. Vertrauen hatten sie auch nicht und in einigen Bahnhöfen hatten sie eigene Betreuer nur für mich.

Um 16 Uhr traf ich endlich Melanie und zusammen ging es weiter. Besonders der Stausee war genial. Bilder habe ich deshalb angro gemacht. Als wir endlich die Route verlassen hatten, standen wir verloren in unserer Zielstadt und wir hatten nur eine Frage – wo ist das Hotel? Ein Rentner wies uns den Bus und ein Mann mit Frau aus Okinawa, telefonierte anschließend mit dem Hotel. Er brachte uns dann im strömenden Regen über 15 Minuten zum Hotel, obwohl es für ihn die falsche Richtung darstellte. Uns war es richtig unangenehm, uns nicht revanchieren zu können. Trotzdem oder auch dank aller Probleme, war die Reise eine sehr gute Idee und ich bereue sie nicht. Morgen wird es dann nur wandern, das wird bei dem Wetter richtig hart. Aber das hält uns nicht auf!