Wie kann man so etwas nur essen? Diese Frage bekomme ich regelmäßig von Japanern gestellt, besonders wenn die von mir mitgebrachten Süßigkeiten mal wieder Lakritze enthalten. Gerade letztere kann ich mit Ausnahme von Shimizu niemandem vorsetzen. Aber auch andere deutsche Dinge sind laut Aussage meiner Freunde und Kommilitonen in Deutschland anders. Besonders behaupteten mittlerweile schon drei japanische Deutschlandreisende, darunter auch Rieko heute wieder, die Schokolade in Deutschland sei süßer als in Japan. Damit haben sie einen wunden Punkt bei mir getroffen. Ich gebe zu, ich habe eine gewisse Neigung zur japanischen Küche. Die Tatsache, das alle Zutaten ihren Eigengeschmack behalten sollen, spricht mich genau so an, wie das Bevorzugen des ursprünglichen, also rohen Geschmackes der Nahrungsmittel. Natürlich ist der geringe Fettanteil japanischer Kost und der hohe Reisverbrauch für mich perfekt geeignet. Aber es gibt auch Dinge, die mich stören und mit der Schokoladenbehauptung wurde ein extrem wunder Punkt bei mir angesprochen – die Süße. In Deutschland nehme ich meist nur schwarze Schokolade zu mir und auch ansonsten verzichte ich gerne auf zu süße Lebensmittel. Hier in Japan ist das leider nicht möglich. Etwas zu essen ist dann erst gut, wenn es in einen Topf Zucker gefallen ist. Das mag drastisch klingen, entspricht aber meinen Erfahrungen und natürlich auch den Erfahrungen der neuen Studenten.
So geschah es heute, dass ich in eine Bäckerei ging. Dazu muss man sagen, japanische Bäckereien sind kaum mit Bäckereien europäischer Natur zu vergleichen. Das Hauptaugenmerk liegt eindeutig auf Kuchen und Sonderarten wie mit Fleisch gefüllte Brötchen oder Nudelbaguette. Echte Brötchen oder gar Brote findet man gar nicht oder nur in ganz seltenen Fällen. Trotzdem versuche ich in wechselnden Abständen, wenigstens mal ein bisschen Brot zu mir zu nehmen. Um so überraschter war mein Gesichtsausdruck, als ich heute einen meiner Stammbäcker betrat. Diesen besuche ich schon fast regelmäßig und die Mitarbeiter haben mittlerweile sogar kapiert, dass sie, wenn ich komme das Gekaufte nicht vier mal einpacken müssen, ich esse es eh meist gleich. Als ich auf jeden Fall den Laden betrat dachte ich, ich phantasiere. Vor mir lag ein wirklicher Brotkanten.
Eine Fatamorgana, eindeutig! Nein, ich konnte es berühren und es war wirklich da. Das kann nicht stimmen, also zur Sicherheit schnell den Namen der Fatamorgana überprüft. Ein französisches Brot, nach echt französischem Rezept. Gut, kein deutsches Brot, aber unsere Nachbarn haben ja nicht so einen anderen Geschmack, das wird schon passen. Die Farbe des Brotes ist dunkel, die Kruste hart, es könnte wirklich ein echtes Brot sein. Schnell noch den Preis überprüfen und dann los. Halt, diese exorbitanten Preise können doch nicht war sein? Über 6 Euro für ein ganzes Laib Brot von im Idealfall 1 kg Gewicht, das ist happig. Zum Glück bietet man auch halbe und viertel Leibe an, das kann man ja mal machen. Ob ich die Yen nun vertrinke oder in so etwas investiere fällt ja auch nicht auf. Gleichzeitig beweist der hohe Preis, dass es sich um etwas besonderes handeln muss. Also wurde ein viertel Leib gekauft und nach einem sehr langen Tag im Büro ging es nach Hause. Schnell das Messer heraus und gekostet. Der Geruch und die Konsistenz scheint auch zu passen, also „Itadakimasu!“ (japanischer Ausruf für „Danke fürs Essen“, wird als Äquivalent für „Guten Appetit“ verwendet.). Die Freude hielt nicht lange, denn der erste Biss bewies, das Brot mag zwar nach einem französischen Rezept sein, an einer besonderen Stelle wurde das Rezept aber dem japanischen Geschmack angepasst. Das ansonsten wirklich nahezu perfekte Brot war total süß. Also nicht nur ein wenig süß, man könnte meinen, es befindet sich eine Zuckerschicht als Aufstrichersatz auf dem Brot. Das Brot war extremst überzuckert und für jemanden, der durch das Äußere andere Vermutungen hatte, fast ungenießbar. Egal, der Versuch war es mir wert, doch irgendwie verstehe ich die Japaner doch nicht. Dass man alles extremst süß essen muss sehe ich ja noch mit etwas Fantasie ein, aber wie kann man bitte noch behaupten, in Deutschland wären Sachen süßer? Mir würde momentan kein einziges Lebensmittel einfallen, was in Deutschland süßer ist als in Japan. Hierzulande sind selbst Naturjogurts extremst gezuckert und bei der normalerweise wirklich großen Auswahl befindet sich meist genau einer, der normal ist. Aber immerhin gibt es einen, deshalb werde ich meine Versuche bei dem Brot auch nicht aufgeben. Irgendwie finde ich schon eins, was dann hoffentlich auch bezahlbar ist. Bis dahin werde ich im Büro wohl noch ein wenig Überzeugungsarbeit leisten müssen. Mal schauen, was die Leute zu etwas Herrenschokolade sagen. Wenn da auch noch über die Süße gemeckert wird, verliere ich den Glauben an meine Kollegen, besonders da dunkle Schokolade hierzulande noch genauso süß ist, wie Milchschokolade in Deutschland.Ansonsten als Randnotiz muss ich feststellen, dass ich meine Kollegen einfach liebe. Nachdem ich letzte Woche zu der Veranstaltung meines Büros nicht eingeladen war und aus Zeitgründen deshalb auch nicht erschienen bin, hat Shimizu sich dafür eingesetzt, dass ich zur nächsten Veranstaltung eingeladen werde. Deshalb habe ich heute von meinem zweiten Betreuer eine offizielle Einladung zu diesen Seminaren, die wohl Kolloquien in Deutschland ähneln, erhalten. Natürlich, wenn man eine Einladung erhält, geht man auch hin dachte ich mir und sagte zu. Die Reaktion ließ mich dann aber doch etwas zweifeln. Ob ich mir das denn gut überlegt hätte? Das geht immer mehrere Stunden und ist meist extremst langweilig, im Vertrauen würde er mir dringendst davon abraten. Was macht man in solchen Fällen? Ich habe mir mit Verweis auf meine anderen Verpflichtungen erst einmal eine Bedenkzeit erbeten und werde mir bis zum Ende der Woche eine Antwort überlegen. Eventuell kann ich mich immer, wenn ich mich danach fühle, auch einfach so hinein setzen, ohne dass ich offiziell eingeladen bin. Dann hätte die Möglichkeit, das Seminar einmal auszutesten und wenn es gar nichts ist, könnte ich es dann ohne Probleme abbrechen. Ich werde mal mit meinem Betreuer sprechen.