Omiyage

Fast alle meine japanischen Mitstudenten müssen wieder in Sendai sein. Ich habe sie zwar noch nicht zu Gesicht bekommen, aber es gibt ein unzweifelhaftes Zeichen, was diese Theorie belegt: der Omiyagehaufen wird immer größer im Büro. Wer kennt es nicht? Man verreist und die ganze Familie verlangt nach einem kleinen Mitbringsel. In Japan ist die Arbeit Teil der Familie, also besagen die ungeschriebenen Gesetze Japans, dass man dem Büro ebenfalls etwas mitbringen muss. In Japan ist der Platz aber knapp und für das Büro wären echte Andenken sowieso viel zu teuer. Also bringt man den Freunden und Kollegen sogenannte Omiyage mit. Dabei handelt es sich zumeist um Süßigkeiten, die in besonders vornehmen Verpackungen in jedem Supermarkt oder Bahnhof verkauft werden. Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. Jede Region hat dabei natürlich ihre Spezialitäten und die Preise sind auch dementsprechend gesalzen. Zwischen 5 und 100 Euro kann man schon mal gut und gerne für eine Packung Omiyage ausgeben. Dabei ist es noch nicht mal von Bedeutung, ob man wirklich eine Spezialität aus der besuchten Region mitbringt. Man war in Tokyo und bringt Omiyage aus dem Sendai Hauptbahnhof mit? Kein Problem, der Gedanke zählt und wie lecker es ist, wird je jeder bestätigen. Genau dieses Phänomen erleben wir gerade im Büro. Die knapp vierzig Studenten, die zum Großteil die letzten zwei Monate das Büro nicht betreten haben, kehren zurück und alle bringen sie ein bis zwei dieser Omiyageboxen mit. Böse Stimmen würden so weit gehen zu sagen, dass wir das große Fressen nachspielen können. Natürlich wird einem auch jede Spezialität förmlich aufgedrängt.

Omiyage

Omiyage

Dabei darf man dann auch solche Seltsamkeiten wie eine eiförmige Süßspeise mit Grünem-Tee-Kuchen als Füllung probieren. Wenigstens lernt man so die Süßigkeitenspezialitäten des Landes kennen, auch wenn man nicht unbedingt alles davon kennen lernen wollte. Gleichzeitig ist diese Tradition aber auch Grund für den allgemeinen Mangel an Souvenirs. Eine Tatsache, die Europäer immer sehr trifft, da man kaum anständige Mitbringsel besorgen kann. Aber gut, lieber Süßigkeiten als irgend einen Staubfänger, den man eh nie wieder anschaut!

Ansonsten habe ich heute offiziell eine Einladung zum Botschaftsempfang am Tag der Deutschen Einheit erhalten. Leider ist ein drei-stündiger Empfang meiner Meinung nach kein ausreichender Grund, nach Tokyo zu reisen. Die Einladung ist aber sehr interessant. Es wird gebeten, sportlich leger, besser noch aber in Uniform oder Tracht zu erscheinen. Zum einen gibt es in meiner Region keine Tracht, die ich freiwillig anziehen würde (es sei denn, FCM-Trikots zählen seit neustem auch zur Tracht), zum anderen dürften hierzulande eigentlich nicht all zu viele deutsche Uniformträger herumlaufen. In anderen näheren Ländern hätte ich das ja noch verstanden, in Japan dürfte es aber nur Uniformträger in Form von Botschaftswachen geben. Wieso deshalb besonders die Tracht und Uniform hervorgehoben wurde, verstehe ich aus diesem Grund beim besten Willen nicht.

Ansonsten haben mir die netten Damen von Group Mori die Liste der ausländischen Neuankömmlinge zugespielt. Wie es aussieht, sind nur zwei deutsche Studenten vom Internationalen Haus betroffen und es werden wohl fünf oder sechs Deutsche insgesamt kommen. Drei habe ich heute schon einmal kurz gesehen. Aber ich warte erst einmal ab, bis ich mich anständig mit ihnen unterhalten kann. Ich bin gespannt.

Soldatenverabschiedung

Endlich, das neue Semester ist fast erreicht und das Büro füllt sich wieder. Mit Shimizu und Kaori sind auch zwei mir sehr wichtige Bekannte endlich wieder im Büro aufgetaucht. Kaori ist absolut entspannt. Sie ist gerade von einer mehrwöchigen Reise aus Italien und Deutschland heimgekehrt. Ihr einziges Ziel für dieses Semester ist die Abschlussarbeit. Leider steht sie vor dem selben Problem wie ihre Leidensgenossin vom letzten Freitag: Was schreiben? Also ging das selbe Schauspiel wie letzte Woche erneut los. Eine Beratungsrunde zum Thema Abschlussarbeiten stand an. Sollten ihre Ideen, die am Ende heraus kamen, aber wirklich von den Professoren abgesegnet werden, würde ich schon etwas am japanischen Universitätssystem zweifeln. Zwar haben ihre Pläne wirklich etwas mit Literatur zu tun, nur die Leitthemen eines Buches heraus zu finden, würde ich maximal als Hausarbeitsthema bezeichnen, nicht aber als Abschlussarbeitsthema. Ich vertraue aber der deutschen Professorin genug, um derartige Pläne schnell zu beenden. Allgemein stellt diese Unwissenheit über die Anfertigung von Abschlussarbeiten einen der Schwachpunkte des japanischen Unisystems stark heraus. Ist es in Deutschland relativ einfach, an eine Universität zu gelangen, so ist es in Japan ein langer Kampf durch Bewerbungsverfahren, Aufnahmetests und Professorengespräche. Hat man es einmal an eine Universität geschafft, sieht die Welt dagegen ganz anders aus. Besteht in Deutschland die Gefahr, bei nicht Erreichen bestimmter Noten schnell von der Uni verwiesen zu werden, versucht in Japan die Uni alles, die Studenten möglichst schnell durch das Studium zu lotsen. Dieses Vorgehen hat Vor- und Nachteile. Auf der einen Seite erlebt man hierzulande kaum Langzeitstudenten oder Studienabbrecher, auf der anderen Seite werden aber auch Studenten, die eigentlich in einem Fach falsch sind, schon einmal mit niedrigsten Noten durchgewunken. Gleichzeitig wird in den ersten Semestern kaum Wert auf eigenständiges Arbeiten gelegt. Die ersten Semester sind bestimmt durch auswendig lernen und Klausuren schreiben. Kein Wunder also, wenn zur ersten Abschlussarbeit dann der Schock um so größer ist.

Zu meiner großen Freude ist neben Kaori auch mein alter Freund Shimizu wieder in Sendai eingetroffen. Das musste mit Lakritze gefeiert werden! Als ob er nie weg war, nahmen wir auch gleich unser gegenseitiges Sprachpartnerprogramm wieder auf und unterrichteten uns gegenseitig in unseren Muttersprachen. Damit ist alles Wichtige wieder an seinem Platz. Meine Sprachpartner sind zum Üben wieder da, genug Materialien zum Durcharbeiten für meine Forschungen sind auch noch vorhanden und mit der deutschen Professorin bekomme ich dieses Semester auch noch mehr Rückendeckung bei meinen Taten. Das Semester kann also losgehen!

Ansonsten haben wir heute einen sehr alten japanischen Brauch gepflegt. Als die Soldaten im zweiten Weltkrieg an die Front versetzt wurden, überreichten ihnen die Frauen japanische Flaggen, auf denen die ganze Familie eine Nachricht hinterlassen hatte. Diese Tradition hat sich nach dem Krieg erhalten und wird heute noch bei Verabschiedungen vollzogen. Verlässt zum Beispiel ein Schüler oder Lehrer eine Schule, erhält er ebenfalls eine derartige Verabschiedung. Da Schüler naturgegebenerweise etwas ärmer sind als normale Menschen, wird die Flagge aber selber gebastelt. Im Mittelpunkt gibt es einen Kreis, wo maximal der Name des Verabschiedeten steht und darum schreiben die Schüler ihre Nachrichten. Als Studenten können wir uns aber natürlich das Original leisten und da mit Andre morgen der letzte Deutsche Japan endgültig verlässt, luden die Japaner seiner Wohnung heute zum Flagge beschriften ein. Leider warnte uns keiner, dass die Japaner Romane geschrieben hatten. Kein Problem, ich bin Historiker. Ich weiß, wie man etwas ausführlich schreibt. Mit viel Überlegen zauberte ich einen längeren Text für die beide Deutschen auf die Fahne. Das Ganze wurde auf jeden Fall ein großartiges Geschenk, an das beide bestimmt ewig denken werden. Aber wir hatten auch beim Schreiben unseren Spaß. Besonders, da uns Ausländern der Kopf rauchte, wie man so einen Text am besten verfasst. Ich würde zu gerne morgen Andres Gesicht bei der Übergabe sehen. Gleichzeitig kommen ab morgen auch die Neuankömmling an. Mal schauen, wer so alles aus Deutschland dabei ist.
Abschiedsgeschenke

Von Wohnungen und Hochwinter

Jeder Student kennt wohl das Problem: Wo soll ich wohnen, wenn meine Wohnzeit im Studentenwohnheim zu Ende geht? In Deutschland wäre man nun auf sich alleine gestellt und dürfte die Wohnungssuche starten. Im University Haus Sanjo versucht man, dem Problem auf andere Weise habhaft zu werden. Schon vor zwei Monaten landete bei uns ein Brief im Briefkasten, der die Studenten aufforderte, ihre zukünftigen Wohnungspläne zu beschreiben. Zieht man zurück zu den Eltern, verlässt man die Stadt oder benötigt man eine Wohnung? Alle Studenten, die ihre Wohnungssuche darlegten, erhielten dieses Wochenende eine Einladung zum Wohnungsmarkt im Wohnheim. Wir anderen waren natürlich auch eingeladen. Sinn der ganzen Veranstaltung war das Zusammenbringen der Studenten mit einigen Immobilienhändlern. Dazu wurden verschiedene studentenfreundliche Wohngelegenheiten vorgestellt und die Studenten auch mit Bussen zu etwaigen Wohnzielen gefahren. Dank dieses Services hatte ich heute auch einmal die Gelegenheit, mich ein wenig in die Wohnungsmarktsituation Japans einzuarbeiten.

Man kann gar nicht sagen, wie dankbar man für einen Wohnplatz in Sanjo sein muss. Die Unterschiede zum etwas billigeren Internationalen Haus habe ich ja schon des öfteren anklingen lassen. Für einen Preisunterschied von knapp fünfzig Euro bekommt man eine Klimaanlage mit Heizfunktion, gute Dämmung, saubere Zimmer und viele Extras gestellt. Die Unterschiede zu echten Wohnungen sind aber noch einmal drastischer. Der Wohnungsmarkt der vorgestellten Wohnungen fing erst bei knapp vierhundert Euro an. Dabei war aber weder Gas noch Wasser mit eingerechnet. Vielmehr muss man wirklich alles selber besorgen, noch nicht einmal die Klimaanlagen sind vorhanden. Ein Mitbewohner besichtigte eine dieser Wohnungen, die keine Heizung und keine Dämmung hatte, was den Winter noch unangenehmer gestalten dürfte. Eine weitere Summe auf den Zetteln der Immobilienmakler überraschte mich dazu noch. Eine zwei bis drei mal so hohe Summe wie die Miete, muss als Einmalzahlung geleistet werden. Meine Nachfrage, ob man dies als Kaution nach dem Auszug wieder bekommt, wurde von den Ansprechpartnern verneint. Die Erklärung ist einfach, wie auch Japanisch. Mit diesem Geld bezahlt man dem Vermieter die Freundlichkeit, dass er einen in seine Wohnung ziehen lassen würde. Als arroganter Europäer bin ich bis dato immer davon ausgegangen, dass der Vermieter jemanden in der Wohnung braucht, um dadurch Geld zu verdienen. Dass dies eher eine Unannehmlichkeit darstellt, ist mir auch neu gewesen. Das bedeutet gleichzeitig, dass man schon bei der billigsten angebotenen Bleibe achthundert Euro verliert, ohne dass man etwas dafür als Gegenleistung erhält, außer das Mietrecht. Für Studenten ist das eine stattliche Summe. Ein Grund warum ich über mein ein Jahres Aufenthalt sehr glücklich bin. Eine bekannte musste aus diesem Grund für ein halbes Jahr in eine echte Wohnung ziehen und diesen Geldbetrag zahlen. Betreffen wird es aber am Ende viele meiner Freunde. nach einem Jahr muss man aus beiden Wohnheimen auf jeden Fall ausziehen. Die Freude der Betroffenen ist auf jeden Fall sehr groß. Zum Glück ist es aber ohne diese Wohnheimveranstaltung auch möglich, eine Wohnung zu erhalten, die günstiger ist.

Nach dieser Exkursion war ich auf jeden Fall heil froh, nicht davon betroffen zu sein und entschied, noch einmal kurz die Stadt aufzusuchen. Mein Weg führte mich über ein neues Konzert im Stadtpark zum Oktoberfest. Mit dem heutigen Tag ist dieses Event endlich auch überstanden. Die Band sah mich schon aus der Entfernung und verabschiedete sich noch überschwänglich. Ich gab ihnen noch einige Ratschläge für Tokyo mit auf dem Weg. Ihre Begeisterung für Japan, eher noch aber für Bier, hat nach 10 Tagen Dauerauftritten aber auch merklich nachgelassen. Als echte Deutsche wurde von ihnen erwartet, dass sie auf der Bühne auch mit Bier erscheinen und regelmäßig das Glas leeren, schließlich haben sie eine Vorbildfunktion für die Japaner und müssen damit den Bierverkauf ankurbeln. Nach 10 Tagen nur Bier, fiel ihnen das aber laut eigenen Aussagen immer schwerer. Auch die ganze Aufmerksamkeit der Japaner wurde für sie immer nerviger. Jeder wollte sie mal berühren oder Fotos machen. Zum Glück wurde das Ganze aber auch sehr gut bezahlt für sie. Ich selber verabschiedete mich aber lieber nur schnell von ihnen und verschwand im Anschluss in die Stadt. In der kurzen Zeit meiner Anwesenheit hatte ich vier verschiedene Freunde getroffen, die alle mit einem Bier mit mir anstoßen wollten. Man muss wahrlich nicht immer trinken.

Die Innenstadt bot aber auch keinen besseren Anblick. Die ganze Stadt bereitet sich auf zwei große Veranstaltungen vor. Zum einen wird alles auf Halloween vorbereitet. Alle Geschäfte sind bis aufs Letzte mit Fledermäusen, Kürbissen und ähnlichem gepflastert, immer aber in der japanischen Version. Man sollte meinen, dass Halloweenkostüme Angst verbreiten sollen, nicht aber so in Japan. Das alte Vorurteil von hässlichen Hexen oder seltsamen Skeletten braucht man hierzulande nicht bedienen, da gibt es lieber die Katzenfrauenhexenkostüme oder ähnliche an Animefiguren angelehnte Verkleidungen. Das zweite Event, was verstärkt vorbereitet wird, ist der Winter. In Anbetracht der überall ausgestellten extra dicken Wollmützen, stelle ich mir langsam wirklich die Frage, auf welche Kältegrade ich mich bitte im Winter einstellen muss. Die Japaner sind auf jeden Fall sehr eifrig dabei, sich eine arktische Grundausrüstung zusammen zu kaufen. Das macht Hoffnung auf mehr.

Von Festen, Konversationspartys und betrunkenen Japanern

Schon wieder ist fast ein Monat herum und einmal mehr steht eine große Konversationsparty des MafuMafu an. Mittlerweile haben sich die Vorteile unter den Studenten herumgesprochen. Kostenloses Essen und Trinken, einige Japaner zum Sprechen und lustig ist es meistens auch noch. So machten sich diesmal mehr Ausländer als üblich auf dem Weg zur Veranstaltung. Mit so einem Zuspruch hätten die Veranstalter laut eigenen Aussagen nie gerechnet. Bevor es aber zu der Veranstaltung gehen konnte, musste ich irgendwie erst einmal in die Innenstadt kommen. Das war gar nicht so leicht, wie es sich anhört.

Am Rathaus findet mal wieder ein Fest statt. Selbst redend, dass ich dort vorbei schauen musste. Meine Freude über eine wirklich mal neue Standanordnung wechselte aber schnell in Zweifel. Wie sich herausstellte, handelt es sich bei dem Fest eher um ein Kinderfest. Einige interessante Gegebenheiten gab es aber auch für den armen Ausländer zu betrachten. Zum einen wäre da die Bühne mit einem Liveauftritt zu nennen. Die junge Dame war wirklich nicht zu beneiden. Bei kaltem Wetter musste sie alleine auf der Bühne eine peinliche Choreographie in sehr kurzem und durchlässigem Kleid durchziehen. Eine morgige Erkältung der Dame würde mich nicht wundern. Zu ihrem goßem Unglück sind Japaner ohne Bier auch noch ziemlich zurückhaltend. Ihre Animationsversuche des jungen und alten Publikums misslangen allesamt und geklatscht wird in Japan offensichtlich aus Prinzip nicht. Trotzdem gab sie mit Kinder- und Erwachsenensongs ihr Bestes, das Publikum auf ihre Seite zu lenken. Viel beliebter als dieser Liveauftritt war aber ein ganz anderer Stand, zehn Meter weiter. Dort wurde gerade ein Schönheitswettbewerb live ins Fernsehen übertragen. Wie man sich vorstellen kann, hatten die Zuschauer alle Stielaugen und es bildete sich eine große Traube. Wieso die Damen so beliebt waren, erschloss sich mir aber beim besten Willen nicht. Nicht nur, dass alle wie 13 aussahen und auch so sprachen – nein, sie waren auch noch total überschminkt und extra stark auf niedlich getrimmt. Aber gut, dass Japaner nun einmal einen anderen Geschmack bei Frauen haben als wir Europäer, habe ich ja schon vor einer ganzen Weile gemerkt.

Im Anschluss an das Festival kam ich am Oktoberfest vorbei. So langsam merkt man, dass das Fest nun schon eine ganze Weile geht. Das Zelt war nicht ganz so gut besucht wie sonst und die Band sieht auch nicht mehr ganz so motiviert aus, wie es anfänglich einmal der Fall war. Wie der Zufall so wollte, kam mir eine bekannte Japanerin entgegen, die mich gleich auf das Fest zog. Den Namen der jungen Dame kenne ich zwar nicht, aber immerhin haben wir zusammen schon den Fuji-San in Angriff genommen, da kann ich nicht einfach weiter gehen. Ein großes Glück für mich. Unter ihren Freunden befand sich doch wirklich eine Jet-Lehrerin, die einen Master in Neuester Geschichte in England absolviert hat. Diese junge Dame muss ich mir vormerken. Echt anspruchsvolle 100-prozentige Fachgespräche erfreuten mein Herz, während sich die Anderen über Gott und die Welt ausließen und ihre Vorlieben verrieten. Einige Trinkgeschichten sollten manchmal wirklich im privaten Raum bleiben, aber gut, in Ansätzen waren wir ja im Privaten. Endlich war es vollbracht. Die Zeit bis zum Konversationstreffen war überbrückt und ich hatte es auch noch irgendwie geschafft, halbwegs pünktlich zu erscheinen.

Der Einstieg wurde einmal mehr aus den üblichen Spielen gebildet. Wie immer war ich nicht ganz schlecht und durfte mir einen Preis aussuchen. Aus Kommunikationsproblemen verzichtete ich sogar auf die Hälfte meines Preises. Es gab zwei 500 Yen Buchgutscheine und ich suchte mir dies aus. Vollkommen sicher, dass der Preis einer der Gutscheine ist, versicherte ich auf Nachfrage der Veranstalter noch einmal, dass 500 Yen sehr gut sind. Eine blöde Sache, da wie ich später herausfand eigentlich gefragt wurde, ob ich den zweiten Gutschein noch gebrauchen kann, aber was soll es? Immerhin konnte sich so noch ein zweiter Gewinner freuen.
Bei der Veranstaltung waren auch mal wieder die kuriosesten Gäste vertreten: Soldaten, die lieber Lügengeschichten erzählen als zuzugeben, dass sie als Militärs arbeiten. Eine ältere Frau, ihres Zeichens Group Mori Mitglied, sah mich dagegen als Erlösung all ihrer Probleme. Ihr Sohn, irgend etwas um die dreißig Jahre alt, sitzt den ganzen Tag nur zu Hause rum und hat auch zu wenig Freunde. Jetzt will sie ihn auf irgend einer Party mit mir bekannt machen und ich soll ihn doch überzeugen, etwas zu unternehmen oder einfach nur ein Freund werden. Zum Glück habe ich ja gar nichts anderes zu tun. Auf der nächsten Group Mori Party sollte ich wohl lieber etwas vorsichtiger sein. Aber auch ansonsten waren interessante Menschen vertreten. Orsolya hatten es dabei besonders die Kinder angetan. In bester Mutter- oder große Schwestermanier kümmerte sie sich hingebungsvoll um die Kleinen, die schon früh von ihren Eltern in Sprachschulen geschickt wurden, um Englisch zu lernen.

Anschließend wollte ich eigentlich nach Hause, Orsolya überzeugte mich aber noch von einem MafuMafu-Abstecher, um Thomas noch einmal für die fehlenden Informationen betreffens des Lions Cub in den Hintern zu treten. Leider war der Laden hoffnungslos überfüllt. Zur Stoßzeit drangen knapp 60 Leute in den kleinen Laden ein. Da ich immer mehr an die Kasse gedrückt wurde, übernahm ich kurzerhand die Initiative und half den Mitarbeitern etwas aus, immerhin sind wir ja alle mittlerweile schon alte Bekannte. Zusammen schafften wir es, den großen Ansturm zu überstehen. Ich wollte mich schon endlich nach Hause begeben, als Thomas noch einmal meine Hilfe anfragte. Ein betrunkener Japaner belästige zwei Japanerinnen mit Nähe, Berührungen und Worten und ignorierte Thomas mahnende Worte, ob ich nicht einmal kurz eingreifen könnte? Kein Problem und sich erst einmal ziwschen den Opfern und dem Täter aufgebaut. Demonstrativ nach einem bösen Blick nahm ich ein kurzes Gespräch mit den Damen auf. Ihm war das gar nicht recht, aber schnell suchte er sich, nachdem wir den Größenunterschied etwas verdeutlicht hatten, doch lieber an anderen Tischen Opfer. Immer wenn ich mich aber von dem Tisch entfernte, kam er wieder. So blieb ich dann doch, bis die Damen gingen, auf gut Deutsch bis zur Schließzeit des Lokals. Wenigstens war das Gespräch mit den beiden nicht ganz öde und als Dank wurde mir auch gutes Essen angeboten, leider aber mit zu viel Fleisch versehen. Betrunkene Japaner können auf jeden Fall sehr nervig werden, zum Glück bin ich aber abschreckend genug gewesen. Warum ich aber in einer Kneipe, wo ich nicht arbeite, trotzdem arbeite, wird wohl für immer mein Geheimnis bleiben. Späteren Japanreisenden kann ich derartige Treffen aber wärmstens ans Herz legen, um Japaner kennen zu lernen. An Begegnungen mangelt es einem auf keinen Fall, auch wenn man aufpassen muss, dann nicht solche Fälle zu treffen, wie die ältere Dame.

Seminarteilnahme und Hausarbeiten auf Japanisch

Manchmal überrascht mich das japanische Universitätssystem doch noch ziemlich stark. In letzter Zeit tritt dieser Fakt sogar relativ häufig auf, seitdem eine der Professorinnen sich doch einmal häufiger mit mir unterhält. So gab es heute das Thema Kurse. Letztes Semester hatte ich kurzzeitig den Versuch unternommen, eine Teilnahme an einem Mittelalterkurs zu erreichen. Da ich mit dem Professor schon Kontakt per E-Mail hatte dachte ich, dies wird ein leichtes Unterfangen. Schnell wurde ich aber abgelehnt. Aufgrund meiner nach seiner Meinung nicht ausreichenden Japanisch-Kenntnisse wurde mir die pure Teilnahme an dem Kurs verwehrt. Nicht einmal einfaches Beisitzen, ohne einmal den Mund zu öffnen (wenn ich es hin bekommen hätte), wurde mir gestattet. Natürlich gibt man sich bei solch einem Versagen selber die Schuld und schlussfolgert, dass der Professor einfach schon einmal schlechte Erfahrungen hatte. Heute wurde ich aber eines besseren belehrt. In Wirklichkeit ist es eher so, dass mir einfach die Kontakte fehlten. In Japan ist es nicht so, dass ein Student solche Versuche alleine unternehmen darf. Nein, in Wirklichkeit muss man einen Fürsprecher mit in den Kurs bringen, der den Professor überzeugt, einen in den Kurs aufzunehmen. Das Ganze funktioniert wohl nach dem alten Prinzip „Ich tue dir einen Gefallen …“. Also hätte ich wohl Professor Morimoto mitnehmen sollen und dieser hätte eine Teilnahme für mich erwirken können. Im Ausgleich hätte er dem Professor etwas geschuldet, bis der den Gefallen einmal eingelöst hätte. Solche Informationen hätte ich mal eher gebrauchen können. Als deutscher Student, der sich um solche Angelegenheiten immer alleine kümmern darf, kann man über derartiges Wissen ja nicht unbedingt verfügen. Eventuell klappt es dieses Semester ja besser, wobei Professor Morimoto immer noch an seinem gebrochenen Arm laboriert.

Als Ausgleich durfte ich feststellen, dass den Japanern ebenfalls auch grundlegendes Wissen nicht unbedingt geläufig ist. Eine Kommilitonin war gerade über einen Monat für ihre Forschungen in Berlin und arbeitet sich sich seit Tagen durch das Internet und die Bibliothek für ihre Magisterarbeit. Thema soll deutsche Mode sein. Was das mit dem Fach Deutsche Literatur zu tun hat? Ehrlich gesagt, keine Ahnung, aber ich kann mir ihre Forschungen ja trotzdem mal erklären lassen. Dementsprechend schilderte sie mir ihre Ideen, die für einen Forschungsaufenthalt und schon über einem Monat abgelaufener Schreibzeit der Arbeit eigentlich nicht existent waren. Also wurde kurzerhand ein Crashkurs „Wie schreibe ich eine Arbeit?“ angefangen. In mehreren Stunden Arbeit erörterten wir alle Möglichkeiten, die sie hat, um aus dem Thema eine wissenschaftliche Arbeit zu formen. Zugegeben, mein Wissen über Mode in Deutschland ist jetzt nicht wirklich umfassend. Wenn ich aber bessere Ideen habe als sie, die schon seid Wochen eigentlich die Arbeit schreiben müsste, ist das schon hart. Auch die möglichen Forschungsmethoden brachte ich ihr näher und langsam haben wir uns einem möglichen Thema für die Arbeit genähert. Ich hoffe, sie überlegt sich die nächsten Tage wirklich ein Thema und hat meine Anmerkungen so weit halbwegs nachvollziehen können. Leider setzte sie nur das typische japanische „Ich verstehe zwar nicht, nicke aber lieber mal brav“-Gesicht auf, so dass ich das nicht mit vollständiger Bestimmtheit sagen kann, aber ich hoffe das Beste. Interessanterweise hat meine Professorin aber mir zugestimmt und mich aufgefordert, doch auch den anderen Arbeitsschreibern in der nächsten Zeit etwas unter die Arme zu greifen. Laut ihrer Aussage schreiben Japaner in der ganzen Unizeit eventuell maximal drei Arbeiten. Kein Wunder also, wenn sie zur Abschlussarbeit etwas verloren wirken. Mal schauen, was da noch alles so kommt. Wieso kann eigentlich keiner mal über etwas interessantes, wie deutsche Geschichte schreiben? Na gut, träumen darf ich ja noch einmal.

Herbstanfang in Sendai – Regen pur

Sendai geht im Regen unter und das passend an einem Feiertag. Da heißt es immer, Japaner hätten nie frei und keine Feiertage, so ganz stimmt das nicht. Mit Deutschland ist Japan zwar bei den Feiertagen nicht zu vergleichen, ein paar freie Tage gibt es aber schon. Nachdem am Montag der „Respektiere das Alter-Tag“ war, fand heute gleich der nächste Feiertag statt, der Herbstanfang. Aus diesem Grund wird die Woche in Japan teilweise auch als Silver Week geführt, in Anlehnung an die Golden Week im Frühjahr mit drei Feiertagen in einer Woche. Wären nicht einige Restaurants geschlossen geblieben, man hätte aber nichts davon mitbekommen. Das Regenwetter hat Sendai immer noch im Griff und kaum waren Leute auf den Straßen anzutreffen. Kein Problem für mich. Schnell den Regenschirm geschnappt und auf in die Stadt. Ein wenig Regen kann doch einen echten Deutschen nicht schocken! Leider fielen alle geplanten Feste aber sprichwörtlich ins Wasser. Nur die Autofahrer hatten ihren Spaß. Mehr als einer versuchte, mich umzufahren. Den Schuldigen konnte ich schnell ausmachen. Japaner haben oftmals Navigationsgeräte mit TV im Auto verbaut. Wer beim Autofahren dann lieber auf den kleinen Bildschirm schaut, kann den armen Ausländer unter seinem Regenschirm natürlich nicht sehen. Also der Straßenverkehr in Japan ist eindeutig eine Wonne. Wenn ich den heil überstehe, mache ich drei Kreuze im Kalender. Busfahrer, immer auf die Pünktlichkeit bedacht, fahren wie die Henker – mit überhöhter Geschwindigkeit in die Kurve, kein Problem. Autos auf schmaler Straße überholen, warum nicht. Der Bus ist doch wendiger als ein Sportauto, das wird schon alles klappen. Die Taxifahrer fahren durch die schmalsten Gassen und gerne auch mal mit ihren Gästen oder am Funkgerät sprechend, ohne auf die Straße zu achten und die Autofahrer brauchen ihr Fernsehprogramm. Der Straßenverkehr ist also ein Traum und heute konnte ich mich wirklich öfter nur gerade so retten.

Dafür bekam ich aber eine Anfrage, ob man nicht abends irgendwo hingehen könnte. Die Deutsch – Finnin vom letzten Freitag hatte Lust, etwas zu unternehmen und mit netten Gesprächspartnern ist mir Abwechslung natürlich immer recht. Zusammen ging es erst einmal ins MafuMafu, wenn auch ohne Thomas. Das restliche Personal kennt mich aber auch so gut genug. Relativ schnell wurden wir von Japanern ausgequetscht. Was ist das eigentlich mit Japanern und Deutschland? Unsere beiden Gesprächspartner waren auch schon einmal in Deutschland, aber wie immer nur in den üblichen drei, vier Städten. Wie man aber dazu kommt, Nürnberg und Co als Ostdeutschland zu bezeichnen, muss ich zum Glück nicht verstehen. Das übliche Alter schätzen verloren die Beiden aber absolut. Man schätzte uns beide auf 18. Also geht es den Japanern mit uns nicht anders, als anders herum beim Schätzen. Yosuke, der japanische Koch der Bar, servierte uns im Anschluss Oliven. Oliven nach über sechs Monaten – das war ein Traum. Da es nun aber immer voller wurde, verließen wir die Bar nach einiger Zeit und es ging zu einem Rundgang durch die Stadt. Gleichzeitig konnte ich mich ein wenig über meine Forschungsthemen austauschen. Wirklich Interessierte an meinen Themen fehlen mir hier merklich. Man merkt schon, dass die meisten Studenten Naturwissenschaftler sind. Naturgegeben interessieren diese sich nicht für Geisteswissenschaften, können eher gesagt eigentlich gar nichts damit anfangen. Dementsprechend wenig kann ich mich austauschen, ein belastender Zustand. Dementsprechend schön war es, endlich mal wieder wirklich etwas zum besten zu geben. Auffällig war heute aber die Polizei. Ich weiß nicht, ob es nur ein Zufall war, aber ziemlich viele Polizisten kontrollierten heute in der Stadt – besonders auch die Rauchregeln. In Sendai gibt es einige Straßenzüge, in denen man nicht beim Gehen rauchen darf, ein sehr kurioser Zustand. In Restaurants darf man überall rauchen, auf der Straße aber nicht. Bei Festen gelten noch Sonderregelungen. Beim Oktoberfest oder Baseball darf man vor Ort gar nicht rauchen, sondern man muss den Weg in ein etwas abseits gelegenes Raucherabteil suchen. Heute auf der Straße wurde die Einhaltung des Rauchverbotes auch ausgiebig kontrolliert und einige Japaner wurden mit Strafen belegt.

Dazu waren wir natürlich Gesprächsthema Nummer eins bei vielen Japanern, so dass man auch einige Kontakte zu den Einheimischen knüpfen konnte. Was will man mehr? Natürlich Japaner, die Auto fahren können und Japaner die es lernen, nicht das Rad und einen Regenschirm gleichzeitig zu nutzen, jedenfalls nicht, wenn man es nicht beherrscht. Gut, man kann aber leider nicht alles haben!

Unter Löwen

„Willst du kostenloses Essen? Wo muss ich unterschreiben? Halt – nicht auflegen, wo ist der Haken? Keine Ahnung, sei einfach in dreißig Minuten im MafuMafu!“ So sah heute um 17 Uhr ein sehr aussagekräftiges Telefongespräch aus. Eigentlich befand ich mich noch im Büro und dachte gerade darüber nach, wann ich den Nachhauseweg einschlagen sollte. Auf derartige Aktionen war ich nicht eingestellt, aber eventuell handelte es sich einfach nur um ein normales internationales Essen oder derartiges. Orsolya weiß schon, wie man mich ködern kann und setzte gekonnt meine Achillesverse, kostenloses Essen, ein. Welcher Student soll bitte da schon nein sagen? Also wurde sich auf das Fahrrad geschwungen und im strömenden Regen und in Rekordzeit der Weg zu Thomas zurückgelegt. Wie sich herausstellte, hatte Thomas spontan einen Hilferuf an Orsolya geschickt. Für eine Veranstaltung wurden Ausländer benötigt. Neben uns beiden sind noch ein Finne, mein Nachbar Dai und eine Estin dem Hilfegesuch gefolgt. Für knapp fünfundvierzig Minuten Vorbereitungszeit eine stattliche Zahl. Wofür wir eigentlich benötigt werden, konnte er uns aber auch nicht sagen. Gleichzeitig entstand das erste Problem.

Dai machte sich in seiner südamerikanischen Gemütlichkeit nicht direkt auf zum Treffpunkt, sondern fuhr erst mal ins Wohnheim zurück. Aus diesem Grund war seine rechtzeitige Ankunft nicht mehr sicherzustellen und Thomas musste ihn schweren Herzens ausladen. Japaner sind doch recht streng beim Thema zu spät kommen. Leider ignorierte Dai unsere Nachricht, dass er nicht mehr kommen braucht und stand auf einmal vor der Tür. Wir mussten ihm so erklären, dass wir nichts mehr machen können, ein Umstand den er nicht wirklich einsehen wollte. Hätte er aber gesehen, was wir sahen, wäre es ihm auch klar gewesen, warum es so streng gehandhabt wurde. Schon bei unserer Ankunft fühlten wir fünf Studenten, ein Türke hatte sich noch angeschlossen, uns leicht deplatziert. Alle anwesenden Menschen trugen Anzüge und der Veranstaltungsort war eines der nobelsten Hotels der Stadt. Was sollte uns nur erwarten? Nicht einmal der Veranstalter ließ sich herausfinden. Ein Glück, dass ich immer Hemden trage. Mittels schnellem Hemd in die Hose stecken kann man so wenigstens ein etwas formelleres Aussehen erreichen. Endlich wurden wir hereingelassen. Auf dem Weg hinein verlor die Estin auch noch ihren Ehering, den ich glücklicherweise gleich entdeckte. Im Inneren erwartete uns der pure Luxus und viele Japaner in edlen Anzügen und Kleidern. Der Lions Club Sendai lud ein – man kann also sagen, die wichtigsten Menschen Sendais. Wir wurden noch schnell an verschiedene Tische verteilt und los konnte die Show gehen.

Dankbarerweise wurde ich an einen Tisch mit Thomas gesetzt, ein sicheres Schutzschild bei japanischen Fragen. Gleichzeitig befand sich ein Mitte dreißigjähriger Geschäftsmann am Tisch, der sich gleich um und an meine Seite setzte. Er wollte sich um meine Verpflegung kümmern. Keine Minute verging, ohne dass er mein Glas überprüfte, ob es mir nicht an Alkohol fehlte. Gleichzeitig war die einzige Dame am Tisch stets um mich besorgt, ob ich denn mit den servierten Köstlichkeiten zurecht komme. Endlich bewies sich meine Entscheidung, Visitenkarten anzufertigen als goldrichtig. Nicht nur das Namensrätsel ließ sich so auf elegante Weise lösen, einige der Anwesenden waren auch begierig darauf, ihre Visitenkarten mit den Studenten zu tauschen. Bis auf die Estin und meine Wenigkeit besaß aber niemand dergleichen. So stürzte man sich halt auf uns. So gelangte ich auch in den Besitz von Karten einiger der wichtigsten Menschen Sendais, wie zum Beispiel von Parlamentsmitgliedern. Leider überzeugte Orsolyas Verwendung der japanischen Sprache die Leute, uns nur noch auf Japanisch anzusprechen. Versteht sie normalerweise rund achtzig und ich rund sechzig Prozent, so ging das bei der Geschwindigkeit und Ausdrucksweise der Anwesenden auf fünfzig und fünfundzwanzig Prozent zurück. Sie agierte deshalb teilweise als meine Übersetzerin, was nicht zuletzt einer der Gründe für die vielen Rückfragen, ob sie meine Ehefrau sei, gewesen sein könnte. Wir schlugen uns aber sehr ehrbar und hielten auch alle Regeln der Etikette ein, wie immer anderen die halb leeren Gläser nachzuschenken. Leider taten die Japaner dies auch und so standen in kürzester Zeit Bier, Sake und Wein vor mir. Gleichzeitig stellte es sich heraus, dass die Dame an meinem Tisch auch die Chefin des Catererbetriebes war. Da an unserem Tisch zwei Gäste nicht erschienen sind, wurde mir auf einmal auch deren Essen vorgesetzt und bei Japanern darf man natürlich nicht nein sagen. Schwere Arbeit für meinen Magen, wobei Teile des Essens sehr lecker waren. Das Sashimi war von feinster Qualität und die Fische, die vorgesetzt wurden, waren garantiert auch nicht billig gewesen. Dazu gab es noch die verschiedensten Köstlichkeiten. Abgeschlossen wurde das ganze Fest nach einiger Zeit mit einer Kreisbildung und einem Abschlussgesang, der Hand in Hand ausgeführt wurde.

Endlich Freiheit, sollte man meinen. Dem war aber bei weitem nicht so. Die Veranstalter und führenden Köpfe des Clubs forderten uns auf, mit nach Kokubuncho zu fahren und noch in eine Bar zu gehen. Ein nein wird nicht akzeptiert und ehe wir uns versahen, befanden wir uns in Taxis auf dem Weg in die Vergnügungsmeile. Extra für die anwesenden 20 Leute wurde ein exklusiver Hostessenclub gemietet, wo wir von fünf Damen hofiert und bedient wurden. Noch einmal hieß es, sich der Fragen der Japaner zu erwehren beziehungsweise sie erst einmal zu verstehen. Es wurde ein sehr anstrengender aber auch interessanter Abend. Derartiges in unseren Freundeskreisen nachzustellen, können wir aber gleich abschreiben. Geben wir an teuren Abenden für derartige Nomihodeis (zwei stündige Trinkveranstaltungen) im schlimmsten Fall rund je zwanzig Euro aus, so kostete dieser Club pro Person über hundert, ein Betrag den dankbarerweise die Veranstalter für uns übernahmen. Besonderes Thema war auch mal wieder meine Größe, wenn man nicht gerade über Orsolyas und meine etwaige Beziehung etwas erfahren wollte. Ein Japaner ging, soweit mich im Fahrstuhl runter zu ziehen, weil ich die anderen so überragen würde und das doch unnatürlich wäre. Natürlich meinte er das nur aus Spaß. Besonderes Highlight für die Veranstalter stellte aber eigentlich das Verabschieden dar. Gerade kam eine Gruppe junger Japanerinnen aus dem gleichen Gebäude. Sie fingen an, mit unserem Finnen und dann allen jüngeren Ausländern zu flirten. Ein Umstand, der die älteren Herrschaften ziemlich amüsierte und zu interessanten Aufforderungen führte. Insgesamt war es auf jeden Fall ein sehr gelungener Abend, auch wenn wir schlecht vorbereitet waren und man wirklich immer auf Alarmstufe Rot stehen musste. Man durfte keinen Fehler machen und die Japaner machten dies auch absolut klar. Gleichzeitig zeigten sie ausführlich, wie wichtig sie waren. Schön war es aber trotzdem, mal so eine Veranstaltung zu erleben und gleichzeitig zu erleben, wie Japaner Geschäftsbeziehungen in Clubs knüpfen. Thomas bestätigte uns noch, dass die gesamte Situation im Hostessenclub wohl normalen japanischen Geschäftsessen entsprechen würde. Interessant, so etwas einmal aus erster Hand erlebt zu haben.

Bürochaos

Das Semester fängt bald wieder an und im Büro der deutschen Literatur herrscht Chaos. Woher kenne ich das nur? Im Endeffekt gibt es zwischen dem Studium in verschiedenen Ländern doch keine so großen Unterschiede. In diesem Fall ist für dieses Chaos mein betreuender Professor verantwortlich. Leider hat er es geschafft, sich den Arm zu brechen und deswegen jetzt im Krankenhaus zu liegen. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass er gerade andere Probleme hat, als sich um die Angelegenheiten des Büros zu kümmern. Hauptleidtragender dürfte damit aber in gewissem Sinne ich sein. Wie es im nächsten Semester weitergeht mit meinen Kursen, kann mir leider niemand sagen. Noch nicht einmal die Ergebnisse meiner Sprachprüfungen letztes Jahr sind mir bekannt. Verständlicherweise sind die anderen Professoren und mein zweiter Betreuer auch nicht so weit informiert und so sitze ich momentan etwas auf dem Trockenen. Zum Glück ergeben sich durch die Arbeit an dem PC der deutschen Professorin für mich gleichzeitig aber auch ungeahnte Möglichkeiten. Sah ich sie bis dato nur äußerst selten, hatte ich die letzten Tage Gelegenheit, ausgiebigere Gespräche mit ihr zu führen. Neben einer Einladung zum Tag der Deutschen Einheit in die Deutsche Botschaft, betreffen diese Gespräche verständlicherweise das Studium. So interessierte sich wirklich mal ein Professor für meine Forschungen und ich konnte wirklich eine Mindstorming-Session mit jemand anderem machen. Bisher waren alle meine Ideen und Untersuchungen alleine auf meinen Mist gewachsen und maximal mit anderen Studenten abgesprochen, deshalb ist eine derartige Gesprächsrunde für mich zur Abwechslung einmal sehr nützlich gewesen. Nur bei einer ihrer Meinungen würden die Göttinger Forscher vermutlich verzweifeln. Der in Göttinger Kreisen sehr geschätzte W. G. Sebald, wurde von ihr als überschätzt eingestuft. Ich halte mich in diesem Fall lieber mit Wertungen zurück.

Ansonsten schaffen es Japaner immer wieder, mich zu überraschen. Um meinen Vitamin- und Nährstoffhaushalt auf der Höhe zu halten, leistete ich mir heute den Luxus einiger Karotten. Dazu muss man sagen, dass man in Japan teils abenteuerliche Preise für Gemüse und Obst zahlen muss. Ein Apfel kann da schon einmal schnell 1.50 bis 2 Euro kosten. Auf jeden Fall hatte ich Hunger auf diese Karotte, reinigte sie noch im Laden und biss beherzt beim Herausgehen zu. Der japanische Ladenbesitzer wollte seinen Augen gar nicht trauen und versuchte mir klar zu machen, dass ich die Karotte doch schälen müsste. Er hatte schon ein Messer in der Hand, um diese Aufgabe zu übernehmen. Wieso es so schädlich sein soll, die Schale so zu essen, war mir aber nicht klar und so ließ ich mich auch zu seinem Frust nicht davon abbringen. Vermutlich haben Ausländer damit wieder einen Punkt mehr auf der Barbarenliste der Japaner gewonnen, mir war es egal und lecker war es auch so.

Abends gab es dann noch ein Sechs-Pilzarten-Omelett in einer Co-Produktion mit Orsolya. Aufgrund der großen produzierten Menge an Omelett versorgten wir Nobu gleich auch noch damit. Dieser war so begeistert, dass er den Nachtisch in Eisform sponserte und von uns das Rezept für Omelett haben wollte. Im Endeffekt müsste Omelett in Japan auch bekannt sein, aber offensichtlich war es doch überraschend. So haben wir wenigstens eine Studentenspeise jetzt neu in Japan einführen können. Wichtiger an dem Essen war aber die Tatsache, dass wir mit viel Mühe Nobu zum Erzählen über seine Forschungen bringen konnten. Wenn wir ihn richtig verstanden haben, sind Teile seiner Masterarbeit ziemlich nahe an meinen Interessengebieten gelegen. Wieso er erst heute damit raus rückte, ist aber wirklich seltsam. Da die Punkte aber sehr interessant sind, hat er mir versprochen, mich demnächst noch genauer darüber zu informieren. Vielleicht kann ich ja einige Erkenntnisse daraus einmal für eigene Ansätze verwenden. Zum Glück kenne ich mit ihm einen der wirklich seltenen Geisteswissenschaftler hier in meiner Uni, wenn jetzt nur noch die Verständigung leichter wäre.

„Respektiere das Alter“-Tag

Nachdem die alltäglichen Pflichten heute erledigt waren, rief Orsolya bei mir an, ob ich denn heute das internationale Fest mal vollständig sehen möchte, sie würde dort warten. Natürlich möchte ich das sehen, die Aufbauten und Informationen gestern hatten Lust auf mehr gemacht. Zufälligerweise machte sich auch ein Schwede zeitgleich mit mir auf den Weg. Also schlossen wir uns zusammen, um das Fest zu erkunden. Irgendwie ging das aber schneller als erwartet. Leider enttäuschte uns der erste Eindruck schon stark. Im Gegensatz zu gestern waren einige der Stände gar nicht geöffnet und die Vielfalt ließ arg zu wünschen übrig. Laut meinen Informationen waren ursprünglich über vierzig Stände eröffnet, die unterschiedlichste Speisen anboten. Bei unserem Erscheinen fanden wir eventuell die Hälfte vor. Dieser Umstand war auch nicht zuletzt auf den mangelhaften Zuspruch an Besuchern zurückzuführen. Thomas erklärte uns daraufhin, dass wir zwar den Ansturm verpasst hatten, der heutige Tag des Festes aber wirklich nicht mit dem gestrigen Tag zu vergleichen wäre. Kein Problem, schnell Orsolya von ihrem Lieblingsplatz, dem Bücherverkaufsstand, losgeeist und zusammen mit einer japanischen Bekannten ging es gemeinsam über das Gelände. Wenn man schon einmal da ist, kann man sich auch alles in Ruhe anschauen.

An sieben Ständen wurde ausländisches Essen angepriesen. Leider ignorierten die Köche aber die Möglichkeit komplett, dass es auch vegetarische Besucher geben könnte. Gerade in Japan ein seltsames Versäumnis, kennt man doch auch Religionen, die das Fleischessen untersagen. Ein großer Stand ermöglichte es, traditionelle Kleidung anderer Länder anzuprobieren und erfreute sich besonders hoher Beliebtheit. Besonders Frauen konnten der Möglichkeit nicht widerstehen, verschiedenste Kleider auszuprobieren. Die Begeisterung der Männer dagegen war traditionell nicht unbedingt die Größte. Ansonsten sind eigentlich nur noch einige Informationsstände erwähnenswert. Einer stellte eine Maschine vor, die aus altem Papier Toilettenpapier herstellt. Dazu gab es für jeden Besucher eine kostenlose Rolle. Der Schwede und ich vermuten aber, dass das Toilettenpapier unsere Rohre verstopfen wird, richtig vertrauenerweckend sieht es nicht aus. Egal, Versuch macht klug und schlimmer als das normale einlagige japanische Papier kann es auch nicht sein. Weiterhin informierte ein Tsunamiforscher über die Ergebnisse seiner Forschungen, ein hochinteressantes Thema. Im Prinzip hat er nur einen Schnitt angefertigt, ein von Archäologen liebend gern verwendetes Mittel. Dementsprechend stellte ich ihm einige Fragen, die er nur halbwegs zufriedenstellend beantworten konnte. Ob ich eventuell doch nicht zu sehr ins Archäologische hätte abwandern sollen? Trotzdem erlebte ich ihn als sehr bemühten Wissenschaftler. Das absolute Vertrauen, was einige Wissenschaftler in derartige Schnitte haben, werde ich aber nie nachvollziehen können. Es ist schon besser, dass ich für den Master Archäologie abgewählt habe.

Absolutes Highlight des ganzen Festes stellte aber der Erdbebensimulator dar. Dabei wird man an einen Tisch gesetzt und der Boden bebt wie bei einem Erdbeben der Stufe sieben. Leider war das Vergnügen viel zu schnell vorbei. Ich muss aber ehrlich sagen, so schlimm fand ich das Beben gar nicht. Viel schlimmer war, dass alle Teile im Simulator fest angeschraubt waren und ich beim Einsteigen und Aussteigen überall gegen stieß. Merke: Gegenstände in japanischer Größe sind gefährlicher als Erdbeben. Bis auf die Tatsache, dass knapp 30 Japaner uns und unsere Reaktionen auf das Erdbeben von außerhalb des Simulators beobachteten kann man sagen, dass der Simulator das Highlight des Tages war. Da der Simulator offen war und alle Passanten wegen uns das Schauspiel begafften, konnte aber schon etwas nervig sein. Die Idee des Simulators ist aber nicht verkehrt. Gerade bei der Häufigkeit von Erdbeben ist eine Sensibilisierung der Bevölkerung ein profanes Mittel.

Wirklich zufriedenstellend war das Fest noch nicht. Wir schafften es zwar, uns eine ganze Weile zu beschäftigen, aber den Tag einfach damit zu beenden, das wollten wir dann doch nicht. Also schlug Orsolya vor, ins Kino zu gehen. Bis dato hatten weder der Schwede noch ich ein japanisches Kino von innen gesehen. Warum also nicht? Wegen der Filmauswahl! Leider wurde die uns erst mitgeteilt, als es schon zu spät war und so durften wir uns ein Drama mit Liebesgeschichtsanteilen anschauen. Das hat man nun davon, wenn man sich an das Motto des heutigen Feiertages hält: Der „Respektiere das Alter“-Tag. Eigentlich ist damit ein allgemeiner Gedenktag an die Verstorbenen gemeint. Im Gegensatz zu Deutschland wird in Japan weniger am Tag des Todes getrauert, sondern an diesem bestimmten Tag. Dazu muss man noch nicht einmal unbedingt das Haus verlassen. Jede Familie hat Familienschreine in der Wohnung, wo man ebenfalls beten kann. Um diesen Tag auch wirklich auszunutzen, haben die Japaner seine Bedeutung mittlerweile aber verstärkt ausgebaut. Nicht nur den Toten wird gedacht, sondern auch den älteren Familienmitgliedern. Dass diese Tradition sehr ernst genommen wird, sah man stark daran, dass die Japaner kaum auf der Straße waren oder wenn, dann meist in einer Gruppe mit der Verwandtschaft. Um unsere Älteste ansprechend zu ehren, entschieden wir, da dass Orsolya heute entscheiden durfte. Wie man an der Filmauswahl sah, keine gute Idee.

Wenigstens ganz so schrecklich wie erwartet, war der Film zum Ende hin nicht. Immerhin waren der Bilder absolut sehenswert. Das Kino ist mit einem deutschen Kino aber nicht zu vergleichen gewesen. Gerade mal vier Reihen besaß es und man saß dementsprechend nah an der Leinwand. Die Preise für Getränke waren noch im hinnehmbaren Bereich und aufgrund unseres Status als Student, kamen wir noch verhältnismäßig billig ins Kino. Nächstes Mal frage ich aber lieber vorher nach, was für einen Film wir denn schauen. Interessanterweise wurde der Film im Original, mit Untertiteln, gezeigt. Das soll hierzulande bei amerikanischen Filmen wohl häufiger der Fall sein. Für uns war das auf jeden Fall eine angenehme Überraschung. Zweieinhalb Stunden Liebesfilm in Japanisch hätte ich ohne einzuschlafen wohl nicht überstanden. Anschließend verbrachten wir noch etwas Zeit in einem Donutladen, ehe es 23 Uhr dann doch nach Hause ging.

Ein Fest verpasst, dafür ein Spontanfest erlebt.

Manchmal sollte man einfach ganz ruhig bleiben. Habe ich gestern noch über die Kommentare der Japanerinnen gelacht, die über uns Deutsche gemacht wurden, bin ich heute in fast die gleiche Situation hinein geschlittert, nur ohne die Unterstützung anderer Deutscher zu haben. Aber der Reihe nach: Thomas hatte uns vor zwei Tagen informiert, dass es ein internationales Fest geben wird, wo es Gerichte von vierzig Nationalitäten zu erwerben geben wird. Gleichzeitig nutzte er das älteste Mittel, um uns Ausländer zu diesem Fest zu locken, er stellte als Bierausschenker des Festes ein Freibier in Aussicht. Keine Frage, da müssen wir vorbei schauen. Wir wären zwar auch so vorbeigekommen, aber manche Angebote müssen ausgenutzt werden. Leider schafften Orsolya und ich es dank perfekter Absprachen erst gegen achtzehn Uhr zum Standort des Festes, aber so kann man wenigstens zu Abend essen. Leider hatte uns keiner gewarnt, dass die Veranstaltung schon früh zu Ende geht und die meisten Hütten waren schon geschlossen. In den restlichen gab es noch Kleinigkeiten zu essen und die Künstler der Stadt hatten sich dort einquartiert. Unter anderem der Künstler, von dem ich öfter mal Kalligrafien anfertigen lasse. Interessanterweise erkannte er mich sofort wieder, obwohl ich gar nicht so oft zu Gast bin und er immer viele Kunden hat, auch Ausländer. Vermutlich sind unsere Gespräche mit Händen und Füßen aber in seinem Gedächtnis geblieben.

Noch vorhanden war aber auch der Stand von Thomas, auch wenn er langsam zusammenbaute. Da ich eh nicht viel Besseres zu tun hatte, half ich ein wenig aus. Ein Umstand, mit dem ich mir mein Freibier dann auch redlich verdiente. Ein wenig moralische Unterstützung schadet aber auch nicht. Ich kann ja schlecht zuschauen, wie andere schuften. Über diesen Gedankengang meinerseits weniger erfreut, war eine 23-jährige Japanerin, die mit einem Freund auch gerade am Stand war und sich mit Thomas unterhielt. Sie sah sich genötigt, auch zur Hand zu gehen und so reinigten wir zu dritt einen Tayakibräter. Wenn man schon gemeinsam reinigt, kann man sich auch ein wenig unterhalten. Sie kramte ihr bestes Englisch aus und los ging es. Ab dem Zeitpunkt, wo sie mir versuchte klar zu machen, dass ihr Begleiter nicht ihr Freund sei, hätte mir die ganze Sache ja schon Spanisch vorkommen sollen. Aber gut, das ist eine Aussage, die ich hier so öfter zu hören bekomme. Nach einiger Zeit wurde ich nach meiner Mailadresse gefragt, man könne ja mal seine Englischkenntnisse und Japanischkenntnisse etwas auffrischen. Ein Vorschlag, dem ich nur all zu erfreut zustimmte. Was mich dann doch etwas an diesen Plänen zweifeln ließ war die Mail, die ich daraufhin bekam. Mir ist ja klar, dass Japanerinnen gerne einmal Smilies verwenden, für eine flüchtige Bekannte hat die junge Dame aber dann doch zu viele Herzen in ihrer Nachricht untergebracht. Nobu, dem ich die Nachricht gezeigt habe, hat so seine Zweifel, aber ich glaube ja noch an das Gute im Menschen. Sie braucht sich auf jeden Fall keine Hoffnungen zu machen.

Aber auch ansonsten wurde es ein interessanter Abend. Ich blieb bewusst in Thomas Nähe und es sollte sich auszahlen. Zum einen sorgten einige japanische Hip Hopper und Rapper für ein Spontankonzert auf der Bühne genau neben dem Stand. Man kann zu der Musik stehen wie man will, meinen Geschmack haben sie nicht getroffen, gut waren die Jungs aber alle male. Obwohl die Veranstaltung schon längst beendet war, verblieben rund siebzig Leute auf dem Gelände, um sich zu unterhalten und um dem Konzert zu folgen. Japaner als gefährliche Hip Hopper und Rapper, wie sie sich gerne darstellten, war zwar nicht wirklich ernst zu nehmen, aber es war eine spaßige Veranstaltung. Dazu falle ich auch noch ziemlich auf, so dass ich noch einige interessante Menschen kennenlernte. Einmal kurz hingesetzt auf einer Treppe und schon saß ein Japaner neben mir und wollte sich unterhalten, so verlief der ganze Abend. Die interessanteste Bekanntschaft war aber eine junge Dame, die in einem Nachbarort als Hauptforscherin an Wegen arbeitet, die Flucht der Leute in die Stadt zu unterbinden. Unsere Gespräche über Generationengeschichte, aber auch die Fluchtproblematik aus dem ländlichen Gebieten, waren sehr aufschlussreich. Im Endeffekt hat sie mir damit auch Fakten über die Gedankenwelt der ländlichen Bevölkerung in den letzten zwanzig Jahre in die Hände gespielt. Da sie auch noch Deutsch und sehr gut Englisch beherrschte, war unser Gespräch eindeutiges Highlight.

Obwohl ich mein eigentliches Ziel verfehlte, mir etwas zum Abendbrot zu besorgen, lohnte sich das ganze Fest auf jeden Fall. Beim Oktoberfest kann man eigentlich nur Spaß haben, wenn man mit den richtigen Leuten hin geht. Die Japaner tendieren leider dazu, sich viel zu schnell mit dem angebotenem Bier abzuschießen. Durch die andere Struktur dieses Festes gelingt es hier viel eher, mit den anderen Leuten ins Gespräch zu kommen. Selbst kleine Kinder waren neugierig und gingen auf die zwei komischen Ausländer los, zum Glück ist Thomas Japanisch sehr genial. Auch ansonsten waren alle Bekanntschaften sehr nett, wenn ich auch bei der 23-jährigen sehr gespannt bin, auf was sie nun wirklich aus ist. Aber gerade Japaner davon zu überzeugen, sich freiwillig mit jemandem zu unterhalten, ist normalerweise ein Ding der Unmöglichkeit. Hier gelang es ohne weiteres. Schön, dass man auch mal solche Gelegenheiten hat. Morgen werde ich auf jeden Fall wieder vorbei schauen und diesmal hoffentlich auch alle Stände offen erleben. Schade nur, dass ich diesmal frei nach Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“ keine Speicherkarte für meine Kamera dabei hatte und auf Fotos und vor allem Videos des Spontankonzertes verzichten musste. Der Anblick, wie Teile des Publikums mit gingen, hätte eigentlich auf Film gebannt werden müssen, aber eventuell ja morgen wieder.