Unter Löwen

„Willst du kostenloses Essen? Wo muss ich unterschreiben? Halt – nicht auflegen, wo ist der Haken? Keine Ahnung, sei einfach in dreißig Minuten im MafuMafu!“ So sah heute um 17 Uhr ein sehr aussagekräftiges Telefongespräch aus. Eigentlich befand ich mich noch im Büro und dachte gerade darüber nach, wann ich den Nachhauseweg einschlagen sollte. Auf derartige Aktionen war ich nicht eingestellt, aber eventuell handelte es sich einfach nur um ein normales internationales Essen oder derartiges. Orsolya weiß schon, wie man mich ködern kann und setzte gekonnt meine Achillesverse, kostenloses Essen, ein. Welcher Student soll bitte da schon nein sagen? Also wurde sich auf das Fahrrad geschwungen und im strömenden Regen und in Rekordzeit der Weg zu Thomas zurückgelegt. Wie sich herausstellte, hatte Thomas spontan einen Hilferuf an Orsolya geschickt. Für eine Veranstaltung wurden Ausländer benötigt. Neben uns beiden sind noch ein Finne, mein Nachbar Dai und eine Estin dem Hilfegesuch gefolgt. Für knapp fünfundvierzig Minuten Vorbereitungszeit eine stattliche Zahl. Wofür wir eigentlich benötigt werden, konnte er uns aber auch nicht sagen. Gleichzeitig entstand das erste Problem.

Dai machte sich in seiner südamerikanischen Gemütlichkeit nicht direkt auf zum Treffpunkt, sondern fuhr erst mal ins Wohnheim zurück. Aus diesem Grund war seine rechtzeitige Ankunft nicht mehr sicherzustellen und Thomas musste ihn schweren Herzens ausladen. Japaner sind doch recht streng beim Thema zu spät kommen. Leider ignorierte Dai unsere Nachricht, dass er nicht mehr kommen braucht und stand auf einmal vor der Tür. Wir mussten ihm so erklären, dass wir nichts mehr machen können, ein Umstand den er nicht wirklich einsehen wollte. Hätte er aber gesehen, was wir sahen, wäre es ihm auch klar gewesen, warum es so streng gehandhabt wurde. Schon bei unserer Ankunft fühlten wir fünf Studenten, ein Türke hatte sich noch angeschlossen, uns leicht deplatziert. Alle anwesenden Menschen trugen Anzüge und der Veranstaltungsort war eines der nobelsten Hotels der Stadt. Was sollte uns nur erwarten? Nicht einmal der Veranstalter ließ sich herausfinden. Ein Glück, dass ich immer Hemden trage. Mittels schnellem Hemd in die Hose stecken kann man so wenigstens ein etwas formelleres Aussehen erreichen. Endlich wurden wir hereingelassen. Auf dem Weg hinein verlor die Estin auch noch ihren Ehering, den ich glücklicherweise gleich entdeckte. Im Inneren erwartete uns der pure Luxus und viele Japaner in edlen Anzügen und Kleidern. Der Lions Club Sendai lud ein – man kann also sagen, die wichtigsten Menschen Sendais. Wir wurden noch schnell an verschiedene Tische verteilt und los konnte die Show gehen.

Dankbarerweise wurde ich an einen Tisch mit Thomas gesetzt, ein sicheres Schutzschild bei japanischen Fragen. Gleichzeitig befand sich ein Mitte dreißigjähriger Geschäftsmann am Tisch, der sich gleich um und an meine Seite setzte. Er wollte sich um meine Verpflegung kümmern. Keine Minute verging, ohne dass er mein Glas überprüfte, ob es mir nicht an Alkohol fehlte. Gleichzeitig war die einzige Dame am Tisch stets um mich besorgt, ob ich denn mit den servierten Köstlichkeiten zurecht komme. Endlich bewies sich meine Entscheidung, Visitenkarten anzufertigen als goldrichtig. Nicht nur das Namensrätsel ließ sich so auf elegante Weise lösen, einige der Anwesenden waren auch begierig darauf, ihre Visitenkarten mit den Studenten zu tauschen. Bis auf die Estin und meine Wenigkeit besaß aber niemand dergleichen. So stürzte man sich halt auf uns. So gelangte ich auch in den Besitz von Karten einiger der wichtigsten Menschen Sendais, wie zum Beispiel von Parlamentsmitgliedern. Leider überzeugte Orsolyas Verwendung der japanischen Sprache die Leute, uns nur noch auf Japanisch anzusprechen. Versteht sie normalerweise rund achtzig und ich rund sechzig Prozent, so ging das bei der Geschwindigkeit und Ausdrucksweise der Anwesenden auf fünfzig und fünfundzwanzig Prozent zurück. Sie agierte deshalb teilweise als meine Übersetzerin, was nicht zuletzt einer der Gründe für die vielen Rückfragen, ob sie meine Ehefrau sei, gewesen sein könnte. Wir schlugen uns aber sehr ehrbar und hielten auch alle Regeln der Etikette ein, wie immer anderen die halb leeren Gläser nachzuschenken. Leider taten die Japaner dies auch und so standen in kürzester Zeit Bier, Sake und Wein vor mir. Gleichzeitig stellte es sich heraus, dass die Dame an meinem Tisch auch die Chefin des Catererbetriebes war. Da an unserem Tisch zwei Gäste nicht erschienen sind, wurde mir auf einmal auch deren Essen vorgesetzt und bei Japanern darf man natürlich nicht nein sagen. Schwere Arbeit für meinen Magen, wobei Teile des Essens sehr lecker waren. Das Sashimi war von feinster Qualität und die Fische, die vorgesetzt wurden, waren garantiert auch nicht billig gewesen. Dazu gab es noch die verschiedensten Köstlichkeiten. Abgeschlossen wurde das ganze Fest nach einiger Zeit mit einer Kreisbildung und einem Abschlussgesang, der Hand in Hand ausgeführt wurde.

Endlich Freiheit, sollte man meinen. Dem war aber bei weitem nicht so. Die Veranstalter und führenden Köpfe des Clubs forderten uns auf, mit nach Kokubuncho zu fahren und noch in eine Bar zu gehen. Ein nein wird nicht akzeptiert und ehe wir uns versahen, befanden wir uns in Taxis auf dem Weg in die Vergnügungsmeile. Extra für die anwesenden 20 Leute wurde ein exklusiver Hostessenclub gemietet, wo wir von fünf Damen hofiert und bedient wurden. Noch einmal hieß es, sich der Fragen der Japaner zu erwehren beziehungsweise sie erst einmal zu verstehen. Es wurde ein sehr anstrengender aber auch interessanter Abend. Derartiges in unseren Freundeskreisen nachzustellen, können wir aber gleich abschreiben. Geben wir an teuren Abenden für derartige Nomihodeis (zwei stündige Trinkveranstaltungen) im schlimmsten Fall rund je zwanzig Euro aus, so kostete dieser Club pro Person über hundert, ein Betrag den dankbarerweise die Veranstalter für uns übernahmen. Besonderes Thema war auch mal wieder meine Größe, wenn man nicht gerade über Orsolyas und meine etwaige Beziehung etwas erfahren wollte. Ein Japaner ging, soweit mich im Fahrstuhl runter zu ziehen, weil ich die anderen so überragen würde und das doch unnatürlich wäre. Natürlich meinte er das nur aus Spaß. Besonderes Highlight für die Veranstalter stellte aber eigentlich das Verabschieden dar. Gerade kam eine Gruppe junger Japanerinnen aus dem gleichen Gebäude. Sie fingen an, mit unserem Finnen und dann allen jüngeren Ausländern zu flirten. Ein Umstand, der die älteren Herrschaften ziemlich amüsierte und zu interessanten Aufforderungen führte. Insgesamt war es auf jeden Fall ein sehr gelungener Abend, auch wenn wir schlecht vorbereitet waren und man wirklich immer auf Alarmstufe Rot stehen musste. Man durfte keinen Fehler machen und die Japaner machten dies auch absolut klar. Gleichzeitig zeigten sie ausführlich, wie wichtig sie waren. Schön war es aber trotzdem, mal so eine Veranstaltung zu erleben und gleichzeitig zu erleben, wie Japaner Geschäftsbeziehungen in Clubs knüpfen. Thomas bestätigte uns noch, dass die gesamte Situation im Hostessenclub wohl normalen japanischen Geschäftsessen entsprechen würde. Interessant, so etwas einmal aus erster Hand erlebt zu haben.

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