Manchmal sollte man einfach ganz ruhig bleiben. Habe ich gestern noch über die Kommentare der Japanerinnen gelacht, die über uns Deutsche gemacht wurden, bin ich heute in fast die gleiche Situation hinein geschlittert, nur ohne die Unterstützung anderer Deutscher zu haben. Aber der Reihe nach: Thomas hatte uns vor zwei Tagen informiert, dass es ein internationales Fest geben wird, wo es Gerichte von vierzig Nationalitäten zu erwerben geben wird. Gleichzeitig nutzte er das älteste Mittel, um uns Ausländer zu diesem Fest zu locken, er stellte als Bierausschenker des Festes ein Freibier in Aussicht. Keine Frage, da müssen wir vorbei schauen. Wir wären zwar auch so vorbeigekommen, aber manche Angebote müssen ausgenutzt werden. Leider schafften Orsolya und ich es dank perfekter Absprachen erst gegen achtzehn Uhr zum Standort des Festes, aber so kann man wenigstens zu Abend essen. Leider hatte uns keiner gewarnt, dass die Veranstaltung schon früh zu Ende geht und die meisten Hütten waren schon geschlossen. In den restlichen gab es noch Kleinigkeiten zu essen und die Künstler der Stadt hatten sich dort einquartiert. Unter anderem der Künstler, von dem ich öfter mal Kalligrafien anfertigen lasse. Interessanterweise erkannte er mich sofort wieder, obwohl ich gar nicht so oft zu Gast bin und er immer viele Kunden hat, auch Ausländer. Vermutlich sind unsere Gespräche mit Händen und Füßen aber in seinem Gedächtnis geblieben.
Noch vorhanden war aber auch der Stand von Thomas, auch wenn er langsam zusammenbaute. Da ich eh nicht viel Besseres zu tun hatte, half ich ein wenig aus. Ein Umstand, mit dem ich mir mein Freibier dann auch redlich verdiente. Ein wenig moralische Unterstützung schadet aber auch nicht. Ich kann ja schlecht zuschauen, wie andere schuften. Über diesen Gedankengang meinerseits weniger erfreut, war eine 23-jährige Japanerin, die mit einem Freund auch gerade am Stand war und sich mit Thomas unterhielt. Sie sah sich genötigt, auch zur Hand zu gehen und so reinigten wir zu dritt einen Tayakibräter. Wenn man schon gemeinsam reinigt, kann man sich auch ein wenig unterhalten. Sie kramte ihr bestes Englisch aus und los ging es. Ab dem Zeitpunkt, wo sie mir versuchte klar zu machen, dass ihr Begleiter nicht ihr Freund sei, hätte mir die ganze Sache ja schon Spanisch vorkommen sollen. Aber gut, das ist eine Aussage, die ich hier so öfter zu hören bekomme. Nach einiger Zeit wurde ich nach meiner Mailadresse gefragt, man könne ja mal seine Englischkenntnisse und Japanischkenntnisse etwas auffrischen. Ein Vorschlag, dem ich nur all zu erfreut zustimmte. Was mich dann doch etwas an diesen Plänen zweifeln ließ war die Mail, die ich daraufhin bekam. Mir ist ja klar, dass Japanerinnen gerne einmal Smilies verwenden, für eine flüchtige Bekannte hat die junge Dame aber dann doch zu viele Herzen in ihrer Nachricht untergebracht. Nobu, dem ich die Nachricht gezeigt habe, hat so seine Zweifel, aber ich glaube ja noch an das Gute im Menschen. Sie braucht sich auf jeden Fall keine Hoffnungen zu machen.
Aber auch ansonsten wurde es ein interessanter Abend. Ich blieb bewusst in Thomas Nähe und es sollte sich auszahlen. Zum einen sorgten einige japanische Hip Hopper und Rapper für ein Spontankonzert auf der Bühne genau neben dem Stand. Man kann zu der Musik stehen wie man will, meinen Geschmack haben sie nicht getroffen, gut waren die Jungs aber alle male. Obwohl die Veranstaltung schon längst beendet war, verblieben rund siebzig Leute auf dem Gelände, um sich zu unterhalten und um dem Konzert zu folgen. Japaner als gefährliche Hip Hopper und Rapper, wie sie sich gerne darstellten, war zwar nicht wirklich ernst zu nehmen, aber es war eine spaßige Veranstaltung. Dazu falle ich auch noch ziemlich auf, so dass ich noch einige interessante Menschen kennenlernte. Einmal kurz hingesetzt auf einer Treppe und schon saß ein Japaner neben mir und wollte sich unterhalten, so verlief der ganze Abend. Die interessanteste Bekanntschaft war aber eine junge Dame, die in einem Nachbarort als Hauptforscherin an Wegen arbeitet, die Flucht der Leute in die Stadt zu unterbinden. Unsere Gespräche über Generationengeschichte, aber auch die Fluchtproblematik aus dem ländlichen Gebieten, waren sehr aufschlussreich. Im Endeffekt hat sie mir damit auch Fakten über die Gedankenwelt der ländlichen Bevölkerung in den letzten zwanzig Jahre in die Hände gespielt. Da sie auch noch Deutsch und sehr gut Englisch beherrschte, war unser Gespräch eindeutiges Highlight.
Obwohl ich mein eigentliches Ziel verfehlte, mir etwas zum Abendbrot zu besorgen, lohnte sich das ganze Fest auf jeden Fall. Beim Oktoberfest kann man eigentlich nur Spaß haben, wenn man mit den richtigen Leuten hin geht. Die Japaner tendieren leider dazu, sich viel zu schnell mit dem angebotenem Bier abzuschießen. Durch die andere Struktur dieses Festes gelingt es hier viel eher, mit den anderen Leuten ins Gespräch zu kommen. Selbst kleine Kinder waren neugierig und gingen auf die zwei komischen Ausländer los, zum Glück ist Thomas Japanisch sehr genial. Auch ansonsten waren alle Bekanntschaften sehr nett, wenn ich auch bei der 23-jährigen sehr gespannt bin, auf was sie nun wirklich aus ist. Aber gerade Japaner davon zu überzeugen, sich freiwillig mit jemandem zu unterhalten, ist normalerweise ein Ding der Unmöglichkeit. Hier gelang es ohne weiteres. Schön, dass man auch mal solche Gelegenheiten hat. Morgen werde ich auf jeden Fall wieder vorbei schauen und diesmal hoffentlich auch alle Stände offen erleben. Schade nur, dass ich diesmal frei nach Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“ keine Speicherkarte für meine Kamera dabei hatte und auf Fotos und vor allem Videos des Spontankonzertes verzichten musste. Der Anblick, wie Teile des Publikums mit gingen, hätte eigentlich auf Film gebannt werden müssen, aber eventuell ja morgen wieder.