Nachdem die alltäglichen Pflichten heute erledigt waren, rief Orsolya bei mir an, ob ich denn heute das internationale Fest mal vollständig sehen möchte, sie würde dort warten. Natürlich möchte ich das sehen, die Aufbauten und Informationen gestern hatten Lust auf mehr gemacht. Zufälligerweise machte sich auch ein Schwede zeitgleich mit mir auf den Weg. Also schlossen wir uns zusammen, um das Fest zu erkunden. Irgendwie ging das aber schneller als erwartet. Leider enttäuschte uns der erste Eindruck schon stark. Im Gegensatz zu gestern waren einige der Stände gar nicht geöffnet und die Vielfalt ließ arg zu wünschen übrig. Laut meinen Informationen waren ursprünglich über vierzig Stände eröffnet, die unterschiedlichste Speisen anboten. Bei unserem Erscheinen fanden wir eventuell die Hälfte vor. Dieser Umstand war auch nicht zuletzt auf den mangelhaften Zuspruch an Besuchern zurückzuführen. Thomas erklärte uns daraufhin, dass wir zwar den Ansturm verpasst hatten, der heutige Tag des Festes aber wirklich nicht mit dem gestrigen Tag zu vergleichen wäre. Kein Problem, schnell Orsolya von ihrem Lieblingsplatz, dem Bücherverkaufsstand, losgeeist und zusammen mit einer japanischen Bekannten ging es gemeinsam über das Gelände. Wenn man schon einmal da ist, kann man sich auch alles in Ruhe anschauen.
An sieben Ständen wurde ausländisches Essen angepriesen. Leider ignorierten die Köche aber die Möglichkeit komplett, dass es auch vegetarische Besucher geben könnte. Gerade in Japan ein seltsames Versäumnis, kennt man doch auch Religionen, die das Fleischessen untersagen. Ein großer Stand ermöglichte es, traditionelle Kleidung anderer Länder anzuprobieren und erfreute sich besonders hoher Beliebtheit. Besonders Frauen konnten der Möglichkeit nicht widerstehen, verschiedenste Kleider auszuprobieren. Die Begeisterung der Männer dagegen war traditionell nicht unbedingt die Größte. Ansonsten sind eigentlich nur noch einige Informationsstände erwähnenswert. Einer stellte eine Maschine vor, die aus altem Papier Toilettenpapier herstellt. Dazu gab es für jeden Besucher eine kostenlose Rolle. Der Schwede und ich vermuten aber, dass das Toilettenpapier unsere Rohre verstopfen wird, richtig vertrauenerweckend sieht es nicht aus. Egal, Versuch macht klug und schlimmer als das normale einlagige japanische Papier kann es auch nicht sein. Weiterhin informierte ein Tsunamiforscher über die Ergebnisse seiner Forschungen, ein hochinteressantes Thema. Im Prinzip hat er nur einen Schnitt angefertigt, ein von Archäologen liebend gern verwendetes Mittel. Dementsprechend stellte ich ihm einige Fragen, die er nur halbwegs zufriedenstellend beantworten konnte. Ob ich eventuell doch nicht zu sehr ins Archäologische hätte abwandern sollen? Trotzdem erlebte ich ihn als sehr bemühten Wissenschaftler. Das absolute Vertrauen, was einige Wissenschaftler in derartige Schnitte haben, werde ich aber nie nachvollziehen können. Es ist schon besser, dass ich für den Master Archäologie abgewählt habe.
Absolutes Highlight des ganzen Festes stellte aber der Erdbebensimulator dar. Dabei wird man an einen Tisch gesetzt und der Boden bebt wie bei einem Erdbeben der Stufe sieben. Leider war das Vergnügen viel zu schnell vorbei. Ich muss aber ehrlich sagen, so schlimm fand ich das Beben gar nicht. Viel schlimmer war, dass alle Teile im Simulator fest angeschraubt waren und ich beim Einsteigen und Aussteigen überall gegen stieß. Merke: Gegenstände in japanischer Größe sind gefährlicher als Erdbeben. Bis auf die Tatsache, dass knapp 30 Japaner uns und unsere Reaktionen auf das Erdbeben von außerhalb des Simulators beobachteten kann man sagen, dass der Simulator das Highlight des Tages war. Da der Simulator offen war und alle Passanten wegen uns das Schauspiel begafften, konnte aber schon etwas nervig sein. Die Idee des Simulators ist aber nicht verkehrt. Gerade bei der Häufigkeit von Erdbeben ist eine Sensibilisierung der Bevölkerung ein profanes Mittel.
Wirklich zufriedenstellend war das Fest noch nicht. Wir schafften es zwar, uns eine ganze Weile zu beschäftigen, aber den Tag einfach damit zu beenden, das wollten wir dann doch nicht. Also schlug Orsolya vor, ins Kino zu gehen. Bis dato hatten weder der Schwede noch ich ein japanisches Kino von innen gesehen. Warum also nicht? Wegen der Filmauswahl! Leider wurde die uns erst mitgeteilt, als es schon zu spät war und so durften wir uns ein Drama mit Liebesgeschichtsanteilen anschauen. Das hat man nun davon, wenn man sich an das Motto des heutigen Feiertages hält: Der „Respektiere das Alter“-Tag. Eigentlich ist damit ein allgemeiner Gedenktag an die Verstorbenen gemeint. Im Gegensatz zu Deutschland wird in Japan weniger am Tag des Todes getrauert, sondern an diesem bestimmten Tag. Dazu muss man noch nicht einmal unbedingt das Haus verlassen. Jede Familie hat Familienschreine in der Wohnung, wo man ebenfalls beten kann. Um diesen Tag auch wirklich auszunutzen, haben die Japaner seine Bedeutung mittlerweile aber verstärkt ausgebaut. Nicht nur den Toten wird gedacht, sondern auch den älteren Familienmitgliedern. Dass diese Tradition sehr ernst genommen wird, sah man stark daran, dass die Japaner kaum auf der Straße waren oder wenn, dann meist in einer Gruppe mit der Verwandtschaft. Um unsere Älteste ansprechend zu ehren, entschieden wir, da dass Orsolya heute entscheiden durfte. Wie man an der Filmauswahl sah, keine gute Idee.
Wenigstens ganz so schrecklich wie erwartet, war der Film zum Ende hin nicht. Immerhin waren der Bilder absolut sehenswert. Das Kino ist mit einem deutschen Kino aber nicht zu vergleichen gewesen. Gerade mal vier Reihen besaß es und man saß dementsprechend nah an der Leinwand. Die Preise für Getränke waren noch im hinnehmbaren Bereich und aufgrund unseres Status als Student, kamen wir noch verhältnismäßig billig ins Kino. Nächstes Mal frage ich aber lieber vorher nach, was für einen Film wir denn schauen. Interessanterweise wurde der Film im Original, mit Untertiteln, gezeigt. Das soll hierzulande bei amerikanischen Filmen wohl häufiger der Fall sein. Für uns war das auf jeden Fall eine angenehme Überraschung. Zweieinhalb Stunden Liebesfilm in Japanisch hätte ich ohne einzuschlafen wohl nicht überstanden. Anschließend verbrachten wir noch etwas Zeit in einem Donutladen, ehe es 23 Uhr dann doch nach Hause ging.