Endlich, das neue Semester ist fast erreicht und das Büro füllt sich wieder. Mit Shimizu und Kaori sind auch zwei mir sehr wichtige Bekannte endlich wieder im Büro aufgetaucht. Kaori ist absolut entspannt. Sie ist gerade von einer mehrwöchigen Reise aus Italien und Deutschland heimgekehrt. Ihr einziges Ziel für dieses Semester ist die Abschlussarbeit. Leider steht sie vor dem selben Problem wie ihre Leidensgenossin vom letzten Freitag: Was schreiben? Also ging das selbe Schauspiel wie letzte Woche erneut los. Eine Beratungsrunde zum Thema Abschlussarbeiten stand an. Sollten ihre Ideen, die am Ende heraus kamen, aber wirklich von den Professoren abgesegnet werden, würde ich schon etwas am japanischen Universitätssystem zweifeln. Zwar haben ihre Pläne wirklich etwas mit Literatur zu tun, nur die Leitthemen eines Buches heraus zu finden, würde ich maximal als Hausarbeitsthema bezeichnen, nicht aber als Abschlussarbeitsthema. Ich vertraue aber der deutschen Professorin genug, um derartige Pläne schnell zu beenden. Allgemein stellt diese Unwissenheit über die Anfertigung von Abschlussarbeiten einen der Schwachpunkte des japanischen Unisystems stark heraus. Ist es in Deutschland relativ einfach, an eine Universität zu gelangen, so ist es in Japan ein langer Kampf durch Bewerbungsverfahren, Aufnahmetests und Professorengespräche. Hat man es einmal an eine Universität geschafft, sieht die Welt dagegen ganz anders aus. Besteht in Deutschland die Gefahr, bei nicht Erreichen bestimmter Noten schnell von der Uni verwiesen zu werden, versucht in Japan die Uni alles, die Studenten möglichst schnell durch das Studium zu lotsen. Dieses Vorgehen hat Vor- und Nachteile. Auf der einen Seite erlebt man hierzulande kaum Langzeitstudenten oder Studienabbrecher, auf der anderen Seite werden aber auch Studenten, die eigentlich in einem Fach falsch sind, schon einmal mit niedrigsten Noten durchgewunken. Gleichzeitig wird in den ersten Semestern kaum Wert auf eigenständiges Arbeiten gelegt. Die ersten Semester sind bestimmt durch auswendig lernen und Klausuren schreiben. Kein Wunder also, wenn zur ersten Abschlussarbeit dann der Schock um so größer ist.
Zu meiner großen Freude ist neben Kaori auch mein alter Freund Shimizu wieder in Sendai eingetroffen. Das musste mit Lakritze gefeiert werden! Als ob er nie weg war, nahmen wir auch gleich unser gegenseitiges Sprachpartnerprogramm wieder auf und unterrichteten uns gegenseitig in unseren Muttersprachen. Damit ist alles Wichtige wieder an seinem Platz. Meine Sprachpartner sind zum Üben wieder da, genug Materialien zum Durcharbeiten für meine Forschungen sind auch noch vorhanden und mit der deutschen Professorin bekomme ich dieses Semester auch noch mehr Rückendeckung bei meinen Taten. Das Semester kann also losgehen!
Ansonsten haben wir heute einen sehr alten japanischen Brauch gepflegt. Als die Soldaten im zweiten Weltkrieg an die Front versetzt wurden, überreichten ihnen die Frauen japanische Flaggen, auf denen die ganze Familie eine Nachricht hinterlassen hatte. Diese Tradition hat sich nach dem Krieg erhalten und wird heute noch bei Verabschiedungen vollzogen. Verlässt zum Beispiel ein Schüler oder Lehrer eine Schule, erhält er ebenfalls eine derartige Verabschiedung. Da Schüler naturgegebenerweise etwas ärmer sind als normale Menschen, wird die Flagge aber selber gebastelt. Im Mittelpunkt gibt es einen Kreis, wo maximal der Name des Verabschiedeten steht und darum schreiben die Schüler ihre Nachrichten. Als Studenten können wir uns aber natürlich das Original leisten und da mit Andre morgen der letzte Deutsche Japan endgültig verlässt, luden die Japaner seiner Wohnung heute zum Flagge beschriften ein. Leider warnte uns keiner, dass die Japaner Romane geschrieben hatten. Kein Problem, ich bin Historiker. Ich weiß, wie man etwas ausführlich schreibt. Mit viel Überlegen zauberte ich einen längeren Text für die beide Deutschen auf die Fahne. Das Ganze wurde auf jeden Fall ein großartiges Geschenk, an das beide bestimmt ewig denken werden. Aber wir hatten auch beim Schreiben unseren Spaß. Besonders, da uns Ausländern der Kopf rauchte, wie man so einen Text am besten verfasst. Ich würde zu gerne morgen Andres Gesicht bei der Übergabe sehen. Gleichzeitig kommen ab morgen auch die Neuankömmling an. Mal schauen, wer so alles aus Deutschland dabei ist.