Neues aus dem japanischen Hörsaal

Unter Studenten entwickeln sich immer gewisse Legenden – Geschichten, die von Student zu Student weitergereicht werden und von fast von allen gekannt werden. Eine dieser Legenden dürfte die Explosion in der UFG Göttingen sein. Ein Professor verliert den Kopf und faltet seinen Studenten vor der gesamten Studentenschaft zusammen. Aber nicht nur in der UFG sind solche Fälle bekannt, auch in der Geschichte. Besonders bei gewissen Mittelalterprofessoren kam es schon vor, dass nach einem besonders schlechten Referat ein Professor den Kopf verlor und den selbigen des referierenden Studenten wusch. In Deutschland stellt dies einen normalen Vorgang dar, der schon einmal bei gewissen Professorentypen geschehen kann. In Japan sieht die Welt schon ganz anders aus. Eine meiner Professorinnen versuchte heute zum wiederholten Male, mich für die Teilnahme an dem institutsinternen Literatenzirkel zu gewinnen. An sich bin ich ja immer dafür, mich bei allen Sachen zu zeigen. Aber ein Literatentreff? So verzweifelt bin ich dann doch nicht. Noch bin ich Historiker und nicht unter die Germanisten gegangen und ob ich mich mehrere Stunden über Kafka und Thomas Mann unterhalten möchte, wage ich dann doch einmal zu bezweifeln. Unter diesen Literaten befindet sich nun aber ein besonderer Fall. Ein mittlerweile 90-jähriger ehemaliger Professor, der eigentlich nur noch für diese Treffen die Uni betritt. Ihn zeichnet eine besondere Gabe aus, die besonders meine deutsche Professorin anspricht, er darf offen kritisieren. Richtig gelesen, kritisieren ist an einer japanischen Uni von Professorenseite nicht gerne gesehen und wird nur in den schlimmsten Fällen angewandt. Dementsprechend werden sogar bei Referaten nur die guten Stellen herausgestellt und die schlechten positiv umschrieben. Wie dadurch ein Lerneffekt auftreten soll, kann ich zwar nicht wirklich sagen, aber die Japaner werden schon ihre Gründe haben. Natürlich soll Kritik nicht in Geschrei enden, wie es in oben genannten Göttinger Beispielen schon einmal vorkommen konnte. Aber konstruktive Kritik muss erlaubt sein. Wie will man sonst aus Fehlern lernen? Besagter Professor hat aber seit seiner Niederlegung des Lehrstuhls seine europäische Ader entdeckt und kritisiert nun offen, wobei er mittlerweile schon ruhiger geworden sein soll. Trotzdem war das Bild göttlich, wie er das Büro betrat und erst einmal zwei Kommilitonen eine Predigt hielt, warum sie Mangas lesen und nicht sinnvolleren Beschäftigungen nachgehen. So stramm sitzen habe ich die Kollegen noch nie gesehen! Sein Auftreten und seine ganz Art hätten mich aber auch in Alarmbereitschaft versetzt, hätte er sich für den Ausländer in der Ecke überhaupt interessiert. Ich kann mir aber danach bildlich vorstellen, wieso es meiner Professorin so einen Spaß macht, diesen Mann durch die Uni zu führen und auch in die Seminare mit hinein nehmen zu müssen. Trotzdem verstehe ich einfach nicht, wie diese Lernmethode Erfolg haben soll, auch wenn man nach Lob natürlich motiviert ist. So ganz passt es auch nicht in mein Bild des japanischen Unterrichtes. Alle Seminare, die ich bisher gesehen habe, entsprachen eher der Methode: der Professor erzählt und und die Studenten haben anerkennend mit dem Kopf zu nicken. Das Bildnis des nicht kritisierenden Professors passt da wahrlich nicht dazu. Auf der anderen Seite ergibt es schon Sinn. Betrachtet man das japanische Ehrsystem, so verliert man bei zu viel Kritik schnell sein Gesicht und auf der anderen Seite wird die Universität hierzulande eher als Dienstleister gesehen. Kein Wunder bei rund 5.000 Euro Studiengebühren pro Semester, da sollte man den Studenten nicht zu sehr drangsalieren, schließlich braucht man ihn ja noch! Man möchte ja nicht, dass seine Endbewertung des Kurses vernichtend ausfällt und man sich vor den anderen Professoren rechtfertigen muss. Ob dieses System nun sinnvoll ist oder nicht, muss jeder für sich selber entscheiden. Der Ansatz ist auf jeden Fall interessant und mich würden einmal Vergleichsstudien interessieren, ob das europäische oder das japanische System zu mehr Erfolg führt.

Natürlich nicht negativ aufgefallen ist Shimizu. imgp2670s O.k., er hat auch verdächtige Sachen schnell genug unter dem Tisch verschwinden lassen, aber das ist ja nur ein Nebeneffekt. Er stöhnte dafür über die Leseaufgaben. Für einen seiner Kurse muss er nachweisen, dass er 10.000 Worte in der Woche gelesen hat. Wie groß aber die Motivation ist, Bücher der Marke „Mein erster Schultag“ zu lesen, sei mal dahin gestellt. Viel interessanter war aber die Neuigkeit, dass unser Büro am Freitag zusammen ein Imoni-Kai veranstaltet. Endlich wird mal wieder etwas zusammen unternommen und ich sehe auch mal wieder die Leute, die es nie ins Büro schaffen. Kaori, meine Tutorin, habe ich zum Beispiel schon seit fast einem Monat nicht mehr gesehen. Zum Glück übernehmen Shimizu und Rieko mittlerweile ihre Aufgaben freiwillig mit!

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